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Richtlinien für eine pädagogische Methode

gebung, ihm seine Merkmale absehen, ihn dann in anderer Lage betrachten, um zu finden, was wesentlich zu ihm gehört und

4. Richtlinien für eine pädagogische Methode

Es liegt nun für vielfache Arbeit Stoff und Veranlassung vor uns. Aber die Methode kann nicht durch Stoff und Arbeits¬

gelegenheit bestimmt werden; es gilt vielmehr auch hier das Prinzip der vollen natürlichen Entwicklung. Was auf den ver¬

schiedenen Gebieten, auf die wir eben geführt worden sind, dem Zögling entgegentritt, ist immer wieder ein Neues, soweit der Stoff in Frage kommt; aber der Zögling ist all diesen Dingen aus eigenem Triebe schon entgegengegangen, gedrängt von einer Kraft, die Betätigung verlangt. In diese Bestrebungen muß die Erziehung fördernd und leitend eintreten, sie ihren natür¬

lichen Zielen zuführen und ihnen dadurch zugleich Fertigkeit, Sicherheit und Kraft geben: die Methode muß also von den schon im Kinde wirksamen inneren Kräften ausgehen. Die Ziele, zu denen die Erziehung sie führen soll, sind gegeben; wir müssen jene Kräfte nun selbst kennen lernen.

Die Welt zu ergreifen, drängt sich im Kinde seine ganze Organisation. Der Leib will sich bewegen; die Gliedmaßen strecken sich aus; die Hände erfassen, was ihnen erreichbar ist, und führen damit den Sinnen fortwährend neue Anregung zu.

Die Tätigkeit der letzteren facht aber auch das innere Leben an, das uns, wenn wir so feiner Beobachtung fähig sind, die gleichen Arten der Bewegung zeigt wie die äußeren Glieder.

Es ist das nämliche Spiel auf beiden Gebieten, ein Spiel für den Beobachter, aber eine ernste und erfolgreiche Arbeit für das Kind selbst und für die Natur, die es veranlaßt und leitet. Die beiden Seiten, nach denen es sich betätigt, lassen sich nicht trennen voneinander. Von der Bewegung der Glieder läuft die nämliche Linie weiter bis zur Tätigkeit der Sinne und der elementaren geistigen Arbeit: die Aufgabe, die dem Erzieher gestellt ist, der auf dieser von der Natur gegebenen Grundlage weiterbauen will, ist Übung der Glieder und der Sinne und Auf¬

suchung und Ausbildung der ersten Reflexe, welche die Berührung mit der Welt im Kinde hervorruft. Bildung der Organe, mit

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welchen die Welt erfaßt wird, ist demnach der Anfang der er¬

zieherischen Arbeit, und wir nennen daher, indem wir zugleich diejenige Seite und diejenigen Kräfte der jugendlichen Natur, die hier in Anspruch zu nehmen sind, bezeichnen, als erstes Ge¬

biet, auf dem die Methode des Erziehers sich zu betätigen hat, die Bildung der organischen Fertigkeiten. „Fertig“ heißt

„zur Fahrt geschickt“. Dinge sind fertig, wenn man sie ge¬

brauchen kann; Menschen verrichten eine Handlung mit Fertig¬

keit, wenn sie die dazu erforderlichen Mittel mit Leichtigkeit und richtiger Bemessung der aufzuwendenden Kraft gebrauchen.

Luther übersetzt im Hebräerbrief 13, 21: „(der Gott des Frie¬

dens) . . . der mache euch fertig in allem guten Werk zu tun seinen Willen.“ Von Goethe aber stammt das für unsere Er¬

örterung ganz zutreffende Wort: „Fähigkeiten werden voraus¬

gesetzt; sie sollen zu Fertigkeiten werden: dies ist der Zweck aller Erziehung“. Wir sprechen vorerst von der Bildung der Organe. Wenn wir jedoch weiterhin der Erziehung die Aufgabe zuweisen, in der Bildung der Erkenntnis und im sittlichen Han¬

deln zu üben, so wollen wir auch da Fertigkeit erzeugen; aber die Rücksicht auf klare Darstellung und Gliederung des Stoffes bestimmt uns, nur auf diesem ersten Felde der methodischen Arbeit von Fertigkeit zu reden, indem wir ihr einschränkend das Attribut „organisch“ beigeben.

