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Die Zahl der Fehltage im Bereich des Bur-nouts [ist] im letzten Jahrzehnt um 400% ge-stiegen!“2

Wussten Sie schon ...? – Wenn Sie Teilzahn-ersatz tragen, haben Sie fast ein doppelt so hohes Risiko Nachbarzähne zu verlieren.“3

Das zuletzt genannte Beispiel verdeutlicht, dass auch die Werbung zu solchen Risikoaussagen greift, die letztlich bei den Werberezipienten Furcht vor dem möglichen Schaden auslösen sol-len. In der Tat, in 15 % aller TV-Spots werden Furchtappelle eingesetzt.4

Risikokommunikation in der Werbung

Was genau soll beim Einsatz von Furchtappellen in der Werbung eigentlich ausgelöst werden? Die Emotion Furcht ist eine im Laufe der Evolution entstandene Adaptation, die wichtige Funktionen für Repräsentanten der Spezies homo sapiens er-füllt: Durch die Emotion Furcht werden bei-spielsweise körperliche Verletzungen vermieden, 1 Berndt (2013:30).

2 O.A. (2014b).

3 Corega (2015).

4 Vgl. Felser (2007).

Risiko Risikokommunikation Sauerland, Krajewski & Gaukel weil Organismen durch diese Emotion i. d. R. zur

Flucht vor bzw. zur Vermeidung von Gefahren bewegt werden.5 Subjektiv ist Furcht daher ein aversiver Erlebenszustand, der die Erwartung ei-ner Gefahr beinhaltet.6 Wegen dieser elementa-ren biologischen Funktion lässt sich Furcht somit recht leicht auslösen und auch recht leicht durch entsprechende kommunikative Inhalte induzie-ren.

Worin besteht nun aber genau die Funktion von Furchtappellen in der Werbung? Werbeappelle zielen i. d. R. darauf ab, ein bestimmtes Verhalten herbeizuführen (Kaufverhalten etc.), d. h. zu mo-tivieren. Verhalten kann dadurch motiviert sein, dass Personen etwas Positives anstreben oder et-was Negatives vermeiden. Furchtappelle infor-mieren über die negativen, schädlichen Konse-quenzen von Verhalten. Sie sollen somit durch die Information, dass relevante Werte (Gesund-heit, Eigentum etc.) bedroht sind, Gefahren ab-wendendes Verhalten motivieren (z. B. eine Ver-sicherung abzuschließen).

Werbetreibende haben mehrere Möglichkeiten, die Emotion Furcht zu induzieren: Mit Hilfe na-türlicher Angstauslöser (Spinnen, Verletzungen, Schreie), mit Hilfe erlernter Angstauslöser (Waf-fen, Computer-Würmer) oder mit Hilfe von durch die Werbung per se zu erlernender Angst-auslöser (Lernen am bestraften Modell).

Der Einsatz von Furchtappellen ist für Werbe-treibende durchaus mit einigen Risiken behaftet.

Folgende potenzielle Gefahren bestehen:

- Das Produkt wird durch Klassisches Kon-ditionieren mit einem angstbesetzten Sti-mulus gekoppelt und löst daher selbst aversive Emotionen aus.

- Die Beliebtheit der Werbung sinkt.

- Die Werbung ist ineffektiv, weil es zu ei-ner Subkategorisierung kommt („die Ge-fahr besteht nur für andere Personen!“).

5 Vgl. Buss (2011).

6 Vgl. Plutchik (2002).

- Die Werbung ist ineffektiv, weil es zu ei-ner internen Angstbewältigung (Emoti-onsregulation) statt zur Problembewälti-gung (durch das Produkt) kommt.

- Die Werbebotschaft wird aufgrund von Dissonanz- und Reaktanzprozessen ab-gelehnt (man möchte sich die Freiheit nicht nehmen lassen, das gefährliche Verhalten an den Tag zu legen).

