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Restitution und Entschädigung

I. Einleitung

2. Biografie und Wirken

2.4 Restitution und Entschädigung

Ferencz und seine Frau hatten geplant, nach der Abwicklung des OCCWC 1948 in die Vereinigten Staaten zurückzukehren. Ein neues Stellenangebot führte jedoch dazu, dass sie bis 1954 zunächst weiter in Nürnberg blieben, wo auch ihre vier Kinder geboren wurden; anschließend verbrachten sie zwei weitere Jahre in Frankfurt am Main. Im August 1948 wurde Ferencz zum Lei­

ter der deutschen Vertretung der in New York ansässigen Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) bestellt. Seine Tätigkeit wechselte somit von der strafrechtlichen Verfolgung der deutschen Täter zur Restitution und Ent­

schädigung für jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Er stattete sich selbst mit dem Titel »Generaldirektor« aus – in der Annahme, dass eine Kombina­

tion aus »General« und »Direktor« bei den Deutschen maximalen Eindruck machen würde.46

Das am 10. November 1947 von der US­Militärregierung in ihrem Macht­

bereich erlassene Rückerstattungsgesetz Nr. 59 (USREG) verwirklichte eine zentrale Forderung amerikanischer jüdischer Organisationen. Das soge­

43 Earl, Beweise, Zeugen, Narrative, 142–153; Ferencz, Benny Stories, Story 33: The Biggest Murder Trial in History.

44 Priemel / Stiller (Hg.), NMT, 781 f.

45 Nuernberg Military Tribunals, Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals Under Control Council Law No. 10, Nuernberg October 1946–April 1949, 15 Bde., Washington, D. C., 1949–1953.

46 Ferencz, Benny Stories, Story 38: Restitution of Confiscated Property.

nannte erbenlose jüdische Eigentum – es handelte sich um den Besitz ermor­

deter jüdischer Familien und aufgelöster jüdischer Organisationen – sollte nicht auch noch dem für diese Taten verantwortlichen deutschen Staat zufal­

len. Stattdessen sei dieses Vermögen einer jüdischen Nachfolgeorganisation zu übertragen, um es für den Wiederaufbau jüdischen Lebens – außerhalb Deutschlands, vor allem in Palästina beziehungsweise in Israel – zu verwen­

den. Zu diesem Zweck hatte eine Gruppe amerikanischer und internationaler jüdischer Organisationen die JRSO gegründet.47 Unter Leitung von Ferencz suchte diese in der US­Zone sowie im amerikanischen Teil Berlins systema­

tisch nach erbenlosem jüdischem Eigentum, wozu vor allem Grundstücke, Immobilien und Friedhöfe, aber auch rituelle Gegenstände zählten. Ferencz ließ systematisch Grundbücher nach Eigentumstransfers in der Zeit des Nationalsozialismus durchsuchen, bei denen die Namen der Vorbesitzer jü­

disch klangen. Am letzten Tag der Anmeldefrist reichte die JRSO schließlich 163 000 Ansprüche ein; darunter waren allerdings oft Dubletten bereits von den ehemaligen Besitzern oder ihren Erben gestellter Forderungen.48 Die Be­

strebungen zur Restitution trafen vielfach auf heftigen Widerstand der gegen­

wärtigen deutschen Besitzer des vormals jüdischen Eigentums, die sich in lautstarken Interessenverbänden organisierten. Dabei ging es gleichermaßen um Eigentumsrechte wie auch um die Bewertung der nationalsozialistischen Vergangenheit.49

Hinzu kam ein scharfer Konflikt der JRSO mit den nach 1945 wieder­

gegründeten jüdischen Gemeinden. In letzteren dominierten oftmals Flücht­

linge aus dem östlichen Europa, während die ehemaligen deutschen Juden, die infolge ihrer Emigration die Verfolgung überlebt hatten, gleichfalls auf Unterstützung durch die JRSO hofften. Der Streit um das Eigentum der ehe­

maligen jüdischen Gemeinden in Deutschland – die JRSO sprach bezeich­

nenderweise von einem »Gemeindeproblem« – drehte sich somit vor allem darum, inwieweit eine Kontinuität von den jüdischen Vorkriegsgemeinden zu den viel kleineren Nachkriegsgemeinden bestand. Deren Existenzrecht wurde von jüdischen Organisationen in Israel und der Diaspora, die vor allem das jüdische Volk als legitimen Erben des jüdischen Eigentums betrachteten, teils energisch bestritten. So berührte diese Kontroverse um die Ziele der Restitu­

47 Saul Kagan / Ernest H. Weismann, Report on the Operations of the Jewish Restitu­

tion Successor Organization 1947–1972, New York o. J. [1973]; Goschler, Schuld und Schulden, 107–110; Lillteicher, Raub, Recht und Restitution, 357–398.

