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Psychoonkologie in der Pädiatrie

Im Dokument Schwerpunkt: Psychoonkologie 02 (Seite 25-28)

Anna Graf, Psychologin FSP, Universitäts- Kinderkliniken Zürich

Alice Prchal, Psychologin FSP, Universitäts-Kinderkliniken Zürich

In der Schweiz erkranken jährlich mehr als 200 Kinder und Jugendliche an einer Krebserkrankung, wobei etwa die Hälfte der Krebserkrankungen bei Kindern im Vor-schulalter diagnostiziert werden [1]. Dank enormen Be-handlungsfortschritten können heute bis zu 80% der betroffenen Kinder und Jugendlichen ihre Erkrankung langzeitig überleben. Voraussetzung für die hohe Hei-lungsrate ist jedoch eine intensive medizinische Behand-lung mit wiederkehrenden Spitalaufenthalten, teilweise schweren körperlichen Nebenwirkungen und möglichen körperlichen Spätfolgen. Eine Krebskrankheit und deren Behandlung bedeuten für die gesamte Familie eine lang anhaltende psychische Ausnahmesituation, die ausserge-wöhnliche Anpassungsleistungen verlangt. Als Folge der vielfältigen Belastungen erhöht sich bei den betroffenen Kindern und Familienmitgliedern das Risiko psychoso-zialer Maladaptation wie beispielsweise die Entwicklung von Ängsten und von depressiven oder posttraumatischen Belastungssymptomen [2]. Entsprechend richtet sich der Blick von Forschung und Praxis seit den 80er Jahren zu-nehmend auf die ganzheitliche Genesung und die Sicher-stellung von optimalen Entwicklungsbedingungen für die betroffenen Kinder und ihre Familien. Damit sind neben somatischen und neuropsychologischen Aspekten auch psychosoziale Parameter wie die Qualität der psychischen Adaptation, die Lebensqualität sowie die Chance auf posi-tive Reifungsprozesse gemeint [3].

Betreuungsrahmen

Die pädiatrische Onkologie hat für die ganzheitliche und interdisziplinär ausgerichtete Versorgung von chronisch kranken Patienten eine Vorreiterrolle gespielt. So wurden in Deutschland und in der Schweiz bereits in den 80er Jahren verschiedene psychoonkologische Betreuungskon-zepte in der Pädiatrie entwickelt und evaluiert [4]. Ob-schon zum grössten Teil über Drittmittel finanziert, ist heute die Psychoonkologie in den Schweizer Kinderspi-tälern integraler Bestandteil der onkologischen Behand-lung.

Wie in den Leitlinien zur psychosozialen Versorgung in der pädiatrischen Hämatologie und Onkologie [5] for-muliert, findet die psychoonkologische Betreuung in enger Wechselwirkung mit der ärztlich-onkologischen Behandlung statt. Als Experten des Krankseins und der Krankheitsbewältigung sind psychologische Fachkräfte in das Team einer pädiatrisch-onkologischen Abteilung integriert. Erst dieses Setting ermöglicht eine unmittel-bare Unterstützung bei plötzlichen Krisen und eine enge Abstimmung mit dem medizinischen Behandlungsproce-dere [6]. In den Schweizer Kinderspitälern erhalten grund-sätzlich alle Patienten und ihre Familien eine psycholo-gische Grundversorgung (Liaisonkonzept). Diese findet zu Behandlungsbeginn und in Krisensituationen bei al-len Familien im aufsuchenden Modus statt. Entsprechend führt die psychologische Fachperson in den ersten Tagen nach dem medizinischen Diagnosegespräch mit jeder Fa-milie ein sogenanntes Informationsgespräch. Falls nicht sofortige Kriseninterventionen nötig sind, dient dieses Gespräch der Einschätzung der spezifischen Belastungen und Bewältigungsmöglichkeiten der Familie. Im Sinne der Prävention werden besondere Belastungen im Zusam-menhang mit der Krebskrankheit und der medizinischen Therapie antizipierend besprochen. Ebenso wird im ersten Gespräch oftmals bereits eine dem Alter und Entwick-lungsstand des Kindes angemessene Form der Krank-heitsaufklärung erarbeitet und Anschauungsmaterial in Form von Bilderbüchern und Spielmaterial zur Verfügung gestellt.

