• Keine Ergebnisse gefunden

UND -REZENSIONEN DES JAHRES 1872

Im Dokument -R EZ ENSION EN 1872–1876 (Seite 27-200)

5

10

15

20

25

30

35

40

1 .

WZ 1872, Nr. 2, 4. Jänner

A–s (Anton Rubinsteins Concert.) Der berühmte Künstler lud uns diesmal gleichsam zu einem musikalischen Gabelfrühstück – lauter kleine, feine Assietten.

Ohne Gleichniß: er spielte eine Auswahl kleiner Klavierstücke, die sich dem Gen-re nähern, von welchem einst Rossini einem componiGen-renden FGen-reunde, der lauter solche zierliche Kleinigkeiten schrieb, scherzend sagte: „Ach, mein Freund, du bist beim Componiren recht glücklich, du brauchst das Blatt nie umzuwenden.“ Das relativ größte Stück waren Variationen vom Concertgeber (Variationen – also, ge-nau genommen, wieder multiplicirte Kleinigkeiten). Recht gerne hätten wir bei jenem musikalischen déjeûner à la fourchette eine solide Haupt- und Mittelschüssel gesehen, etwa eine Sonate von C. M. v. Weber, von Schubert oder sonst etwas dergleichen. Wir wollen aber auch dankbar anerkennen, daß die Wahl jener rei-zenden musikalischen Nippes nicht bloß eine sehr glückliche, sondern auch eine sehr instructive war: wir machten gleichsam einen anschaulichen historischen Cursus der pianistischen Kleinkunst durch, vom alten Johann Sebastian Bach, der auch im Kleinen groß blieb, angefangen und von dessen umgänglicherem Sohne Karl Philipp Emanuel Bach (dem Vorläufer Haydns und Mozarts) bis auf den auch als Componist so hochbegabten Concertgeber selbst. Wir hätten bei diesem lie-benswürdigen, praktischen Collegium über Musikgeschichte sogar nichts dagegen gehabt, wenn Rubinstein noch weiter und bis auf Domenico Scarlatti, François Couperin, Rameau zurückgegriffen haben würde. Bei so grundverschiedenen künstlerischen Individualitäten, wie z. B. Händel und Chopin, bewies in der cha-rakteristischen und fein empfundenen Wiedergabe ihrer Werke Rubinstein eine glänzende Vielseitigkeit, wie man sie bei einem Künstler seines Ranges allerdings zu erwarten das volle Recht hat. Ueber Rubinstein, der unter den pianistischen Größen unserer Zeit mit in allererster Reihe steht, noch etwas zu sagen, wäre über-flüssig. Glanz, Kraft, geistvolle Auffassung, vollendete Technik. Dazu gewisse Specialitäten, wie sein berühmtes Crescendo und Decrescendo, mit welchem er z. B. in dem bekannten türkischen Marsch von Beethoven das Publicum jedesmal hinreißt. Besonders wissen wir es dem Künstler Dank, daß er sich John Fields er-innerte, dessen poetische Notturnos in gleicher Weise nach Mendelssohn und nach Chopin weisen.

Eben so dankbar dürfen wir für Schumanns Studien für den Pedalflügel sein, die für das bloße äußere Ansehen den schönsten Liedern ohne Worte gleichen und nur dem Kenner ihre innere Structur erschließen, daß jedes dieser Stücke einen kunstvollen Kanon birgt. Was Rubinstein als Virtuose vermag, zeigte die Liszt’sche Transscription des „Erl-Königs“ – noch mehr vielleicht die Variationen.

Man verstehe das vorhin Gesagte recht, – nimmt man die Variationen nicht als Zusammenfügung einzelner Veränderungen, sondern als ganzes Variationenwerk, so gehören sie ins große, ja ins kolossale Genre und fordern eine entsprechende Virtuosität. Frau Jauner-Krall sang Lieder von Mozart, Schubert und Mendels-sohn mit sehr schönem Vortrag. Der Besuch des Concertes war der stärkste, der Beifall enthusiastisch.

5

Rezensierte Veranstaltung

Konzert von Anton Rubinstein, 3. Jänner 1872, MVgr.

