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Schlafstörungen und bipolar affektive Störungen

4 Spezieller Teil

4.9 Schlafstörungen und bipolar affektive Störungen

Schlafstörungen und Veränderungen des zirkadianen Rhythmus sind bei Personen mit bipolar affektiven Störungen oft zu finden (85). Dabei ist gestörter Schlaf einerseits sowohl ein Symptom bei akuten Episoden, andererseits ist er oft auch in euthymen Phasen zu finden (86). Je nach Stimmungsphase werden aber unterschiedliche Formen des gestörten Schlafs festgestellt (85).

59 Während einer Manie ist beim Großteil der Betroffenen (69 – 99%) das Schlafbedürfnis reduziert. Es wurde eine Reduktion der Gesamtschlafzeit und eine Abnahme des Delta-Schlafs beobachtet. Die REM-Schlaf-Latenz ist verringert und die REM-Schlaf-Dichte erhöht. Zusätzlich verbringen die Patient*innen mehr Zeit im Bett, ohne schlafen zu können (87).

Bei depressiven Phasen leiden 40 – 85% unter Schlaflosigkeit und 23 – 78% unter Hypersomnie (85). Die Veränderungen des Schlafes, die bei Patient*innen mit einer depressiven Episode im Rahmen einer bipolaren Erkrankung gesehen werden, sind ähnlich zu jenen bei unipolarer Depression. Bei der bipolaren Depression soll es aber häufiger zu frühem morgendlichen Erwachen sowie zu Hypersomnie kommen und die REM-Schlaf-Dichte scheint höher zu sein (87).

Auch während euthymer Phasen ist der Schlaf erheblich verändert und ähnelt jenem von Menschen mit Insomnie (87).

Schlafstörungen könnten aber nicht nur ein Symptom einer bipolaren Störung sein, sondern Veränderungen des Schlafes wurden auch einerseits als spezifische Risikofaktoren lange vor dem Beginn einer bipolaren Störung und andererseits als unmittelbare Prodromalsymptome vor Erkrankungsbeginn gesehen (7, 86).

4.9.1 Schlafstörungen und zirkadiane Rhythmusstörungen als Risikofaktor für bipolare Störungen

Eine große prospektive Studie beschäftigte sich mit der Hypothese, dass Schlafstörungen ein Risiko für eine bipolare Störung sein können. Dazu wurde eine Bevölkerungsstichprobe aus dem Großraum München mit 3021 Personen im Alter von 14 bis 24 Jahren genommen und mittels Composite International Diagnostic Interview untersucht. Anschließend folgte eine bis zu zehnjährige Nachbeobachtung mit bis zu drei weiteren Untersuchungen. Die Ergebnisse zeigten, dass eine geringe Schlafqualität zu einer signifikanten Risikoerhöhung für die Entwicklung einer bipolar affektiven Störung führt (OR = 175; p = 0,001) und dass frühes Erwachen am Morgen sowie Einschlafstörungen diese voraussagen können (88).

60 Außerdem wurde festgestellt, dass Störungen des zirkadianen Rhythmus zum Auftreten einer ersten Episode mit gestörter Stimmung führen können (85).

Bei einer prospektiven Studie wurden Jugendliche mit einem erhöhten Risiko für eine bipolare Störung über einen Zeitraum von durchschnittlich 31,7 Monaten jedes halbe Jahr untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass Proband*innen, die eine größere Unregelmäßigkeit im sozialen Rhythmus aufwiesen, häufiger eine erstmalige Episode einer bipolaren Störung entwickelten (89).

4.9.2 Schlafstörungen und zirkadiane Rhythmusstörungen als Risikofaktor und Prädiktor für einen Rückfall bei bipolaren Patient*innen

Eine Longitudinalstudie über zwei Jahre kam zu dem Ergebnis, dass eine abnorme Schlafdauer von weniger als 6 oder mehr als 9 Stunden bei genesenen Patient*innen mit einem früheren Auftreten von erneuten depressiven Symptomen in einem signifikanten Zusammenhang steht (90).

Eine andere Studie fand Hinweise darauf, dass ein veränderter Schlaf-Wach-Zyklus für die Auslösung eines Rückfalls verantwortlich sein kann (85).

Cretu et al. beschäftigten sich in einer Studie mit dem Zusammenhang zwischen Schlaf und dem Wiederauftreten von Krankheitsepisoden bei Patient*innen mit bipolaren Störungen. Dazu untersuchten sie 89 Proband*innen mit in Remission befindlicher bipolarer Störung, die seit mindesten zwei Monaten euthym waren.

Der Schlaf wurde dabei anhand des Pittsburgh Sleep Quality Index (PSQI) beurteilt. Die Ergebnisse zeigten, dass ein schlechteres Ergebnis beim PSQI-Global-Score ein früheres Auftreten erneuter Episoden vorhersagte (91).

