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Reaktionen von Flohkrebsen und Makrozoobenthos auf die Nachrüstung einer Kläranlage

Teil III: Wissenschaftliche Arbeiten

Kapitel 4: Reaktionen von Flohkrebsen und Makrozoobenthos auf die Nachrüstung einer Kläranlage

Peschke K, Burmester J, Hermann M, Köhler H-R, Reitter K, Scheurer M, Wurm K und Triebskorn R gwf - Wasser/Abwasser 157(4): 370-379

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchungen mit Invertebraten vor (2010-2013) und zwei Jahre nach dem Ausbau der Kläranlage Langwiese (2014 und 2015) verglichen und in Zusammenhang mit den Ergebnissen weiterer Projektpartner des Verbundprojekts SchussenAktivplus gebracht. Die Untersuchungen mit Gammariden wurden an PS 0 (oberhalb der Kläranlage) und PS 3 (15 km unterhalb der Kläranlage) an der Schussen sowie an PS 5 an der Argen durchgeführt. Die Effekte

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auf Ebene der Lebensgemeinschaft (Makrozoobenthos) wurden an PS 0 (oberhalb der Kläranlage) und PS 2 (direkt unterhalb der Kläranlage) an der Schussen sowie an PS 4 an der Argen betrachtet.

An Gammariden wurde das Geschlechterverhältnisses und die Fekundität bestimmt und der Stressproteingehalt analysiert. Um die Ergebnisse vor dem Ausbau der Kläranlage besser mit jenen nach dem Ausbau vergleichen zu können, wurden für die einzelnen Parameter die Daten jeweils vor und nach dem Ausbau der Kläranlage jeweils für Frühling, Sommer und Herbst zusammengefasst. Nach dem Ausbau der Kläranlage war die Datenlage zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung noch etwas geringer. Die Ergebnisse im Frühling nach Ausbau der Kläranlage wurden durch die gemittelten Frühlingsprobenahmen der Jahre 2014 und 2015 dargestellt, Sommer und Herbst bestanden lediglich jeweils aus einer Probenahme im Jahr 2015.

Wie in Kapitel 3 bereits beschrieben, war das Geschlechterverhältnis unterhalb der Kläranlage Langwiese vor Inbetriebnahme der Pulveraktivkohlestufe im Frühling und Sommer signifikant zugunsten der Weibchen verschoben. Anderweitige Studien im Labor und Freiland konnten ein in Richtung der Weibchen verschobenes Geschlechterverhältnis in Gammariden in Zusammenhang mit einer Exposition gegenüber Östrogenen und/oder Xenoöstrogenen bringen (Schneider et al. 2015, Watts et al. 2002). Und auch die an der Schussen gewonnenen Ergebnisse vor Inbetriebnahme der Pulveraktivkohlestufe deuteten auf mögliche hormonell wirksame Substanzen flussabwärts des Kläranlageneinleiters hin. Nach dem Ausbau der Kläranlage war das Geschlechterverhältnis in Gammariden nur noch im Frühling signifikant zugunsten der Weibchen verschoben, die zuvor beobachteten Unterschiede im Sommer traten nicht mehr auf. Dass hormonell wirksame Mikroschadstoffe unterhalb der Kläranlage vor deren Ausbau präsent waren, zeigten auch Untersuchungen weiterer Kooperationspartner. Anhand von Reportergenassays mit Mamma-karzinomzelllinie und HeLa-Zelllinie (Blaha und Benisek 2017) sowie E-Screen Assays (Kuch 2017a) wurden östrogene Wirkpotentiale an PS 3 unterhalb der Kläranlage festgestellt. Nach dem Ausbau der Kläranlage waren sowohl in den Reportergenassays als auch in den durchgeführten E-Screen Assays die ermittelten Konzentrationen an Ethinylöstradioläquivalenten (EEQ) deutlich geringer als zum Zeitpunkt vor Ausbau der Kläranlage (Blaha und Benisek 2017, Kuch 2017a). Demzufolge kann die Reduktion östrogener Substanzen durch die Pulveraktivkohlestufe zu einer Veränderung im Geschlechterverhältnis geführt haben, wodurch dieses im Sommer nicht mehr signifikant zugunsten der Weibchen verschoben wurde. Nach wie vor war das Geschlechterverhältnis allerdings im Frühling auch nach Ausbau der Kläranlage signifikant zugunsten der Weibchen verschoben. Möglicherweise haben sich Pestizide, die verstärkt im Frühjahr eingesetzt werden und auch hormonell wirken können, auf das Geschlechterverhältnis ausgewirkt.

