• Keine Ergebnisse gefunden

2.2 Fragmentbasierte und QM/MM-Verfahren

2.2.2 QM/MM-Verfahren

Wie eingangs erw¨ahnt, kommen QM/MM-Verfahren h¨aufig bei der Untersuchung von chemischen Reaktionen in Makromolek¨ulen zum Einsatz, wobei lediglich ein kleiner Teil des betrachteten Systems von Interesse ist. Wegweisend waren hier unter anderem

die Arbeiten von Arieh Warshel und Michael Lewitt [35] in den 70er Jahren des 20.

Jahrhunderts.

Grundprinzip aller QM/MM-Verfahren ist die Unterteilung des betrachteten Systems in ein

”interessantes“ und ein

”uninteressantes“ Teilsystem. Die erw¨ahnten Enzymreak-tionstudien sind ein hervorragendes Beispiel daf¨ur: Das aktive Zentrum des Enzyms mit einem Substratmolek¨ul ist der Bereich, dessen Verhalten untersucht werden soll, w¨ahrend der Rest des Proteins sowie eventuell vorhandene Wasser- oder Solvensmo-lek¨ule die zwar uninteressante, f¨ur ein korrektes Verhalten des

”interessanten“ Teils aber notwendige Umgebung darstellen. Das aktive Zentrum wird dann, abh¨angig vom gew¨ahlten Verfahren, mit einer genaueren (meist quantenmechanischen) Methode be-schrieben als die Umgebung, so daß gegen¨uber einer quantenmechanischen Behandlung des Gesamtsystems ein deutlicher Gewinn an Rechenzeit erreicht wird. Die Qualit¨at der f¨ur das aktive Zentrum verwendeten Methode kann dadurch wesentlich h¨oher gew¨ahlt werden, ohne daß sich deswegen die erforderliche Rechenzeit deutlich verl¨angert.

Die Umgebung wird meist mit molekularmechanischen Verfahren behandelt, da hier Ph¨anomene wie Bindungsbruch und -bildung im Rahmen der untersuchten Vorg¨ange nicht vorkommen sollten und die Wechselwirkungen aufgrund der gr¨oßeren Entfernung zum aktiven Zentrum n¨aherungsweise als klassisch-mechanisch beschreibbar angesehen werden k¨onnen. Da das Augenmerk insbesondere bei enzymatischen Prozessen eher auf den geometrischen als den elektronischen Auswirkungen liegt und Konformations¨an-derungen des Enzyms w¨ahrend der Reaktion eine wesentliche Rolle spielen, ist dieses Vorgehen sehr zweckm¨aßig und effektiv.

Sind das QM- und das MM-Teilsystem r¨aumlich voneinander getrennt und existie-ren keine kovalenten Bindungen zwischen Atomen des einen und des andeexistie-ren Teils, gestaltet sich die Wechselwirkung zwischen den Teilbereichen relativ einfach. Es m¨us-sen lediglich die van-der-Waals- und Coulomb-Wechselwirkungen zwischen QM- und MM-System ber¨ucksichtigt werden, f¨ur deren Berechnung alle Voraussetzungen in den verwendeten Theorien gegeben sind. Die Behandlung dieser Wechselwirkungen kann auf unterschiedliche Arten geschehen, die als embedding schemes (

” Einbettungsans¨at-ze“) bezeichnet werden [36].

DasMechanical Embedding (ME) ist die einfachste dieser M¨oglichkeiten. Wechsel-wirkungen zwischen dem QM- und dem MM-Teilsystem werden auf einer rein mole-kularmechanischen Ebene gehandhabt, d.h., Coulomb-Wechselwirkungen werden zwi-schen den MM-Punktladungen und den aus der zuvor erfolgten quantenmechanizwi-schen Berechnung des QM-Teils erhaltenen Atom-Partialladungen berechnet. Die sterische Abstoßung oder Anziehung zwischen MM- und QM-Atomen wird ebenfalls ¨uber einen entsprechenden MM-Term abgehandelt, wobei meist das Lennard-Jones-Potential zur Anwendung kommt. Das ME stellt daher eine stark vereinfachte Form einer Inter-aktion zwischen QM- und MM-System dar. Die Wirkung der umgebenden Ladungen auf die Elektronenverteilung im QM-System wird nicht ber¨ucksichtigt. Die Berechnung

des QM-Teilsystems erfolgt als isoliertes System ohne Umgebung, die Wechselwirkung mit dem MM-System liefert lediglich einen zus¨atzlichen Beitrag in der Gesamtener-gie des Systems. Das ME ist daher f¨ur Problemstellungen mit einer stark anisotropen Ladungsverteilung um das

