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Besuchskommission 5: Stadt Halle, Landkreise Mansfelder Land und Saalkreis Besuchszeitraum Mai 1995 – April 1996

V. Zusammenfassende Einschätzung von ausgewählten Teilbereichen der psychiatrischen Versorgung im Land Sachsen-Anhalt

V.8. Psychotherapie/Psychosomatik

Im Land Sachsen-Anhalt stehen derzeit 23 ärztliche und 74 psychologische Psychotherapeuten für die psychotherapeutische Versorgung psychisch bzw.

psychosomatisch Kranker im Ambulanzbereich zur Verfügung.

Zur Sicherung der ambulanten psychotherapeutischen Betreuung der Bevölkerung auf einem hohen Qualitätsniveau wurde im Land Sachsen-Anhalt zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung des Landes Sachsen-Anhalt, dem Arbeitskreis Niedergelassener Psychologen im BDP Sachsen-Anhalt, der Sachverständigenkommission der Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie (GPPMP), die zugleich als Sachverständigenkommission für Psychotherapie bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt tätig ist und den Kostenträgern (Vertragskassen) folgende Vereinbarung getroffen:

1. Die Vertragspartner haben sich einvernehmlich in einem Abstimmungsprotokoll auf eine modifizierte Version des Delegationsverfahrens für psychologische Psychotherapeuten geeinigt, um eine möglichst qualitätsgerechte und ausreichende Bevölkerungsversorgung für Psychotherapie zu gewährleisten. Damit konnte die Anzahl der für die Abrechnungen bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalts ermächtigten Psychotherapeuten auf einen Bestand gebracht werden, der dem Bedarf einigermaßen entspricht.

2. Zur Qualitätssicherung wurde ein Sachverständigengremium berufen, das sich aus erfahrenen ärztlichen Psychotherapeuten zusammensetzt und die Kassenärztliche Vereinigung des Landes Sachsen-Anhalts bei der Zulassung zur Abrechnungsermächtigung im Rahmen der Psychotherapierichtlinien und des Bundesmantelvertrages berät.

Damit liegt im Land Sachsen-Anhalt ein außerordentlich effektives Modell zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung vor, das für qualifizierte ärztliche und psychologische Psychotherapeuten gleichermaßen annehmbare Bedingungen schafft und eine psychotherapeutische Versorgung nur über die Kassenärztliche Vereinigung im Land Sachsen-Anhalt garantiert.

Die Effektivität dieses Vorgehens und seine Akzeptanz durch die beteiligten Ärzte und Psychologen wurde in einem therapiebegleitenden Evaluierungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg (Medizinische Fakultät, Prof. Dr. Richter) ermittelt; die inzwischen vorliegenden ersten Untersuchungsergebnisse bestätigen vollauf den hohen Nutzen dieses Modellprojektes sowohl für Patienten als auch für die beteiligten ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten. Weitere Evaluationsstudien, insbesondere Patientenbefragungen, sind in Vorbereitung. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt vorgesehen.

Das Modell garantiert eine einheitliche psychotherapeutische Fortbildung und in der Praxis eine Gleichstellung von Psychologen und ärztlichen Psychotherapeuten sowie eine gemeinsame Abrechnungsermächtigung beider psychotherapeutischer Fachgruppen im Rahmen der Kassenärztlichen Vereinigung. Das sogenannte Kostenerstattungsverfahren musste daher im Land Sachsen-Anhalt nicht eingeführt werden, was hier beträchtliche Konflikte vermieden hat.

Mit diesem Modell wurde nicht nur eine sinnvolle und kollegiale Kooperation zwischen ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten erreicht (was außerhalb des Landes Sachsen-Anhalt nicht gerade eine Selbstverständlichkeit ist), sondern auch eine bedarfsgerechte und anforderungsvolle Patientenversorgung abgesichert.

Die Versorgungsdichte der Psychotherapeuten liegt dennoch unter dem Bundesdurchschnitt:

(1990 Bundesdurchschnitt: 11,5 Psychotherapeuten pro 100 000 Einwohner). In Sachsen-Anhalt stehen zurzeit etwa 3 Psychotherapeuten für 100 000 Einwohner zur Verfügung, insgesamt liegt damit noch immer eine gewisse Unterversorgung vor, die sich jedoch allmählich zu verringern scheint.

Dieses Modell wurde im Rahmen der Diskussionen im Gesprächskreis

„Psychotherapiegesetz“ der deutschen psychologischen bzw. psychotherapeutischen Fachgesellschaften und von Anhörungen zum Beispiel im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages über die Grenzen des Landes Sachsen-Anhalts hinausgetragen.

