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6 Modellbildung und Diskussion

6.3 Richtungsänderung der Nematoden während ihrer Fortbewegung

Mit den ermittelten Daten, die für die Konstruktion unseres Modells benötigt wurden, kann zusätzlich gezeigt werden, dass die Änderung der Bewegungsrichtung der Nematoden bereits nach wenigen Sekunden gleichverteilt ist. D. h. nach wenigen Sekunden bewegen sich die Ne-matoden in alle Richtungen mit der gleichen Wahrscheinlichkeit fort. Darüber hinaus lässt sich noch die charakteristische Wellenform der mittleren quadratischen Verschiebung der Nemato-den-Bewegung erklären.

Richtungsänderungen der Nematoden:

Um die Richtung der Bewegung bestimmen zu können, müssen zunächst die Verschiebungs-vektoren der Nematoden-Mittelpunkte definiert werden. Ein Verschiebungsvektor ergibt sich immer aus der Differenz der Ortsvektoren zweier aufeinanderfolgender Mittelpunkte. Für den Verschiebungsvektor in der k-ten Aufnahme einer Tracking-Sequenz gilt somit:

𝑣⃗𝑘 = 𝑝⃗𝑘+1− 𝑝⃗𝑘 (𝟐𝟖) , mit 𝑝⃗𝑘 als der Ortsvektor des k-ten Mittelpunkts. Die Richtungsänderung des k-ten Verschie-bungsvektors nach j - Zeitschritten ist gegeben mit:

𝑗= arccos (𝑣⃗𝑘

|𝑣⃗𝑘|∙ 𝑣⃗𝑘+𝑗

|𝑣⃗𝑘+𝑗|) (𝟐𝟗)

Abbildung 103: Vergleich zwischen der gemessenen und simulierten Bewegung der Nematoden. In der obigen Ab-bildung sind die (über die drei Aufnahme-Verfahren) gemittelten Messdaten und die simulierten Daten der (oben) Anomalie-Parameter, (Mitte) 'mean first passage time' und (unten) mittleren Wegeffizienz gezeigt.

133 Mit dem Winkel αj zwischen den beiden Verschiebungsvektoren 𝑣⃗𝑘 und 𝑣⃗𝑘+𝑗 kann die Ände-rung der Bewegungsrichtung beschrieben werden:

Die Richtungsänderung des Nematoden zwischen dem Zeitpunkt tk und dem Zeitpunkt tk+j ent-spricht genau dem Winkel zwischen den beiden Verschiebungsvektoren 𝑣⃗𝑘 und 𝑣⃗𝑘+𝑗.

Wird j auf 1 gesetzt, so ergibt sich die Richtungsänderung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Verschiebungsvektoren. Die Zeitdifferenz hierfür entspricht der Zeit zwischen drei Aufnahmen der Kamera. Dies ist die kleinste Zeitauflösung, mit der die Änderung der Bewegungsrichtung gemessen werden kann. Wird hingegen j größer als 1 gesetzt, kann die Änderung der Bewe-gungsrichtung nach jeder beliebigen Zeit berechnet werden.

Verteilungsfunktionen der Bewegungsrichtung:

Werden die Änderungen der Bewegungsrichtung aller Verschiebungsvektoren für einen Zeit-schritt j berechnet, erhält man die Verteilungsfunktion der Richtungsänderung, d. h. für jeden Zeitschritt j ergibt sich eine eigene Verteilungsfunktion (siehe Abbildung 104).

Die kleinste Zeit, ab der alle Winkel zwischen 0° und 180° die gleiche Wahrscheinlichkeit haben, ist diejenige Zeit, ab der die Richtungsänderung der Nematoden-Bewegung gleichverteilt ist.

Für j = 1 hat die Verteilung der Richtungsänderung noch ein deutliches Maximum bei 0° und einen schnellen Abfall der Wahrscheinlichkeiten für größere Winkel der Richtungsänderung (siehe Abbildung 104 a). Damit ist auf dieser Zeitskala (1/15 Sekunden) die Richtungsänderung der Nematoden mit großer Wahrscheinlichkeit nahe 0°. Wird jedoch der Zeitschritt j vergrö-ßert, beginnen die Verteilungen zu zerlaufen bis hin zu einer Gleichverteilung (siehe Abbildung 104 b - d). Ab einer gewissen Größe von j ist die Wahrscheinlichkeit für alle Richtungsänderun-gen zwischen 0° und 180° gleich groß (siehe Abbildung 104 d). Mit der Beziehung Δt = (j+1)/v

Abbildung 104: normierte Verteilungsfunktionen der Richtungsänderung für verschiedene Zeitschritte. Auf kurzen Zeitskalen ist die Richtungsänderung der Nematoden-Bewegung minimal. Mit zunehmender Zeit zerlaufen jedoch die Verteilungsfunktionen immer weiter bis hin zu einer Gleichverteilung. In den obigen Abbildungen sind die Ver-teilungen der Richtungsänderung nach (a) 1/15 Sekunde, (b) 1/3 Sekunde, (c) 1 Sekunde und (d) 3 Sekunden in den unterschiedlichen Agarose-Konzentrationen zu sehen.

