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Rechtliches Restrisiko

Im Dokument Rundfunk und Geschichte (Seite 46-49)

Zusammenfassung eines Gutachtens

V. Rechtliches Restrisiko

Die Gutachter haben sich ausführlich mit illegalen Quellen und der Rechteminimierung beschäftigt. Ihre Schlussfolgerungen offenbaren eine besorgniserregende Grundpro-blematik des Urheberrechts: Bei den in der Wissenschaft üblichen Nutzungskonstel-lationen besteht immer die Gefahr, wegen Verstößen gegen das Urheberrecht belangt zu werden, selbst dann, wenn mit großer Sorgfalt vorgegangen wird. Ein Problem in diesem Zusammenhang sind vage Formulierungen in den gesetzlichen Schrankenbe-stimmungen, die dem Nutzungsbedarf von Wissenschaft und Bildungsarbeit eigentlich

entgegenkommen sollen. Sie bieten in vielerlei Hinsicht nur Orientierung, aber keine konkreten Richtlinien oder -werte. Hinzu kommt, dass es speziell im Bereich der audio-visuellen Quellen bislang an einer ständigen Rechtsprechung mangelt. So bleiben, etwa bei der Bemessung der zulässigen Umfänge zitierfähiger und zustimmungsfrei vorführ-barer Ausschnitte, zum Teil erhebliche Interpretationsspielräume bestehen.

Doch selbst wenn eine Lizenz erworben wird, besteht weiterhin das Problem, dass un-sicher bleibt, ob der Lizenzgeber die benötigten Nutzungsrechte auch tatsächlich über-tragen kann. Das gilt selbst dann, wenn der Urheber selbst Nutzungsrechte einräumt – er könnte diese ja bereits zuvor umfassend und ausschließlich an einen anderen Dritten übertragen haben. Da speziell bei audiovisuellen Medien häufig eine lange Rechtekette von Lizenzen und Unterlizenzen existiert, ist es oft kaum möglich, zu überprüfen, ob der Lizenzgeber die benötigten Rechte tatsächlich besitzt. Die Gutachter betonen dieses stete Restrisiko deshalb, weil es bei urheberrechtlich geschützten Werken, anders als beim Erwerb von körperlichen Gegenständen, keinen „gutgläubigen Erwerb“ gibt, der den Käufer vor Betrug schützt. Im Urheberrecht werden grundsätzlich nur Rechte ein-geräumt, aber kein Besitz übertragen. Ein Recht kann nicht übertragen werden, wenn das Recht nicht bestand oder der betreffenden Person zustand. Rechteanmaßung kann lukrativ sein, deshalb kann auch der Erwerb von Lizenzen keine vollkommene Sicher-heit schaffen.

Im Vordergrund der juristischen Problematik sollte also eine Risikominimierung durch aktive Risikoabwägung auf Seiten der wissenschaftlichen Nutzer stehen: Im Zweifelsfall muss glaubhaft gemacht werden können, dass der Umfang eines Zitats angemessen, eine Ausschnittswiedergabe für die Lehre wesentlich oder die Empfehlung eines Links zu einem illegalen Online-Angebot ohne Kenntnis der Rechtswidrigkeit gegeben wur-de. Häufig ist die Bestimmung der rechtlichen Zulässigkeit einer wissenschaftlichen Nutzung von audiovisuellen Quellen eine Bemessungsfrage, worin ein Großteil der Un-sicherheit von Nutzungsinteressenten in Forschung und Lehre begründet sein dürfte.