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Zusätzliche toxische Einflüsse der Kläranlage Langwiese wurden anhand der Untersuchung der Fekundität brütender Gammariden ersichtlich. Wie in Kapitel 3 bereits diskutiert, bestärkten weitere Studien (Brettschneider et al. 2019, Harth et al. 2018, Ladewig et al. 2006, Mazurová et al. 2010, Wigh et al. 2017) die Annahme, dass die Fekundiät weiblicher Gammariden von einem komplexen Zusammenspiel zahlreicher Faktoren bestimmt wird. Vor Inbetriebnahme der Pulveraktivkohlestufe war der Fekunditätsindex weiblicher Gammariden in den Sommer- und Herbstprobenahmen unterhalb der Kläranlage signifikant niedriger als oberhalb. Dies stand vermutlich weniger mit hormonellen als mit zusätzlichen toxischen Einflüssen im Zusammenhang. Durch den Ausbau der Kläranlage wurden diese Einflüsse reduziert, so dass hinsichtlich der Fekundität weiblicher Gammariden zwischen den Probestellen ober- und unterhalb der Kläranlage keine signifikanten Unterschiede mehr auftraten. Im Probenahmezeitraum nach dem Ausbau der Kläranlage waren die Fekunditätsindizes brütender Weibchen im Herbst an PS 5 an der Argen signifikant höher als an PS 3 unterhalb der Kläranlage an der Schussen. Im Herbst waren die toxischen Wirkungen in der Argen somit geringer als in der Schussen.

Um gezielt proteotoxische Wirkungen zu untersuchen, wurde, wie bereits in Kapitel 3 beschrieben, das Stressproteinlevel der an den einzelnen Probestellen entnommenen Gammariden bestimmt. Nach dem Kläranlagenausbau, im Frühling 2014, konnten an PS 0 anhand einer größeren Stichprobe an G. roeseli und G. pulex Individuen erneut die Stressprotein-Grundlevel beider Arten statistisch verglichen werden. Im Gegensatz zu Ergebnissen die eine kleinere Stichprobe vor Ausbau der Kläranlage lieferte, ergaben sich nun mit der für statistische Auswertungen geeigneteren größeren Stichprobe keine signifikanten Unterschiede mehr zwischen den beiden Arten. Im Folgenden wurden deshalb die beiden Arten nicht mehr getrennt analysiert und als Gammarus spec. bezeichnet. Dadurch konnten nun auch die Stressproteinlevel in Gammariden von PS 3 an der Schussen (unterhalb der KA) mit denjenen in Gammariden von PS 5 an der Argen verglichen werden. Wie vor Ausbau der Kläranlage ergaben sich nach deren Ausbau keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Stressprotein-Grundlevel weiblicher und männlicher Gammariden. Somit konnten nach wie vor die Analysen beider Geschlechter zusammengeführt und gemeinsam ausgewertet werden. Vor dem Ausbau der Kläranlage Langwiese war im Frühling das Stressproteinlevel in Gammariden unterhalb der Kläranlage signifikant höher als an der Probestelle oberhalb der Kläranlage. In Gammariden, die nach Inbetriebnahme der Pulveraktivkohlestufe unterhalb der Kläranlage entnommen wurden, war das Stressproteinlevel im Vergleich zur Probestelle oberhalb der Kläranlage nicht mehr signifikant erhöht. Dies deutete darauf hin, dass proteotoxische Substanzen, die vor dem Ausbau der Kläranlage das Stressproteinlevel in Gammariden erhöht hatten, durch Inbetriebnahme der Pulveraktivkohlestufe reduziert wurden, und sich nicht mehr in einem Anstieg des Stressproteinlevels äußerten.

Auch auf Ebene der Lebensgemeinschaft (Untersuchung des Makrozoobenthos durch Dr. Karl Wurm, Gewässerökologisches Labor Starzach) konnten durch den Ausbau der Kläranlage Langwiese bereits

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15 Monate nach Inbetriebnahme der Pulveraktivkohlestufe erste Veränderungen festgestellt werden.

Betrachtet wurden in diesem Kapitel die Gesamttaxazahl und der Saprobienindex anhand der Daten für Frühling und Herbst vor (Mittelwerte der Jahre 2012 und 2013) und nach dem Ausbau der Kläranlage (2014). Vor Inbetriebnahme der Pulveraktivkohlestufe waren direkt unterhalb der Kläranlage (PS 2) die makrozoobenthischen Taxa in geringerer Anzahl vertreten als es oberhalb der Kläranlage (PS 0) und an der Argen (PS 4) der Fall war. Nach Ausbau der Kläranlage war die Taxazahl an der Schussen unterhalb der Kläranlage Langwiese im Frühjahr als auch im Herbst im Vergleich zu Probenahmen vor dem Ausbau deutlich erhöht. Im Referenzgewässer Argen erniedrigte sich im Frühling und Herbst nach dem Zeitpunkt des Kläranlagenausbaus an der Schussen die Anzahl der Taxa.