48 Ferencz, Benny Stories, Story 38; Kagan / Weismann, Report on the Operations, 6 f.

49 Siehe vor allem Lillteicher, Raub, Recht und Restitution, 135–178 und 357–398; Wins­

tel, Verhandelte Gerechtigkeit; Goschler, Schuld und Schulden, 100–121.

tion nicht zuletzt die Frage, wo jüdisches Leben künftig stattfinden sollte und ob dies auch in Deutschland möglich sei.50

Ferencz verfolgte in diesen Auseinandersetzungen zwei Hauptziele. Ers­

tens wollte er verhindern, dass der deutsche Staat von den unter national­

sozialistischer Herrschaft begangenen Untaten auch noch profitierte. Zwei­

tens war er bestrebt, möglichst schnell flüssiges Kapital zum Wiederaufbau jüdischen Lebens zu mobilisieren. Diese Überlegungen führten schließlich zu Globalabkommen mit den vier Ländern der ehemaligen amerikanischen Be­

satzungszone (Bremen, Hessen, Baden­Württemberg, Bayern) und Westber­

lin, mit denen 1951/1952 die restlichen Forderungen der JRSO auf erbenloses jüdisches Eigentum für rund 48 Millionen DM pauschal abgelöst wurden.

Damit versuchten die deutschen Länder zugleich auch die in der deutschen Nachkriegsgesellschaft weit verbreitete Verärgerung über die von alliierten Gesetzen geprägte Rückerstattung jüdischen Eigentums abzufedern.51 Zwar erhielt die JRSO insgesamt nur einen kleineren Teil der Summe, während der größere Teil an individuelle jüdische Erben sowie westdeutsche jüdische Gemeinden ging. Doch zog sie den Großteil der öffentlichen Kritik in der Bundesrepublik auf sich und wurde dort zum Symbol der von den Alliierten oktroyierten Restitution.52 Nach den Nürnberger Prozessen stand Ferencz somit als Leiter der JRSO zum zweiten Mal im Fokus deutschen vergangen­

heitspolitischen Unmuts.

1951 erklärte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer zu Gesprächen mit dem Staat Israel und Vertretern der jüdischen Diaspora über materielle Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik für jüdische Opfer des Nationalsozialismus bereit. Mehrere jüdische Organisationen aus aller Welt gründeten als gemeinsame Interessenvertretung die Conference on Jewish Material Claims Against Germany (kurz: Jewish Claims Conference, JCC).

Als diese vor dem ersten Treffen mit der deutschen Delegation ihre Verhand­

lungspositionen klärte, war Ferencz einer der nach London eingeladenen

50 Goschler, Wiedergutmachung, 172–180; Michael Brenner / Norbert Frei, Zweiter Teil: 1950–1967. Konsolidierung, in: Michael Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart. Politik, Kultur und Gesellschaft, München 2012, 153–293, vor allem 153–182; Lustig, Who Are to Be the Successors of European Jewry?; Schreiber, New Jewish Communities in Germany after World War II; Takei, The »Gemeinde Problem«.

51 Kagan / Weismann, Report on the Operations, 8–10; Ferencz, Benny Stories, Story 41:

Bulk Settlements for Property Claims; Winstel, Verhandelte Gerechtigkeit, 237–267;

Schreiber, New Jewish Communities in Germany after World War II, 181 f.

52 Goschler, Wiedergutmachung, 182.

Experten.53 Angesichts der massiven Kritik aus jüdischen Kreisen, sich über­

haupt auf solche Gespräche mit den Deutschen einzulassen und damit »Blut­

geld« für die Millionen ermordeter Juden zu verlangen, verteidigte er dieses Vorgehen. Als Jurist waren ihm solche Übersetzungsvorgänge von mora­

lischer Schuld in materielle Schulden geläufig, wenngleich er stets ein feines Gespür für die sich hier öffnenden Abgründe behielt.54

Ferencz gehörte als Rechtsberater auch der Delegation der Jewish Claims Conference an, die unter großen Sicherheitsvorkehrungen seit März 1952 mit Vertretern der Bundesrepublik im niederländischen Wassenaar verhandelte.

Die außerordentlich schwierigen und teilweise dramatischen Gespräche en­

deten schließlich am 10. September mit der Unterzeichnung eines umfang­

reichen Abkommens durch den deutschen Bundeskanzler, den israelischen Außenminister Moshe Sharett sowie den Präsidenten der JCC Nahum Gold­

mann in Luxemburg. Ferencz gehörte zu den Teilnehmern der Unterzeich­

nungszeremonie, die durch »rituelle Distanz« (Dan Diner) der jüdischen gegenüber der deutschen Seite geprägt war. Sie war Ausdruck der unauflösba­

ren Spannung zwischen den unermesslichen Dimensionen des Verbrechens und den mit den Deutschen vereinbarten konkreten materiellen Leistungen.