Rezensierte Werke

Carl Philipp Emanuel Bach: Rondo h-Moll (Sonate h-Moll Wq 55 Nr. 3) Johann Sebastian Bach: Präludium und Fuge c-Moll BWV 847, Präludium und Fuge D-Dur BWV 850 Beet-hoven: „Türkischer Marsch“ aus Die Ruinen von Athen op. 113 (Klavierbearbeitung von Rubin-stein) Chopin: Préludes op.  28 Nrn.  4, 7, 15 und 16, Études op.  10 Nrn.  3 und 11, op.  25 Nr. 12 Field: Nocturne A-Dur H 14 Georg Friedrich Händel: „Gigue“ aus der Suite A-Dur HWV 426 Mendelssohn: Fantaisie ou Capriccio (Scherzo) e-Moll op. 16 Nr. 2, „Frühlings-lied“ [Fassung?] Mozart: „Das Veilchen“ KV 476 Rubinstein: Thème et Variations op. 88, Barcarolle Nr. 4 G-Dur, Valse-Caprice Es-Dur Schubert: „An die Leier“ D 737, „Mignon“

[Fassung?], Nr. 2 „Wohin?“ aus Die schöne Müllerin D 795, „Der Erlkönig“ D 328 (Klavierbearbei-tung von Liszt, S 558 Nr. 4) Schumann: Nrn. 2, 4 und 5 aus den Studien für Pedalflügel op. 56 Erläuterungen

1 Rubinsteins] Anton Rubinstein (1829–1894), russ. Komponist, Pianist und Dirigent; 1871–

1872 künstlerischer Direktor der GdM. 2 Assietten] österr. veralt. „kleine Vor- oder Zwischen-gerichte“. 5f. „Ach … umzuwenden.“] Rossinis Ausspruch bezieht sich auf den Komponisten Auguste Panseron (1796–1859), dessen zahlreiche Romanzen meist nur eine Seite umfassen. An-ekdote überliefert etwa in: Europa. Chronik der gebildeten Welt 1 (1835), Bd. 1, S. 40. 9 déjeûner à la fourchette] frz. „Gabelfrühstück“. 13–17 historischen Cursus … bis auf den … Concert-geber selbst.] Außer den von Ambros explizit genannten Werken spielte Rubinstein: Carl Philipp Emanuel Bach, Rondo h-Moll (Sonate h-Moll Wq 55 Nr. 3); Johann  Sebastian Bach, Präludium und Fuge c-Moll BWV 847, Präludium und Fuge D-Dur BWV 850; Chopin, Préludes op. 28 Nrn. 4, 7, 15 und 16, Études op. 10 Nrn. 3 und 11, op. 25 Nr. 12; John Field, Nocturne A-Dur H 14;

Georg Friedrich Händel, „Gigue“ aus der Suite A-Dur HWV 426; Mendelssohn, Fantaisie ou Capriccio (Scherzo) e-Moll op. 16 Nr. 2; Rubinstein, Barcarolle Nr. 4 G-Dur, Valse-Caprice Es-Dur. 40 Jauner-Krall] Emilie Jauner-Krall (1831–1914), Sopran, Ehefrau des Schauspielers und Theater direktors Franz Jauner; 1848 Debüt an der Wr. Hofoper, 1856–1871 an der Hofoper in Dresden, ab 1871 in Wien hauptsächlich als Konzertsängerin tätig.

2 .

WZ 1872, Nr. 5, 9. Jänner

ά–ς (Erste Beethoven-Soirée v. Bülows.) Der Gedanke, eine Reihe Beet-hoven’scher Klaviercompositionen, welche zugleich den Gang der künstlerischen Entwicklung des großen Meisters anschaulich machen, zu Gehör zu bringen, ist ohne Zweifel ein sehr glücklicher und Herr v. Bülow ganz dazu berufen, diesen Gedanken in glänzender Weise zu verwirklichen. Die neue Ausgabe der Klavier-werke Beethovens, welche ganz kürzlich bei J. G. Cotta erschienen ist (wir können sie, beiläufig gesagt, nicht warm genug empfehlen), zeigt in ihren instructiven Zusätzen, welche von der bekannten großen „Waldstein-Sonate“ in C dur anzufan-gen von Hans v. Bülow herrühren, wie tief der moderne Pianist nicht allein in den

10

15

20

25

30

35

Geist Beethovens, sondern auch in die Geheimnisse seiner Technik eingedrungen.