Aus den Elementen, welche durch die Ergreifung der Welt im Geiste des Zöglings sich sammeln, soll ein Weltbild gestaltet werden. Ob dieses vollständig und zusammenhängend sei, be¬

stimmt den Wert der dafür gebrauchten Methode; die Erfahrung zeigt aber, daß die meisten Menschen eine in sich abgeschlossene Weltanschauung in sich tragen, und daß hauptsächlich nur der Umkreis derselben verschieden weit ist, sehr eng bei den Un¬

gebildeten und bei den Egoisten, sehr weit bei den Philosophen und Menschenfreunden. Was aber Inhalt dieser Weltanschauung werden soll, ist hier nicht zu erörtern; darauf ist früher schon hingewiesen worden. Dagegen ist zu sorgen, daß die vom Zög¬

ling aufgenommenen Vorstellungen so durchgearbeitet werden, daß sie geistiges Eigentum des Zöglings werden können. Dieser Forderung entsprechen die äußerlich aufgenommenen Kenntnisse nicht. Der Zögling muß in eigener Arbeit, zu der die Erziehung ihn anleitet und für die sie ihm eine bleibende Gewöhnung an-

eignet, sich Erkenntnisse verschaffen, und diese müssen in den Zusammenhang gestellt werden, der ihnen wesentlich ist. Damit ist gesagt, daß der Unterricht wissenschaftlich sein muß und daß die Methoden, die, wie Ziller es verlangt, die Fachwissen¬

schaft ablehnen und nur Schulwissenschaft gelten lassen und dazu noch die einzelnen Disziplinen einem einzigen beherrschen¬

den Fache unterordnen, zu einer in sich geschlossenen Welt¬

ansicht nicht führen können. Wenn wir, dem in der Didaktik eingebürgerten Sprachgebrauch folgend, den so geordneten und ausgearbeiteten Vorstellungen den Namen der Erkenntnis beilegen, so wäre das Ziel der auf diesem Gebiete zu befolgenden Methode die Bildung der Erkenntnis.

Seiner Ansicht von der Welt entsprechend wird der Zög¬

ling auch handeln wollen. Dafür ist eine Methode kaum er¬

forderlich. Das Sittengesetz erkennen selbst die Verbrecher an, und die Aneignung sittlicher Grundsätze gelingt den Erziehern in der Regel ohne große Mühe; das sind aber Dinge der Er¬

kenntnis, für die hier eine besondere Sorge nicht erforderlich ist. Hier kommen zwei andere Fragen in Betracht: I. Wie können die von der animalischen Seite des Menschen kom¬

menden Hindernisse für ein der sittlichen Einsicht entsprechen¬

des Handeln beseitigt werden? 2. Wie kann dem Willen eine positive Leichtigkeit des Handelns gesichert werden? Auf die erste dieser Fragen antwortet die Methode der organischen Fertigkeiten; sie soll den Leib „fertig“ machen für das Gebot des Geistes. Die zweite schliesst zweierlei in sich, die Verbin¬

dung der Vorstellungen mit dem Willen und die Gelegenheit zu sittlichem Handeln unter den Augen des Erziehers. Wie Gedanke und Wille zueinander stehen, ist oben schon erörtert worden; wir haben gefunden, daß geordnete Bearbeitung der Vorstellungen durch den Vorstellenden eine bestimmte Art des Handelns in sich darstellt, daß es also der Methode der Er¬

kenntnisbildung aufgetragen werden muß, für eine derartige Ge¬

dankendisziplin zu sorgen, daß kräftige Entschließungen, die zu Taten treiben, vom Zögling erwartet werden können, der über¬

dies durch die ästhetische Bildung, die zum Zwecke der orga¬

nischen Fertigkeit unternommen worden ist, die Beweglichkeit erhält, die dem Entschlüsse von der praktischen Seite aus ent¬

gegenkommt. So bleibt eigentlich nur die Behandlung wirklicher 3*

Fälle sittlichen Handelns als Aufgabe der Methode auf diesem letzten Gebiete der Erziehung übrig. Wir werden sehen, daß diese Fälle außerordentlich zahlreich sind, und das ist deshalb von Wichtigkeit, weil als Ziel dieser Methode die sittliche Gewöhnung anzusehen ist.

Daß auf diesem wichtigsten Gebiet der Erziehung alle drei Methoden, von denen wir gesprochen haben, Zusammenwirken, ist sehr günstig und nach allem bisher Erörterten nicht auffallend.

Aber dieser Umstand legt das Bedürfnis einer gewissen Einheit¬

lichkeit dieser Methode sehr nahe; denn es darf für den Zögling nicht den Anschein haben, als ob auf den verschiedenen Ge¬

bieten, auf denen seine Erziehung sich vollzieht, jedesmal eine andere Herrschaft bestehe. Wie könnte man sonst von ihm selbst verlangen, daß er Denken und Wollen, Vorstellen und Handeln in sich selbst zusammenstimme?

