• Keine Ergebnisse gefunden

Das „Reichsvolksschulgesetz“ 1869

Nachdem Österreich die Schlacht bei Königgrätz gegen die Preußen verloren hatte, wurde, wie oft nach Niederlagen üblich, nach einem Schuldigen für diese gesucht. Das österreichi-sche Schulwesen rückte schnell in den Fokus, denn der Anteil der Analphabeten im öster-reichischen Heer war, im Gegensatz zu dem der Preußen, relativ hoch.136

130 Mit der Normalschule, der Hauptschule und der Trivialschule wurden drei Schultypen eingeführt. Vgl.

Allgemeine Schulordnung – Punkt 2.

131 Der zu vermittelnde Lehrinhalt variierte zwischen den Schultypen, wobei die Normalschulen das breiteste Wissen vermitteln sollten. Vgl. Allgemeine Schulordnung – Punkt 5.

132 Im Winter dauerte der Unterricht von 8 bis 11 Uhr, im Sommer von 7 bis 10 Uhr. Der Nachmittagsunter-richt fand das ganze Jahr über von 14 bis 16 Uhr statt. Vgl. Allgemeine Schulordnung – Punkt 10.

133 Mit Beginn des sechsten Lebensjahres waren alle Kinder schulpflichtig, wobei die Schule bis zum 12. Le-bensjahr besucht werden musste. Diese Regelung galt dabei für beide Geschlechter! Vgl. Allgemeine Schulordnung – Punkt 12.

134 Vgl. Mende, Staritz, Tomschitz: Schule und Gesellschaft. S. 78f.

135 Vgl. Grimm, Gerald: Expansion, Uniformisierung, Disziplinierung. Zur Sozialgeschichte der Schulerzie-hung in Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. In: Schmale, Dodde (Hg.): Revolution des Wissens? Europa und seine Schulen im Zeitalter der Aufklärung (1750-1825). Bochum 1991. S.

238f.

136 Vgl. Engelbrecht, Helmut: Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erziehung und Unterricht auf dem Boden Österreichs. Band 4. Von 1848 bis zum Ende der Monarchie. Wien 1986. S. 111f.

Der Weg zu einer umfassenden Neuerung im Pflichtschulbereich wurde schließlich durch das Staatsgrundgesetz aus dem Jahr 1867137 und dem Gesetz über das Verhältnis der Kir-che und Schule geebnet. Den Höhepunkt der Bildungspolitik bildete schließlich das „Ge-setz vom 14. Mai 1869, durch welches die Grundsätze des Unterrichtswesens bezüglich der Volksschulen festgestellt werden“ (Reichsvolksschulgesetz).138 Dieses Gesetz trat im All-gemeinen ab dem Schuljahr 1869/79 in Kraft und hatte in Österreich bis zum Schulorgani-sationsgesetz des Jahres 1962 Gültigkeit.139

Trotz anhaltendem Protest seitens der katholischen Kirche, konservativer Kreise, Konfessi-oneller sowie Föderalisten wurden einige Neuerungen im Schulsystem durchgeführt.140 Die wichtigsten Veränderungen waren hierbei:

 Die Schule ist eine öffentliche und interkonfessionelle Anstalt

„Jede Volksschule, zu deren Gründung oder Erhaltung der Staat, das Land oder die Ortsgemeinde die Kosten ganz oder theilweise beiträgt, ist eine öffentliche Anstalt und als solche der Jugend ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses zugäng-lich.“ (§ 2)141

137 Österreich erhielt mit dem Staatsgrundgesetz (1867) eine Verfassung, in welcher die staatliche Aufsicht und Leitung des Schulwesens festgehalten wurde (Artikel 17). Vgl. Seel: Einführung in die Schulge-schichte Österreichs. S. 105.

138 Vgl. Battista, Ludwig: Die pädagogische Entwicklung des Pflichtschulwesens und der Lehrerbildung von 1848-1948. In: Loebenstein (Hg.): 100 Jahre Unterrichtsministerium 1848-1948. Festschrift des Bun-desministeriums für Unterricht in Wien. Wien 1948. S. 146.

139 Vgl. Boyer, Ludwig: Elementarschulen und Elementarunterricht in Österreich. S. 272ff.

140 Vgl. Scheipl, Seel: Die Entwicklung des österreichischen Schulwesens von 1750-1938. S. 57.

141 Gesetz vom 14. Mai 1869, durch welches die Grundsätze des Unterrichtswesens bezüglich der Volksschu-len festgestellt werden. Zitiert nach: Gernert, Dörte (Hg.): Österreichische Volksschulgesetzgebung. S.

