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Reisehäufigkeit und relativer Bahnanteil als

Die Diskussion des praxisorientierten Begriffs des Reiseanlasses als ad-hoc Segmentierungskriterium, das mehrere Variablen unterschiedlicher Bezugsebe-nen (situative und persönliche) miteinander kombiniert,238 konnte bereits die praktische Relevanz der Reisehäufigkeit für das Verkehrsmittelwahlverhalten aufzeigen. Begründet werden kann der Zusammenhang zwischen Reisehäufig-keit und der Verkehrsmittelwahl damit, dass Personen bei hoher ReisehäufigReisehäufig-keit mit einem bestimmten Verkehrsmittel (ungeachtet ob es sich um Pendler auf je-weils der gleichen Strecke oder um anteilig am Gesamtreisevolumen Bahnviel-reisende handelt) ihre Verkehrsmittelwahlentscheidung überwiegend habituali-siert treffen. So könnte ein Handwerker, der Kundenbesuche durchführt, die ständige Flexibilität sowie den großen Stauraum seines Pkws als überlegene Nettonutzenkomponente identifiziert haben. Die Möglichkeit, die Zeit nutzen zu können, stellt demgegenüber eine überlegene Nettonutzenkomponente von Bahnreisen dar.239

Die zentrale Begründung für den hier vermuteten Einfluss der Reisehäufigkeit (bzw. Nutzungsintensität)240 auf die Bewertung der zeitbezogenen Nutzenkom-ponenten fußt auf der Theorie der lnformationsökonomie.241 Entsprechend der

238 Vgl. Kapitel B.4.111.

239 Vgl. Forschungsstelle Bahnmarketing, Reisezeit ist Nutzzeit, Ergebnisse der Pkw- und Flug-reisendenbefragung, unveröffentlichte Studie im Auftrag der Deutschen Bahn AG, a. a. 0.

240 Vgl. Meffert, H., Marketing, Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung, Konzepte, Instrumente, Praxisbeispiele, 9. Aufl., Wiesbaden 2000, S. 210.

241 Die Theorie der Informationsökonomie basiert auf den Annahmen, dass Wirtschaftssubjekte erstens unter unvollständigen Informationen handeln (müssen) und zweitens eine Informati-onsbeschaffung mit Kosten verbunden ist. Allein diese Annahmen führen zu der Existenz ei-nes Marktes für Informationen. Die Theorie findet Anwendung in der Volks- und Betriebswirt-schaftslehre und wird seit einigen Jahren insbesondere in der Marketingforschung verwen-det. Vgl. Weiber, R., Was ist Marketing?, Ein lnformationsökonomischer Erklärungsansatz,

Informationsunsicherheit bei der Beurteilung von Leistungsmerkmalen wird in der Informationsökonomie normalerweise eine Unterscheidung zwischen Such-, Er-fahrung- und Vertrauenseigenschaften vorgenommen.242 Dabei lassen sich das Vorhandensein und die Güte von Sucheigenschaften seitens der Nachfrager be-reits vor dem Kauf bzw. der Auswahl einer Leistung problemlos ermitteln. Erfah-rungseigenschaften können im Hinblick auf ihre Qualität erst nach dem Kauf be-urteilt werden, während Vertrauenseigenschaften weder vor noch nach der Inan-spruchnahme der Dienstleistung oder nur zu prohibitiv hohen Kosten beurteilt werden können.

