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Reaktivität von Precursorverbindungen - Sol-Gel-Chemie

3 Experimenteller Teil

4.2 Reaktivität von Precursorverbindungen - Sol-Gel-Chemie

Generell können zur Darstellung von strukturierten Metalloxiden bei niedrigen Temperaturen neben entsprechenden Metallsalzen auch metallorganische Verbindungen oder Koordinationsverbindungen dienen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Im Falle von mesostrukturierten Titan(IV)oxiden können z.B. neben dem Metallchlorid (TiCl4) oder Titanylsulfat (TiOSO4) vor allem die aus der Sol-Gel-Chemie bekannten Titanalkoxide als mögliche Precursorverbindungen gelten. Aufgrund der jeweiligen Reaktivität dieser Verbindungen sind jedoch gewisse Einschränkungen bezüglich ihrer Eignung für solche Synthesen vorzunehmen.

Allen diesen sowie auch anderen Precursorverbindungen ist gemein, dass sie letztlich zu Hydrolyse- und Kondensationsreaktionen befähigt sein müssen, um entsprechende Netzwerke aus Hydroxiden, Oxyhydroxiden und Oxiden aufbauen zu können. Insbesondere kommt es dabei auf die Abstimmung der Reaktivitäten mit den anderen bei der Strukturierung beteiligten Wechselwirkungen an. Bei näherer Betrachtung sind jedoch bereits die Hydrolyse- und Kondensationsreaktionen von Metallionen in Wasser allein recht komplex. Livage et al. geben hierüber einen vorzüglichen Überblick in einem Übersichtsartikel über Sol-Gel-Chemie der Übergangsmetalle.12

Als Hydrolysereaktionen sind nach anfänglicher nucleophiler Anlagerung von Wasser an die Metallionen auch die Bildung von Hydroxo- und Oxokomplexen durch Protonenabstraktion zu betrachten, wobei das Ausmaß der Bildung des jeweiligen Ligandensystems in erster Linie von der Größe des Elektronentransfers aus den bindenden Molekülorbitalen des Wassers in die leeren d-Orbitale des Metallions abhängt:

[M− OH

2

]

z +

[M− OH]

(z -1) +

+ H

+

[M=O]

(z -2) +

+ 2H

+

(4.1)

Es lässt sich eine grobe Formel für die so entstehenden Precursoren angeben:

[MO

N

H

2N-h

]

(z - h) +

(4.2)

12 J. Livage, M. Henry, C. Sanchez, Progr. Solid St. Chem,, 1989, 18, 259-341

Bei qualitativer Behandlung gelangt man zu einem einfachen, aber sehr hilfreichen Ladungs-pH-Diagramm für die Precursoren (Abbildung 4.2).

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 +1

+2 +3 +4 +5 +6 +7 +8

H

2

O

OH

-O

2-Z

pH

Abbildung 4.2: Ladungs-pH-Diagramm für Metallionen in wässriger Lösung

Titan als vierwertiges Metallion liegt ungefähr in der Mitte des Diagramms und lässt somit eine Vielfalt an Aqua-, Hydroxo- und auch Oxokomplexen über einen großen pH-Bereich erwarten.

Nach Livage et al. lassen sich mit Hilfe eines Partialladungsmodells, in das neben Formalladung und Koordinationszahl auch die Elektronegativität des Metalls und der pH-Wert eingehen, quantitative Berechnungen anstellen. Diese ergeben z.B. für Titan(IV) unter sauren Bedingungen die Ausbildung eines Gleichgewichts zwischen folgenden zwei kationischen Komplexen:

H

+

+ [TiO(OH

2

)

5

]

2+

[Ti(OH)(OH

2

)

5

]

3+

(4.3)

Dagegen bilden sich im stark Alkalischen negativ geladene Hydroxo- und Oxohydroxokomplexe aus:

[TiO(OH)

4

]

2-

oder

[Ti(OH)

5

]

-

(4.4)

Diese Erkenntnisse im Bereich der Hydrolyse sind im Weiteren für die Planung von Strukturierungsansätzen besonders wichtig, da die Natur (Ladung, Liganden) der vorliegenden anorganischen Spezies von entscheidender Bedeutung bei der Wahl der Reaktionsbedingungen ist.

Für die Kondensation gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Mechanismen:

1. die Olation und 2. die Oxolation.

Für beide gilt, dass die Kondensation entweder bei nichtgesättigter Koordinationssphäre des Metalls durch eine Addition oder bei bereits abgesättigter Koordinationssphäre durch eine Substitution eingeleitet wird. Reine Oxokomplexe können aufgrund ihrer schlechten Abgangsgruppe höchstens durch Addition zur Kondensation gebracht werden, vorausgesetzt, die Koordinationssphäre ist noch nicht gänzlich gefüllt. Reine Aquakomplexe hingegen eignen sich gar nicht zur Kondensation, da die Nucleophilie dieses Liganden für einen Angriff nicht ausreicht. Nur die gemischten Komplexe, wie die des Titans, zeigen hinreichende Kondensationseigenschaften.

