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Rudolf II. und die katholische Konfessionalisierung

Im Dokument Ohnmacht und Chance (Seite 32-200)

1. Einleitung

1.5 Rudolf II. und die katholische Konfessionalisierung

Als Rudolf II. den reichspolitischen Schauplatz betrat, erlebte dieser eine zuneh-mende Konfessionalisierung191. Immer schärfer profilierte Konfessionen sorgten für eine zunehmende Polarisierung im Reich und in den Territorien. Allen voran die beiden Historiker Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling sehen dies als Teil eines Fundamen-talvorganges, der auf eine neuzeitlich disziplinierte, „institutionell-flächenmäßig“ orga-nisierte Untertanengesellschaft hinauslief192. Diese Tragweite des Konfessionskonflikts oder die Interpretation als Teil der „Sozialdisziplinierung“ sowie die Bedeutungsebenen

186 Buchmann, Österreich 99.

187 Niederkorn, Türkenkrieg 62f.

188 Noflatscher, Maximilian 33.

189 Schulze, Türkengefahr 7, 11.

190 Rauscher, Kaiser 61.

191 Schilling, Konfessionalisierung im Reich 19f.

192 Zum „Konfessionalisierungsparadigma“ Schilling, Konfessionalisierung von Kirche; Reinhard, Was ist? Zu den Kontroversen um den Konfessionalisierungsbegriff und die Ergebnisse von 20 Jahren Konfessio-nalisierungsforschung siehe Klueting, „Zweite Reformation“; Ehrenpreis–Lotz-Heumann, Reformation 62–75; Schmidt, Perspektiven.

„katholische Reform“, „Frühmoderner Katholizismus“ und „Gegenreformation“ als in-tegrierte oder konkurrierende Sichtweisen eines sowieso modifizierten Konfessionalisie-rungsparadigmas193 können für diese Arbeit zurückgestellt werden. Wesentlich sind die Rahmenbedingungen, die Holger Th. Gräf in Anlehnung an das Vier-Phasen-Modell von Schilling als die „konfessionelle Polarisierung der 1570er und 80er-Jahre“ bezeich-nete194. Konfessionalisierung heißt hier ein härter werdender Streit um den wahren Glauben, der die politischen Moderationskonstrukte wie den Augsburger Religionsfrie-den oder eine Ausgleichspolitik im Innern der Habsburgermonarchie aus Religionsfrie-den Angeln zu heben drohte und damit die Vertreter einer vermittelnden Kaiserpolitik in Bedrängnis brachte.

Bestrebungen auf verschiedenen politischen Ebenen, die konfessionellen Reihen zu schließen und an Boden zu gewinnen, erschwerten zunehmend eine Verständigung. Ver-lierer war die „Politik“, also jene profan-pragmatische „Kunst des Machbaren“ und die politische Konzeption des Religionsfriedens, womit versucht wurde, den religiösen Eifer aus dem interkonfessionellen Diskurs zu verbannen sowie die Fliehkräfte im Reich und in den Territorien zu zügeln. Trotzdem konnte Maximilian Lanzinner seinem Über-blick über die Entwicklung der Konfessionen in den katholischen Territorien nach dem Augsburger Religionsfrieden eine kurze Passage zum Leitbegriff „Konfessionalisierung“

vorwegstellen mit der Aussage, dass diese dem „politischen Wachstum“ gedient habe195, letztlich der Säkularisierung. Die Zusammenschau erinnert daran, dass hier ein Fun-damentalvorgang über rund 200 Jahre mitgedacht ist. Ähnlich wie im Fall der „Staats-bildung“ drohen bei der „Konfessionalisierung“ die Forschungsergebnisse und Thesen für das Verständnis einer zeitlich langen Entwicklung, die Ereignisse, Strukturen und besonders die Intentionen der Akteure in kleinen Zeiträumen zu vergewaltigen. In die-sem Zusammenhang sei an die Bedeutung des „Nicht-Intendierten“ in diedie-sem Prozess erinnert, auf die Wolfgang Reinhard hingewiesen hat, auch das Wachstum der Staatsge-walt zählte er dazu196.