Einige klassische empirische Studien zur Wir-kung von Furchtappellen förderten in der Tat nicht nur eindeutig „positive“ Wirkungen zutage:

Janis & Feshbach (1953) beispielsweise zeigen Probanden Bilder, welche die Folgen mangelnder Zahnpflege demonstrierten. In einer Versuchsbe-dingung wurden den Probanden drastische farbi-ge Dias von Zahnerkrankunfarbi-gen farbi-gezeigt, in einer anderen Versuchsbedingung wurden moderate Darstellungen von Zahnerkrankungen vorge-führt und in einer weiteren Bedingung wurden gar keine Dias gezeigt. Die Autoren fanden her-aus, dass die Probanden in der ersten Versuchs-bedingung zwar die höchsten Angstwerte auf-wiesen, zugleich jedoch nur eine geringe Verhal-tensänderung hinsichtlich verbesserter Mundhy-giene an den Tag legten.

Dieses kontraintuitive Ergebnis wurde damit er-klärt, dass bei zu geringer Gefahrendarstellung die erzeugte Spannung nicht ausreichte, um ir-gendeine Motivation in Gang zu setzen. Bei zu hohem Risiko hat den Probanden eine Hand-lungsanweisung gefehlt, mit der eine Reduktion dieser hohen induzierten Spannung möglich ge-wesen wäre; d. h., die Probanden hatten in der ersten Versuchsbedingung einen Schock (scho-ckierende Bilder) bekommen, haben gleichzeitig jedoch nicht erfahren, dass die drohende Gefahr durch tägliches Zähneputzen mit kreisenden Putzbewegungen vermieden werden kann. Es gab für sie daher lediglich die Möglichkeit, die durch den Schock induzierte Spannung zu ertragen, die eigenen Reaktionen darauf zu kontrollieren und herunter zu regulieren. Lediglich bei mittlerer Bedrohungsintensität (zweite

Versuchsbedin-Risiko Versuchsbedin-Risikokommunikation Sauerland, Krajewski & Gaukel gung) wurde eine Motivationsstärke ausgelöst,

die nicht derart durch Angstregulierungsvorgän-ge per se absorbiert wurde, dass Möglichkeiten der Gefahrenvermeidung erwogen und erlernt werden konnten. Aus Studien wie dieser wurde somit gefolgert, dass immer auch ein Lösungs-hinweis nach einem Furchtappell kommuniziert werden sollte.

Zahlreiche weitere empirische Studien und auch die Theorienbildung wurden durch diese Befunde stimuliert. Im Folgenden wird ein empi-risch untermauertes Modell vorgestellt, welches die wesentlichen Erkenntnisse der einschlägigen Forschung zu integrieren imstande ist – das Extended Parallel Process Model von Witte (z. B.

1994, minimal modifiziert):

Zwei multiplikativ miteinander verknüpfte Fak-toren entscheiden darüber, ob es bei den Rezipi-enten einer Risikokommunikation zu einer Be-drohungseinschätzung kommt: (1) Das einge-schätzte Ausmaß Gefahr (Härte) und (2) die Wahrscheinlichkeit der individuellen Betroffen-heit von dieser Gefahr (Vulnerabilität). Ist eine der beiden Komponenten Null, dann ist auch die wahrgenommene Bedrohung insgesamt Null und würde keine Verhaltensänderung bewirken! So kann zwar das Ausmaß der Gefahr sehr hoch ein-geschätzt werden; wenn die persönliche Betrof-fenheit davon aber als eher gering eingeschätzt wird, wird der Risikofaktor insgesamt nicht als bedrohlich wahrgenommen. Es ist – vice versa – auch möglich, dass das Ausmaß der Gefahr insge-samt als eher gering eingeschätzt wird; sollte eine Person nun der Auffassung sein, dass sie selbst höchstwahrscheinlich zum Kreis der Betroffenen

gehört, wird der Risikofaktor insgesamt dennoch nicht als besonders bedrohlich wahrgenommen.

Beide Varianten führen zur Untätigkeit bzw. zur Non-Akzeptanz der Risikobotschaft. Damit eine Gefahrenkommunikation eine durchschlagende Wirkung entfalten kann, muss also notwendig (1) ein gewisses Gefahrenausmaß wahrgenommen werden und (2) erkannt werden, dass die Wahr-scheinlichkeit hoch ist, von der Gefahr auch be-troffen zu sein.

