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Schutz auch für Selbständige

IV. Perspektiven rechtlichen Handelns

3. Schutz auch für Selbständige

Sind Pflegekräfte im Rahmen der häuslichen 24-Stunde-Pflege selbständig tätig, muss hiermit nicht zwangsläufig ein Verfall sozialen Schutzes einhergehen. § 2 SGB VI regelt die Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung selbständig tätiger Personengruppen. Gem. § 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI sind selbständig tätiger Pflegepersonen versicherungspflichtig, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Häusliche Pflegekräfte könnten hierunter mit Blick auf eine etwaige Krankenpflege gefasst werden. Allerdings schließt der Bezug zur Krankheit eine andere Pflege oder Betreuung, die insbesondere ausschließlich aufgrund des Alters stattfindet, aus.258 Bei gemischten Tätigkeiten bedarf es in diesem Zusammenhang einer Schwerpunktbetrachtung. Pflegekräfte der 24-Stunde-Pflege sind unter diesen Tatbestand mithin nicht zwangsläufig zu fassen, auch wenn Altenpfleger darunter fallen können.259 Gerade bei einer häuslichen Pflege von Pflegebedürftigen mit niedrigem Pflegegrad wird einer Versicherungspflicht nach dieser Bestimmung regelmäßig nicht anzunehmen sein. Gleiches gilt für § 2 S. 1 Nr. 6 SGB VI:

Pflegekräfte verfügen – wie zuvor bereits erörtert – regelmäßig nicht über eine eigene Arbeitsstätte bzw. einen eigenen Betrieb; schon aufgrund der Natur der Pflegedienstleistung ergibt sich hierfür kein Bedürfnis.260

In Betracht kommt ebenso eine Rentenversicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI.

Die als Auffangtatbestand konzipierte Bestimmung soll einer „zunehmenden Erosion des versicherten Personenkreises durch eine wachsende Überführung von Beschäftigten

258 KassKomm/Guttenberger, 102. EL Dezember 2018, § 2 SGB VI Rn. 13.

259 KassKomm/Guttenberger, 103. EL März 2019, SGB VI § 2 Rn. 13.

260 Zum Merkmal der eigenen Arbeitsstätte KassKomm/Guttenberger, 102. EL. Dezember 2018, § 2 Rn. 21;

ähnlich wohl auch BeckOK SozR/von Koch, 52. Ed. 1.3.2019, § 2 SGB VI Rn. 20.

in arbeitnehmerähnliche selbständige Tätigkeiten entgegenwirken.“261 Ausweislich der Gesetzesbegründung zeichnet sich die unter diesen Tatbestand zu fassende Personengruppe nicht durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Berufsfeld aus, vielmehr sind es die typischen Tätigkeitsmerkmale bzw. der Rahmen der Tätigkeit, der die soziale Schutzbedürftigkeit hervorruft.262 Hierzu gehört – und so statuiert es auch § 2 S. 1 Nr. 9 lit. b SGB VI – vor allem, dass der Erwerbstätige im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig wird. Der Gesetzgeber geht hierbei davon aus, dass es nicht zwangsläufig auf die rechtliche Bindung zu nur einem Auftraggeber ankommt. Die Norm soll darüber hinaus gleichermaßen Konstellationen umfassen, in denen der Selbständige tatsächlich wirtschaftlich im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig ist.263 Das bedeutet: Wird die selbständige Pflege- und Betreuungskraft zwar zivilrechtlich für mehrere Auftraggeber in Gestalt verschiedener Pflegebedürftiger bzw.

Angehörige dergleichen tätig, schließt dies eine Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI nicht aus, wenn die Vermittlung der Pflegeaufträge im Wesentlichen von allein einem Pflegedienst abhängt. Dann nämlich besteht eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Pflege- und Betreuungskraft gegenüber dem Pflegedienst, die ebenso die Versicherungspflicht herbeiführt.

Um Rechtsunsicherheiten vorzubeugen und bürokratischen Mehraufwand zu vermeiden, kann in Erwägung gezogen werden, trotz der auch nach derzeitigem Recht wohl überwiegend bestehenden Rentenversicherungspflicht für selbständige Pflegekräfte in der 24-Stunden-Betreuung nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI dieses Tätigkeitsfeld ausdrücklich normativ zu erfassen. Hierfür könnte entweder eine neue Nummer in § 2 S. 1 SGB VI eingefügt werden. Gleichermaßen kommt in Betracht, die derzeitige Regelung in § 2 S. 1 Nr.2 SGB VI, die bereits Teile der Pflegebranche umfasst, um die 24-Stunden-Betreuung zu ergänzen. Zu formulieren wäre dann:

§ 2 Selbständig Tätige

261 BT-Drucks. 14/14, S. 20; vgl. auch BeckOK SozR/von Koch, 52. Ed. 1.3.2019, § 2 SGB VI Rn. 34;

KassKomm/Guttenberger, 102. EL. Dezember 2018, § 2 SGB VI Rn. 34.

262 Zum unmittelbaren Zusammenhang zur Handhabe sog. Scheinselbständigkeiten KKW/Berchtold, SGB VI, 5. Aufl. 2017, § 2 Rn. 15.