Neben dem Kampf im dualistischen Herrschaftsgefüge war die konfessionelle Pola-risierung der zweite dominierende Faktor in Harrachs Aporie, wobei die beiden Kon-fliktstränge kaum voneinander zu trennen sind. Als Harrach auf dem Landtag für die konfessionspolitische Position Rudolfs II. Stellung beziehen musste, hatte er eine weg-weisende Entscheidung seines Kaisers zu verteidigen: Die Ausweisung der protestanti-schen Landschaftsprediger aus Wien. Dies gilt gemeinhin als Beginn der katholiprotestanti-schen Konfessionalisierung in den kaiserlichen Erbländern. Während der Statthalterschaft des Erzherzogs Ernst, die Harrach maßgeblich mitbestimmte, erlebten die landesherrlichen Städte und Märkte im Land unter der Enns eine erste Rekatholisierungswelle197.

Der Frage, wer die treibende Kraft in den ersten Anstrengungen einer Rekatholi-sierung war, hat die Geschichtsschreibung große Aufmerksamkeit geschenkt. Im Blick-punkt standen besonders Rudolf II. und der Passauer Offizial Melchior Khlesl, die beide eine gewisse Stellvertreterfunktion haben: War in der Kampagne gegen die Protestanten der Staat federführend, hin zum „Absolutismus“? Oder hatte ein erneuerter römisch-ka-tholischer Klerus die Führung übernommen? Schon die verschiedenen Herrschaftsrollen

193 Vgl. Gräf, Gegenreformation.

194 Ebd. 22.

195 Lanzinner, Zeitalter 98.

196 Reinhard, Was ist? 432f.

197 Leeb, Streit 251f.; Scheutz, Kammergut 316f.

Rudolfs II. – Kaiser eines nur offiziell bikonfessionellen Heiligen Römischen Reiches, Herrscher über eine mehrkonfessionelle Habsburgermonarchie, ein Oberhaupt der teils radikal-katholischen Casa de Austria und Landesfürst des mehrheitlich protestantischen Donauösterreich – gepaart mit der facettenreichen und widersprüchlichen Persönlich-keit des Kaisers eröffnen ganz unterschiedliche Perspektiven und bedienen diverse Mo-tivlagen oder Fragestellungen der Historiker. Schilling hatte aus der Höhe der Reichspo-litik und einer soziopolitischen Entwicklung, in welcher der europaweit werdende Staat eine bedeutende Rolle spielte, den Kaiser und dessen Position in diesem langfristigen Prozess im Blick. Der Streit mit den Protestanten in Wien, seine dezidiert katholische Haltung und die spanische Couleur seines Auftretens legen es auch nahe, in Rudolf II.

einen katholischen Akteur der aufbrechenden polarisierenden Kräfte zu sehen. So stellte Schilling fest: An der Spitze des Reichs sei die Wende zum Konfessionalismus vollzo-gen gewesen, als im Herbst 1576 der vorkonfessionalistische, vermittelnd humanistisch denkende Kaiser Maximilian II. starb und mit seinem Sohn Rudolf II. der erste einer langen Reihe von Habsburgern auf den Kaiserthron gelangte, die sich entschieden auf den Boden ihrer Konfessionskirche stellten198.

Ebenfalls mit Blick auf die Reichspolitik, aber in zeitlich engerem Rahmen und stär-ker die Person Rudolfs II. im Fokus, kam Thomas Fröschl zu dem Schluss, der Übergang vom Bemühen um Koexistenz zur konfessionellen Polarisierung sei keineswegs mit dem Regierungswechsel im Jahr 1576 erfolgt199. Auch Maximilian Lanzinner konstatierte:

Rudolf II. „setzte die Politik seines Vaters bruchlos fort“200. Maximilian II. war stets bemüht gewesen um den Erhalt der Integrität und Funktionsfähigkeit der Reichsord-nung. Eine politische Steuerung des Religionskonflikts sollte den Frieden wahren und die Rechtssicherheit garantieren. Ganz in diesem Sinne äußerte sich Rudolf II. am To-destag seines Vaters, als er den Kurfürsten seinen Regierungsantritt bekannt gab. Er bat sie um Unterstützung und versicherte, an der Reichspolitik seines Vaters festzuhalten201. Die Diagnose, Rudolf II. sei ein um Ausgleich bemühter Kaiser gewesen, wirkte sich auch auf die Einschätzung seiner Haltung als Landesfürst aus, und Fröschl glaubte, schon in den ersten Regierungsjahren ein „Desinteresse“ des Kaisers gegenüber den kon-fessionspolitischen Ereignissen in den Erbländern erkennen zu können202. Robert Evans hatte andere Gründe, Rudolf II. von den katholischen Zwangsmaßnahmen besonders in den Erbländern unter und ob der Enns freizusprechen. Aus einem vornehmlich kul-turgeschichtlichen Blickwinkel entwickelte er das Bild eines humanistisch denkenden, kunstsinnigen Wissenschaftsfreundes auf dem Kaiserthron, das durch eine von Rudolf II. befohlene zwangsweise religiöse Indoktrination seiner österreichischen Untertanen beschädigt würde. So setzte Evans der Bezeichnung „rudolfinische Religionsreforma-tion“ von Viktor Bibl203, welche die Initiative des Kaisers impliziert, ausdrücklich die

198 Schilling, Konfessionalisierung im Reich 23f.

199 Fröschl, Frieden 35.

200 Lanzinner, Zeitalter 66.

201 Fröschl, Frieden 85f., 92f.

202 Ebd. 137.

203 Bibl, Religionsreformation. Allerdings waren damit die Anfänge der Rekatholisierung in Oberöster-reich und nach 1590 gemeint. Die Initiative zum Beginn der Rekatholisierung in NiederösterOberöster-reich sah Bibl aber ebenfalls beim Kaiser, wie schon der Titel seines dafür grundlegenden Werkes zeigt: Die Einführung der katholischen Gegenreformation in Niederösterreich durch Kaiser Rudolf II. (1576–1580).

i n d i v i d u a l i n i t i a t i ve des Passauer Offizials Khlesl entgegen204. Aus dem Alter Ego des Bischofs von Passau in Wien wurde ein „selbsternannter Erneuerer“205. Herbert Haupt zielt in die gleiche Richtung, wenn er uns glauben macht: „Tatsache ist“, dass Rudolf II. nur sporadisch und in fünf Jahren (1600–1605) seiner langen Regierungszeit eine aktive Politik im Sinne der „Gegenreformation“ betrieben habe206. Melchior Khlesl (Klesl, Klesel; 1552–1630) gilt als „die Schlüsselfigur der Rekatholisierung der nieder-österreichischen Städte und Märkte“207. Das Aufsehen erregende Vorgehen des Kirchen-mannes sowie der gleichzeitige Streit mit höfischen Institutionen und dem Regiment in Wien erweckten den Eindruck einer persönlichen, teils gegen die Interessen des Kaisers gerichteten Initiative des Offizials. Die historiografische Kenntnis vom Wiener Bäcker-sohn Khlesl – Konvertit, Jesuitenzögling, Passauer Offizial in Wien, Bischof von Wiener Neustadt, Bischof von Wien, politisch dominierender Favorit des Kaisers Matthias und Kardinal – ist mangelhaft. Viele Interpretationslinien und Irrtümer wurden Mitte des 19. Jahrhunderts im Klima des Kulturkampfes geschaffen, als zuerst der Orientalist Jo-seph von Hammer-Purgstall eine vierbändige Biografie „Khlesls“ herausbrachte208 und wenige Jahre später, nachdem Hammer-Purgstall schon die Kritik eines „stockblinden Schnapphahns der Pfaffheit“209 zu spüren bekommen hatte, der Theologe Anton Kersch-baumer sozusagen die umfassende katholische Gegendarstellung über „Klesel“ präsen-tierte210. Die an das Lateinische angelehnte Schreibweise des Namens, die der Theologe dem profanen „Khlesl“ entgegensetzte, hatte programmatischen Charakter, wurde aber später in der österreichischen Geschichtsschreibung meist auf den gemeinsamen Nenner