Bei der Olation kommt es definitionsgemäß zur Bildung von Hydroxobrücken zwischen Metallionen. In aller Regel fungiert ein Hydroxoligand eines Hydroxoaqua-komplexes in einer Substitutionsreaktion als Nucleophil, während der Aqualigand eines anderen Metallzentrums als Abgangsgruppe dient, wobei es zur Ausbildung unterschiedlicher Brücken kommen kann (s.

Abbildung 4.3).

M OHδ− + M OHδ+ δ+ M OH M

2 +

δ− +

M OHδ+

δ+ H

2 +

M M

O M M

OH M

2 +

H

δ+ δ+

δ− M OH + M

OH H2O

H2O H2O

Hδ+2O δ+ HO

δ− O

M O M

H

2

H H

H2O O +

M O

M O H H

H

OH M

O O M H2O

δ+

δ+

δ−

Abbildung 4.3: Mechanismen zur Bildung von Hydroxobrücken durch Olation

Die Kinetik wird dabei durch die Labilität der Abgangsgruppe, d.h. durch Ladung, Größe, Elektronegativität und Elektronenkonfiguration des Metallions, bestimmt. Bei

fortschreitender Kondensation nimmt allerdings die Nukleophilie der Hydroxogruppen aufgrund der sinkenden Partialladung stark ab, so dass es oft nach Bildung kleinerer Oligomere, den Polykationen, zum Stillstand der Reaktion kommt. Im Falle nichtgeladener Precursoren kann die Olation allerdings fortschreiten und letztlich zur Bildung der Metallhydroxide führen, wenn nicht die Oxolation als zweite Kondensationsreaktion involviert wird.

Die Oxolation tritt in der Regel nur bei Precursoren auf, die keine Aqualiganden mehr aufweisen. Es werden stets Oxobrücken erhalten, für deren Bildung zwei Mechanismen existieren. Beim ersten ist die bevorzugte Koordinationzahl des Metalls noch nicht erreicht. Es kommt durch nucleophile Addition einfach zu einer Erweiterung der Koordinationssphäre. Da bei diesem Weg keine Liganden als Abgangsgruppen entfernt werden müssen, ist dies oft ein schneller Weg zu kanten- oder flächenverbrückten Metallzentren (s. Abbildung 4.4 a). Der zweite Weg tritt bei gesättigter Koordinationssphäre ein und muss daher zwangsläufig eine Substitution beinhalten. Nach anfänglichem Angriff einer nucleophilen Hydroxogruppe unter Bildung einer instabilen Hydroxobrücke, kommt es zu einer β-Eliminierung mit einer benachbarten Hydroxogruppe (s. Abbildung 4.4 b). Generell ist dieser zweite Weg zur Oxolation durch einen Additions-Eliminierungs-Mechanismus (ANβE) immer langsamer als der erste, jedoch kann hier die Addition durch Basen und die Eleminierung durch Säuren katalysiert werden. Mögliche gebildete Oxobrücken zeigt Abbildung 4.4 c.

Auch bei der Oxolation kommt die Kondensation oft nach kurzer Zeit zum Stillstand, da die Hydroxogruppen bei der Di- und Oligomerisierung stark an Nucleophilie verlieren. Es werden Polysäuren mit unterschiedlichem Kondensationsgrad gebildet, die meistens sogleich deprotoniert werden und dann als Polyanionen vorliegen, wie z.B. als Polyvanadate, -molybdate und auch -wolframate (s. Einleitung, Abb. 1.8).

Eine Erweiterung der Hydrolyse- und Kondensationseigenschaften auf dem Weg zu Metalloxiden wird durch die Verwendung von speziellen Precursoren erreicht. In der Sol-Gel-Chemie weit verbreit sind die Metallalkoxide, wobei insbesondere auf dem Gebiet der Silicatchemie besonders viele Untersuchungen zur Mechanistik durchgeführt wurden.13 Die Hydrolyse mittels nucleophiler Substitution beginnt hier ebenfalls mit der Anlagerung eines Wassermoleküls.