Beim Wiener Publicum hat sich Herr v. Bülow im vorgestrigen philharmonischen Concert durch den Vortrag des in jedem Sinne großen Klavierconcertes in Es von Beethoven in der allergünstigsten Weise eingeführt; diese Beethoven-Abende kön-nen nur dazu diekön-nen, seikön-nen Ruf zu befestigen. Die Wahl der Stücke ist die glück-lichste, – sie sind eben so instructiv in ihrem Zusammenhange als an sich genom-men schön. Ein sehr feiner Zug ist es, daß Bülow mit der grandiosen Phantasie (in C-moll) von Mozart gleichsam präludirte. Ein würdigeres Präludium für Beet-hoven giebt es schwerlich und so wenig ich den landläufigen Satz unterschreiben möchte, daß Beethoven in seiner ersten Periode eben nur ein palingenesirter Mozart sei, so wahr ist es andererseits, daß er von seinen großen Vorgängern Mozart und Haydn seinen Ausgangspunkt nimmt. So wird uns denn Bülow „mit bedächt’ger Schnelle“ durch jenes ganze große geistige Gebiet führen, welches der bekannte Musikschriftsteller Wilhelm v. Lenz in „die drei Style Beethovens“ thei-len zu müssen glaubt, den sechs oder acht „Stythei-len“, welche Baini in seinem Pale-strina nachweisen will, gegenüber allerdings noch bescheiden genug. Eigentlich aber guckt aus allen „drei Stylen“ am Ende doch das bekannte Gesicht Beethovens mit dem düsteren Blick und Lächeln und der Löwenmähnen-Frisur kenntlich ge-nug heraus. Allerdings aber ist die Luft, die wir z. B. in den ersten drei, Joseph Haydn gewidmeten Sonaten athmen, eine ganz andere als der Aether jener Regio-nen, zu welchen uns die letzten Sonaten (op. 106 bis 111) emporreißen. Diesmal galt es der Maniera prima des Meisters. An das edle Pathos der Mozart’schen Phantasie (es war die à Madame Mozart dedicirte) schloß sich sehr gut die Sonate pathétique (Adagio besonders schöne, Rondo vielleicht etwas zu schnell), dann die lieblichen Variationen (Thema in F, die Veränderungen promeniren durch verschiedene Tonarten); sofort die schöne Sonate in Es mit dem so innig antheilsvoll fragenden Anfang, – ob Beethoven das Tempo des ersten Satzes gutgeheißen hätte? Die bei-den Sonate quasi Phantasie op. 27 – außerorbei-dentlich schön vorgetragen. Den Schluß bildeten die grandiosen Variationen in Es, denen das Finale der Eroica nachge-bildet ist (nicht umgekehrt). Bülow feierte einen wohlverdienten Triumph.

Rezensierte Veranstaltungen

Philharmonische Konzerte (Viertes Abonnementkonzert), 7. Jänner 1872, MVgr. Erster Beet-hoven-Abend von Hans von Bülow, 8. Jänner 1872, MVkl.

Rezensierte Werke

Beethoven: Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73, Klaviersonate c-Moll op. 13 (Pathétique), Kla-viersonate Es-Dur op. 27 Nr. 1, KlaKla-viersonate cis-Moll op. 27 Nr. 2 (Mondschein), KlaKla-viersonate Es-Dur op. 31 Nr. 3, 6 Variationen F-Dur über ein eigenes Thema op. 34, 15 Variationen und Fuge Es-Dur über ein eigenes Thema op. 35 (Eroica-/Prometheus-Variationen) Mozart: Fanta-sie c-Moll KV 396

Erläuterungen

4 Bülow] Hans von Bülow (1830–1894), dt. Dirigent, Pianist und Komponist; 1872–1877 Konzert reisen als Virtuose. 6 bei J.  G. Cotta erschienen] Instructive Ausgabe Klassischer