443.

Schulische Rahmenbedingungen zur Zeit des Ersten Weltkrieges

 Allgemeine achtjährige Schulpflicht

„Die Schulpflichtigkeit beginnt mit dem vollendeten sechsten, und dauert bis zum vollendeten vierzehnten Lebensjahre. Der Austritt aus der Schule darf aber nur er-folgen, wenn die Schüler die für die Volksschule vorgeschriebenen nothwendigsten Kenntnisse, als: Lesen, Schreiben und Rechnen, besitzen.“ (§ 21)142

Diese allgemeine achtjährige Schulpflicht wurde durch Abweichungen der Landes-gesetze teilweise in eine sechsjährige, beziehungsweise in Görz und Gradiska sogar in eine fünfjährige Schulpflicht umgewandelt.143

 Schaffung der achtjährigen Volksschule und der dreijährigen Bürgerschule

Die Volksschule ersetzte durch das Reichsvolksschulgesetz die Trivial- und Haupt-schulen. Zusätzlich wurden in größeren Orten auch Bürgerschulen eingerichtet, welche „eine über das Lehrziel der allgemeinen Volksschule hinausreichende Bil-dung […] gewähren“ (§ 17)144 sollten. Diese Schulen konnten einerseits parallel zu den Volksschulen, oder aber dreijährig (im Anschluss an den fünften Jahrgang der Volksschule) geführt werden. Da die Gefahr eines zweigleisigen Schulsystems ge-geben war, entschied man sich 1883 die achtjährige Bürgerschule wieder abzu-schaffen und nur mehr die dreijährige zu belassen.145

Die Bürgerschule war an den Mittelschulen (Sekundarschulbereich) orientiert, der Unterricht wurde durch eigene Fachlehrer erteilt und es gab die Option des Fremd-sprachenunterrichts sowie eines freiwilligen vierten Schuljahres. Die Bürgerschule entwickelte sich dadurch sehr schnell zu einer Art Zubringerschule der berufsbil-denden Fachmittelschulen, wie etwa der Lehrerbildungsanstalten und Gewerbe-schulen. An diesen musste, im Gegensatz zu den Mittelschulen, auch kein Schul-geld bezahlt werden.146 Trotz des massiven Ausbaus der Bürgerschulen besuchten

142 Gesetz vom 14. Mai 1869, durch welches die Grundsätze des Unterrichtswesens bezüglich der Volksschu-len festgestellt werden. In: Gernert, Dörte (Hg.): Österreichische Volksschulgesetzgebung. S. 446

143 Vgl. Seebauer, Renate: Kein Jahrhundert des Kindes. Kinderarbeit im Spannungsfeld von Schul- und So-zialgesetzgebung. Wien 2010. S. 45.

144 Gesetz vom 14. Mai 1869, durch welches die Grundsätze des Unterrichtswesens bezüglich der Volksschu-len festgestellt werden. In: Gernert, Dörte (Hg.): Österreichische Volksschulgesetzgebung. S. 445.

145 Vgl. Scheipl, Seel: Die Entwicklung des österreichischen Schulwesens von 1750-1938. S. 58f.

146 Vgl. Seel, Helmut: Einführung in die Schulgeschichte Österreichs. S. 140.

im Schuljahr 1912/13 nur ca. 5% der Schulkinder Bürgerschulen (davon am meis-ten in Wien). Weitere 2% wurden in höheren Schulen und 93% in der achtjährigen Volkschule unterrichtet.147 Weiters erfüllte sich das Ziel, die Bürgerschule zu einer berufsvorbildenden gewerblichen Schule zu entwickeln, nicht. Trotz der theoreti-schen Rücksicht auf die Bedürfnisse von Gewerbetreibenden und Landwirten, blie-ben die Unterrichtsgegenstände in hohem Grad allgemeinbildend und nahmen ge-werbliche Bildungsinhalte nur unzureichend auf.148

 Verbesserung des Lehrerdienstrechtes

Durch die Einführung vierjähriger Lehrerbildungsanstalten wurde sowohl der Aus-bildungsgrad wie auch das Ansehen der Lehrer gesteigert. Zudem wurden die Be-züge so erhöht, dass die Lehrer ohne weitere Nebenverdienste ein ihrem Stande ge-mäßes Leben führen konnten. Weiters waren Lehrer und deren Angehörige nun auch pensionsberechtigt.149