Wesentliche Aspekte dieser Vereinbarung finden sich in den Entwürfen zum zukünftigen Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten vorrangig im Vorschlag zum sogenannten Integrationsmodell der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wieder.

Unabhängig von dieser ambulanten Versorgung ist die Tatsache anzuführen, dass systemische psychosomatische Konsiliardienste in den meisten Krankenhäusern noch immer fehlen. Der Ausschuss empfiehlt neben der Verbesserung der ambulanten Versorgung dringend die Einrichtung psychosomatischer Konsiliardienste in den Krankenhäusern. Hier ist eine Regelung zur Kostenübernahme durch die Kassen in Zusammenarbeit mit dem MDK anzustreben.

Im übrigen begrüßt der Ausschuss die seit Jahrzehnten bewährten psychotherapeutischen/psychosomatischen Fachabteilungen an psychiatrischen Fachkrankenhäusern und Allgemeinkrankenhäusern.

Er spricht sich für einen Ausbau und eine Erweiterung solcher Behandlungsmöglichkeiten aus (s. Abschnitt V.5.). Dies gilt insbesondere auch für die an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg bestehende Klinik und Poliklinik für Psychotherapie/Psychosomatik.

Prof. Dr. Hennig

V.9. Maßregelvollzug

Mit dem Inkrafttreten des Maßregelvollzugsgesetzes am 15.10.1992 hatte das Land Sachsen-Anhalt im Vergleich zu den übrigen neuen Bundesländern für dieses besonders schwierige psychiatrische Versorgungsgebiet eine Vorreiter-Rolle übernommen. Es war daher voraussehbar, dass es auf Grund der damit verbundenen personellen und strukturellen Veränderungen zu erheblichen Anlaufschwierigkeiten kommen musste. Zudem darf dabei keinesfalls auf einen Hinweis auf die auch heute noch fortbestehenden großen Schwierigkeiten im Maßregelvollzug der alten Bundesländer verzichtet werden.

Auch ist seitens des Psychiatrie-Ausschusses die Rolle der alten Bundesländer bei der Hilfe in besonders schwierigen Unterbringungsfällen oder bei deren Bereitschaft, das Land Sachsen-Anhalt bei der Personalfortbildung und bei der Entlastung durch die Übernahme von Maßregelvollzugspatienten auf Grund der landeseigenen noch beschränkten Bettenkapazität zu unterstützen, dankbar hervorzuheben.

Der Ausschuss stellt am Ende des 3. Jahres seiner Tätigkeit fest, dass das zuständige Ressort der Landesregierung und auf der mittleren Ebene das Landesamt für Versorgung und Soziales nachdrücklich bemüht waren, die in den beiden ersten Ausschussberichten geschilderten großen Schwierigkeiten und Missstände zu beseitigen oder zumindest einer positiven Lösung näher zu bringen.

Vorrangig möchte der Ausschuss aber auch an dieser Stelle die Arbeit der Mitarbeiter in den beiden Maßregelvollzugseinrichtungen in Uchtspringe und Bernburg würdigen.

Sie gehört mit Sicherheit zu den schwierigsten Tätigkeitsbereichen innerhalb der psychiatrischen Krankenversorgung mit ihren besonders hohe Einsatzbereitschaft fordernden Ansprüchen einer individuellen Therapie und Resozialisierung auf der einen und den Anforderungen nach Sicherung auf der anderen Seite.

Wie schon weiter oben erwähnt, haben es Ausschuss und zuständige Besuchskommission dankbar begrüßt, dass sich der Präsident des Landtages Herr Dr. Keitel seiner Zusage entsprechend im März 1996 im Landeskrankenhaus Uchtspringe einen Eindruck über die fortbestehenden Schwierigkeiten verschaffen konnte.

In der gebotenen Kürze soll daher im Folgenden nur die vom Ausschuss zu beanstandenden besonders eilbedürftigen Probleme des Maßregelvollzuges im Land Sachsen-Anhalt aufgeführt werden.

1. Die uneingeschränkt erforderliche Zusammenarbeit zwischen Justiz und Psychiatrie bedarf dringend der wechselseitigen Vertiefung. Dazu gehört die Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten für den Bereich „Forensische Psychiatrie“ ebenso wie die entsprechende Qualifikation ärztlicher Sachverständiger, nicht zuletzt auch in Hinblick auf deren enge persönliche Zusammenarbeit mit den Maßregelvollzugseinrichtungen einschließlich deren therapeutisch-rehabilitativen Möglichkeiten.