5

10

15

20

25

Klavier werke. Unter Mitwirkung von Hans von Bülow, Immanuel Faisst, Ignaz Lachner, Franz von Liszt. Bearbeitet und herausgegeben von Dr. Sigmund Lebert […]. Dritte Abtheilung. Sonaten und andere Werke für das Pianoforte von Ludwig van Beethoven, Bde. 4 und 5: Beethoven’s Werke für Piano forte Solo von op. 53 an, in kritischer und instructiver Ausgabe mit erläuternden Anmerkungen […] von Dr. Hans von Bülow, Stuttgart [1871]. 6f. wir können sie … empfehlen] Zu Ambros’

umfassender Rezension von Bülows Edition Nrn. 8, 9 und 10. 19 palingenesirter] wieder-geborener. 21f. „mit bedächt’ger Schnelle“] Goethe, Faust 1, 241. 23 „die drei Style Beet-hovens“] Wilhelm von Lenz, Beethoven et ses trois styles. Analyses des sonates de piano suivies de l’essai d’un catalogue critique chronologique et anecdotique de l’œuvre de Beethoven, 2  Bde., St. Peters burg 1852. Lenz ordnet die Sonaten opp. 2–22 der ersten, opp. 26–90 der zweiten und opp. 101–111 der dritten Periode zu. 24f. Baini in seinem Palestrina] Giuseppe Baini, Memorie storico-critiche della vita e delle opere di Giovanni Pierluigi da Palestrina, 2 Bde., Rom 1828. Baini unterscheidet sogar zehn Stile. 29 Haydn gewidmeten Sonaten] Klaviersonaten f-Moll, A-Dur und C-Dur op. 2.

3.

WZ 1872, Nr. 10, 14. Jänner

ά–ς (Hanns v. Bülows zweiter Beethoven-Abend.) Dieser zweite Abend führte uns eine Reihe Beethoven’scher Compositionen vor, welche (nach Lenz’scher Terminologie) der „zweiten Periode“ angehören, er führte uns sogar bis hart an die Grenze der dritten; denn das Rondo op. 129 (die „Wuth über den verlorenen Gro-schen“) und die Sonate op. 81 (les adieux, l’absence et le retour) bilden augenschein-lich schon den Uebergang zu der „dritten Periode“ – einer Epoche des Meisters, vor der bisher so Viele, die dem Tondichter bis dahin gefolgt, verzagt umkehrten, da ihnen das Eindringen in dieses geheimnißvolle Zauberreich, wo uns Schritt nach Schritt Ungewohntes, räthselhaft Tiefsinniges begegnet, gar zu gefährlich scheinen mochte. An der Hand eines Künstlers, wie Herr v. Bülow, diesen Weg zu wandeln, ist wohl das sicherste Mittel, auch das größere Publicum, wenn es Aufmerksamkeit und Antheil entgegenbringt, mit dem Ungewohnten vertraut zu machen. Auch in dieser zweiten Abtheilung wurden Stücke vorgeführt, welche hier vielleicht zum ersten Male den Weg in den Concertsaal gefunden: das schon erwähnte burlesk- geniale Rondo und die Phantasie op. 77, welche gleich der „Chorphantasie“ uns gleichsam einen Einblick in die arbeitende „Phantasie“ des Tondichters thun läßt, ein förmlicher musikalischer Schöpfungsact, wo sich ein (musikalischer) Organis-mus nach dem anderen und aus dem anderen entwickelt – oder wenn man will, die von Goethe zum Gleichnisse gebrauchte Uhr mit krystallenem Gehäuse, welche uns nicht bloß die Stunde zeigt, sondern auch das treibende Räderwerk. Die zwei-unddreißig Variationen in C-moll sind auch wieder ein Einblick in die geistige Werkstätte Beethovens, Studienblätter eines genialen Meisters, der hier aus einem kurzen Thema, aus einer energisch ausgeprägten musikalischen Phrase eine ganze, weite, reiche Welt von Musik entwickelt – wie das nun so eben seine Art und Weise war. Auch diese Variationen sind sehr ungewohntes Concertgut – die hochbegabte Pianistin Mary Krebs setzte sie auf ihr americanisches Concertprogramm; diesseits