Dies reicht jedoch für eine wirksame Risikokom-munikation nicht aus. Auch bezüglich der nächs-ten beiden relevannächs-ten Komponennächs-ten gilt, dass sie multiplikativ verknüpft sind und daher beide notwendig gegeben sein müssen. Es muss von den Rezipienten einer Risikobotschaft nämlich weiterhin wahrgenommen werden, (1) dass das (z. B. in der Werbung) empfohlene Mittel zur Ab-wendung der Gefahr tauglich ist – es muss als ef-fektiver Problemlöseoperator wahrgenommen werden (Effektivität) und (2) dass man es auch selbst kompetent anwenden kann (Selbstwirk-samkeit). Ist einer dieser beiden Faktoren Null, ist auch die Effizienzwahrnehmung des beworbenen Gefahren abwendenden Verhaltens bzw. Pro-dukts Null, und es kommt zur Verleugnung oder Bagatellisierung der Gefahr, zur Vermeidung einschlägiger Informationen o. ä. In diesem Fall findet somit lediglich die reine Regulation der ausgelösten Furcht statt, da kein effizientes Mit-tel zur Gefahrenabwehr gesehen wird. Zu kon-struktiven Problemlöseprozessen (z. B. durch den Kauf des beworbenen Produkts bzw. einer Ver-haltensänderung) kann es erst kommen, wenn von den Rezipienten erkannt wird, dass ein ef-fektives Mittel zur Gefahrenvermeidung exis-tiert, das sie selbst auch mit ihren bestehenden Kompetenzen anzuwenden imstande sind. In diesem Fall wird die Botschaft akzeptiert und eine Verhaltensänderung in Gang gesetzt.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass folgende vier Komponenten notwendig gegeben sein müssen, wenn eine Risikokommunikation erfolgreich sein soll, d. h. z. B. wenn ein Furcht-Abbildung 1: Extended Parallel Process Model. Quelle: Sauerland

et al., modifiziert nach Witte (1994).

Risiko Risikokommunikation Sauerland, Krajewski & Gaukel appell in der Werbung die von Werbetreibenden

intendierte Wirkung entfalten soll:

- Ausmaß der Bedrohung/Gefahr

= Härte

- Wahrscheinlichkeit der individuellen Betroffenheit = Vulnerabilität

- Effektivität der beworbenen Lösung

= Effektivität

- Eigene Anwendungskompetenz

= Selbstwirksamkeit.

Nun kann eine Risikobotschaft durchaus als be-drohlich wahrgenommen werden und die „be-worbene“ Verhaltensänderung auch als durchaus geeignet erscheinen, die Gefahr abzuwenden. Da-bei wird jedoch übersehen, dass Personen das ge-fährliche Verhalten nicht ohne Grund an den Tag legen – zumeist profitieren sie in irgendeiner Weise davon. Den Fahrradhelm nicht zu tragen bedeutet beispielsweise auch, dass man den Fahr-radhelm anschließend nicht mit sich herumtra-gen muss, dass er die Frisur nicht zerstört, dass man nicht albern aussieht, dass man sich freimü-tig aufs Fahrrad schwingen und spontan losfah-ren kann, dass es am Kopf nicht zwickt etc.

Eine entsprechende Botschaft wird somit auch nur dann akzeptiert, wenn folgende Ungleichung erfüllt ist:

(Gewinn durch das gefährliche Verhalten) + (Kosten des empfohlenen Verhaltens) < (Kosten des gefährlichen Verhaltens; = Härte * Vulnerabi-lität) + (Gewinn des empfohlenen Verhaltens; = Effektivität * Selbstwirksamkeit).

Aus den einschlägigen Modellen können folgen-de Aspekte für effektive Furchtappelle in folgen-der Werbung abgeleitet werden:

- Angstinduktionen mittleren Ausmaßes - Wahrscheinlichkeit der Gefahr des

per-sönlichen Betroffenseins hervorheben

- Produkt bzw. die Handlungsempfehlung als effektiven Problemlöseoperator dar-stellen

- Rezipienten den Eindruck vermitteln, dass sie selbst imstande sind, das Produkt bzw. die Handlungsempfehlung anwen-den zu können.

Übertriebenes