„Klesl“ gebracht211. Der Orientalist hatte das Bild eines Karrieristen gezeichnet, der sich vom Kämpfer für den katholischen Glauben und Verfechter der Rechte seiner Kirche gegenüber der Dynastie zum geschmeidigen Staatsmann wandelte. Kerschbaumer dage-gen hielt den Gottesmann und katholischen Reformer hoch. Die „doppelte Karriere“212 oder der Wandel „vom Verfechter bischöflicher Ansprüche zum Sachwalter landesherrli-cher Kirchenpolitik, vom tridentinischen Reformer zum besonnenen Reichspolitiker“213 blieb Khlesl bis heute erhalten214.

Die Tendenz, den Part Khlesls und der kirchlichen Reformer schlechthin gegenüber der Dominanz einer politischen oder staatlichen Initiative aufzuwerten, durchzieht die katholische Geschichtsschreibung, wobei hier die Frage nach den Selbstheilungskräften der katholischen Kirche Österreichs und die Abhängigkeit von der politischen Macht

204 Evans, Rudolf II. 85 Anm. 3.

205 Evans, Werden 62.

206 Haupt, Rudolf II. 48.

207 Winkelbauer, Ständefreiheit 1 58; vgl. Leeb, Streit 252f.

208 Hammer-Purgstall, Khlesl.

209 Ebd. 4 286.

210 Zuerst:Kerschbaumer, Cardinal Klesel. Im Jahr 1905 in einer zweiten überarbeiteten Auflage mit dem Titel „Kardinal Klesl“ in Wien herausgegeben.

211 Obwohl Khlesl seine Berichte mit Khlesl signierte, benutzte Bibl in der Regel die Schreibweise „Klesl“:

BBr1.

212 Evans, Werden 62.

213 Press, Khlesl 267; vgl. Rainer, Kardinal.

214 Johnston, Khlesl bes. 203, 212, 221f., versuchte jüngst die Trennung zu schleifen, indem sie Khlesls

„Ausgleichspolitik“ nach 1610 in seinen ersten Dekaden als „Verfechter des Katholizismus“ und seine „Hin-gabe“ an die katholische Kirche in der „Ausgleichspolitik“ entdeckte. Die von ihr festgestellte „Integration des Politischen in das Religiöse“ bei Khlesl basiert allerdings auf zweifelhaften Informationen über Khlesls Wirken als Passauer Offizial.

der Habsburger im Hintergrund mitwirkte. Walter Ziegler weist zusammenfassend Ru-dolf II. eine passive Rolle zu. Danach ließ er der vom Klerus getragenen katholischen Erneuerung oder Rekatholisierung höchstens etwas mehr Freiraum als Maximilian II215. Zieglers Anstrengungen, die Regie bei Passau – sowohl Bischof als auch Offizial – aus-zumachen, trieben seltsame Blüten. Eine Referenz für die Bemühungen Passaus war ihm der Reichshofrat und Kontroverstheologe Eder, der sich laut Ziegler in seinen edierten Briefen nach München über die Regierung sehr wohl beschwert habe, über Passau bis auf eine Kritik am Weihbischof aber nicht216. Da kann man den dafür zitierten Brief Eders nur staunend weiterlesen und erfährt sein vernichtendes Urteil über den Passauer Bischof Urban von Trenbach und dessen Mangel an kirchlichen Anstrengungen bis hin zum Fazit, die Hirten hätten ihre katholische Herde unter den Wölfen zurückgelassen217. Und dies ist nicht die einzige Attacke Eders gegen Trenbach in seinen edierten Schreiben an die Bayernherzöge218. Da der selektive und gestaltende Umgang mit den edierten Quellen immer wieder anzutreffen ist, müssen in dieser Arbeit teils Textpassagen ange-führt werden, wo ein einfacher Verweis hätte genügen können.