30

35

40

45

des großen Oceans, bei uns, ist Herr v. Bülow der Erste, welcher dieser merkwürdi-gen Arbeit des Meisters die gleiche Rücksicht getramerkwürdi-gen. Man möge bemerken, daß jede der drei Soiréen ein großes Variationenwerk bringt. Die erste die großen Pro-metheus- (oder Eroica-) Variationen, die zweite die eben genannten in C-moll, die dritte das non plus ultra der „Veränderungen über den Diabelli’schen Walzer“ – drei Werke, deren eines auf das andere hinüberweist. Die Wahl, welche Bülow für seine drei Abende traf, ist eben so anerkennenswerth – ein trefflicher Feldzugsplan – als die Meisterleistung des Pianisten in der Ausführung. Die D-moll-Sonate op.  31, Nr. 2, die (zuerst von Clara Wieck als „concertfähig“ erkannte) Sonate in F-moll op. 57 und die zweisätzige E-moll-Sonate op. 90 sind hohe Tondichtungen, die wir nur zu nennen brauchen; jedermann kennt und jedermann liebt sie. Ein Militär-marsch und drei Menuetten, nach Bülows Uebertragung, waren willkommene Bei-gaben, kleine Intermezzi zwischen den größeren Werken, wie sie der Hörer gleich-sam zur Erholung nach dem hohen geistigen Fluge wünscht und braucht. Speciell danken wir Herrn v. Bülow für das Rondo; – wenn Beethoven recht gut gelaunt war, pflegte er zu sagen: „Heut’ bin ich einmal wieder recht aufgeknöpft“ – und als er dieses Rondo schrieb, war er sehr, sehr „aufgeknöpft“. Um diesem „Scherz“ zu genügen, muß man freilich im Ernst ein großer Virtuose sein, und mehr als das: ein großer Künstler. Wir verweisen statt alles Anderem den Leser auf die geistvollen Bemerkungen, mit denen gerade dieses Stück in der Cotta’schen Ausgabe von Herrn v. Bülow besonders reich ausgestattet und eingehend commentirt worden ist.

Rezensierte Veranstaltung

Zweiter Beethoven-Abend von Hans von Bülow, 13. Jänner 1872, MVkl.

Rezensierte Werke

Beethoven: Fantasie op. 77, Klaviersonate d-Moll op. 31 Nr. 2 (Der Sturm), Klaviersonate f-Moll op. 57 (Appassionata), Klaviersonate Es-Dur op. 81a (Les Adieux), Klaviersonate e-Moll op. 90, Marsch D-Dur WoO 24 (Klavierbearbeitung von Bülow), Menuette WoO 7 (Klavierbearbei-tung von Bülow), Rondo a capriccio G-Dur op. 129 (Die Wut über den verlornen Groschen), 32 Variationen über ein eigenes Thema c-Moll WoO 80

Erläuterungen

2f. nach Lenz’scher Terminologie] Nr.2/Erl.zur Z. 23. 13f. vielleicht zum ersten Male]

Beethovens Opp. 77 und 129 gehörten zum festen Konzertrepertoire Bülows. Das erstgenannte Werk hat Bülow zum ersten Mal nachweislich 1861 in Wismar gespielt, das letztgenannte 1867 in München. Vgl. Hans-Joachim Hinrichsen, Musikalische Interpretation Hans von Bülow, Stutt-gart 1999 (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 46), S. 461f. 19f. von Goethe … Rä-derwerk.] Goethes Vergleich bezieht sich auf Shakespeares Figuren, die so handeln, „als wenn sie Uhren wären, deren Zifferblatt und Gehäuse man von Kristall gebildet hätte“. Wilhelm Meisters Lehrjahre, in: Goethe, MA, Bd. 5, S. 191. 26 Mary Krebs] (1851–1900), dt. Pianistin; europa-weite Konzertauftritte, 1870–Juli 1872 Konzertreise durch die USA. Ambros widmete ihr seine Klaviersonate c-Moll op. 19. 38 drei Menuetten] aus Menuette WoO 7. 42 „Heut’ bin ich

… aufgeknöpft“] Freizitat aus: Schindler, Biographie von Ludwig van Beethoven, S. 252. 46 in der Cotta’schen Ausgabe] Nr. 2/Erl.zur Z. 6.