Das übergeordnete Ziel der psychoonkologischen Betreu-ung ist stets die AktivierBetreu-ung, VerstärkBetreu-ung und Ergän-zung von Bewältigungsstrategien und die Identifikation der dazu notwendigen Ressourcen. Die Patienten und ihre Familien werden als prinzipiell psychisch gesunde Personen verstanden, die sich in einer aussergewöhnlich belastenden Situation befinden, für deren Bewältigung sie nur zum Teil auf frühere Erfahrungen zurückgrei-fen können [7]. Der Umfang an psychoonkologischer Betreuung ergibt sich in der Regel aus der Diskrepanz zwischen erkrankungsbedingten Anforderungen, den psychosozialen Folgebelastungen und den verfügbaren Ressourcen. Psychoonkologische Interventionen reichen von regelmässigen, orientierenden, supportiven Bera-tungen bis hin zu intensiver Psychotherapie bei komor-biden Störungen oder psychosozialen Folgebelastungen.

Familienorientierung

Krebskranke Kinder und Jugendliche stehen in existen-tieller sozio-emotionaler Abhängigkeit von ihrer Familie.

Somit steht auch die individuelle Krankheitsbewältigung des Kindes in Wechselwirkung mit der

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PSYCHOONKOLOGIE

wältigung der Familie [8]. Die Kooperation bei jüngeren Kindern ist oft z.B. nur dann erreichbar, wenn die Eltern signalisieren, dass sie die Behandlung dem Kind zumuten und zutrauen. Die Familie ist aber auch stets als Ganzes erschüttert, und jedes einzelne Familienmitglied ist mit einer komplett veränderten Lebensrealität konfrontiert.

Den Eltern kommt die entscheidende Aufgabe zu, ih-rem erkrankten Kind Hoffnung, Nähe, Sicherheit und Halt zu geben. Gleichzeitig sind Eltern und Geschwister in einem gewissen Sinn ebenfalls als Betroffene zu sehen [9]. Familieninterventionen beziehen sich auf die Ermuti-gung Gefühle zu äussern, unterstützen im Umgang mit divergierenden Interessen oder unterschiedlichen Bewäl-tigungsstilen und motivieren zum Erhalt sozialer Netz-werke. Bei schwerkranken Kindern werden die Familien in der Auseinandersetzung mit Sinnfragen, Sterben und Tod begleitet [10].

Psychoonkologische Interventionen auf der Patientenebe-ne richten sich in der Anfangsphase häufig auf die Förde-rung eines adäquaten Körper-, Krankheits- und Behand-lungsverständnisses sowie auf den Umgang mit invasiven und schmerzhaften Verrichtungen und die Einnahme von Medikamenten. Dabei kommen nebst entwicklungsange-passten Erklärungen mit Bild- und Spielmaterialien auch Verstärker- oder Belohnungspläne, Ablenkungsverfah-ren, imaginative und hypnotherapeutische Übungen zum Einsatz. Oft können für den Umgang mit schmerzhaften Verrichtungen oder die Einnahme von Medikamenten gemeinsam mit dem Kind detaillierte Skripte zum opti-mierten Ablauf erstellt werden, die dann mit dem medi-zinischen Team abgesprochen und übernommen werden.

Durch diese Vermittlung von Sicherheit und Wählbarkeit kann die Selbstwirksamkeit erhöht und das Traumatisie-rungspotential reduziert werden [11].

Auf der Elternebene ist es zunächst oft wichtig, die hef-tigen Gefühle als adäquate Reaktionen auf eine ausser-gewöhnliche krisenhafte Situation zu normalisieren und Schuldgefühle (z.B. das Kind nicht umfassend geschützt zu haben) aufzugreifen. Weitere Interventionen beziehen sich auf die Beratung und Unterstützung in der Entschei-dungsfindung in medizinischen Fragen und der tion an die veränderte Lebens-, Familien- und Paarsitua- tion. Die Eltern werden in ihrer Erziehungskompetenz und in einer offenen familiären Kommunikation bestärkt.

Während bei den Eltern und den Patientenkindern in den ersten Wochen und Monaten oftmals eine gewisse Anpas-sung an die Erfordernisse der Erkrankung und Behand-lung stattfindet, leiden Geschwister oft dauerhaft und un-bemerkt unter der veränderten familiären Situation. Dem Einbezug der Geschwister in das psychoonkologische Betreuungsangebot wird deshalb grosse

Aufmerksam-keit geschenkt. In den meisten Schweizer Kinderspitälern werden zweimal pro Jahr Geschwisternachmittage auf der onkologischen Abteilung organisiert, die neben einem so-zialen Austausch auch psychoedukative Ziele verfolgen.