4.9.3 Zusammenhang zwischen der Art der Schlafstörung und der Polarität einer folgenden Episode

Er wurde berichtet, dass zwischen der Art der Schlafveränderung und der Polarität der folgenden Episode ein Zusammenhang bestehen soll (7).

61 Man stellte fest, dass ein vermindertes Schlafbedürfnis vor allem einer manischen Episode vorausgehen kann (7). Eine Studie, die sich mit Prodromalsymptomen vor (hypo-)manischen und depressiven Episoden beschäftigte, kam zu dem Ergebnis, dass ein vermindertes Schlafbedürfnis zu den häufigsten Symptomen vor einer (hypo-)manischen Episode zählt und bei 71,4% der Proband*innen aufgetreten ist (92). Das reduzierte Schlafbedürfnis kann dabei bereits 1 bis 8 Monate vor einer Manie auftreten (7).

Schlaflosigkeit hingegen kann sowohl Zeichen für eine kommende depressive als auch manische Episode sein (7). Insomnie wurde bei 66,7% der prädepressiven und 54,8% der prä-(hypo-)manischen Patient*innen festgestellt (92).

Hypersomnie scheint ein Prodromalsymptom für eine depressive Episode bei bipolaren Störungen zu sein (7). Sie konnte bei 33,3% der prädepressiven, jedoch nur bei 7,1% der prämanischen Patient*innen erhoben werden (92).

Depressive Prodromalsymptome dauerten dabei durchschnittlich länger als (hypo-)manische (92).

4.9.4 Der Chronotyp bei bipolaren Störungen

Mehrere Untersuchungen lieferten Ergebnisse, die davon ausgehen lassen, dass bei bipolaren Patient*innen, die sich in einer euthymen Stimmungslage befinden, häufiger ein Abend-Chronotyp festgestellt werden kann, verglichen mit gesunden Kontrollpersonen (85).

Ahn et al. untersuchten dazu 92 ambulante Patient*innen mit einer Bipolar-I-Störung (BS1), die seit mindestens drei Monaten in einer stabilen Phase ihrer Erkrankung waren, und verglich sie mit einer Kontrollgruppe. Die Diagnose der BS1 erfolgte dabei nach den DSM-IV-Kriterien und der Chronotyp wurde mit der Composite Scale of Morningness (CSM) bestimmt. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Personen, die unter einer Bipolar-I-Störung litten, signifikant häufiger einen Abend-Chronotyp aufwiesen (93). Giglio et al. und Wood et al. kamen in ihren Studien zu ähnlichen Ergebnissen (94, 95).

62 Saunders et al. fanden in ihren Untersuchungen jedoch keinen Unterschied im Chronotyp zwischen Patient*innen mit bipolarer Störung und gesunden Kontrollpersonen (96).

4.9.5 Soziale Zeitgeber und zirkadianer Rhythmus

Bei der Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus sind soziale Zeitgeber wichtige Faktoren. Dazu zählen beispielsweise Schlafens-, Arbeits- und Essenszeiten.

Wenn diese Zeitgeber sehr unregelmäßig sind, kann es zu Störungen des zirkadianen Rhythmus kommen. Mehrere Studien liefern Hinweise darauf, dass bei Personen, die an einer bipolaren Störung erkrankt sind, diese sozialen Zeitgeber unregelmäßiger sind im Vergleich zu Kontrollgruppen (85).

4.9.6 Konsequenzen für das Management von bipolaren Störungen

Zwischen unterschiedlichen Chronotypen und dem Auftreten von bipolaren Störungen wurden Zusammenhänge festgestellt. Diese liefern Ansatzpunkte für neue Vorgehensweisen was Therapie und Prävention dieser Erkrankungen betrifft (7).

Außerdem sind Änderungen des Schlafes, die vor einer ersten oder wiederkehrenden Episode auftreten, für die klinische Praxis bedeutend (7).

Werden Prodrome und Risikofaktoren erkannt, können diese einen Beitrag dazu leisten, Patient*innen mit drohenden Erkrankungen zu identifizieren, sodass eine frühe und stadiengerechte Therapie eingeleitet werden kann, bevor es zum Vollbild der Erkrankung kommt. Durch das frühzeitige Erkennen einer Störung und baldige Beginnen mit einer Behandlung können sowohl bessere Kurz- als auch Langzeitergebnisse erzielt werden (7).

Ein Großteil der Längsschnittstudien kommt zu dem Schluss, dass Störungen des zirkadianen Rhythmus und des Schlafes Rückfälle vorhersagen können, weshalb man bei der Prävention von neuen Episoden ein Augenmerk darauf legen sollte (85).

63 Daher wurden Chronotherapien als wirksame Behandlung zur Verhinderung von erneuten Episoden durch die Adaptierung des gestörten zirkadianen Rhythmus und des Schlafes vorgeschlagen. Dazu zählen sowohl pharmakologische Behandlungen, beispielsweise mit Lithium oder Melatonin, als auch psychosoziale Therapien sowie Dunkel- und Lichttherapie (85).

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