Diesen Geschichtsabschnitt als Handlungsraum für dominierende Männer aus den Reihen der katholischen Kirche darzustellen, ist verbreitet219 oder wie Hugo Hantsch für eine Seitenüberschrift formulierte: „Katholische Kämpfer treten auf“220. Eben jene – besonders Khlesl, der Kontroverstheologe Eder und der Jesuit Georg Scherer – und ihre angeblich überragende Rolle in den Anfängen der Rekatholisierung der kaiserli-chen Erbländer221 bekamen von Robert Evans einen exklusiven Platz im „Werden der Habsburgermonarchie“: Sie wurden zu „Führern der Gegenreformation in den öster-reichischen Erblanden“222. Am Aufbruch in die von einer katholischen Staatsideologie getragenen Habsburgermonarchie hatte Rudolf II. in Evans Augen praktisch keinen Anteil und in Erzherzog Ernst sah er das Werkzeug der genannten Glaubenskrieger223. Angesichts deren angenommenen Bedeutung degenerierte die Wiener Regierung von Erzherzog Ernst per se zu einem Vehikel des G e n e r a l re f o r m a t o r s Khlesl224. Para-doxerweise könnte sich Evans auch hierin auf Viktor Bibl berufen. Bibl musste zwar bei den Anfängen der „Gegenreformation“ in Wien und der „Religionsreformation“

in Linz ohne Khlesl auskommen, da dieser nicht oder kaum daran beteiligt war. Doch schon in seinem frühen Aufsatz zur Rolle des Erzherzogs Ernst in der „Gegenrefor-mation“ im Land unter der Enns schlich sich das auch von dem Dichter Franz Grill-parzer gepflegte zeitgenössische Bild des ruhebedürftigen Kaisers auf dem Hradschin und des von Khlesl dominierten Statthalters in Wien ein225. Ohne Angaben von Be-legen oder Gründen degenerierten die Erzherzöge Ernst und Matthias zu willfährigen

215 Ziegler, Nieder- und Oberösterreich 128.

216 Ders., Kampf 231.

217 Bibl, Berichte Nr. 21 111, 29. April 1580. Die Kritik galt auch nicht dem Weihbischof, sondern „dem von Passau“, der seinem Weihbischof befohlen habe, mäßigend auf den Reformer Khlesl einzuwirken.

218 Vgl. Schrauf, Eder Nr. 59 132f.

219 Gutkas, Niederösterreich 205–211. „Das Papsttum führte die katholischen Länder zur alten Disziplin zurück“: ebd. 205.

220 Hantsch, Geschichte 293.

221 Vgl. Ziegler, Kampf 226.

222 Evans, Werden 50f.

223 Ebd. 51.

224 Vgl. Erdmann, Khlesl 39–66.

225 Grillparzer, Bruderzwist.

Werkzeugen des Generalreformators226. Bibl glaubte, schon in den ersten Jahren des Offizialats Khlesls den „gewaltigen Kirchenfürsten und Staatsmann“ zu erkennen227, der in Wien das Gesetz des Handelns bestimmte. So kann sich auch Ludwig Pastor in seiner Geschichte der Päpste auf Viktor Bibl berufen, wenn er Khlesl den „genialen Vorkämp-fer der katholischen Restauration“ nennt228. Die Herrschaft dieses Khlesl-Bildes, das in seinem Wirken als dominierender Favorit des Kaisers Matthias wurzelt, über Khlesls jungen Jahre als Offizial mahnt zur Vorsicht beim Gebrauch der Arbeiten Bibls. Sie sind zwar nicht fehlerfrei229, aber brauchbar, solange er nahe an den Primärquellen operiert.

Seine Interpretationen und Bewertungen sind dagegen immer wieder von zweifelhafter Qualität, schon weil sie oft nicht nachvollziehbar sind oder er sie unkritisch übernom-men hatte. Da aber Bibls Quelleneditionen und Aufsätze zu den Hauptquellen für das Wissen um die Anfänge der katholischen Konfessionalisierung in den kaiserlichen Er-bländern zählen, hat dieser Historiker den Boden bereitet, dass sowohl Rudolf II. wie auch Khlesl oder Eder als Symbolfiguren einer dynamisch und aggressiv emporstreben-den Epoche gesehen weremporstreben-den, was eine differenzierte Betrachtung sehr erschwert.