Die Autoren versuchen die wissenschaftliche Nutzerklientel jedoch auch zu beruhigen:

Die Strafbarkeit von Urheberrechtsverletzungen sei für den wissenschaftlichen All-tag von nur geringer Relevanz. Da sich die Strafandrohung in diesem Rechtsbereich schwerpunktmäßig auf den Kampf gegen die Filmpiraterie konzentriere, also die pro-fitorientierte, unlizenzierte Verbreitung von audiovisuellen Werken, einschließlich des Fernsehens, sei eine Verfolgung durch eine Staatsanwaltschaft unwahrscheinlich. Und dennoch sind Urheberrechtsverletzungen auch im wissenschaftlichen Bereich kein Ka-valiersdelikt, auch dann nicht, wenn der Versuch unternommen wurde, die Rechteinha-ber ausfindig zu machen, dies aRechteinha-ber letztlich erfolglos bleibt und die Quelle in der Folge zustimmungs- und vergütungsfrei verwendet wird. In diesem Fall ist ein Vorsatz eindeu-tig nachweisbar. Von größerer Relevanz als die strafrechtliche Dimension sind im Zwei-fel die zivilrechtlichen Konsequenzen, namentlich die Ansprüche von Rechteinhabern.

Auch mit Blick auf die rechtliche Situation und den juristischen Diskurs in den USA zeigt sich, dass die Gesetzgebung in Deutschland mit seiner starken Stellung eines – individuell gedachten – Urhebers im internationalen Vergleich deutlich unflexibler ist und dadurch schwerfälliger auf die Veränderungen im Zuge der Digitalisierung eingehen

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kann. Zudem hat sich die Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter auf europäischer Ebene bisher vor allem an den ökonomischen Interessen von Rechteinha-bern und -verwertern orientiert, während praxisnahe Regelungen und wünschenswerte Rechtssicherheit für die unterschiedlichen Nutzungsbedarfe in Wissenschaft und Bil-dungsarbeit bisher auf sich warten lassen. Tatsächlich sind einzelne Schrankenregelun-gen durch neue BestimmunSchrankenregelun-gen sogar partiell ausgehebelt worden, etwa im Falle des Zi-tatrechts, das für kopiergeschützte Datenträger faktisch nicht mehr anwendbar ist. Dies wiegt durchaus schwer, denn die fortschreitende mediale Prägung der Gesellschaft, der unablässige Wandel der Medienkultur und die wachsende digitale Verfügbarkeit audio-visueller Medieninhalte steigert den Bedarf an wissenschaftlicher Auseinandersetzung und Vermittlung dieses Quellentypus in Forschung und Lehre.

Aus Sicht der Gutachter sind die Schrankenbestimmungen des Urheberrechts in Deutschland in ihrer „kompliziert anmutenden“ Form nicht mehr adäquat, um für For-schung und Lehre das technisch Mögliche auch rechtlich zu gestatten. Dadurch kom-me es in einigen Bereichen zu einem Auseinanderfallen von Recht und Wirklichkeit.

Das Gutachten führt vor Augen, dass das Recht vor allem dort, wo Risikomanagement die Rechteklärung ersetzt, erhebliche Auswirkungen auf den Umgang mit historischen Quellenbeständen hat, sowie darauf, wie Erinnerungsarbeit mithilfe des audiovisuellen Kulturerbes gestaltet werden kann oder aber durch unzeitgemäße Regelungen behin-dert wird. Diese komplizierte Situation könnte durch die Einführung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke aufgelöst werden, in der die komplizierten, in sich wenig konsistenten Einzelregelungen zusammengefasst werden.3 Darüber hinaus wird es aber auch gemeinsamer Lösungen auf europäischer Ebene bedürfen, um lang-fristig ein Urheberrecht auf der Höhe der Zeit zu schaffen, das die Verwendung von audiovisuellen Quellen in Wissenschaft und Bildungsarbeit nicht unnötig behindert, sondern vielmehr die geistige Auseinandersetzung mit ihnen nachdrücklich befördert.

3 Vgl. auch Katharina de la Durantaye: Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Münster 2014, http://

durantaye.rewi.hu/doc/Wissenschaftsschranke.pdf; eine solche Regelung strebt auch das „Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ an: http://www.urheberrechtsbuendnis.de/abws-text-2014-12.html.de

Verbesserungswürdig

Ein Erfahrungsbericht zu den Zugangsregelungen der

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