Im Hinblick auf die zeitbezogenen Nutzenkomponenten Reisedauer und Zeitver-wendung ist zu konstatieren, dass diese sich hinsichtlich ihrer Einordnung in die drei Eigenschaftskategorien maßgeblich unterscheiden. Die Reisedauer ist den Sucheigenschaften zuzuordnen, da sie bereits vor der Bahnreise mit Hilfe von Fahrplänen oder anderen Informationsmedien zur Fahrplanauskunft bestimmt werden kann.243 Die Möglichkeit der Zeitnutzung hingegen ist jedoch von einer Vielzahl endogener Steuerungsparameter (Basis- und aktivitätenbezogene Po-tenziale) abhängig, so dass diese erst nach der Bahnreise abschließend beurteilt werden kann, womit die für die Zeitverwendung maßgeblichen Leistungsei-genschaften als Erfahrungseigenschaften zu klassifizieren sind.244 Hieraus lässt sich folgern, dass der Nutzen der Zeitverwendung vor der Inanspruch-nahme einer Bahnreise praktisch nicht zu quantifizieren ist. Diese Einordnung der für die Zeitverwendung notwendigen Steuerungsparameter muss jedoch wei-ter differenziert werden: Bei steigender Reisehäufigkeit erlernt ein Reisender die

in: Weiber, R. (Hrsg.), Arbeitspapier zur Marketingtheorie Nr. 1 der Universität Trier, 2. Aufl., Trier 1996, S. 55ff.

242 Vgl. Adler, J., lnformationsökonomische Fundierung von Austauschprozessen, a. a. 0., S.

7ff.

243 Aufgrund des in den letzten Jahren relativ hohen Anteils von verspäteten Zügen ließe sich auch argumentieren, dass die Reisedauer zwischen Such- und Erfahrungseigenschaften an-zusiedeln sei.

244 Vgl. zur informationsökonomischen Einordnung von Verkehrsdienstleistungen Meffert, H., Perrey, J., Schneider, H., Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung im Verkehrs-dienslleistungsbereich, a. a. 0., S. 9ff.

ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Zeitnutzung und kann sich bei Folgereisen auf diese einstellen,245 indem er komplementäre, aktivitätenbe-zogene Potenziale bei der Reise mitführt.246 Zusätzlich führt eine hohe Reise-häufigkeit mit der Bahn auch zu einer gestiegenen Prognosefähigkeit der si-tuativen Einflussfaktoren (z.B. Auslastung von Zügen zu bestimmten Tages-zeiten oder auf bestimmten Verbindungen), die ihrerseits den Nutzen der Zeit-verwendung beeinflussen.

Damit ist anzunehmen, dass Personen, die eine konkrete Vorstellung über die Nutzenkomponente der Zeitverwendung aufgrund persönlicher Erfahrungen ha-ben, der Bereitstellung aktivitätenbezogener Potenziale durch die Deutsche Bahn AG einen niedrigeren Nutzen beimessen als Personen, die über wenig Er-fahrung verfügen, da sie die Zeitverwendung weitestgehend selbst bestim-men.241

Hp1: Das Verhältnis vom Nutzen einer fixen Zeitverkürzung zum Nutzen der Zeitverwendung ist bei hoher Bahnreisehäufigkeit höher als bei niedriger Bahnreisehäufigkeit

Eng verknüpft mit der Bahnreisehäufigkeit, die gängigerweise mit der Anzahl der Bahnfahrten pro Jahr operationalisiert wird, ist die anteilige Nutzung der Bahn am gesamten Mobilitätsbedarf eines Reisenden (relativer Bahnanteil). Da der relative Bahnanteil ein Verhältnis ausdrückt, ist es durchaus denkbar, dass Rei-sende, die über eine hohe Reisehäufigkeit mit der Bahn verfügen (z. B. bei 10 Bahnfahrten pro Jahr), sich durch einen nur geringen relativen Bahnanteil

aus-245 Mit steigender Produkterfahrung nehmen Erfahrungseigenschaften damit den Charakter von Sucheigenschaften an. Vgl. Kaas, K.P., Busch, A., Inspektions-, Erfahrungs- und Vertrau-enseigenschaften von Produkten, a. a. 0., S. 247.

246 Beispielsweise könnte ein sich der Möglichkeit der Zeitnutzung bewusster Reisender ein Notebook mitnehmen. Damit würde ein konkreter Nutzen durch die Bereitstellung von z. B.

Steckdosen erst entstehen.