Da die Untersuchungen des Zustands nach Ausbau der Kläranlage lediglich ein Jahr (2014) umfassten, konnte nicht eindeutig festgestellt werden, ob der Rückgang makrozoobenthischer Taxa an der Argen eher mit jahresspezifischen Schwankungen oder einer Verschlechterung des Gewässerzustands an der Argen in Zusammenhang gebracht werden konnte. An der Schussen wurden positive Veränderungen auch bei Auswertung des Saprobienindex gezeigt. Nach Inbetriebnahme der Pulveraktivkohlestufe war der Saprobienindex in der Schussen unterhalb der Kläranlage Langwiese im Frühling deutlich und im Herbst leicht niedriger als vor dem Ausbau der Kläranlage. Dies war am Referenzgewässer Argen nicht der Fall. Die Zuschaltung einer vierten Reinigungsstufe kann den CSB-Wert (Chemischer Sauerstoffbedarf, beschreibt die Menge an Sauerstoff, welche zur Oxidation der gesamten organischen Stoffe im Wasser verbraucht wird) im Kläranlagenablauf deutlich verringern, da organische Verbindungen über Aktivkohle entnommen werden können (Metzger 2019). Eine Erhöhung des Sauerstoffgehalts im Gewässer unterhalb der Kläranlage nach deren Ausbau könnte sich in einem Anstieg der Anzahl sauerstoffsensitiver Taxa äußern. Diesen wird im Saprobiensystem ein geringerer Saprobiewert zugeordnet als es bei Arten die an sauerstoffarme Bedingungen angepasst sind der Fall ist, was zu einer Verringerung des Saprobienindexes führen würde. Anhand der begleitenden limnochemischen Wasseruntersuchungen konnten an der Probestelle unterhalb der Kläranlage jedoch keine Unterschiede zwischen den Untersuchungszeiträumen vor und nach deren Ausbau festgestellt werden. Da aber belastungssensitive Arten zumeist auch die Arten sind, welche höhere Anforderungen an den Sauerstoffgehalt des Gewässers stellen, kann einer Erniedrigung des Saprobienindex auch der Anstieg belastungssensitiver Taxa aufgrund der Reduktion von Spurenstoffen im Kläranlagenablauf zugrunde liegen.

Diese positiven Auswirkungen der Inbetriebnahme der Pulveraktivkohlestufe auf der Kläranlage Langwiese auf invertebrate Lebewesen in der Schussen spiegelten sich auch in zahlreichen Ergebnissen beteiligter Kooperationspartner des Verbundprojekts wider, welche in Abschnitt 5 zusammengefasst und diskutiert werden. Im vorliegenden Kapitels konnte zum einen gezeigt werden, dass sowohl die Verteilung der Taxa innerhalb des Makrozoobenthos als auch der Gesundheitszustand von

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Gammariden durch die Kläranlage Langwiese bei Ravensburg vor deren Ausbau mit einer Pulveraktivkohlestufe negativ beeinflusst wurde. Hinweise auf mögliche Wirkungen hormonell wirksamer Substanzen lieferten die Untersuchungen zum Geschlechterverhältnis bei Gammariden. Die Resultate zur Fekundität der Weibchen sprachen zudem für den Einfluss nicht nur hormonell wirksamer, sondern auch vor allem toxischer Substanzen, die sich negativ auf die Fruchtbarkeit weiblicher Gammariden vor Ausbau der Kläranlage ausgewirkt haben. Nach Ausbau der Kläranlage kam es zu einer deutlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes der Gammariden. Dieser Effekt auf Individualebene spiegelte sich auf biozönotischer Ebene wider: Der verbesserte Saprobienindex und die höheren Taxazahlen in der Schussen unterhalb der Kläranlage wiesen auf einen positiven Einfluss des KA Ausbaus auf die Gewässerbiozönose hin. Da der Untersuchungszeitraum nach Inbetriebnahme der vierten Reinigungsstufe jedoch erst zwei Jahre umfasste, konnten auch jahresspezifische Schwankungen nicht ausgeschlossen werden. Um die in diesem Kapitel gewonnenen Aussagen zu untermauern und jahresspezifische Schwankungen bestmöglich ausschließen zu können, wurden die Untersuchungen noch für weitere Jahre fortgeführt. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden im folgenden Kapitel 5 zusammenfassend vorgestellt.

Kapitel 5: Impact of a wastewater treatment plant upgrade on amphipods and other