13 L.L. Hench, J. K. West, Chem. Rev., 1990, 90, 33-72

M + +

M

O H2O

O 2

H2O O +

M O

M O

O M O M

a) Bildung von Oxobrücken durch Addition:

O M

M O

O +

--

--

--

-c) Bildung von Oxobrücken durch AN βE-Mechanismus:

b) Additions-Eliminierungs-Mechanismus (AN βE):

+ M

M

O M H2O H2O M

O

M +

+

M + HO

H2O

M OH

+ HO M M

OH M

δ+

M OH

δ− +

M OH H

M O M OH δ+ δ−

M + O

M H2O

H O M

OH - M

-M OH M

M HO

M

+ H2O

M M

O M M

+

M M

OH M + HO M +

M M

O M M

H2O

Abbildung 4.4: Mechanismen zur Bildung von Oxobrücken durch Oxolation

Darauf folgt im Allgemeinen die Übertragung eines Protons auf den Sauerstoff des Alkoholatrestes, woraufhin dieser als Alkoholmolekül den Übergangskomplex verlässt.

Zusätzlich zu den bereits weiter oben beschriebenen Reaktionen der Oxolation und Olation sind bei der Kondensation jetzt auch die analogen Reaktionen der Alkoxolation und Alkolation zu betrachten (Abbildung 4.5).

Alkoxolation:

M O + M

OR M

H

M+ O

M ROH

H O M

OR M H O M

R O H

R O H H

O

M + M O M+ ROH

Alkolation:

M

Abbildung 4.5: Kondensationsmechanismen bei Alkoxiden

Im Gegensatz zu den sehr erfolgreich eingesetzten Siliciumalkoxiden haben Übergangsmetallalkoxide einschließlich der Titanalkoxide gewisse Nachteile. Aufgrund der sehr viel größeren positiven Partialladung am Metall ist die Alkoxidbindung hier sehr viel anfälliger für Hydrolysereaktionen. Zudem ist oft die Koordinationssphäre in den Titanalkoxiden nicht abgesättigt. Durch eine Expansion derselben ist hiermit eine zusätzliche Triebkraft für die Hydrolyse gegeben. Insgesamt führt dies zu Hydrolysegeschwindigkeiten, welche im Vergleich zu Siliciumalkoxiden ca. fünf Größenordnungen schneller sind.14 Auch die Kondensationsgeschwindigkeiten sind sehr hoch, wodurch es in wässrigen Lösungen stets zur augenblicklichen Fällung meist röntgenamorpher und/oder nanocrystalliner Pulver durch Olation kommt. Bei begrenztem Einsatz von Wasser lassen sich allerdings verschiedene erste Kondensationsstufen abfangen (Tabelle 4.1).

Einkristallröntgenstrukturanalysen an diesen Oxoalkoxiden zeigen dabei stets eine abgesättigte, oktaedrische Koordination für das Titan an. Durch Variation des Alkylrestes lässt sich die Hydrolysegeschwindigkeit der Titanalkoxide in begrenztem Umfang verändern. Bei zunehmender Alkylkettenlänge, d.h. bei einem wachsendem induktiven Effekt (+I) des Liganden, verringert sich die Hydrolysegeschwindigkeit aufgrund der geringeren Partialladung am Titan. Im Gegensatz dazu erhöht sie sich durch einen wachsenden sterischen Anspruch im Vergleich von verschiedenen, isomeren Liganden.15 Auch -I und +E Effekte bei aromatischen Resten zeigen Auswirkungen auf die Kinetik. Ein weiterer bestimmender Faktor ist der Oligomerisierunggrad der Alkoxide vor der Hydrolyse. Während das Isopropanolat in Lösung

14 J. Livage, M. Henry, C. Sanchez, Prog. Solid St. Chem., 1989, 18, 259-341

15 J. Livage, M. Henry, C. Sanchez, Prog. Solid St. Chem., 1989, 18, 290

Verbindung Kondensations-grad

Strukturbeschreibung Ti3O(OPr)9(OMe) 16 0.3 3 flächenverknüpfte Oktaeder

Ti7O4(OEt)2017

0.57 7 kantenverknüpfte Oktaeder Ti8O6(OBz)20

17 0.75 4 eckenverknüpfte Oktaeder mit

4 hieran kantenverknüpften trigonalen Bipyramiden

Ti10O8(OEt)24 * CH3C6H517

0.8 10 kantenverknüpfte Okteder Ti16O16(OEt)32

18 1 2 orthogonal verknüpfte Ti8-Blöcke aus kantenverknüpften Oktaedern Ti11O13(OiPr)1819

1.18 ähnlich Ti12O16(OiPr)16

Ti12O16(OiPr)16

20 1.23 6 oktaedrisch koordinierte und 6 fünffch koordinierte Ti bilden einen

verzerrten Ikosaeder Tabelle 4.1: Frühe Kondensationsstufen von Titanalkoxiden

Monomer und das Titan somit vierfach koordiniert vorliegt,20 zeigt das Ethanolat für das Titan in EXAFS/XANES-Untersuchungen eine fünffache Koordination.21 Des Weiteren spielen Solvatkomplexe, sowie auch der pH-Wert, eine entscheidende Rolle und haben einen Einfluss.

