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Risiko auf Ebene der Population

III. 3.3.2 “Stress” durch akustische Störungen

III.5 B EWERTUNG DES R ISIKO

III.5.2 Risiko auf Ebene der Population

eines Tieres signifikant zu verändern. Eine vorsorgende Betrachtung sollte langfristige Effek-te von VerhalEffek-tensänderungen zur Bewertung des möglichen Risikos mit heranziehen.

„Entnahme“ sind nach dem USP auch die möglicherweise verletzten oder biologisch signifi-kant gestörten Individuen zu berücksichtigen.

Den abgeschätzten PBR-Werten stellt das AWI extrapolierte Werte für die Anzahl wahr-scheinlicher Begegnungen der Polarstern mit antarktischen Walen gegenüber. Das AWI be-rechnet die mögliche Anzahl der Begegnungen für eine Streifenbreite um das Schiff, die ih-ren Sicherheitsradien für Verletzung (PTS, 500 m) und Störung (160 dB SPL(RMS)-Radius; 0,7 – 7,5 km) entsprechen. Neben den zu betrachtenden Streifenbreiten gehen auch hier die Populationsgröße (vgl. oben und Kapitel III.2.3.1) und die verwendete Antreffrate als Variab-len in den Vergleich ein.

Zur Ermittlung einer Polarstern spezifischen Antreffrate zieht das AWI die durch das nauti-sche Personal aufgezeichneten Sichtungsraten für Wale heran. Die durchschnittlich 70 Wal-sichtungen (pro generischer Forschungsfahrt von 60 Tagen) extrapolieren sie zu einer mittle-ren Sichtungsrate von 2,0 x 10-4 Walen pro 13-tägige Seismikaktivität37. Vergleichbare Aus-sagen aus der Literatur unterstützen diese Berechnung nicht: Stone (2003) wertete für das

„Joint Nature Conservation Committee“ (JNCC)38 201 seismische Surveys aus. Ihre Ergeb-nisse zeigen deutlich, dass der Einsatz der Schiffscrew als Beobachter für die Mitigation ma-riner Säugetiere die am wenigsten effektive Alternative darstellt. Sie sind weniger kompetent, Tiere zu entdecken und sichten Tiere erst in geringeren Entfernungen. Stone (2003) emp-fiehlt daher, geschulte und nur dieser Aufgabe zugeordnete Beobachter39 einzusetzen. Bei dem nautischen Personal der Polarstern handelt es sich weder um geschulte noch nur dieser Aufgabe zugeordnete Beobachter. Daher besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Sichtungsraten der Schiffscrew der Polarstern eine Unterschätzung darstellen und qualitativ nicht mit denen der zitierten Studien vergleichbar sind. Die Ergebnisse von Kock et al. (2010) legen denselben Schluss nahe: Die geschulten Walbeobachter ihres Sichtungs-Surveys ent-deckten in 21 Tagen 74 Wale von Bord der Polarstern, also hochgerechnet fast dreimal so viele Tiere wie die Schiffscrew der Polarstern.

Zudem ist zu fragen, welche Aussagekraft eine generische Antreffrate für alle Gebiete der Antarktis und für alle Arten haben kann. In diesem Zusammenhang wäre insbesondere die Betrachtung der Auswirkungen des Einsatzes von Airguns in Regionen höherer Dichte eine wichtige ergänzende Information. Zudem stellen visuelle Sichtungsdaten (im Gegensatz zu akustischen) für einige Arten immer eine Unterschätzung dar (vgl. Gedamke & Robinson (2010), Širovic (2004)). Darüber hinaus sind Antreffraten in ihrer Aussagekraft weit davon entfernt, eine ähnliche Stärke wie Abundanzen/Dichten bezüglich der möglichen Anwesen-heit von Arten zu haben.

