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Schlussbemerkungen und Empfehlungen

Die Volksbewegungen, die 2011 in Bahrain, im Irak und Syrien und 2005 und 2011 im Libanon entstan-den, nahmen für sich in Anspruch, alle sozialen, ethnischen und religiösen Gruppen im Wunsch nach Veränderung zu vereinen. Jede dieser Gesellschaften war in ihrer jüngeren Vergangenheit von destruktiven konfessionellen Konflikten erschüttert worden. Dies erklärt, warum in allen vier Ländern das Narrativ einer nationalen Aussöhnung im und durch den Kampf gegen eine repressive Herrschaft ein erheb-liches Mobilisierungspotential entfalten konnte. Statt als Beschützer der nationalen Einheit wurden Regime und etablierte politische Akteure als Verursacher kon-fessioneller Konflikte dargestellt. Wenn es nur gelänge, sich ihrer zu entledigen, wäre damit auch die Wurzel dieser Gegensätze entfernt. Mit diesem Argument suchten die Bewegungen der Legitimation dieser Re-gime den Boden zu entziehen, eine Legitimation, die sich gerade aus dem Anspruch speiste, diese potenziell konfliktträchtigen Gesellschaften zusammenzuhalten.

Die Zugkraft dieses Narrativs war 2005 im Libanon am stärksten, aus dem schlichten Grund, dass dort tatsächlich eine – wenn auch oberflächliche – Versöh-nung historischer Rivalen, der sunnitischen Muslime und Christen, stattfand und Mauern der Angst ein-gerissen wurden. Die Ereignisse rund um den Märtyrer-platz in Beirut zwischen dem 18. Februar und 14. März sind ein besonders anschauliches Beispiel für das transformative Potential kollektiver Aktion und für die Ressourcen, die durch die Überwindung gesell-schaftlicher Gräben freigesetzt werden können, beson-ders wenn es Gewalterinnerungen und existenzielle Ängste sind, die diese Gräben haben entstehen lassen.

Sie sind auch ein Beleg für die besondere Bedeutung öffentlicher Räume in gespaltenen Gesellschaften: In drei der vier Fälle fanden die Proteste an Orten statt, die exponiert und zugleich konfessionell »neutral«

und damit geeignet waren, dem Narrativ der natio-nalen Versöhnung einen topographischen Ausdruck zu verleihen. Im Gegensatz dazu waren die riesigen Demonstrationen in der syrischen Stadt Hama im Juli 2011 trotz einer erheblichen Beteiligung von Angehö-rigen der konfessionellen Minderheiten nicht geeignet, dieses Narrativ zu stützen. Denn Hama gilt als sunni-tische Stadt und besonders seit dem Massaker von 1982

als Zentrum des konfessionell motivierten Widerstands gegen das Assad-Regime. In der Innenstadt von Damas-kus hätten Demonstrationen solcher Größenordnung diese Gleichung grundlegend geändert. Es gelang aber dem Regime, die Kontrolle über diese Räume zu be-haupten und für die Aufmärsche der eigenen Anhän-ger zu nutzen.

Diese Beobachtung weist auf das zentrale Dilemma all dieser Bewegungen hin: Ihre inklusiven Agenden und Diskurse überzeugten nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen. Auch bei Großdemonstratio-nen hielt sich die weit überwiegende Mehrheit min-destens einer konfessionellen Gruppe fern oder schlug sich auf die Seite des Regimes. Die individuelle Teil-nahme einiger Angehöriger dieser Gruppen – oft, wenn auch nicht ausschließlich, handelte es sich um Vertreter der sozialen Elite – vermochte anfangs den Anschein von Inklusivität aufrechtzuerhalten. Doch die Hoffnung, dass die Präsenz dieser Personen größe-re Teile der abseits stehenden Gruppen dazu bewegen könnte, sich dem Aufstand anzuschließen, zerschlug sich spätestens, als diese stattdessen Teil einer Gegen-bewegung wurden und die gewaltsame Unterdrückung der Aufständischen unterstützten oder sich sogar aktiv daran beteiligten.