Im sauren Bereich ist die Hydrolyse stets stark beschleunigt, während die Kondensation bei sehr niedrigen pH-Werten im Gegenteil eher verhindert wird. Im Alkalischen ist dagegen die Hydrolyse verlangsamt, da durch nucleophile Addition von OH-Gruppen die Partialladung am Titan verringert wird, die Kondensation wird wiederum beschleunigt, da eine größere Anzahl stark nucleophiler Oxoliganden gebildet wird.

Letzlich reichen die bisher beschriebenen Einflussmöglichkeiten allein aber nicht aus, um die Reaktivität der Alkoxide soweit zurückzudrängen, dass sie für unsere Strukturierungszwecke geeignet wären. Bei den immer noch zu großen Hydrolyse- und Kondensationsgeschwindigkeiten kann keine ausreichende strukturdirigierende Wirkung der von uns zu verwendenden supramolekularen Template entfaltet werden. Die chemische Modifikation der Alkoxide durch unterschiedliche, stärker bindende Liganden bietet jedoch einen Ausweg aus diesem Dilemma an. Neben gemischten Alkoxiden mit unterschiedlichen

16 V. V. Day, T. A. Eberspacher, Y. Chen, J. Hao, W. G. Klemperer, Inorg. Chim. Acta, 1995, 229, 391

17 V. V. Day, T. A. Eberspacher, W. G. Klemperer, C. W. Park, F. S. Rosenberg, J. Am. Chem. Soc., 1991, 113, 8190

18 R. Schmid, A. Mosset, J. Galy, J. Chem. Soc. Dalton Trans., 1991, 1999

19 V. V. Day, T. A. Eberspacher, W. G. Klemperer, C. W. Park, J. Am. Chem. Soc., 1993, 115, 8469

20 D.C. Bradley, R. C. Mehrothra, D. P. Gaur, „Metal Alkoxides“, Academic Press, London, New York, San Francisco, 1978

21 F. Babonneau, S. Doeff, A. Leaustic, C. Sanchez, C. Cartier, M. Verdaguer, Inorg. Chem., 1988, 27,3166-3172

Alkoholatliganden und Halogenalkoxiden sind vor allem mit sogenannten „chemischen Additiven“ bzw. „Inhibitoren“ (z.B. Essigsäure und β-Diketonate) modifizierte Alkoxide erfolgreich in Sol-Gel-Verfahren eingesetzt worden (Abbildung 4.6).22

Abbildung 4.6: Struktur des mit Essigsäure bzw. Acetylaceton modifizierten Titantetraisopropylat-Precursors

Im Allgemeinen werden letztere Liganden im stöchiometrischen Maßstab eingesetzt und bilden den eigentlichen Precursor. Oft wird der „Inhibitor“ erst in den Kondensationsreaktionen aus der Koordinationssphäre des Metalls wieder entfernt, wodurch ein anisotropes Wachstum und die Gelbildung gefördert wird. Bei der Reaktion von Ti(OiPr)4

mit Acetylaceton sind allerdings auch gegenteilige Erfahrungen gemacht worden. Anstatt die Gelbildung zu fördern, bilden sich in diesem Fall nur nanokristalline Sole mit vergleichsweise kleinen Kolloiden (5nm).23. Zunächst wird ebenfalls ein Alkoholatligand durch den Chelatliganden ersetzt, unter Erweiterung der Koordinationssphäre auf fünffache Koordination. Bei Zugabe von Wasser wird das Titan sofort 6-fach koordiniert, doch selbst bei großen Überschüssen an Wasser kann der Ligand nicht vollständig hydrolysiert bzw. eliminiert werden, so dass ohne weiteres keine vollständige Kondensation eintritt. Die gewünschte Gelbildung oder der Ausfall einer durchkondensierten Spezies wird nicht beobachtet.

Im Bereich der Synthese mesostrukturierter Titandioxide sind von Ying et al. mit Acetylaceton gute Erfolge erzielt worden (s. Kap.1.3), was uns dazu ermutigte, die Palette der Liganden zu erweitern, um durch eine verbesserte Steuerung der Reaktivität Fortschritte in der Qualität der Produkte zu erzielen. Zu diesem Zweck wurden α,ω-Diole (Propan-1,3-diol,

22 J. Livage, C. Sanchez, , J. Non-Cryst. Solids, 1992, 145, 11-19

23 C. Sanchez, J. Livage, M. Henry, F. Babonneau, J. Non-Cryst. Solids, 1988, 100, 65-76

Pentan-1,5-diol) und ein Monobutylether des Ethylenglykols zur Modifikation der Titanalkoxide eingesetzt.