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Es ist so schön ein Narr zu sein - Radfahrerfassenacht in der Halle

Das Hochrad als Orden der Kampagne 2005, Symbol von Sport, Fastnacht und Jubiläum.

aber was auf ihr geboten wird, ist der Grund warum die Sitzungen binnen kürzes-ter Zeit bis auf den letzen Platz und oft dar-über hinaus ausverkauft sind und das, ob-wohl kein einziges Plakat auf die Veranstal-tungen hinweist. Nur Mundpropaganda sorgt für Werbung und sie hat auch dazu geführt, dass der Geheimtipp „Radfahrer-sitzung“ längst keiner mehr ist. Ein Kap-penabend in der Radfahrerhalle heißt tradi-tionsverhaftete Kokolores-Fassenacht, feinsinniger Humor, Tanz und Gesang aber auch deftige Ausdrücke und derbe Späße, eben eine gesunde Mischung aus allem.

Radfahrerfassenacht ist keine politische

Fastnacht, keine Fassenacht, die mit erho-benem Finger agiert und für Gäste, die nur des Hochdeutschen mächtig sind, gänzlich ungeignet. Und dennoch verirren sich im-mer wieder „Messfremde“ in die Halle, welche die oft erwähnten Orte „Gunse-num“, „Draas“ oder „Finde“ vergeblich auf der Landkarte suchen werden und auch nicht verstehen, warum die Finther lachen, wenn auf der Bühne ein „Schoggo“ veral-bert wird. Dennoch lachen sie und freuen sich, denn Radfahrerfassenacht macht eben einfach Spaß, sowohl dem Publikum, als auch den Aktiven, das spüren beide Seiten und schnell springt der Funke über.

Schon in den 50er Jahren war das Narrenschiff des

Radfahrer-Vereins beim Finther Umzug auf großer Fahrt.

Mit dabei die Damen des Kreppelkaffees.

Längst hat sich der Radfahrer-Verein als fastnachtliche Größe einen Namen in Finthen und darüber hinaus gemacht. Die Symbiose von Sportverein und Fastnacht ist geglückt, obwohl der Fahrbetrieb wäh-rend der Kampagne natürlich leidet. Diese Einschränkungen nehmen die Sportler je-doch gerne in Kauf, denn mit den Einnah-men aus der Kampagne wird der Sportbe-trieb mitfinanziert, der Verein sponsert sich gewissermaßen selbst, auch ein Teil der Erfolgsstory.

Wie kam es eigentlich zu dieser Entwicklung?

Geselligkeit wurde im Radfahrer-Verein von Anbeginn an groß geschrieben. 1906 sogar so groß, dass es fast das Ende be-deutet hätte (siehe Seite 39). In der Folge wurde bescheidener gefeiert, wie den Pro-tokollbüchern der Vorstandssitzungen zu entnehmen ist. Bereits 1907 wurde eine karnevalistische Abendveranstaltung im Vereinslokal „Jungenfeldscher Garten“, Besitzer Philipp Schäfer, durchgeführt. Zu-vor fand eine närrische Rundfahrt auf Rä-dern durch den Ort statt. Diese Veranstal-tung kam offensichtlich so gut an, dass sie 1908 an einem Sonntag 8 Tage vor Fast-nacht wiederholt wurde. Im gleichen Jahr wurde eine Gesangsriege zur Einübung „ genehmer Lieder“ , die beim Fahren ge-sungen wurden gegründet, Sie traf sich zu regelmäßigen Gesangsstunden. Die Grup-pe trat in den kommenden Jahren auch bei Fastnachtsveranstaltungen und den jährli-chen Silvesterfeiern mit Konzert, Ball, Theater und Verlosung auf.

Nicht für jedes Jahr sind in den Protokoll-büchern närrische Veranstaltungen ver-merkt. Definitiv fanden 1912 bis 1914 und 1925 Sitzungen statt. 1928 wurden sogar zwei Sitzungen am Fastnachtsonntag und am Rosenmontag durchgeführt, Sonntags zusätzlich sogar mit anschließendem Ball.