Einige der Gründe für dieses Scheitern sind in den Protestbewegungen selbst zu suchen. Im Gegensatz zu ihren Vorbildern in Tunesien und Ägypten gereichte den Aktivisten in den hier erörterten Ländern das Fehlen einer zentralen und hierarchischen Führung eindeutig zum Nachteil. Informelle und spontan eta-blierte Entscheidungsstrukturen boten zwar Foren zur Diskussion von Slogans und Botschaften, vermochten es aber nicht, eine einheitliche politische Linie vor-zugeben und alle Beteiligten darauf zu verpflichten.

Radikale und auch konfessionelle Kräfte nutzten die Gelegenheit des Aufruhrs, um kontroverse und für manche Bevölkerungsgruppen bedrohliche Ziele zu propagieren. Traditionelle und neue Medien der Gegenseite griffen solche Diskurse dankbar auf, um die »verdeckte« (konfessionelle) Agenda der Bewegung zu entlarven. Die gewaltsame Repression und stei-gende Opferzahlen ließen die Stimmen der Radikalen immer dominanter werden. Wo eine kohärente Orga-nisation mit einer klar strukturierten Führung

viel-Schlussbemerkungen und Empfehlungen

leicht in der Lage gewesen wäre, solche »Extremisten«

im Griff zu behalten oder sich überzeugend von ihnen abzusetzen, konnte dies einer Bewegung mit einer Vielfalt an Sprechern und Meinungen nicht gelingen.

Darüber hinaus bedienten sich die Demonstranten zwar durchaus innovativer und kreativer Formen des öffentlichen Protests. Dennoch waren ihre Botschaften oft von religiöser Symbolik und Rhetorik durchsetzt, wie es in Gesellschaften, wo religiöse Praxis ein zen-traler Bestandteil des Alltagslebens ist und einen der wenigen Räume mit begrenzter Autonomie bietet, nur natürlich ist. Aber da Gebetsstätten und religiös kon-notierte Ausdrucksformen die Konfession einer Person verraten, war es für die Gegner dieser Bewegungen ein Leichtes, sie mit einer bestimmten Konfession zu iden-tifizieren und damit ihren inklusiven Diskurs zu dis-kreditieren.

Die politischen Parteien wurden zunächst von den Massenbewegungen überrascht. In Bahrain und im Libanon schalteten sie sich jedoch schnell ein und spielten eine ausgesprochen ambivalente Rolle. Einer-seits erhöhte sich so die Zahl der Teilnehmer, anderer-seits unterminierte die sichtbare Präsenz von Parteien mit konfessioneller Ausrichtung oder so wahrgenom-menen Programmen den überkonfessionellen An-spruch. Das galt auch dann, wenn ihre Mitglieder nicht unter dem Banner der Partei marschierten und aktiv am Aufbau eines konfessionsübergreifenden Bündnisses mitarbeiteten. In Syrien hatte die promi-nente Rolle der Muslimbruderschaft in den Opposi-tionsstrukturen, die im Ausland entstanden sind, die gleiche Wirkung, trotz der Bemühungen der Organi-sation, ihren Diskurs mit Bekenntnissen zu demokra-tischen Prinzipien zu spicken. Dagegen lehnten die Aktivisten während der Proteste im Irak im Jahre 2011 jegliche Beteiligung von Parteien ab, die Teil der herr-schenden Machtstrukturen waren. Das hinderte schii-tische Parteien und Geistliche nicht daran, die Protest-bewegung als Tarnstruktur für Baathisten und die Al-Qaida zu bezeichnen, beraubte sie aber jeder Mög-lichkeit, Verbündete innerhalb der offiziellen Politik zu finden. Sunnitische Politiker instrumentalisierten ihrerseits 2013 die Proteste im Nordwesten des Landes für ihren Machtkampf mit Bagdad und initiierten so eine neue Runde konfessionell motivierter Gewalt. Im Libanon stellten sich die Parteien mit konfessioneller Ausrichtung entweder offen gegen die Bewegung vom Märtyrerplatz oder nutzten sie für ihre eigenen Machtambitionen und machten damit jegliches Poten-tial für eine konfessionsübergreifende Alternative zunichte.