2. Der Qualifikationsstand des Pflegepersonals, insbesondere innerhalb des Maßregelvollzugs in Uchtspringe mit 59,4 % (Stand 2/96) Anteil pflegerischer Hilfskräfte (Bernburg 27,3 %), ist absolut unvertretbar.

Zu hoffen ist, dass die Einrichtung einer Krankenpflegeschule in Uchtspringe baldigst die Verhältnisse bessert.

Aber auch in anderen Personalbereichen sind dringend Verbesserungen erforderlich (Ärzte, Psychologen, Ergotherapeuten).

3. Nach dem Stand vom 31.3.1996 besteht in Uchtspringe eine Überbelegung von 18 Betten (Soll 101, Ist 119). 19 Patienten waren außerhalb des Landes Sachsen-Anhalt untergebracht. Ende März 1996 ergab sich somit ein Fehlbestand von 37 Maßregelvollzugsbetten.

Der Ausschuss stellt dazu fest, dass sich die Landesregierung zu einer hoffentlich konsequenten Neubau-Politik im Maßregelvollzug entschlossen hat. Der Ausschuss erwartet somit den beschleunigten Abschluss der Baumaßnahme in Uchtspringe und den Baubeginn des Neubaus in Bernburg.

4. Seitens der Mitarbeiter der Maßregelvollzugseinrichtungen werden beklagt

• das zeitaufwendige, zur Überfüllung der Aufnahmestationen führende juristische Genehmigungsverfahren bei einer Verlegung vom geschlossenen in einen offenen Bereich

• die Schwierigkeiten bei der Genehmigung von Langzeiturlaub

• sowie Probleme bei der Festlegung der Reihenfolge Maßregel-Strafvollzug.

5. Problematisch ist nach wie vor die Situation der Nachsorge bei in aller Regel mit Auflagen bedingt entlassenen Maßregelvollzugspatienten.

Maßregelvollzugs-Instituts-Ambulanzen zunächst an den Standorten der Maßregelvollzugsanstalten könnten ein erster Schritt sein, den Resozialisierungs-prozess erfolgreicher zu gestalten. Ebenso müssten Plätze in Übergangs- und Wohnheimen zur Verfügung stehen bzw. auch Möglichkeiten des betreuten Wohnens geschaffen werden. Hierbei kommt auch die Inanspruchnahme Sozialpsychiatrischer Dienste ebenso in Betracht wie im Einzelfall den individuellen Erfordernissen entsprechende Funktionen von Betreuern innerhalb des Betreuungsgesetzes.

Diese gedrängte Übersicht klammert unter bewusster Beschränkung auf den Gesetzesauftrag des Ausschusses weitere lösungsbedürftige Probleme aus. Dazu gehören ausstehende Regelungen für drogenabhängige Straftäter, eine bessere Differenzierung des Begriffs der

„schweren anderen seelischen Abartigkeit“, sowie die Schaffung von oder die Beteiligung an landesübergreifender Einrichtungen für besonders individuell zu versorgende Maßregelvollzugspatienten.

Besonders dringlich ist die Forderung nach psychiatrischen Versorgungsmöglichkeiten innerhalb der Justizvollzugsanstalten, wenn bei der erkennbaren Zunahme der Schwierigkeitsgrade der Rückfalltäter nicht vom Gesetzgeber gewollte und den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker entsprechende Regelungen zu deren Lasten und auf dem Rücken des Personals verwässert werden und somit der Sicherungsaspekt den der Besserung (sprich der Therapie und Resozialisierung) allmählich verdrängt. Innerhalb eines Strafvollzugskrankenhauses müssen auch Möglichkeiten für eine psychiatrische Krisenintervention zur Verfügung stehen und somit entsprechende Regelungen durch die Landesregierung kurzfristig in die Wege geleitet werden.

Abschließend ist noch zu erwähnen, dass sich der Ausschuss bei der Bedeutung des Maßregelvollzugs auch mit der Frage der Einrichtung einer gesonderten Besuchskommission für den Maßregelvollzug befasst hat. Wegen der engen Verklammerung vieler Problembereiche der stationären Krankenversorgung einschließlich der Enthospitalisierung besonders im Landeskrankenhaus Uchtspringe dürfte der Zeitpunkt für eine solche Neuregelung jedoch verfrüht sein. Außerdem sieht die Geschäftsordnung der Besuchskommission gegebenenfalls auch eine Hinzuziehung weiterer Experten vor.

Prof. Dr. H. Heinze

VI. Empfehlungen und Anregungen des Psychiatrieausschusses an den Landtag