134 kann anschließend aus dem Parameter j die Zeitdifferenz Δt bestimmt werden (v ist die Auf-nahme-Geschwindigkeit und beträgt 30 s-1).

Bei der Auswertung der einzelnen Verteilungsfunktionen zeigte sich, dass unabhängig von der Agarose-Lösung nach spätestens 3 Sekunden die Änderung der Bewegungsrichtung gleichver-teilt ist. Dies entspricht in etwa 3 Periodendauern der Nematoden-Bewegung. Damit bewegen sich die Nematoden nach (spätestens) drei Bewegungszyklen in jede Richtung mit der gleichen Wahrscheinlichkeit.

charakteristische Form des MSD:

Mit unserem Modell der Nematoden-Bewegung kann eine einfache Erklärung für die Form der MSD's gegeben werden. Die typische Form der mittleren quadratischen Verschiebung (in Ab-hängigkeit der Zeit) einer Tracking-Sequenz lässt sich im loglog-Plot am besten als Überlage-rung einer Geraden mit einer wellenförmigen Funktion (bzw. gedämpften Schwingung) be-schreiben (siehe Abbildung 105 b). Diese spezielle Form zeigt sich sowohl in den MSD's der gemessenen Tracking-Sequenzen als auch in den MSD's der simulierten Tracking-Sequenzen.

Der Grund hierfür liegt in der Kombination der Nematoden-Bewegung aus einer Zufallsbewe-gung auf größeren Zeitskalen und einer zyklischen BeweZufallsbewe-gung mit einer (umgebungsabhängi-gen) Periodendauer von etwa 1 Sekunde. Betrachtet man die Bewegung der Nematoden für größere Zeitschritte, d. h. es wird nur ein Punkt pro Periode (z. B. der Anfangspunkt jeder Pe-riode) bei der Berechnung des MSD's berücksichtigt, ergibt sich die typische Gerade im loglog-Plot (siehe Abbildung 105 c). Werden die einzelnen Zeitschritte für die Berechnung des MSD's immer weiter verkleinert, entsteht die charakteristische Wellenform. Die Wellenlängen erge-ben sich dabei aus den einzelnen Periodendauern der betrachteten Tracking-Sequenz. Wird aus mehreren Tracking-Sequenzen der Mittelwert der einzelnen Zeitpunkte des MSD's berech-net, verschwinden die Wellenzüge immer mehr. Dies liegt an den leicht unterschiedlichen Pe-riodendauern der Nematoden-Bewegung in den unterschiedlichen Tracking-Sequenzen und den daraus resultierenden Wellenlängen des MSD's.

Abbildung 105: unterschiedliche Formen der MSD's einer Tracking-Sequenz. (a) Tracking-Sequenz eines Nematoden in reinem M9-Puffer (aufgenommen mit dem Aufnahme-Verfahren II). Der zeitliche Abstand zwischen zwei Punkten (grüne Punkte) beträgt 1/30 Sekunden. Die Startpunkte jeder Periode sind in blau eingezeichnet. (b) mittlere quad-ratische Verschiebung aller Punkte und (c) die mittlere quadquad-ratische Verschiebung der Startpunkte jeder Periode.

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6.4 Diskussion

Zusammenfassung der Ergebnisse:

Mit dem eigenständig entwickelten Modell zur Beschreibung der Nematoden-Bewegung in viskoelastischen Umgebungen konnten die experimentellen Ergebnisse der quantitativen Bewe-gungsanalyse reproduziert werden. In den simulierten Tracking-Sequenzen hatte die Bewegung der Nematoden ebenfalls in den mittleren Agarose-Konzentrationen (0,3 % - 0,4 %) ihr Opti-mum. Dies zeigte sich sowohl bei der Analyse des Anomalie-Parameters als auch der 'mean first passage time'. Die mittlere Wegeffizienz der Nematoden-Bewegung wurde ebenfalls in diesem Bereich maximal. Wie bereits im Experiment beobachtet, existierten auch in der Simulation für Lösungen mit geringer Agarose-Konzentration (0 % - 0,1 %) keine Tracking-Sequenzen mit einer mittleren Wegeffizienz von größer als 0,4. Hingegen waren in höheren Agarose-Konzentrationen deutlich größere Werte für die mittlere Wegeffizienz einer simulierten Tracking-Sequenz mög-lich. In der Simulation ergab sich auch die kontinuierliche Abnahme der mittleren Verschiebung (und deren Streuung) mit zunehmender Agarose-Konzentration der Lösung.