Jenen Historikern wie Karin MacHardy, Arno Strohmeyer oder Volker Press, die sich dem Glaubensstreit nach dem Amtsantritt Rudolfs II. vornehmlich unter dem Aspekt des adelsständischen Widerstandes und der monarchischen Staatsbildung näherten, war die Auseinandersetzungen um die Glaubensfreiheit in erster Linie ein politischer Streit und damit die Frage nach der Initiative weitgehend geklärt230. Auf die von MacHardy quantitativ unterfütterte langfristige Strategie, dem protestantischen Adel die Ämter und Pfründe zu entziehen, wurde schon hingewiesen.Press resümierte zur Rekatholi-sierung der Erblande in den ersten zwei Jahrzehnten der Herrschaft Rudolfs II., dass es dem „Glauben und dem spanisch geprägten Majestätsbewusstsein Rudolfs [entsprach], den erneuerten Katholizismus durchzusetzen und die Macht der Stände zu brechen, die mehrheitlich evangelisch waren“231.

In der Regel ist die katholische Konfessionalisierung auch für die sogenannte Ös-terreichische Protestantengeschichtsschreibung ein „eminent politischer Vorgang“, wie Gustav Reingrabner urteilte232. Nach ihm haben sich Hof und Regierung in Wien und Prag nicht nur als Leitungsorgane der „Katholisierungspolitik“ erwiesen, sondern als mächtige Kraftquellen derselben233. Wo allerdings katholische Historiker die weltli-che Macht gerne etwas in den Hintergrund gesetzt hätten, neigt die evangelisweltli-che Seite dazu, das katholisch-konfessionalistische Auftreten des Kaisers in der „Rudolfinischen Gegenreformation“ zu überzeichnen. Die Signifikanz für den Kurswechsel auf dem Kaiserthron bietet die erwähnte Entlassung der ungehorsamen Protestanten aus den

226 Bibl, Erzherzog Ernst 576; ders., Stände 172.

227 BBr1 640. Er beruft sich bei seinem Khlesl-Bild auf Ritter, Geschichte 1 95f.; ADB 16 (1882) 167–

178.

228 Pastor, Päpste 9 584.

229 Vgl. Press, Rudolf II. 476.

230 Strohmeyer, Konfessionskonflikt 90f.

231 Press, Rudolf II. 104.

232 Reingrabner, Beschlagnahme 259; vgl. ders., Religionspolitik 119f.

233 Reingrabner, Besonderheiten 390. Sein Begriff „Katholisierung“ wendet sich gegen die Vorstellung, mit einer „Rekatholisierung“ seien die Gläubigen wieder in einen früheren religiösen Stand gesetzt worden.

Reingrabner geht dagegen von der katholischen Kirche als einer der Konfessionskirchen nach der Spaltung der mittelalterlichen Christenheit aus: ebd. 388 Anm. 11. Vgl. die Argumentation für die Wahl des Begriffs

„Katholisierung“ bei Heiss, Jesuiten 8f.

kaiserlichen Diensten. Bibl hat in seiner ersten Abhandlung aus dem Jahr 1900 die Strafaktion ausführlich dargestellt und stellte fest, dass sich der Kaiser an die höhe-ren protestantischen Funktionsträger gar nicht herantraute234. Dies fasste er später in

„Entlassung einiger kaiserlicher Beamter“ zusammen235. Als sich ein halbes Jahrhundert später Josef Karl Mayr des Ereignisses unter dem Aspekt der Wiener Protestantenge-schichte annahm, geschah dies zwar auch quellennah und mit Bezug auf Bibl. Aber Mayr verschweigt uns, warum er die bei Bibl erwähnte Begnadigung des größten Teiles der höfischen Bediensteten nicht mehr anführt236. Während jedoch Bibl und Mayr die Entlassung einer begrenzten Anzahl höfischer Bediensteter konstatieren, deren Stellen meist wieder mit Protestanten besetzt wurden, bleibt bei Grete Mecenseffy keiner der

„evangelischen kaiserlichen Beamten“ im Amt.