5

10

15

20

25

4 .

WZ 1872, Nr. 13, 18. Jänner

ά–ς (Mozarts „Entführung aus dem Serail“ im k. k. Hofoperntheater.) Die Wiederaufführung einer Mozart’schen Oper ist für die Freunde guter Musik immer ein Fest. Diesmal hielt das jugendfrische Werk, von dem Mozart selbst er-klärt hatte, „es sei so recht für die Wiener“, seinen Einzug im neuen Opernhause.

Welcher Glanz von Jugend ruht auf dieser Musik, welche Frische und Heiterkeit lebt darin! Was der alte Hiller mit seinen noch ganz kindlichen Singspielen gleich-sam in ganz schüchternen Versuchen gewagt, die Schöpfung einer deutschen Oper, ist hier glänzend erreicht. Echt deutsche Innigkeit, reine Empfindung, schwärme-rische Liebe spricht hier in Tönen, wie ihrer vor Mozart niemand mächtig gewe-sen, und das Colorit des Orients spielt mit seinem Farbenzauber mährchenhaft hinein. Die Aufführung war eine treffliche, Frau Wilt bewegte sich als Constanze allerdings in einer Sphäre, welche nicht völlig die ihrer künstlerischen Individuali-tät ist, löste aber ihre Aufgabe in so vorzüglicher Weise, wie man es von einer so eminenten Sängerin erwarten kann. Blondchen ist dagegen eine Partie, welche für Frl. Minnie Hauck recht eigens componirt scheint, wo denn die Sängerin in Spiel und Gesang ihre ganze Anmuth entwickeln konnte. Osmin stand contrastirend neben ihr – wie ein Elephant neben einer Gazelle – recht wie es Mozart haben wollte. Herr Rokitansky wußte dieser Gestalt, welcher an origineller Komik viel-leicht nur Shakspeare’s (allerdings anders angelegter) Falstaff an die Seite gesetzt werden kann, die nöthigen drastischen Effecte abzugewinnen. (Der prächtige Gähn-Refrain im ersten Liede!) Die letzte Arie sang er, wie sie Mozart geschrieben, – wenige Bassisten vermögen das! Sehr schön sang Herr Walter den Belmonte, besonders die wundersam empfindungsvolle Arie „O wie ängstlich!“ Recht brav war Herr Pirk als Pedrillo. Chöre und Orchester unter Herbecks trefflicher Lei-tung gingen, wie immer, vorzüglich. Eine Tenorarie aus „Cosi fan tutte“, ausge-zeichnet von Herrn Walter vorgetragen, fügte sich sehr gut ein. Der Gedanke, das bekannte „Rondo alla turca“ (aus einer Klaviersonate) in sehr wirksamer Instru-mentirung als Entreact zu benützen, ist glücklich. Das Publicum war sehr animirt und zeichnete alle Mitwirkenden lebhaft aus.

Rezensierte Veranstaltung

Mozart, Die Entführung aus dem Serail, 17. Jänner 1872, Hofoper Erläuterungen

3f. von dem Mozart … für die Wiener“] Mozarts Äußerung aus dem Brief an Leo pold Mozart vom 26. September 1781 (MBA, Bd. 3, S. 163) bezieht sich auf den Janitscharenchor. Wahr-scheinliche Zitatquelle für Ambros: Jahn, Mozart, Bd. 3, S.  123. 6 Hiller] Johann Adam Hiller (1728–1804), dt. Komponist, Kapellmeister und Thomaskantor. 11 Wilt] Marie Wilt (1833–1891), Sopran; Debüt 1865 in Graz, 1867–1877 und dann wieder ab 1886 an der Wr. Hof-oper, 1869 Gastspiel in Prag. 15 Hauck] Minnie Hauk (1851–1929), dt.-amer. Sopran; Euro-padebüt 1869 in Paris, 1871–1872 an der Wr. Hofoper und 1874 an der Komischen Oper in Wien, 1874–1878 an der Berliner Hofoper, zahlreiche Gastspiele in Europa wie auch in