37 Von Polarstern aus wurden durchschnittlich 70 Wale pro durchschnittlich 60tägiger Forschungsfahrt gesichtet.

Da die meisten der Wale Zwergwale sind, berechnet das AWI, welchen Anteil der Population des Antarktischen Zwergwales sie durch einen durchschnittlich 13tägigen Airguneinsatz beeinflussen könnten. Als konservativer Ansatz wählen sie eine 10mal höhere Anzahl von 700 Sichtungen und vergleichen diese mit der unbestätigten Populationsabschätzung von 750.000 Zwergwalen. Im Ergebnis kommen sie auf eine statistische Quote von 2,0 x 10-4 Zwergwalen pro 13tägiger Seismikaktivität. Dieselbe Quote verwendet das AWI dann auch für die anderen Arten.

38 Das JNCC ist der gesetzlich vorgeschriebene Berater der englischen Regierung zu allen Belangen des nationa-len und internationanationa-len Naturschutz.

39 Stone (2003): “The term 'dedicated marine mammal observer' …, is taken to mean someone with experience of marine mammal observations, dedicated to that task alone during the survey, and whose normal role on seis-mic surveys is that of marine mammal observer. It does not include those personnel who are normally fishery li-aison officers, but who may on occasion be dedicated to the task of marine mammal observations.”

Die nachfolgende Tabelle 7 zeigt beispielhaft, wie die Anpassung einzelner Variablen – wie im Beispiel des Grenzwertes und der daraus resultierenden Sicherheitszonen – die Abschät-zungen des AWI relativieren. Weitere vom AWI berechnete Variablen wären beispielsweise die Anzahl der Sichtungen oder die Größe der herangezogenen Vergleichspopulation (der Zwergwale).

Tabelle 7: Alternativen bei der Berechnung der Anzahl der geschätzten Polarstern-Wal-Begegnungen Als Antreffrate wird der AWI-Wert von 2,0 x 10-4 Walen einer Population für eine generische Fahrt mit 13 Tagen Seismikaktivität verwendet.

AWI

(Walbegegnungen um die Polarstern für

198 dBSEL [< 0,5 km]

Alternativ 1

(Walbegegnungen um die Polarstern für

164 dBSEL [4 - 40 km]

AWI

(Walbegegnungen um die Polarstern für 160 dB(RMS) (t=200ms)

[0,8 – 7,5 km]

Alternativ 2

(Walbegegnungen um die Polarstern für 153 dB(RMS) (t=200ms)

[2 - 10 km]

Geschätzte An-treffrate für z. B. Blauwale (PBR = 1)

0,1 1,6 – 16 0,3 – 3 0,8 – 4

Geschätzte An-treffrate für z. B. Finnwale (PBR = 30)

3 48 – 480 9 – 90 24 – 120

Das PBR-Konzept wurde im Rahmen des Fischereimanagement entwickelt und ist somit nur bedingt auf Wale oder Robben übertragbar. Dies gilt umso mehr, da für keine der Arten in der Antarktis fundierte Grunddaten existieren. Es kann daher nur mit Nachdruck der Aussage des AWI zugestimmt werden, dass die von ihnen berechneten PBR-Raten mit einer großen Unsicherheit behaftet sind. Weder die abgeschätzten PBR-Raten noch die extrapolierte An-treffrate sind nach Einschätzung des UBA geeignet, um zur statistischen Abschätzung des Risikos herangezogen zu werden.

III.5.2.1 Risiko einer Auswirkung auf Populationsebene durch sofortige Verletzungen Das AWI betrachtet in ihrer abschließenden Darstellung des Risikos für die unter dem Schutz des USP und AUG stehenden Arten allein das Risiko für Wale. Angesichts der Be-standszahlen sieht das AWI kein Risiko für Populationen von Robben und es ist anzuneh-men, dass dies auch für Populationen von Pinguinen gelten würde.

Statistisch geht das AWI davon aus, dass sie nicht mehr als 2 x 10-4 Tieren einer Population während eines Airgun-Survey begegnen würden. Da die vom AWI für den 500 m Streifen um die Polarstern berechneten Begegnungsraten um eine Zehnerpotenz unter den PBR-Raten liegen, hält das AWI eine Auswirkung auf Populationsebene für unwahrscheinlich. Unter der Annahme, dass die Anwesenheit von Walen in diesem 500 m Streifen durch Mitigations-maßnahmen verhindert werden kann, sieht das AWI ein Risiko auf Populationsebene als nicht gegeben an. Das UBA sieht hingegen ein Risiko für die Schutzgüter des USP und AUG

in einem Streifen schädigender Schallsignale von deutlich mehr als 500 m um Polarstern ge-geben.