All diese Faktoren trugen dazu bei, das politische Potential des Narrativs der nationalen Versöhnung zu begrenzen. Rhetorische Bekenntnisse und moralische Appelle allein erwiesen sich als unzureichend: Wenn durch kollektive politische Aktion Mauern der Angst niedergerissen und Solidarität über Gräben hinweg erzeugt werden sollen, müssen Individuen und Grup-pen von beiden Seiten des Grabens sich tatsächlich von Angesicht zu Angesicht begegnen und diese Soli-darität unmittelbar in die Tat umsetzen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die für die Proteste genutzten öffentlichen Räume nicht mit einer bestimmten kon-fessionellen Bedeutung befrachtet sind, sondern eine neutrale Plattform bilden, auf der sich alle Teilnehmer auf Augenhöhe begegnen können. Selbst in der An-fangsphase, in der die inklusiven Botschaften noch deutlich dominierten und die Parteien im Hintergrund blieben, vermochte das Narrativ der nationalen Ein-heit und Aussöhnung in den Gesellschaften der vier hier untersuchten Staaten nicht genügend Menschen auf beiden Seiten des Grabens zu überzeugen, um es von einem emphatisch vorgetragenen Ideal in poli-tische Realität zu verwandeln.

Die herausgeforderten Regime nutzten diese Schwä-chen mit großer Effizienz. Ebenso wie die Machthaber in Tunesien und Ägypten setzten die Herrscher in Bahrain, im Irak und in Syrien sowie die politischen Akteure im Libanon die von ihnen kontrollierten Pro-pagandawerkzeuge ein, um die Aufstandsbewegungen in die Nähe radikaler Islamisten zu rücken und/oder als Handlanger externer Akteure zu diskreditieren. Je nach Ausrichtung des Regimes wurden Saudi-Arabien, die USA oder der Iran als externe Drahtzieher aus-gemacht. Wie auch in Tunesien und Ägypten bestand der Zweck dieser Propaganda darin, innenpolitische Unterstützung für die Anwendung von Gewalt zu gewinnen und die internationale Gemeinschaft zur Duldung einer solchen Reaktion zu bewegen. In Gesell-schaften, die entlang konfessioneller Linien gespalten sind, bedeutet die Gleichsetzung von Volksbewegun-gen mit extremistischen islamistischen Organisatio-nen jedoch auch, dass die Teile der Bevölkerung, bei denen dieser Diskurs verfängt, das so entworfene Be-drohungsszenario mit einer bestimmten Konfession identifizieren (mit der sunnitischen im Irak und in Syrien, mit der schiitischen in Bahrain oder, wie im Libanon, je nach politischem Lager mit der einen oder der anderen). Die überall verwurzelten kollektiven Er-innerungen an erlittene Diskriminierung und Gewalt, die in jüngerer Zeit erlebten Beispiele konfessioneller

Empfehlungen

Konflikte in der Region und die beschriebenen Schwä-chen der Bewegungen machten es den Regimen leicht, mit ihren Argumenten ausreichend Angst zu verbrei-ten, um den Widerhall des Narrativs der nationalen Einheit und Aussöhnung zu begrenzen.

Die Anwendung von Gewalt und die unweigerlich folgende Gegengewalt und Radikalisierung der Oppo-sitionsbewegungen ließen die Propaganda glaubhaft klingen oder sogar tatsächlich wahr werden. Statt zu Solidarität führte die politische Auseinandersetzung nun zu vertieften Gegensätzen: Teilnehmer, die ur-sprünglich hinter dem inklusiven Narrativ gestanden hatten, änderten ihre Einstellung und zogen sich zurück oder schlossen sich sogar Gegenbewegungen an, die dann Gewalt zwischen den Gemeinschaften initiierten. In Ägypten konnte gewaltsame Repression im Jahre 2011 die Proteste nicht eindämmen, weil sie alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen traf (oder dies jedenfalls so empfunden wurde) und damit die Menschen zusammenbrachte, während in den hier beschriebenen Gesellschaften die Gewalt alte Wunden wieder aufriss und neue verursachte und damit die Menschen in feindselige, konfessionelle Lager aus-einandertrieb.