Mit dem Modell konnte somit gezeigt werden, dass sich die Bewegung der Nematoden mit einer Kombination aus Zufallsbewegung und zyklischer Bewegung gut beschreiben lässt (siehe Abbil-dung 106). Die Periodendauer der zyklischen Bewegung ist dabei abhängig von der näheren Um-gebung des Nematoden und beträgt in etwa 1 Sekunde. Für Zeitschritte größer oder gleich der Periodendauer kann die Bewegung der Nematoden mit einem Random walk beschrieben wer-den. Bei kürzeren Zeitabständen muss zur Beschreibung der Nematoden-Bewegung der perio-dische Anteil der Bewegung mit berücksichtigt werden.

Mit dem von uns entwickelten Modell konnte auch eine Erklärung für die charakteristische Wel-lenform der mittleren quadratischen Verschiebung (in Abhängigkeit der Zeit) der

Nematoden-Abbildung 106: simulierte Tracking-Sequenz eines Nematoden in einer 0,5% -igen Agarose-Lösung. Die schwarzen Punkte sind die Start- bzw. Endpunkte der einzelnen Perioden. Die roten Nematoden-Mittelpunkte sind der einge-fügte Bewegungszyklus während der Periode. Die Dauer der simulierten Nematoden-Bewegung in der obigen Ab-bildung ist 30 Sekunden und der zeitliche Abstand zwischen zwei (roten Mittel-) Punkten beträgt 1/30 Sekunden.

136 Bewegung gefunden werden. Diese spezielle Form (Überlagerung einer Geraden und einer wel-lenförmigen Funktion) ist das Resultat des oben beschriebenen Zusammenspiels zwischen der periodischen Bewegung (auf kurzen Zeitskalen) und der Zufallsbewegung (auf Zeitskalen größer als die Periodendauer). Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass die Richtungsänderung der Nematoden bei ihrer Fortbewegung unabhängig von der Agarosekonzentration der Lösung be-reits nach wenigen Sekunden (ca. 3 Sekunden) gleichverteilt ist. D. h. alle Winkel zwischen 0°

und 180° treten mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auf.

Vergleich mit einem bereits vorhandenen Modell:

Ein gebräuchliches Modell zur Beschreibung der Bewegung von Nematoden ist das Phc-Modell25 von Venkat Padmanabhan (Padmanabhan, et al., 2012). In diesem Modell wird die Bewegung der Nematoden auf Agarplatten stückweise mit harmonischen Funktionen beschrieben (siehe Abbildung 107). Dabei besitzen die einzelnen Funktionen unterschiedliche Amplituden, Wellen-längen und Phasenverschiebungen.

Fazit:

Mit dem von uns entwickelten Modell lässt sich (im Gegensatz zum Phc-Modell) die Bewegung der Nematoden in unterschiedlich viskoelastischen Umgebungen beschreiben. Darüber hinaus ist in unserem Modell die Amplitude und die Phasenverschiebung der periodischen Auslenkung (Bewegungszyklus) konstant. Dies vereinfacht die Beschreibung der Nematoden-Bewegung.

Vergleicht man die beiden Modelle miteinander, so ist es gerechtfertigt zu sagen: Mit dem von uns entwickelten Modell zur Beschreibung der Nematoden-Bewegung (Random walk in Kombi-nation mit einer periodischen Auslenkung mit konstanter Amplitude und Phase) konnte ein neues (alternatives) Modell der Nematoden-Bewegung erstellt werden.

25 Piecewise harmonic curvature-Modell

Abbildung 107: Beschreibung der Bahnkurven mit dem Phc-Modell von Padmanabhan. In diesem Modell ist der gesamte Körper des Nematoden ein Teilstück der Bahnkurve. Die komplette Bahnkurve wird stückweise mit harmo-nischen Funktionen beschrieben. Diese Funktionen haben unterschiedliche Amplituden, Wellenzahlen und Phasen-verschiebungen. Mit diesem Verfahren lässt sich die Fortbewegung der Nematoden auf Agarplatten beschreiben.

Quelle: Padmanabhan, et al., 2012

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