Der Versuch, eine einheitliche pädagogische Methode zu finden, ist nun auch gemacht worden; aber es ist ein Versuch geblieben. Herbart hat für die sittliche Erziehung Stufen des Verfahrens entworfen, die den bekannten vier Stufen, durch die er die geistige Entwicklung hindurchfuhrt, genau entsprechen.

Von einer Methode der leiblichen Bildung kann bei ihm natürlich keine Rede sein. In der uns vorliegenden Gestalt der Her¬

bartischen Pädagogik tritt diese Zusammenstimmung der beiden Methoden freilich etwas zurück; es scheint keine wesentliche Gleichheit, sondern nur eine Analogie zwischen beiden beab¬

sichtigt zu sein. Aus den uns erhaltenen ersten Aufzeichnungen zur Allgemeinen Pädagogik geht aber hervor, daß Herbart für beide Gebiete der Erziehung den nämlichen Vierschritt der Methode durchführen w’ollte*), weil er der Ansicht war, daß auf beiden Seiten der gleiche phychologische Vorgang sich voll¬

ziehe. Wer das von Herbarts Schule wenig gewürdigte dritte Buch seiner Allgemeinen Pädagogik gelesen hat, wird seiner An¬

schauung beipflichten. Kehren wir zu dem zurück, was wir selbst als Richtungspunkte der Methode auf ihren drei Arbeits-

*) Auf den Parallelismus zwischen dem 2. und dem 3. Buche der Allg.

Pädagogik Herbarts habe ich an verschiedenen Stellen hingewiesen, so in meiner Schrift „Cher die Ausfüllung des Gemüts durch den erziehenden Unterricht“

(1904. Ziegler-Ziehenschc Sammlung VII, 5).

gebieten aufgestellt haben, so finden wir ebenfalls deutlich hervortretende Zeichen für einen wesentlich gleichen Fortgang.

Fertigkeit, Erkenntnis und Gewöhnung wollen wir erreichen.

Verstehen wir unter Erkenntnis die Aneignung eines zusammen¬

hängenden und diesem Zusammenhang gemäli erarbeiteten sicheren und triebkräftigen Wissens — und für die Erziehung wenigstens ist jedes andere Wissens wertlos —, so sehen wir in Fertigkeit, Erkenntnis und Gewöhnung Ergebnisse einer wesentlich gleichen Tätigkeit. Diese beginnt in allen drei Fällen mit einer Aufgabe, die sich zunächst als ein völlig Einzelnes darstellt und eine Verrichtung an einem einzelnen Gegenstände verlangt, zu dem der Zögling sich in Beziehung setzen soll;

denn was er an dem Gegenstand gewinnt, soll ein brauchbarer und sicherer Besitz für ihn sein. Die Beschäftigung mit dem Gegenstände bringt aber eine Reihe verschiedenartiger Be¬

ziehungen zwischen ihm und dem Subjekte mit sich, das erst dann vollständig über ihn gebietet, wenn es auch in ver¬

änderter Lage ihn festzuhalten vermag. Endlich aber muß daraus ein festes Bewußtsein sich ergeben, das dem zur Fertigkeit, zur Erkenntnis oder zur Gewöhnung gelangten Subjekt die Ver¬

sicherung gibt, daß fernere Erscheinungen und Aufgaben ver¬

wandter Art sich nun ohne weiteres von ihm werden bearbeiten und lösen lassen. Überdies beruht der Vorgang in allen drei Fällen auf genauer Auffassung, und er verlangt weiterhin die¬

jenige Durcharbeitung, die das von der Vorstellung Erfaßte zu einem Gegenstand des Willens macht, der erst die vollständige Aneignung desselben bewirken kann.

So dürfen wir hoffen, daß der Versuch, eine einheitliche pädagogische Methode zu gestalten, gelingen werde, und es möge hier nur noch eine Bemerkung eingeschaltet werden. Die Erziehung beginnt mit dem ersten Lebenstag des Kindes. Wann sollen aber die erzieherischen Methoden in Wirksamkeit treten ? Da jede Methode in der Erziehung die geistige Mitarbeit des Zöglings verlangt, könnte man die metho¬

dische Erziehung bis zu dem Augenblicke verschieben, in dem der erforderliche Grad des Verständnisses beim Kinde sich feststcllen läßt. Aber die Dinge liegen viel einfacher. Nach dem Prinzip der vollen natürlichen Entwicklung lassen wir auch in der erzieherischen Methode die Natur vorangehen. Wir

werden also beobachten, wie die Natur selbst übt und gewöhnt und zu Erkenntnissen führt; stimmt der Gang der Natur mit dem unserer Methode überein, so werden wir darin eine Bestä¬

tigung für deren Richtigkeit erblicken dürfen.

5. Entwurf einer allgemeinen pädagogischen