Zusammenfassend lässt sich Folgendes feststellen:

Die Ereignisse von 2011 in Bahrain, im Irak und in Syrien sowie im Libanon 2005 und 2011 zeigen deut-lich, dass gespaltene Gesellschaften das Potential für prodemokratische Bewegungen in sich bergen, die vorhandene Gräben überwinden und so neue Formen politischer Legitimation von unten generieren kön-nen. Die Herrscher bzw. die etablierten politischen Akteure, deren Position damit in Frage gestellt wurde, versuchten entweder, diese Bewegungen zu verein-nahmen und für ihre eigenen Zwecke auszunutzen, oder sie denunzierten das Narrativ der nationalen Einheit und Aussöhnung als eine getarnte konfessio-nelle Agenda. Diese Gegendiskurse stützten sich nicht ausschließlich auf Verleumdung. Mit ihrer Propagan-da nutzten die Regime vielmehr eine Reihe der diesen Bewegungen inhärenten strukturellen Schwächen aus.

Dass sich Protestbewegungen mit einer konfessions-übergreifenden Zielsetzung in religiös motivierte Kon-frontationen wandelten, war nicht nur das Ergebnis einer geschickten Manipulation von oben. Es ist, wie Toby Matthiesen festgestellt hat, ein stark eigen-dynamisches Geschehen: »Wenn sich Konfessionalis-mus als ein wirksames Mittel erweist, um politische Gegner zu diskreditieren, wird es sich auf allen Ebenen der Gesellschaft durchsetzen und damit zu einem Prozess, der sowohl von unten nach oben als auch

oben nach unten abläuft.«97 Die politischen Führun-gen investierten zweifellos erhebliche Energie und setzten zum Teil auch rohe Gewalt ein, um ihre Ge-folgschaft zu bewegen, sich einmal mehr in den Schutz des Regimes und konfessioneller Ghettos zu begeben. Der schnelle und nachhaltige Erfolg dieser Bemühungen ist jedoch auf die historischen Erfahrun-gen gewaltsamer und autoritärer Herrschaft in diesen Gesellschaften zurückzuführen. Ganz gleich, ob es sich bei den bestimmenden Akteuren um Feudal-herren handelte, die im 19. Jahrhundert Stammes-solidarität zur Bekämpfung von Bauernaufständen mobilisierten, um Geheimdienstagenten, die Jugend-liche in monokonfessionelle Volksmilizen rekrutieren, oder um eine Monarchie, die sich selbst zum Über-lebensgaranten einer konfessionellen Minderheit stilisiert: Das Schema bleibt immer das einer von oben erzwungenen Solidarität, die letztlich in eine gewalt-same Auseinandersetzung führt und damit sämtliche Optionen für horizontale Solidarität zerstört. Wie die Ereignisse von 2011 belegen, vertiefen die Herrscher und politischen Führungen in gespaltenen Gesell-schaften bestehende Gegensätze und Bruchlinien durch die von ihnen angewandten Strategien und Praktiken des Machterhalts. Damit sind sie eine trei-bende Kraft hinter jenen Konflikten, auf deren Ein-dämmung und Kontrolle sie ihren Machtanspruch gründen, und tragen sie aktiv zu deren Fortdauer und zu künftiger Gewalt bei.

Empfehlungen

Ausgehend von den obigen Analysen sollte die offen-sichtlichste Schlussfolgerung für politische Entschei-dungsträger in Deutschland und Europa darin be-stehen, dass Furcht vor ethnisch und konfessionell motivierten Konflikten kein Grund sein kann, auto-ritäre Herrscher zu dulden oder gar zu unterstützen.

Diese Herrscher können derartige Konflikte vielleicht kurzfristig unterdrücken, werden aber, sobald ihr Machterhalt in Frage steht, solche Gegensätze für ihre eigenen Zwecke ausnutzen und so eine neue Runde der Gewalt einleiten, die den Boden für weitere Kon-frontationen in der Zukunft bereitet. In gespaltenen Gesellschaften erzeugt die autoritäre Stabilität von heute den Bürgerkrieg oder sogar den Völkermord von morgen.