Die sich teils widersprechenden Varianten wurden nie abgeglichen und stehen gerade in Überblicksdarstellungen oder Aufsatzsammlungen zu diesem Thema nebeneinander.

Thomas Winkelbauer beruft sich in seiner „Österreichischen Geschichte“ einmal auf das Resümee von Walter Ziegler, wonach die „katholische Reform“ in Österreich unter Ru-dolf II. weitgehend ohne staatliche Führung auskommen musste, um entsprechend die Schlüsselrolle an Khlesl zu vergeben. An anderer Stelle allerdings gesteht er Rudolf II.

zu, die „entscheidenden Impulse“ für die Rekatholisierung gegeben zu haben237. Arthur Stögmann erklärt, das Ziel der Bestrebungen Rudolfs II. sei es gewesen, die religiöse Einheit des Landes wieder herzustellen und beruft sich dabei auf Viktor Bibl. Dieses Anliegen unterscheidet Rudolf II. allerdings nicht von seinem Vater und Großvater.

Entscheidend ist die Behauptung, Rudolf II. habe alle Landesbewohner in die durch das Tridentinum „erneuerte“ katholische Kirche zurückführen wollen238. Doch wie dieser Kaiser zu dem Etikett gekommen ist, ein Verfechter des Tridentinums gewesen zu sein, bleibt uns verborgen. Eine entsprechende Willensbekundung wird nicht angeführt und Rudolf II. weigerte sich, die tridentinischen Beschlüsse bis auf einen im Reich veröffent-lichen zu lassen239. Auf der anderen Seite geht der geschichtswissenschaftliche Schutz des Kaisers vor den katholisch-konfessionalistischen Entwicklungen in Niederösterreich so weit, dass Hartmut Lehmann das Bild eines friedliebenden Rudolf II. präsentieren konnte, der die von verschiedenen Mitgliedern seines Hauses sowie von Melchior Khlesl forcierte Rekatholisierung im Land unter der Enns gerne verhindert hätte240. Auch dies ist ein Beispiel, wie sich in der Regel alle Historiker zu einem guten Teil aus dem glei-chen in die Jahre gekommenen Bestand an Sekundär- und Quellenliteratur bedienen und doch bei der Interpretation und selbst in ereignisgeschichtlichen Fragen zu ganz konträren Aussagen kommen. Um zur Diktion von Herbert Haupt zurückzukehren:

„Tatsache ist“, dass von den Tatsachen wenig genug bekannt ist oder wahrgenommen wird, was Meinungen und Falschaussagen florieren lässt.

Werner Wilhelm Schnabel schreibt von „prominenten Initiatoren der Gegenre-formation, zuvörderst Kardinal Klesl und Kaiser Ferdinand II.“241. Gerade bei der

234 Bibl, Einführung 157, 177.

235 Bibl, Erzherzog Ernst 580.

236 Mayr, Protestantengeschichte 89f.

237 Winkelbauer, Ständefreiheit 2 58, 114.

238 Stögmann, Gegenreformation 275.

239 Wiedemann, Geschichte 1 241.

240 Lehmann, Absolutismus 46.

241 Schnabel, Kommentar 265.

historiografischen Vergabe der Initiative in der Rekatholisierung an Geistliche bleibt die Frage ungestellt, wer überhaupt über die dafür nötige Macht oder die Entscheidungs-gewalt verfügte. Wie wenig sich der alte Glauben reaktivieren ließ, wenn der Kaiser

historiografischen Vergabe der Initiative in der Rekatholisierung an Geistliche bleibt die Frage ungestellt, wer überhaupt über die dafür nötige Macht oder die Entscheidungs-gewalt verfügte. Wie wenig sich der alte Glauben reaktivieren ließ, wenn der Kaiser

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