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3. Algorithmen und numerische Versuche 41

3.1.1. Schaltpunktsuche und PDAS Strategie

In diesem Kapitel sollen die Grundideen zweier Algorithmen vorgestellt werden, die zur Lösung von Optimalsteuerungsproblemen der Form (2.5) in Kapitel 2.1 eingesetzt werden können: Eine Schaltpunktsuche und die primal-duale aktive-Mengen-Strategie (PDAS), wobei letztere zunächst formal zu verstehen ist (Näheres hierzu findet sich am Ende dieses Kapitels). Die beiden Algorithmen dienen als Grundlage für den in dieser Arbeit entwickelten PDASSP Algorithmus.

Sowohl der Schaltpunktsuche als auch der primal-dualen aktive-Mengen-Strategie liegt die Idee zugrunde, auf Basis eines Optimalitätssystems iterativ die Schätzungen für die aktive Menge zur Zustandsbeschränkung so anzupassen, dass letztendlich die aktive Menge am OptimumA approximiert wird. Hierzu werden während der Iterationen die Ungleichungen in der ZustandsbeschränkungG(¯ˆ u)≤0 und die Vorzeichenbedingung an den Lagrange-Multiplikator µ0 ≥ 0 relaxiert. Stattdessen fordert man in einem Iterati-onsschrittkder Algorithmen jeweils G(uˆ k) = 0auf der aktuellen Schätzung der aktiven Menge Ak und µ0 = 0 auf der inaktiven Menge Ik. Es entsteht ein gekoppeltes Glei-chungssystem bestehend aus der Zustandsgleichung, der adjungierten Gleichung und der Sattelpunkteigenschaft der Lagrangefunktion. In den nachfolgenden Prinzipskizzen 3.1 und 3.2 sind mögliche Lösungen eines solchen Gleichungssystems dargestellt. Anhand dieser soll das Vorgehen zur Veränderung der Schätzungen der aktiven Menge für die beiden Algorithmen erklärt werden.

Schaltpunktsuche Im Rahmen einer Schaltpunktsuche versucht man, die Kontakt-punkte und die Auf- und AbsprungKontakt-punkte (SchaltKontakt-punkte) so zu verschieben, dass die zusätzliche Sprungbedingung am Optimum eingehalten ist. In dieser Arbeit ist diese Bedingung bei hinreichend regulären Daten gerade durch die in Kapitel 2.1 bewiesene Stetigkeit der optimalen Steuerung gegeben. An einem Aufsprungpunktten,k1 muss also beispielsweise für den Sprung [¯u(ten,k1 )] = 0 gelten. Für die Berechnung der Verände-rung der Schaltpunkte setzt man ein Newtonverfahren ein. Sind die Schaltpunkte so variiert worden, dass die Stetigkeit der optimalen Steuerung eingehalten ist, prüft man a posteriori, ob für die gegebene Konfiguration auch die relaxierten Ungleichungsbeschrän-kungen eingehalten sind. Falls dies nicht der Fall ist, muss eine Anpassung der Schätzung der Topologie der aktiven Menge vorgenommen werden.

Abbildung 3.1.: Prinzip der Veränderung der aktiven Menge bei einer Schaltpunktsuche

Als Vorteile dieses Ansatzes sind aus Sicht des Autors die Möglichkeit der sehr ex-akten Bestimmung der Schaltpunkte und die lokal guten Konvergenzeigenschaften eines Verfahrens zu nennen. Als Nachteile handelt man sich, wie für ein Newton-Verfahren üblich, das Problem der Globalisierung ein, so dass unter Umständen für die Konvergenz des Verfahrens gute Startschätzungen benötigt werden. Zusätzlich muss eine Schätzung für die Topologie der aktiven Menge von außen neu vorgegeben werden, falls die Vorzeichenbedingungen für die gegebene Konfiguration nicht eingehalten sind. Die Berechnung der Sensitivitäten für das Newton-Verfahren ist außerdem mit zusätzlichem Rechenaufwand verbunden. Aus Implementationssicht muss eine detaillierte Behandlung der aktiven Menge vorgenommen werden. Kontaktpunkte und Auf- und Absprungpunkte von Randstücken müssen separat verwaltet werden.

Zur Umsetzung der Schaltpunktsuche werden bei der optimalen Steuerung gewöhnli-cher Differentialgleichungen typisgewöhnli-cherweise Schießverfahren eingesetzt. Hierbei verwen-det man die Formulierung des Optimalitätssystems aus Kapitel 2.1.3. Neben den Schalt-punkten treten dann die Sprungparameter an den SchaltSchalt-punkten und die Schätzung für den Anfangswert der adjungierten Gleichung als zu bestimmende Variablen auf. Wie be-reits in Kapitel 2.1.3 erwähnt, bestünde bei der Anwendung von Schießverfahren für die Probleme dieser Arbeit das grundsätzliche Problem, dass die adjungierte Gleichung ent-gegen der Diffusionsrichtung integriert werden müsste. Theoretische Betrachtungen hin-sichtlich der Wohldefiniertheit der Schießverfahren bei der optimalen Steuerung gewöhn-licher Differentialgleichungen werden in Bonnans und Hermant [10] angestellt. Einen Überblick über die numerische Umsetzung und den Einsatz der Verfahren bei realen Anwendungsproblemen findet man in Pesch [49] und [16, 17, 8].