263 BT-Drucks. 14/45, S. 20; bestätigend Kreikebohm SGB VI/Segebrecht, 5. Aufl. 2017, § 2 Rn. 40.

Versicherungspflichtig sind selbständig tätige 1. […]

2. Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings-, Kinder- oder häuslichen Altenpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen,

[…]

Darüber hinaus könnten Regelungen des Arbeitszeitrecht und der Mindestvergütung auf Selbständige übertragen werden:

- Hinsichtlich des Arbeitszeitrechts gilt dabei zunächst, dass die europarechtlichen Vorgaben zum arbzeitszeitrechtlichen Schutz von Arbeitnehmern nur Mindestvorgaben sind. Die Vorgaben aus der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, umgesetzt durch das ArbZG gewährt schon bereits im Rahmen seines Anwendungsbereichs nur einen Mindeststandard.264 Der Anwendungsbereich kann dann erst recht erweitert werden, mit der Folge, dass auch Selbständige Schutz ihrer Arbeitszeit bzw.

Freizeit genießen.

Ebenfalls ließe sich diesbezüglich erwägen, jedenfalls mit Blick auf die Ruhezeiten selbständiger Pflegekräfte in der 24-Stunden-Betreuung Sonderbestimmungen normativ zu verankern. Derartige branchenspezifische Sonderbestimmungen gibt es bereits schon nach derzeitigem Recht: Nach § 21a Abs. 1 ArbZG werden die Vorschriften des nationalen Arbeitszeitschutzrechts für den Bereich des Straßentransports um die Schutzvorschriften aus der Verordnung EG Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.

März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr.

3820/85 des Rates (ABl. EG Nr. L 102 S. 1) ergänzt. Gemäß Art. 7 VO EG Nr.

264 BeckOK ArbR/Koch, 51. Ed 1.3.2019, § 1 ArbZG Vor Rn. 1.

561/2006 v. 15.3.2006 müssen Fahrer nach einer Lenkdauer von viereinhalb Stunden eine ununterbrochene Fahrtunterbrechung von wenigstens45 Minuten einzulegen, sofern sie keine Ruhezeit einlegen. Diese Unterbrechung kann durch eine Unterbrechung von mindestens 15 Minuten, gefolgt von einer Unterbrechung von mindestens 30 Minuten, ersetzt werden, die in die Lenkzeit so einzufügen sind, dass die zuvor genannte Höchstgrenze nicht überschritten wird.265 Ähnliche Regelungen sind für den Bereich der 24-Stunden-Betreuung denkbar. In Betracht käme u.a. eine Bestimmung, wonach Unterbrechungs- bzw.

Ruhephasen (tagsüber) bei einer aktiven Pflegedauer von bspw. sechs Stunden im Umfang von mindestens 30 Minuten einzulegen sind. Derartige Sonderbestimmungen könnten in das ArbZG ergänzend aufgenommen werden.

- Mit Blick auf die Mindestentgelte selbständiger Pflegekräfte ließe es sich gleichermaßen erwägen, den für abhängig Beschäftigte bestehenden Schutz auf den Bereich der selbständigen 24-Stunden-Betreuungkräfte zu erweitern.

Diesbezüglich könnte eine spezialgesetzliche Regelung abseits des MiLoG zweckmäßig sein und zwar dergestalt, wie es bereits nach derzeitiger Rechtslage für Teile der Pflegebranche in der Dritten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (3. PflegeArbbV) ausgestaltet worden ist. Die 24-Stunden-Betreuung fällt – wie dargestellt - nach geltender Rechtslage jedoch nicht unter den Anwendungsbereich nach § 1 Abs. 1, 2 der 3.

PflegeArbbV.266 Die normative Ermächtigungsgrundlage für die PflegeArbbV bildet § 11 AEntG. Deren Anwendungsbereich wiederum wird unmittelbar von § 10 AEntG vorgegeben. Eine Erweiterung des Mindestentgeltschutzes auf den Bereich der selbständigen Pflegekräfte in der häuslichen 24-Stunden-Betreuung würde deshalb – wenn man sie bereichsspezifisch regeln möchte, eine gesetzliche Anpassung der im AEntG verankerten Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung voraussetzen. In der Folge wäre es dann denkbar, den

265 Vgl. hierzu auch Landmann/Rohmer/Neumann, GewO, ArbZG, 80. EL Januar 2019, § 4 ArbZG Rn. 10.

266 LAG Rheinland-Pfalz v. 12.2.2016 – 2 Sa 378/15, BeckRS 2016, 68326; s. zudem Website des Bundesgesundheitsministeriums, abrufbar unter:

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/index.php?id=675 (letzter Abruf: 25.6.2019); ebenfalls auf die Internetpräsenz des BGM abstellend Bucher, Rechtliche Ausgestaltung der 24-h-Betreuung durch ausländische Pflegekräfte in deutschen Privathaushalten, 2018, S. 198.

Anwendungsbereich der 3. PflegeArbbV in persönlicher Hinsicht auf den Kreis der Selbständigen zu erweitern. Dabei ist es mit Blick auf die Mindestentgelte einerseits denkbar, das Schutzniveau demjenigen der abhängig beschäftigten Pflegekräfte gleichzusetzen. Gleichermaßen ließe sich aber auch ein geringeres Mindestentgelt bestimmen, welches den Besonderheiten der selbständigen Dienstleistungsbranche und dem hiermit verbundenen Mehr an Handlungs- und Entscheidungsspielraum angemessen Rechnung trägt.

4. Handlungsspielraum im Arbeitszeitrecht Konkretisierung der