Ameri-5

10

15

20

25

30

ka. 18 Rokitansky] Hans von Rokitansky (1835–1909), Bass; 1862–1864 am Landestheater in Prag, 1864–1893 an der Wr. Hofoper, 1871–1875 Prof. am Konservatorium der GdM. 22 Walter] Gustav Walter (1834–1910), Tenor; 1855 Debüt am Stadttheater in Brünn, 1856–1887 an der Wr. Hofoper. 24 Pirk] Engelbert Pirk (1835–1888), Tenor; 1869–1875 an der Wr. Hof-oper. 24 Herbecks] Johann von Herbeck (1831–1877), Dirigent und Komponist; 1858–1870 Leiter des Wr. Singvereins, Leiter der Gesellschaftskonzerte der GdM (1859–1870, 1875–1877), 1870–1875 Direktor der Wr. Hofoper. 25 Tenorarie aus „Cosi fan tutte“] Die Arie „Un’aura amorosa“ („Der Odem der Liebe“) wurde im II. Akt eingeschoben. 27 aus einer Klaviersona-te] Klaviersonate A-Dur KV 331; der von Herbeck instrumentierte „Türkische Marsch“ hat den II. Akt eingeleitet.

5.

WZ 1872, Nr. 14, 19. Jänner

ά–ς (Dritte und letzte Beethoven-Soirée Herrn v. Bülows.) Ende gut, Alles gut – konnte man diesmal mit Recht rufen. Die Beethoven-Abende Hans v. Bülows sind ein Unternehmen, welches in der „Geschichte des Concertwesens“

bisher seinesgleichen nicht gehabt hat. Man muß ein so profunder Beethoven- Kenner, man muß aber auch ein technisch so vollendeter Pianist sein wie Herr v. Bülow, um dergleichen wagen zu können. Sagen wir, daß er an jedem dieser Abende drei bis vier Sonaten eines und desselben Componisten (die anderweitigen Stücke gar nicht gerechnet) spielte und daß es ihm bei fast dritthalbstündiger Concertdauer gelang, sein Publicum in athemloser Spannung zu erhalten, ja, daß gegen die letzten Nummern hin die Theilnahme eher stieg, so brauchen wir eigent-lich gar nichts mehr hinzuzufügen. Es wird nicht das größte Gewicht darauf zu legen, aber es wird mit Bewunderung zu erwähnen sein, daß Bülow alle diese Stücke auswendig spielte. Es liegt in dieser ganz äußerlichen Thatsache eben nur ein Beweis mehr, wie Bülow mit Beethoven vertraut ist. Diese unfehlbare Sicher-heit bei dieser Masse Musik! Herr v. Bülow trägt eine musikalische Bibliothek im Kopfe mit sich herum. Wir haben durch diese drei Abende Beethoven in seiner Entwicklung kennen gelernt (vorausgesetzt, daß wir noch nöthig hatten, ihn ken-nen zu lerken-nen), aber wir lernten auch Herrn v. Bülow kenken-nen, von dessen künstle-rischer Individualität wir eigentlich erst jetzt ein volles und ganzes Bild gewonnen haben. Es wird im Einzelnen vielleicht über Manches zu streiten sein, über diese oder jene Temponahme, über diese oder jene Accentuirung und Phrasirung u. s. w.;

im Ganzen wird sich niemand haben dem Eindrucke entziehen können, daß wir in Herrn v. Bülow einen Künstler allerersten Ranges vor uns hatten. Die tiefe Stille in dem Hörerraume während gewisser cantabler Stellen, Adagios u. s. w. ist für Herrn v. Bülow ein vielleicht noch glänzenderes Zeugniß als der begeisterte Bei-fall, der zum Schlusse der Stücke aus allen Ecken und Enden erschallte.

Der dritte und letzte Abend brachte nichts Geringeres als folgende Stücke:

Der dritte und letzte Abend brachte nichts Geringeres als folgende Stücke:

Im Dokument -R EZ ENSION EN 1872–1876 (Seite 27-200)