”interessante“ Teilsystem schlecht geeignet, ebenso wie f¨ur fragmentbasierte Methoden (f¨ur eine deutliche Darstellung der Probleme siehe [37]).

Rechnerisch aufwendiger, aber entsprechend genauer ist das sogenannte Electric Embedding (EE). Hierbei wird zwischen Punktladungen und delokalisierten Ladun-gen unterschieden: Coulomb-WechselwirkunLadun-gen zwischen dem QM- und dem MM-Teil werden in Punktladung-Kern- und Punktladung-Elektron-Wechselwirkungen unterteilt und letztere (analog zur rein quantenmechanischen Behandlung der Kern-Elektron-Anziehung) exakt, d.h. ¨uber Integralberechnung behandelt, so daß die quantenmecha-nische Seite ihren delokalisierten Charakter beh¨alt. Die sterischen Wechselwirkungen werden analog zumME behandelt.

Das am ehesten dem realen Verhalten entsprechende Prinzip ist alsPolarized Embed-ding (PE)bekannt. Hierbei wird zus¨atzlich noch die starre Belegung eines MM-Atoms mit einer festen, durch das verwendete Kraftfeld bestimmten Punktladung aufgege-ben, so daß Einfl¨usse des QM-Systems auf den MM-Bereich ebenfalls ber¨ucksichtigt werden k¨onnen. Auf diese Weise werden Polarisationseffekte in die Rechnung einbezo-gen, die durch Ver¨anderungen im QM-Teilsystem hervorgerufen werden. Im QM/MM-Forschungsfeld sind polarisierbare Kraftfelder aufgrund des unverh¨altnism¨aßig h¨oheren Aufwands f¨ur eine vergleichsweise geringe Steigerung der Qualit¨at noch relativ un¨ub-lich. Da sich die bisher publizierten polarisierbaren Kraftfelder noch in der Entwicklung befinden, existieren nur wenige Ver¨offentlichungen, die einen sinnvollen Vergleich mit den anderenembedding schemes zulassen.PE bietet sich eher f¨ur die in Abschn. 2.2.3 behandelten Methoden an, bei denen es auf eine quantenmechanische Behandlung des gesamten Molek¨uls ankommt. Hierbei treten Polarisationseffekte im Lauf eines betrachteten Prozesses eher in entsprechender St¨arke auf.

Die bisher geschilderten Vorgehensweisen gehen alle von einer deutlichen Trennung zwischen QM- und MM-Teilsystem ohne

”intersystemische“ kovalente Bindungen aus.

Diese Voraussetzung ist jedoch gerade bei den am h¨aufigsten mit QM/MM-Methoden behandelten biologischen Systemen nicht gegeben, da zum Beispiel das aktive Zentrum eines Enzyms in aller Regel einen integralen Bestandteil des restlichen Proteins bildet und mit diesem w¨ahrend der Reaktion ¨uber kovalente Bindungen verbunden bleibt und wechselwirkt. In solchen F¨allen ist es zus¨atzlich erforderlich, die Wirkungen dieser Bindungen auf beide Teilsysteme zu ber¨ucksichtigen.