97 Matthiesen, Sectarian Gulf [wie Fn. 13], S. 10.

Schlussbemerkungen und Empfehlungen

Forderungen nach mehr Demokratie und Partizi-pation stoßen selten auf Gegenliebe bei autoritären Machthabern, ganz gleich, ob diese an der Spitze einer homogenen oder einer gespaltenen Gesellschaft stehen. Im letzteren Fall können sie jedoch darauf rechnen, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung sie in dieser ablehnenden Haltung unterstützen wird:

nämlich jene Bürger, die glauben (oder denen weis-gemacht wird), dass Demokratisierung die Position der Gruppe schwächen wird, der sie sich selbst zurech-nen. Zahlenmäßig stärkere oder politisch durchschlags-kräftiger Rivalen, so die Furcht, könnten dann mehr Einfluss oder gar Kontrolle über staatliche Institutio-nen erlangen, materielle Ressourcen für sich be-anspruchen, anderen ihre sozialen Werte aufdrängen und Vergeltung für vergangene Ausgrenzung üben.

Autoritäre Herrscher und politische Akteure mit kon-fessioneller Ausrichtung haben wiederholt demons-triert, wie wirksam solche Ängste geschürt und in Ab-lehnung gegenüber Demokratie an sich umgewandelt werden können.

Externe Akteure, die zu langfristigen Lösungen beitragen wollen, müssen erkennen, dass normative Rezepte für »Demokratisierung«, »gute Regierungs-führung« und »Nation-Building« oft an den eigent-lichen Konfliktursachen vorbeigehen. Sinnvoller er-scheint, nach vorhandenen Potentialen für ein Soli-daritätsbewusstsein, das die Bruchlinien überwölbt, und für eine partizipatorische Regierungsführung zu suchen und diese gezielt zu fördern. Die Ereignisse von 2011 haben nicht nur diese Potentiale deutlich zum Vorschein gebracht, sondern auch die Kräfte und Dynamiken aufgezeigt, die sie blockieren.

Eine liberale Zivilgesellschaft, die sich von organi-sierten Interessenvertretungen über Nichtregierungs-organisationen bis hin zu informellen Gruppen von Aktivisten erstreckt, bleibt das Fundament und der wichtigste Rückhalt für eine demokratische Regierungs-führung und für das Konzept einer überkonfessionel-len Staatsbürgerschaft. Im Jahr 2011 (im Libanon auch 2005) war es in entscheidendem Maße der politischen Erfahrung und den intellektuellen Anregungen von Netzwerken und Individuen aus diesem Milieu zu ver-danken, dass die Bewegungen anfänglich ein Narrativ entwerfen konnten, das alle Konfessionen gleicher-maßen ansprach und einbezog. Jede Unterstützung für diese politisch Aktiven ist eine wertvolle Investi-tion in die Zukunft dieser Gesellschaften, auch wenn die Wirkung oft nicht sofort ersichtlich ist. Gleichzei-tig ist es wichGleichzei-tig, solche Akteure und Aktionsformen nicht mit zu hohen Erwartungen zu befrachten und

sie dann anhand überzogener Maßstäbe zu beurteilen und als ineffektiv abzutun. Auch wenn die Erfahrung von Solidarität im Kampf um Bürgerrechte bei einigen Individuen möglicherweise konfessionsübergreifende Anschauungen begründet oder vertieft, sind solche Gruppen allein nicht in der Lage, »die Gesellschaft über ethnische Grenzen hinweg zusammenzuschweißen und eine auf Spaltung ausgerichtete ethnische Politik zu unterminieren«98, wie es von einem Teil der Litera-tur zu Konfliktlösung und Friedensbildung erwartet wird.99

Wo es diesen Gruppen gelungen ist, eine Massen-mobilisierung von erheblichem Ausmaß zu erreichen, war dies oft auf ihre Zusammenarbeit mit oder auf parallele Bemühungen durch Führungspersönlich-keiten zurückzuführen, die auf traditionelle Formen von Autorität und Solidarität zurückgreifen konnten.

Kleriker, Oberhäupter einflussreicher Familien und lokale Respektspersonen waren oft bereit, sich dem Narrativ der nationalen Einheit und Aussöhnung an-zuschließen, ohne dabei die Bedeutung konfessionel-ler Identifikationen grundsätzlich in Frage zu stellen.

Versuche zur Schaffung politischer Plattformen, die die existierenden Spaltungen überbrücken sollen, müssen auf die Einbindung solcher Akteure zielen und ihren Einfluss und ihre moralische Autorität nutzen. Über solche Integrationsleistungen hinaus können sie auch dazu beitragen, eine Radikalisierung zu verhindern, und Versuche blockieren, Gegenbewe-gungen aufzubauen, auch wenn diese Fähigkeit an ihre Grenzen stößt, sobald es zu übermäßiger Gewalt-anwendung kommt.