Teilnehmer des Fastnachtsumzugs Ende der 20er Jahre Von links: Michael Mang, Carolina Hitter, Heinrich Hitter, Gertrude Lickhardt, Franz Schultheis, Anna Hitter, Phillip L. Schäfer

1930 ist das erste „Kaffeekränzchen“ für Radfahrer- und Radfahrerinnen verzeich-net. 1933 fand die letzte Sitzung vor dem Krieg statt. Fritz Saumann, der städtische Beigeordnete für Kultur in Mainz, verkün-dete am 14.12.1933, dass „karnevalis-tische Veranstaltungen nur noch von kar-nevalistischen Vereinen mit rein karnevalis-tischer Zielsetzung abgehalten werden dürfen.“ Gegen „die Hochflut der karneva-listischen Tätigkeit von unberufener Seite wird eingeschritten.“ Insgesamt waren 7 Finther Verein e betroffen. Für den Radfah-rerverein bedeutete dieser Erlass und der zweite Weltkrieg das vorübergehende „

Aus“ der närrischen Vereinstätigkeiten.

Nachdem 1948 der Verein neu gegründet worden war, wurde bereits am 28ten Feb-ruar 1949 wieder ein karnevalistischer Bun-ter Abend in der Krone durchgeführt. In den folgenden Jahren fanden die Kappen-abende im internen Radfahrerkreis im „ Kyffhäuser“in der Kirchgasse statt.

1955 wurde das 50jährige Jubiläum in grö-ßerem Rahmen in der Krone gefeiert. Das Gasthaus wurde zum Stammlokal der Rad-fahrer und bot durch den angeschlosse-nen Saal ideale Bedingungen sowohl zum trainieren, als auch zum Feiern

Unter Geschäftsaufsicht Die Akteure des

Lustspiels sind von links:

Während die Kappenabende zunächst ver-einsinterne Veranstaltungen waren, erfreu-ten sich die jährlich öffentlichen „Neujahrs-konzerte“ umso größerer Beliebtheit in der Bevölkerung, obgleich weniger Musik, als vielmehr Theaterstücke zum besten ge-bracht wurden. Dabei wurde immer zwi-schen einem ernsten und einem heiteren Stück gewechselt.

1955 fand erstmals nach dem Krieg ein Kreppelkaffee im Kaffee Hitter statt.

Der Verein entwickelte sich sportlich gut, die öffentlichen sportlichen und kulturellen Veranstaltungen waren stets gut besucht.

Umso bitterer traf es die Radfahrer, als nach einem Besitzerwechsel der Krone 1964 die Säle geschlossen und nur noch Kreppelkaffee der Damen in den 50er Jahren, darunter 1. Vorsitzender Franz Erlenbach

als Lager genutzt wurden. Bestand vorher die Möglichkeit die ganze Woche zu tranie-ren, musste man sich jetzt die Sporthalle der Volksschule in der Lambertstraße, da-mals Ludwigsstraße mit anderen Finther Vereinen teilen. Die sportliche Situation verschlechterte sich dramatisch, es muss-te etwas geschehen.

Am 09. März 1969 wurde im Gasthaus Stein (heute Steins Traube) Friedel Lick-hardt zum 1. Vorsitzenden gewählt. Ge-schäftsführer wurde Alois Schmitt. Getreu dem Motto neue Besen kehren gut, wurde beschlossen eine eigene Halle zu bauen.

Das Gelände wurde von der Kirchenge-meinde in Erbpacht zur Verfügung gestellt

und bereits im Herbst 1969 wurde ausge-graben und planiert. 1970 begann der ei-gentliche Hallenbau in Radfahrertypischer Eigenregie und Eigenhilfe. Willi Becker und Bauingenieur Karl Niebergall, der für die Planung zuständig war, hatten einen großen Anteil an der Durchführung des Projektes.

1972 war es dann endlich soweit. Pfarrer Heinz Silvester weihte am 13ten Januar um 13.00 die Radfahrer-Halle. Bereits im gleichen Jahre fand die erste halböffentli-che Tanzveranstaltung in den eigenen Räu-men statt. Ohne Werbung hatte sich schon damals im Ort schnell

herumge-Kappenabend 1955 In der Bildmitte Friedel Lickhardt mit Frau Carola (rechts).

Gut zu erkennen, sind die Papier - Kappen, die statt Eintrittskarten aus-gegeben wurden und währende der Sitzunge getragen wurden, daher de Name Kappenabend.