Über die vorab bereits diskutierten Vorbehalte bezüglich des PBR-Konzeptes im Allgemei-nen und der einzelAllgemei-nen extrapolierten metrischen Vergleichswerte im Besonderen, ist gerade hier darauf hinzuweisen, dass die langfristigen Auswirkungen in die Betrachtung des Risikos auf der Populationsebene mit einfließen müssen. Die vom AWI berechneten PBR-Werte be-ziehen sich auf eine spezifische Population und auf die Zeitdauer von einem Jahr. Die mig-rierenden Walpopulationen sind über den Jahresverlauf nicht nur zusätzlichen „Entnahmen“

durch die betrachteten Seismikaktivitäten in der Antarktis ausgesetzt, sondern einer Vielzahl anderer Einflüsse, die ebenfalls – über die natürliche Sterblichkeitsrate hinaus – schädigend auf eine Population einwirken können. Nach den Berechnungen des AWI würde ein Seismik-Survey in 5 % des Jahreszeitbudgets (13 Tagen) 10 % der jährlichen, noch akzeptablen zu-sätzlichen Entnahmerate durch anthropogene Einflüsse „aufbrauchen“. Sind bereits ab 164 dB SEL schädliche Auswirkungen durch Airgun-Impulse zu erwarten, würde sich das Ver-hältnis zwischen akzeptabler Entnahme und PBR umdrehen und statt eine Zehnerpotenz da-runter ca. eine Zehnerpotenz darüber liegen (vgl. Tabelle 7). Der Anteil der am Jahresbudget noch tragbaren Entnahmen aus der Natur wäre dann entsprechend höher.

Der Bewertung des AWI, die jedes Risiko der Verletzung durch ihre Mitigationsmaßnahmen

„ausgemerzt“ sieht, kann sich das UBA nicht anschließen.

III.5.2.2 Risiko einer Auswirkung auf Populationsebene durch akustische Störungen Wie bereits auf Ebene des Individuums betrachtet das AWI auch auf Ebene der Population allein die möglichen Auswirkungen einer Trennung von Mutter-Kalb-Paaren durch akustische Störungen. Somit berechnen sie die Anzahl möglicher Begegnungen zwischen Mutter-Kalb-Paaren und der Polarstern. Diese sehen sie – analog der angenommenen Wachstumsrate – bei 4 % der generellen Anzahl von Begegnungen. Auch unter Betrachtung des größeren vom AWI gewählten Störungsradius bis 7,5 km liegen die resultierenden Begegnungsraten stets deutlich unter den PBR-Raten für alle Individuen einer Art. Analog der Diskussionen in den vorherigen Kapiteln hält das AWI daher, auch unter dem Vorbehalt der nur eingeschränkt umzusetzenden Mitigationsmaßnahmen, Effekte auf Populationsebene für unwahrscheinlich.

In welchem Maße sich das Risiko der Störung von Individuen auf ein Risiko auf Populations-ebene für antarktische Wale überträgt, kann zurzeit mit dem PCAD-Modell nicht beurteilt werden. Für Schnabelwale wird die Entwicklung einer Übertragungsfunktion zur Quantifizie-rung der Auswirkungen auf Populationsebene jedoch in naher Zukunft erwartet (Moretti 2011).

Wie bereits in Kapitel III.5.1.2 diskutiert, hält das UBA ein Risiko auf Populationsebene durch schallinduzierte Störungen nicht nur in Bezug auf Mutter-Kalb-Paare für signifikant, sondern sieht die Notwendigkeit, neben den kurz- auch mittel- und langfristige Effekte zu betrachten, die durch kumulative und synergetische Effekte auch auf Populationen schädigend einwirken können. Obwohl das Risiko auf Populationsebene derzeit nicht abschließend bewertet wer-den kann, scheint die Interpretation des AWI hier verfrüht und wird vom UBA nicht unter-stützt.