Neben einem Vertrag mit Israel über eine Globalentschädigung in Höhe von drei Milliarden DM wurden zwei Protokolle mit der Jewish Claims Confe­

rence unterzeichnet. Protokoll Nr. 1 enthielt die ausgehandelten Grundsätze zur Verbesserung der bestehenden individuellen Entschädigungs­ und Rück­

erstattungsgesetze; Protokoll Nr.  2 legte eine von der JCC zu verwaltende Globalentschädigung in Höhe von 450 Millionen DM fest.55

In den folgenden Jahren arbeitete Ferencz intensiv daran, die in Luxem­

burg erzielten Wiedergutmachungsvereinbarungen mit der Bundesrepublik umzusetzen. Dazu gehörte vor allem das 1953 erlassene Bundesergänzungs­

gesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, auf dem auch das 1956 in Kraft getretene und bis 1965 mehrfach novellierte Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Ver­

folgung (Bundesentschädigungsgesetz, BEG) basierte.56 Unter der Leitung von Ferencz, der 1950 gerade erst 30 Jahre alt geworden war, beeinflussten jüdische Juristen nicht nur die weitere Entwicklung der Entschädigungs­

53 Ferencz, Benny Stories, Story 42: A Treaty to Compensate Victims.

54 Siehe dazu Goschler, Schuld und Schulden, 163.

55 Siehe insbesondere Sagi, Wiedergutmachung für Israel; Jelinek, Deutschland und Israel 1945–1965, vor allem 161–250; Hansen, Aus dem Schatten der Katastrophe, 155–366; Goschler, Schuld und Schulden, 159–175; Diner, Rituelle Distanz.

56 Hockerts, Wiedergutmachung in Deutschland, 182–185; Goschler, Schuld und Schul­

den, 181–203.

gesetzgebung, sondern sorgten auch dafür, die daraus resultierenden Ansprü­

che praktisch umzusetzen und jüdischen Verfolgten zu ihrem Recht zu ver­

helfen. Zusätzlich zur Leitung der JRSO in Deutschland übernahm Ferencz 1953 die Stellung als Direktor der Jewish Claims Conference für Deutschland.57

Im Jahr darauf wurde er zudem Verwaltungsdirektor der 1948 in London als internationale privatrechtliche Organisation gegründeten United Resti­

tution Organization (URO). Diese bot den in aller Welt lebenden jüdischen Verfolgten des Nationalsozialismus bei ihren Rückerstattungs­ und Entschä­

digungsansprüchen juristische Beratung und Unterstützung und unterhielt dazu Büros in einer Vielzahl von Ländern. Zuvor waren das bisher schon eng zusammenarbeitende Legal Aid Department der JRSO und die URO unter einem gemeinsamen Dach zusammengefasst worden. Mit dieser organisato­

rischen und personellen Veränderung verstärkte sich auch der Einfluss der amerikanischen jüdischen Organisationen gegenüber den bislang in der URO dominierenden jüdischen Emigranten aus Deutschland.58 Unter Leitung von Ferencz wuchs seit Mitte der 1950er Jahre ein gewaltiger Apparat heran. 1955 wurden bereits rund 65 000 Antragsteller von etwa 700 teils in Deutschland, teils in internationalen Außenstellen arbeitenden Mitarbeitern betreut, und diese Zahlen stiegen später noch beträchtlich an.59 Die Arbeit der URO trug erheblich dazu bei, dass im Lauf vieler Jahre zahlreiche jüdische Überlebende ihre Entschädigungsansprüche realisieren konnten.

Ferencz leitete damit Mitte der 1950er Jahre die drei wichtigsten jüdischen Organisationen in Deutschland auf dem Feld der Wiedergutmachung. Dies verdankte sich seinem organisatorischen Geschick, brachte ihm aber finan­

ziell wenig ein. Er erhielt lediglich ein einziges – nicht besonders üppiges – Gehalt für seine Tätigkeit bei der JRSO.60

57 Zur Jewish Claims Conference siehe Ronald W. Zweig, German Reparations and the Jewish World. A History of the Claims Conference, London / Portland, Oreg., ²2001;

Marilyn Henry, Confronting the Perpetrators. A History of the Claims Conference, London / Portland, Oreg., 2007.

58 Hans Günter Hockerts, Anwälte der Verfolgten. Die United Restitution Organization, in: Herbst / Goschler (Hg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, 249–271, hier 254 und 256 f.

59 Ebd., 260; Bentwich, The United Restitution Organization 1948–1968, 27–30.

60 Ferencz, Benny Stories, Story 44: Implementing Compensation Agreements.