Den Damen war die Kap-pe wegen ihrer

Frisuren unlieb, sie wur-de daher immer seltener getragen, bis sie ganz verschwand.

sprochen, dass ein Tanzabend stattfand.

Viele Nichtvereinsmitglieder kamen und hatten ihren Spaß.

1973 fand der erste Kappenabend in der Radfahrerhalle für Mitglieder und Partner statt. Die Halle war „nur“ zu dreiviertel be-setzt. Dieses „Manko“ wurde durch die Mundpropaganda wett gemacht. 1974 war der Kappenabend bereits ausgebucht, 1975 war die Nachfrage schließlich so groß, dass zwei Sitzungen durchgeführt wurden. Schon damals stammten die Vor-tragenden allesamt aus den eigenen Rei-hen. Selbstverständlich wurde das Ortsge-schehen glossiert, aber auch das Vereins-geschehen kam zur Sprache. So manche Ehefrau erfuhr erst an einem Kappen-abend, dass ihr Mann bei dem einen oder anderen Ausflug über die Strenge geschla-gen hatte.

Umso bemühter waren die Vereinsmitglie-der über das Jahr nicht aufzufallen.

Die Beliebtheit der Radfahrer-Kappenabende nahm kontinuierlich zu, aus der ursprünglich einen, vereinsinternen Sit-zung waren 1976 und 77 bereits drei öf-fentliche geworden, 1978 dann vier, von 1979 bis 1989 fünf, ab 1990 sechs. Wegen des ersten Golfkrieges 1991, waren alle Veranstaltungen abgesagt worden. Seit 1992 bis heute werden kontinuierlich acht Kappenabende in den 70ern in eigener Halle mit

spartani-schem Bühnenbild, aber hervorragender Stimmung

Kappenabende durchgeführt, mit einer Ausnahme. 2001 war die Kartennachfrage so hoch, dass eine neunte Sitzung not-wendig wurde. An einem Wochenende fanden drei Kappenabende statt. Es war auch das Jahr, an dem die Aktiven an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stießen, wes-halb es der Verein zukünftig bei maximal acht Sitzungen belassen wird.

Aber nicht nur im Saal, auch auf der

„Gass“ ist der Verein aktiv. Die Teilnahme am Finther Zug des Lebensfreude ist stets fester Bestandteil der jeweils laufenden Kampagne. Die Kostüme dafür, werden in mühevoller Handarbeit selbst angefertigt.

2005 stand das Motto voll und ganz unter dem Zeichen des Jubiläums. Die „Rad-fahrer marschierten als „Ehrenjungfrauen“

und „Ehrenmänner“ im Zug mit. Sogar ein eigenes Prinzenpaar - 1. Vorsitzender Vol-ker Lickhardt als Prinz und 2. Vorsitzender Manfred Müller als Prinzessin. Konnte auf-geboten werden.

Prinzenpaar und Jubiläum waren auch will-kommener Anlass erstmals in der Vereins-geschichte, am Rosenmontagszug teilzu-nehmen.

Das Engagement „aller“ Aktiven wird mit einem Helferabend belohnt, der, wie könn-te es anders sein, in der eigenen Halle

un-ter einem Motto, in diesem Jahr „Wie vor hundert Jahren“ stattfand. Man genießt das warm-kalte Buffett, trinkt zusammen ein Bier, unterhält sich und manche Idee für einen Vortrag oder einen Sketch ent-stehen, denn nach der Kampagne ist vor der Kampagne. Und solange dieses Enga-gement besteht und das Publikum die Sit-zungen besucht, solange wird es die Rad-fahrerfassenacht geben. Nimmt man die

Radsportgala am 11 Juni, anlässlich des Jubiläumsjahrs im Bürgerhaus, als Maß-stab, dann wird die Erfolgsstory noch lan-ge wären. Binnen kürzester Zeit war die Veranstaltung komplett ausverkauft und es hätten noch mehr Karten verkauft werden können, wie immer ohne Plakate, nur per Mundpropaganda, Eben typisch Radfahrer, wie schon zu Großvaters Zeiten.

Ingo Schlösser

Aus Anlass des 100jährigen Jubiläums wurde der Radfahrer-Verein beim Empfang der närrischen Kooperationen eingeladen. Von links: Ehrenvorsitzender Friedel Lickhardt, Roswitha Beck,