Hierbei ist zun¨achst zu erw¨ahnen, daß eine Bindung im eigentlichen Sinn in der Quantenmechanik nicht existiert. Bindungseffekte werden hier rein ¨uber – verglichen mit dem freien Atom – An- oder Abreicherungen an Elektronendichte in einem be-stimmten Bereich beschrieben. Dieser delokalisierten Beschreibung steht das Modell einer Bindung im molekularmechanischen Bild als definierter Entit¨at (mit dieser

spe-ziellen Bindung entsprechenden Formeltermen) zwischen zwei Atomen gegen¨uber. Die Behandlung solcher durch die QM-MM-Grenzfl¨ache verlaufenden Bindungen, die ge-meinhin mit dem Begriff

”Abs¨attigung“ bezeichnet wird, muß daher immer von einer gewissen chemischen Intuition und Erfahrung begleitet werden und es muß unter allen Umst¨anden vermieden werden, die Grenzfl¨ache durch Bindungen zu legen, welche in dieser Erfahrung einen unklaren Charakter besitzen. Beispiele hierf¨ur w¨aren etwa Phe-nylgruppen mit ihrer stark delokalisierten Elektronenh¨ulle oder auch Peptidbindungen mit ihrem konjugierten Bindungscharakter. Es kann f¨ur gew¨ohnlich nicht erwartet wer-den, daß sich Bindungsbr¨uche in solchen Konstellationen durch eine allgemein g¨ultige N¨aherung sinnvoll beschreiben ließen.

Das Abs¨attigungsproblem wird in Abschn. 2.3 noch ausf¨uhrlich behandelt, so daß hier nur die grunds¨atzliche Problematik kurz ausgef¨uhrt werden soll. Verl¨auft die Sys-temgrenze zwischen QM- und MM-Bereich durch eine kovalente Bindung, so wird diese gebrochen — das eine Atom wird dem QM-, das andere dem MM-Teilbereich zugerechnet. Hierdurch verliert das MM-Atom seine delokalisierte Elektronenh¨ulle, die f¨ur die Beschreibung der Bindung aus quantenmechanischer Sicht unerl¨aßlich ist. Eine L¨osung besteht darin, ein – wie auch immer geartetes – Capping-Atom einzuf¨uhren, das an die Stelle des MM-Atoms tritt und so die quantenmechanische Beschreibung der Bindung wieder erm¨oglicht. Dieses Capping-Atom darf lediglich eine freie Valenz besitzen, da das Problem sonst auf die von diesem Atom ausgehenden Bindungen verlagert w¨urde. Es bieten sich daher vor allem Wasserstoffatome und Halogenatome als Capping-Atome an, wobei Wasserstoff durch seine Elektronenarmut und fehlende zweite Schale, Halogenatome dagegen durch ihre vollkommen andere Elektronegativit¨at problematisch sind. H-Atome haben sich jedoch, besonders als Ersatz f¨ur aliphatischen Kohlenstoff mit seiner sehr ¨ahnlichen Elektronegativit¨at, als hervorragende Wahl f¨ur Capping-Atome erwiesen. Eine dritte M¨oglichkeit bieten kleine funktionelle Gruppen, mit denen die freie Valenz abges¨attigt wird; diese verlagern jedoch lediglich das Pro-blem, ohne es zu l¨osen.

Alternativ kann auch versucht werden, die Bindung an sich (statt des fehlenden Atoms) zu ersetzen. Hier existieren im wesentlichen zwei orbitalbasierte Verfahren, das Local Self-Consistent Field (LSCF)-Verfahren und das Generalized Hybrid Orbi-tals-Prinzip, wobei letzteres die Grundlage der vorliegenden Arbeit bildet und in Ab-schn. 2.3.2.1 detailliert beschrieben wird.

Ziel einer QM/MM-Berechnung ist meist eine Molek¨ulstruktur oder die angen¨aher-te molekulare Gesamangen¨aher-tenergie, bei Enzymen oft im komplexierangen¨aher-ten Zustand mit dem Substrat in unterschiedlichen Konformationen. Reaktionsstudien mit der Erzeugung von Energieprofilen f¨ur einen vorgegebenen Reaktionsweg sind ebenfalls ¨ublich. Damit sind die QM/MM-Methoden auf der deutlich anwendungsbezogenen und auch f¨ur die pharmazeutische Industrie sehr interessanten Seite einzuordnen.