• Keine Ergebnisse gefunden

3 Männlichkeiten innerhalb des deutschen Rechtsextremismus – Ansätze zu einer

3.1 Rechtsextreme mit personaler Gewaltak- Gewaltak-zeptanz

Personen, die ihre rechtsextremen Auffas-sungen mit Gewalt unterstreichen bzw. ihrer Gewalt eine rechtsextreme Prägung verleihen, stehen in herausgehobener Weise nicht nur im Lichtkegel öffentlicher Aufmerksamkeit, sondern auch im Fokus sozialwissenschaftli-cher Forschung. Soweit das Interesse vorran-gig rechtsextremen Straf- und Gewalttätern bzw. als neonazistisch oder subkulturell

ein-gestuften Gewaltbereiten gilt, liegen stadien-spezifische Erkenntnisse am ehesten noch hin-sichtlich des Affinitätsaufbaus, mit deutlichen Abstrichen aber auch zu

Distanzierungspro-zessen vor.

Die Affinisierung rechtsextrem Orientierter erfolgt bekanntlich überwiegend in der frü-hen Jugendphase (vgl. zu diesem Komplex auch Schuhmacher in diesem Band) und da-mit in einem Alter, dem für die Herausbildung männlicher Identität besondere Relevanz zu-gesprochen wird. Vor allem ist es der homoso-ziale Kontext der Peergroup, der diesbezüglich orientierungsstiftend wirkt (vgl. aktuell dazu auch Baier u. a. 2009). Neben dem Nachweis, souverän mit wertvollen Gebrauchsgütern, insbesondere mit Informations- und Fahr-zeugtechnik, umgehen und sie nach Möglich-keit im eigenen Besitz haben zu können, sind in diesem Zusammenhang vier Lebensfelder bzw. Kompetenzen für Männlichkeitspraxis von hervorragender Bedeutsamkeit: Sexualität, persönliche Durchsetzungsfähigkeit, soziale Kohäsion unter Gleichaltrigen und Risikobe-reitschaft.

Im vorherrschenden System der Zweige-schlechtlichkeit ist es für Jungen von großem Belang, die eigene Heterosexualität herauszu-stellen, zumindest aber jeden Zweifel an ihr konsequent in Schranken zu verweisen. Dazu gehört auch, Überlegenheit im Geschlechter-verhältnis gegenüber dem ‚schwachen Ge-schlecht’ zu zeigen und damit an die Hege-monialtradition heterosexueller Verhältnisse anzuknüpfen.

Durchsetzungsfähigkeit unter Peers zu bewei-sen heißt, auf Ressourcen zurückzugreifen,

die sich in dieser Hinsicht als gleichermaßen verfügbar wie funktional erweisen, also Kom-petenzen aufscheinen lassen, die hier Geltung haben. Traditionell gehören dazu vor allem körperliche Stärke, Härte und Wehrhaftigkeit, Eigenschaften also, die nicht nur habituell das Erscheinungsbild prägen (sollen), sondern sich in der Praxis sozialen Handelns insbesonde-re dann bewähinsbesonde-ren können, wenn auf Seiten von Jungen der Eindruck entsteht, der Nach-weis von Mannhaftigkeit unter Seinesgleichen werde nicht allein über Einsteckenkönnen, Schmerzresistenz, Unerschrockenheit und verbale Schlagfertigkeit, sondern auch über Gewaltsamkeit abverlangt.

Eben darüber scheint auch – da damit hohe in-dividuelle und soziale Kosten in Kauf genom-men werden, besonders eindeutig und unbe-zweifelbar – der Anspruch eingelöst werden zu können, eine kohäsiv wirksame Verlässlichkeit im Sinne eines opferbereiten, kameradschaft-lichen Einstehens füreinander zu demonst-rieren; mehr noch: eine Verteidigungshaltung gegenüber Outgroups einzunehmen, die als Gegner einer per Fraternalisierung auch über die unmittelbaren Cliquengrenzen hinausrei-chenden Ingroup wahrgenommen werden und ebenso Beschützerattitüden wecken wie sie als Gegenspieler in männlichen Konkurrenz-kämpfen und als Adressaten von Vergeltungs-bestrebungen herhalten können.

Im Kontext der Belegversuche von unverbrüch-licher Freundschaft und kaum zu brechender Durchsetzungsfähigkeit, aber auch darüber hi-naus, beispielsweise über exzessiven Alkohol-konsum, geschieht eine Demonstration hoher Risikobereitschaft. Mit ihr werden die Grenzen

der eigenen Kontrollfähigkeit ausgelotet, ja so-gar Kontrollverlust in Kauf genommen oder an-gepeilt, um Mut gleichsam ‚bis zum Äußersten’

unter Beweis zu stellen.