247 Ein dieser Vermutung ähnlicher Zusammenhang zwischen der Bahnnutzungsintensität und dem Wissen über den Preis der Bahnfahrt konnte bereits nachgewiesen werden. Vgl.

Schneider, H., Preisbeurteilung als Determinante der Verkehrsmittelwahl, Ein Beitrag zum Preismanagement im Verkehrsdienstleistungsbereich, Wiesbaden 1999, S. 94f.

zeichnen, weil sie eine weitaus größere Anzahl an Reisenden mit anderen Ver-kehrsmitteln (z. B. 150 Fahrten zur Arbeit mit dem Pkw) zurücklegen. Der relative Bahnanteil enthält damit eine Information über den Stellenwert eines Ver-kehrsmittels im Rahmen des gesamten Mobilitätsverhaltens einer Person.

Da sich die im Fernverkehr zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel (Bahn, Pkw, Flugzeug) im Hinblick auf die für die Verkehrsmittelwahlentscheidung relevanten Nutzendimensionen fundamental unterscheiden, kann die Ausprägung des rela-tiven Bahnanteils einen Aufschluss darüber ermöglichen, welchen Nutzen ver-schiedene Personen dem Einsatz der Steuerungsparameter der zeitbezogenen Einflussfaktoren zumessen.248 So zeigen empirische Untersuchungen, dass bei Pkw-Fahrten vor allem der Flexibilitätsaspekt im Vordergrund steht, im Gegen-zug hierzu Abstriche bei den Zeitnutzungsmöglichkeiten gemacht werden, da sie im Pkw faktisch nicht vorhanden sind.249 Legen Reisende einen großen Anteil ihrer Reisen mit dem Pkw zurück, ist zu folgern, dass die Möglichkeiten der Zeitverwendung verhältnismäßig wenig Nutzen erbringen, da sie sonst einen höheren Anteil ihrer Reisen mit der Bahn zurücklegen würden. Personen, die einen Großteil ihrer Reisen mit dem Flugzeug durchführen, zeichnen sich durch ein hohes Bedeutungsgewicht der objektiven Reisedauer aus, was eine Reduktion des relativen Nutzens der Zeitverwendung zur Folge haben müsste.

Bei Personen, die überwiegend mit der Bahn reisen, steht die absolute Reise-zeit auf dem überwiegenden Teil der angebotenen Strecken weniger im Vorder-grund, womit das relative Bedeutungsgewicht der Zeitverwendung höher ausfal-len müsste.

In Bezug auf in einer spezifischen Reisesituation bewertete Verbesserung der Nutzenkomponenten, ist hier wiederum zu folgern, dass ein bereits hoher Nutzen

248 Grundsätzlich muss zu der folgenden Argumentation angemerkt werden, dass hier aus-schließlich von rationalen oder zumindest einmal dauerhaft rational gefällten Verkehrsmittel-wahlentscheidungen ausgegangen wird. Mögliche Zwänge bzgl. der Verkehrsmittelnutzung, wie z. B. die fehlende Verfügbarkeit eines Pkw oder ein fehlender Bahnhof in der Nähe der Arbeitsstätte bzw. des Wohnortes werden hier vernachlässigt.

249 Vgl. Forschungsstelle Bahnmarketing, Reisezeit ist Nutzzeit, Ergebnisse der Pkw- und Flug-reisendenbefragung, unveröffentlichte Studie im Auftrag der Deutschen Bahn AG, a. a. 0.

der Zeitverwendung bei Personen mit einem hohen relativen Bahnanteil durch die Bereitstellung aktivitätenbezogener Potenziale weniger stark gesteigert wer-den kann.

Hp2: Das Verhältnis vom Nutzen einer fixen Zeitverkürzung zum Nutzen der Zeitverwendung ist bei einem hohen relativen Bahnanteil höher als bei ei-nem niedrigen relativen Bahnanteil.

4.23 Verkehrsdienstleistungs- und zeitspezifische psychographische