Ähnliches gilt für politische Parteien, die ihre Mit-glieder häufig nach derselben Logik gemeinschaft-licher Loyalität und Repräsentation rekrutieren und

98 Zitiert nach Bruce Hemmer, The Democratization of Peace Building. The Political Engagement of Peacebuilding NGOs in Democ-ratizing Societies, Diss., Irvine 2009, S. 61.

99 Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang die Studie von Ashutosh Varshney, Ethnic Conflict and Civic Life: Hindus and Muslims in India, New Haven 2003, die eine direkte Kausal-beziehung zwischen religionsübergreifenden zivilgesellschaft-lichen Netzwerken und erfolgreicher Konfliktvermeidung herstellt. Belege dafür, dass derartige Erwartungen die US-amerikanische Strategie im Irak nach 2003 beeinflusst haben, finden sich bei Larry Diamond, Squandered Victory: The American Occupation and the Bungled Effort to Bring Democracy to Iraq, New York 2007. Eine nuancierte Darstellung bietet Thania Paffen-holz/Christoph Spurk, Civil Society, Civic Engagement, and Peace-building, New York: Conflict Prevention and Reconstruction (CPR) Unit of the World Bank, 2006 (Social Development Papers), <http://siteresources.worldbank.org/INTCPR/

Resources/WP36_web.pdf> (Zugriff am 28.4.2014).

Empfehlungen

mobilisieren. Wer sich auf die Zusammenarbeit mit Parteien beschränkt, die einen vermeintlich säkula-ren, über die konfessionellen Trennlinien hinweg-gehenden Ansatz verfechten, lässt die Tatsache außer Acht, dass die Aufnahme solcher Bekenntnisse in eine Parteisatzung und die Mitgliedschaft in internatio-nalen Organisationen – wie der Sozialistischen oder Liberalen Internationale – häufig nichts weiter als eine dünne Fassade ist, hinter der diese Parteien am Ende doch nur die Interessen einer einzelnen Konfes-sionsgemeinschaft vertreten. Andererseits haben Parteien, die keinen Hehl daraus machen, eine be-stimmte Glaubensrichtung zu repräsentieren (wie die libanesische Hisbollah, die irakische Sadr-Bewegung, die Wifaq im Bahrain, die syrische Muslimbruder-schaft), oftmals trotzdem einen inklusiven Diskurs übernommen. Solche Akteure müssen eingebunden und die praktische Umsetzung ihrer erklärten Ab-sichten eingefordert werden, da ihr Einfluss vor Ort in der Regel so stark ist, dass es keine Lösung gegen ihren Willen geben kann.

Mit Ausnahme Syriens, wo die Bemühungen um eine politische Lösung noch immer auf unüberwind-bare Widerstände treffen,100 haben politische Akteure und internationale Vermittler in allen hier diskutier-ten Ländern Prozesse zur Konfliktbewältigung in Gang gesetzt. Der Anspruch auf Partizipation und die Ängste vor Marginalisierung müssen in diesen Dialogen glei-chermaßen berücksichtigt wurden. Allerdings wurden die so geschaffenen gemeinsamen Plattformen fast immer wieder aufgegeben, sobald weniger kompro-missbereite lokale Akteure Unterstützung bei exter-nen Mächten der Region fanden (insbesondere bei Saudi-Arabien und Iran). Im Ergebnis blockieren damit

Mit Ausnahme Syriens, wo die Bemühungen um eine politische Lösung noch immer auf unüberwind-bare Widerstände treffen,100 haben politische Akteure und internationale Vermittler in allen hier diskutier-ten Ländern Prozesse zur Konfliktbewältigung in Gang gesetzt. Der Anspruch auf Partizipation und die Ängste vor Marginalisierung müssen in diesen Dialogen glei-chermaßen berücksichtigt wurden. Allerdings wurden die so geschaffenen gemeinsamen Plattformen fast immer wieder aufgegeben, sobald weniger kompro-missbereite lokale Akteure Unterstützung bei exter-nen Mächten der Region fanden (insbesondere bei Saudi-Arabien und Iran). Im Ergebnis blockieren damit