Heterosexualität als Norm, Überlegenheit in der Geschlechterordnung, Härte, Wehrhaf-tigkeit, Violenz, Kameradschaft, Ingroup-Outgroup-Dichotomien, Risiko- und Opfer-bereitschaft, Rachegelüste etc. – unschwer erkennbar handelt es sich um Verhaltensori-entierungen, die so oder ähnlich auch in ex-trem rechten politisch-sozialen Kontexten Wertmaßstäbe setzen. Es kann deshalb nicht verwundern, wenn das, was „traditioneller Männlichkeitsstil“ (etwa Sommerfeld 2010),

„Hypermaskulinität“ (Kohlstruck/Münch 2006) oder ähnlich genannt wird, in rechtsextre-men Zusamrechtsextre-menhängen immer wieder kons-tatiert wird. Bemerkenswerter als der Befund einer bloßen Korrelation von rechtsextremer Orientierung und bestimmten konventionel-len Männlichkeitsauffassungen sind da schon Hinweise darauf, dass der biographische Auf-bau von Affinität zu rechtsextremen Haltungen sowie zu entsprechend orientierten Cliquen und Szenen gerade bei vergleichsweise stark cliquengebundenen männlichen jüngeren Ju-gendlichen weniger über deren ideologische Angebote erfolgt als über hier gegebene Gele-genheitsstrukturen, Gewaltakzeptanz zu de-monstrieren und sich im doppelten Sinne als

„rechter Kerl“ zu gerieren (vgl. Möller 2000). Die politische Deutung des Gewalthandels, der Be-reitschaft dazu oder wenigstens seiner Befür-wortung dienen vor allem dazu, die im Rahmen der mann-männlichen Streitigkeiten ablau-fenden Aktivitäten oder auch nur symbolische

Mannhaftigkeitsinszenierungen mit der Aura des gesellschaftlich Bedeutsamen zu umgeben und so dem Geltungsstreben der Jungen Befrie-digung zu verschaffen. Bei vielen Einsteigern dieses Typus erweist sich das, was – auch von den Akteuren selbst – etwa als interethnische Konkurrenz verhandelt wird, zunächst einmal als „ernstes Spiel“ (Bourdieu 1997: 203) jun-ger Möchtejun-gern-Männer bei der Aushandlung maskuliner Hegemonie. Mangels vorhandener Zugänge zu sozial akzeptierten Hegemonial-strukturen (Bildungskapital, institutionelle Macht, ökonomische Ressourcen etc.) greifen sie dabei auf die Mittel „protestierender Männ-lichkeit“ zurück. Sie entsprechen dem archai-schen Muster interpersonaler Dominanz. Dass diese Auseinandersetzungen ethnisiert wer-den, ist gleichwohl kein Zufall, ist doch die Ethnisierung sozialer Problem- und Konfliktla-gen geKonfliktla-genwärtig ein gängiges Deutungsmuster – auch und gerade in der Erwachsenengesell-schaft und auch dort, wo interethnische Kon-kurrenz weniger im Alltag erlebt wird denn als Bedrohungsszenario in einschlägigen Diskur-sen gewärtig gehalten wird.

Im Zuge der Konsolidierung von Szenezugehö-rigkeit und persönlicher politischer Orientie-rung scheint sich die Verbindung von Ungleich-heitsvorstellungen und Gewaltakzeptanz zu verfestigen. Indem man(n) wegen zunehmen-der Konflikte und politischer bzw. politisch gedeuteter Auseinandersetzungen sich in stei-gendem Maße aufgefordert sieht, Gewalttätig-keit, mindestens aber Gewaltbereitschaft und -befürwortung, alltagspraktisch immer häufi-ger an den Tag zu legen und dies im Regelfall nicht als Einzelkämpfer tut, gerät man in eine

‚Vergewisserungsspirale’, die den Konnex von Ungleichheitsvorstellungen und Gewalt auf der Grundlage von Eigenerfahrungen, Szene-erzählungen und weiteren Informationen aus diesem Spektrum stabilisieren.

Mit der Vertiefung und Verbreiterung ein-schlägiger sozialer Kontakte und der dadurch anwachsenden politischkulturellen Überein-stimmung besteht auch keinerlei Veranlassung, männliche Hegemonialansprüche zurückzu-schrauben. Die zunehmende Integration in ex-trem rechte Szene- und Orientierungszusam-menhänge und die damit korrespondierende Desintegration in Bezug auf soziale Kontexte und politische Deutungsmuster, die breite ge-sellschaftliche Akzeptanz beanspruchen kön-nen, eröffnet auch keine neuen Zugänge zu Mitteln, die erlauben würden, Hegemonie in anderer Weise als über strikten Heterosexis-mus, gewaltförmige Durchsetzungsfähigkeit und jene politischen (Schein-)Rationalitäten zu realisieren, die in dieser politischen Szenerie verwurzelt sind. Das Muster interpersonaler Dominanz bleibt weiterhin gültig, nur sein An-wendungskontext ist nun weniger diffus und umfassender sowie stringenter mit politisch gedeuteten Äußerungen und Aktionsweisen aufgeladen. Insofern wächst seine Bedeutung sogar. Im szeneinternen Geschlechterverhält-nis nimmt männliche Dominanz in dem Maße, in dem man sich kollektiv zur Kampf- und Ge-sinnungsgemeinschaft stilisiert, noch zu.