Primal-duale aktive-Mengen-Strategie Bei der primal-dualen aktive-Mengen-Strate-gie, die erstmals für steuerungsbeschränkte Probleme in Bergounioux, Ito und Kunisch [5] eingeführt wurde, wird die Veränderung der Schätzung der aktiven MengeAk basie-rend auf punktweisen Informationen der primalen und dualen Variablen vorgenommen.

Konkret ist die neue Schätzung für die aktive Menge im Schritt k+ 1 des Verfahrens

Abbildung 3.2.: Prinzip der Veränderung der aktiven Menge im PDAS Algorithmus gegeben als

Ak+1 ={t∈[0, T]|µ0k(t) + ˆG(uk)(t)>0}. (3.1) Wegen der Bedingung G(uˆ k) = 0 auf Ak wird die aktive Menge gerade um die Zeit-punkte vergrößert, in denen die Funktion gk := ˆG(uk) positiv ist. Gleichzeitig wird die Menge Ak um diejenigen Zeitpunkte verringert, in denen µ0k nicht positiv ist. Der Al-gorithmus stoppt an der optimalen aktiven Menge, wenn keine Veränderungen mehr vorgenommen werden. Im Kontext von Problemen mit Zustandsbeschränkungen ist die Vorschrift (3.1) aber nur formal zu verstehen, da die distributionelle Ableitungµ0 keine punktweise Interpretation besitzen muss. Zwar konnte in Teil 2 unter Zusatzbedingungen an die Daten gezeigt werden, wann die den Lagrange-Multiplikator erzeugende Funkti-on µkeine diskreten Anteile besitzt oder sogar absolut stetig ist, für die nicht optimale Konfiguration müssen diese Regularitätsaussagen jedoch nicht gelten. Ganz im Gegenteil finden sich bei den numerischen Betrachtungen in Kapitel 3.1.3 in der distributionellen Ableitungµ0ktatsächlich Maßanteile. Will man dieses Problem beheben, so ergeben sich zwei Möglichkeiten: Um den Algorithmus auch für zustandsbeschränkte Probleme im Funktionenraum formulieren zu können, führt man regularisierte Probleme ein, die (in einem gewissen Sinne) gegen das Ausgangsproblem konvergieren und den Vorteil bieten, dass alle beteiligten Funktionen punktweise interpretierbar sind [32, 34, 46, 47]. Alter-nativ betrachtet man von Anfang an eine diskretisierte Version des Problems (2.5), so dass die genannten Probleme nicht auftauchen [6]. Dieser Ansatz bildet die Grundlage für den im Rahmen dieser Arbeit entwickelten PDASSP Algorithmus. Es wird deshalb in Kapitel 3.1.2 ein diskretisiertes Modellproblem hergeleitet und in Kapitel 3.1.3 die

primal-duale aktive-Mengen-Strategie für diesen Fall exakt formuliert werden. Bei Un-tersuchungen des Konvergenzverhaltens dieses Algorithmus wird die Tatsache, dass µ0k Maßanteile besitzt, nichtsdestotrotz gewisse negative Konsequenzen nach sich ziehen.

Abschließend sollen noch kurz einige Vorteile der primal-dualen aktive-Mengen-Stra-tegie genannt werden. Zum einen kann für den Fall eines zustandsbeschränkten diskreti-sierten Problems die globale Konvergenz des Verfahrens gezeigt werden [6]. Zum anderen lässt sich die primal-duale aktive-Mengen-Strategie sehr einfach implementieren, da nur mit der aktiven Menge an sich gearbeitet wird. Eine Unterscheidung nach Kontaktpunkt und Randstück und eine Bestimmung von Auf- und Absprungpunkten muss nicht vorge-nommen werden. Insbesondere müssen keine Schätzungen für die Topologie der aktiven Menge vorgegeben werden. Die Topologie wird während der Iterationen des Algorithmus automatisch angepasst.

Für eine vollständige Darstellung sei an dieser Stelle auch auf Innere-Punkte-Verfahren hingewiesen, die ebenfalls zum Lösen der Probleme (2.5) eingesetzt werden könnten und im Funktionenraum formulierbar sind. Exemplarisch seien die Arbeiten von Schiela genannt [53, 52].