Im Stadium der Fundamentalisierung, also der noch umfassenderen und tiefer reichenden Einbindung in ein extrem rechtes mentales Netzwerk aus Einstellungen, Überzeugungen und Lebensweisen bzw. -perspektiven, sowie

der noch festeren Integration der eigenen Per-son in einschlägige Praxiszusammenhänge und die Szenehierarchie, ändert sich für dieje-nigen, die im subkulturellen Gewaltmilieu ver-bleiben, an der Verbindung von Maskulinitäts- und Politikauffassungen nichts Wesentliches gegenüber dem Konsolidierungsstadium. Ge-walt normalisiert sich weiter. Diejenigen aller-dings, bei denen die subkulturelle Verbunden-heit erodiert, sei es, weil sie alltagspraktisch durch die extensive Übernahme politischer Aktivitäten verdrängt wird, oder sei es, weil sie explizit und mit politischer Begründung aktiv aufgegeben wird (z. B. mit dem Hinweis, Skin-sein sei „undeutsch“), weisen Gewalt eine neue Rolle zu. Auch wenn das reale Verhalten z.T.

vom Gegenteil Zeugnis ablegt, wird ihr nun viel weniger eine expressive als eine instrumentelle Funktion zugeschrieben. Dies kann dazu füh-ren, dass man physische Gewaltanwendung selbstkontrolliert vermeidet, um die eigene Le-bensperspektive aber auch damit verbundene politische Zielumsetzungen nicht zu gefähr-den, kann aber auch zwei weitere Konsequen-zen nach sich ziehen: entweder die taktische Zivilisierung von Gewaltakzeptanz und ihre Überführung in Forderungen nach institutio-nellen bzw. strukturellen Formen oder die Be-reitschaft, bis hin zu rechtsterroristischen Ak-tivitäten ‚seinen Mann zu stehen’.

Damit gewinnen kalkulatorische Rationalitä-ten die Überhand, die die Dysfunktionalität des Musters interpersonaler Dominanz zur lang- und mittelfristigen Durchsetzung po-litischer Anliegen erkannt haben und die re-bellisch-protestierende Männlichkeit mit Ele-menten des herrschenden Hegemonialmusters

anreichern und tendenziell in Schranken ver-weisen. Die Aussicht auf höhere Funktionalität und soziale Akzeptanzgewinne verdrängt ar-chaische Muster von Männlichkeit eher in den Hintergrund.

Mit zunehmender Politisierung bauen sich also der Hegemonialanspruch und seine Ein-lösungsversuche keineswegs ab, sondern um.

Dies geschieht so, dass seiner gesellschaftli-chen Skandalisierung weniger Raum bleibt.

Da in dem von Aussteigern durchlaufenen Sta-dium der Distanzierung von rechtsextremen Orientierungs- und Szenezusammenhängen männliche Hegemonialstrukturen durchaus noch aufrechterhalten werden, kann nicht da-von ausgegangen werden, dass eine Abwen-dung von rechtsextremen Haltungen mit einer gänzlich veränderten Männlichkeit einhergeht.

Vielmehr zeigen sich sowohl Veränderungen als auch Kontinuitäten, vor allem hinsichtlich Gewalt und zwischengeschlechtlicher Bezie-hungen. Personale Gewalt nimmt an Bedeutung alltagspraktisch und in seiner Funktion männ-licher Selbststilisierung ab. Gewünscht wer-den kann aber durchaus ein rabiates Eingrei-fen übergeordneter Regulationsinstanzen bei sozialen Konflikten oder Kriminalität; dies in ähnlicher Weise wie entsprechende Forderun-gen bisweilen auf der rechtskonservativen Sei-te des demokratischen politischen Spektrums erhoben werden. Im zwischengeschlechtlichen Verhältnis kommt es zu einer stärkeren Orien-tierung auf konventionelle Partnerschafts- und Familienmodelle. Sie erschließen klassische Männerrollen wie Ehemann, Vater und Ernäh-rer, die aufgrund ihrer normalbiographischen Verankerung soziale Anerkennung einbringen.

3.2 Vertreter von Ungleichheitsvorstellungen