Einzelne Gespräche oder eine psychotherapeutische Be-handlung stehen Geschwistern ebenso offen wie den rest-lichen Familienmitgliedern [12].

Entwicklungsorientierung

Einerseits vollziehen sich die Wechselwirkungen zwischen der individuellen Krankheitsverarbeitung und der syste-mischen Ebene der Familien als Prozess über die Zeit hin-weg. Andererseits unterliegen Patientenkinder selber in biopsychosozialer Hinsicht einer grossen Entwicklungs-dynamik. Je nach Entwicklungsstand haben Kinder sehr unterschiedliche und von den Erwachsenen abweichende Vorstellungen und Befürchtungen im Zusammenhang mit der Krankheit und der Behandlung. So kann die Wei-gerung eines jüngeren Kindes, sich Blut abnehmen zu las-sen, auf der Vorstellung basieren, dass nur eine bestimmte Menge an Blut im Körper ist und dieses irgendwann zur Neige geht. In dem Zusammenhang ist das Vermit-teln einer entwicklungsorientierten Vorstellung von der Krankheit und Behandlung sehr wichtig für die Reduk-tion von Ängsten und die Unterstützung der Therapie-adhärenz. So kann beispielsweise bereits ein dreijähriges Kind verschiedene Blutbestandteile und ihre Funktionen altersadäquat verstehen lernen und den Sinn eines Fin-gerpicks einsehen: Es muss im Blut gezählt werden, wie viele «Polizisten» (Leukozyten), «Taxis» (Erythrozyten) und «Maurer» (Thrombozyten) vorhanden sind [11]. Mit dem Entwicklungsstand verbunden sind zudem normati-ve Entwicklungsaufgaben, die Patienten parallel zur Be-handlung zu bewältigen haben. So können beispielsweise im Jugendalter der strenge Behandlungsplan oder das An-gewiesensein auf Eltern mit der Ablösung vom Elternhaus oder der Aufnahme von intimen Beziehungen kollidieren und zu einer zusätzlichen Belastung führen [8].

Die psychoonkologische Betreuung von krebskranken Kindern und deren Familien unterscheidet sich in den grundsätzlichen Zielen nicht wesentlich von derjenigen bei erwachsenen Krebspatienten. Das integrierte Set-ting, der Rahmen der psychoonkologischen Betreuung sowie die familien- und entwicklungsorientierte Art der psychoonkologischen Interventionen wurden jedoch sehr spezifisch und im Hinblick auf eine ganzheitliche und gut zugängliche Unterstützung von krebskranken Kindern, Jugendlichen und deren Familien entwickelt.

SCHWERPUNKTTHEMA

Referenzen

1. Swiss Childhood Cancer Registry (2013). Jahresbericht 2011/12.

Retrieved March 13, from: www.kinderkrebsregister.ch

2. Bruce, M. (2006). A systematic and conceptual review of posttrau-matic stress in childhood cancer survivors and their parents. Clini-cal Psychology Review, 26, 233-256.

3. Noeker, M. (2012). Überlebende von Krebserkrankungen des Kindes- und Jugendalters. Bundesgesundheitsblatt, 55, 481-492.

4. Landolt, M.A., Dangel, B., Twerenbold, P., Schallberger, U., Plüss, H. & Nüssli, R. (1999). Elterliche Beurteilung eines psychoonkol-ogischen Betreuungskonzeptes in der Pädiatrie. Praxis der Kinder-psychologie und Kinderpsychiatrie, 48, 1-14.

5. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) (2008). Psychosoziale Versor-gung in der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie. Re-trieved March 13, from: http://www.kinderkrebsinfo.de/

sites/kinderkrebsinfo/content/e2260/e5902/e61332/e61333/

PSAPOHS3-LeitlinieLangfassung_2008_ger.pdf

6. Noeker, M. (2002). Praxis behavioral-systemischer Familienbera-tung bei Tumor- und Leukämieerkrankungen im Kindes- und Ju-gendalter. Psychotherapie im Dialog, 1, 53-60.

7. Kazak, A.E., Rourke, M.T. & Navsaria, N. (2009). Families and other systems in pediatric psychology. In: M.C. Roberts & R.G.

Steele (Ed.), Handbook of Pediatric Psychology (pp. 656-671).

New York: The Guilford Press.

8. Noeker, M. (2002). Biopsychosoziale Leitlinien für die

psycholo-Korrespondenz:

lic. phil. Anna Graf Psychologin FSP

Universitäts-Kinderkliniken Zürich Steinwiesstrasse 75, CH-8032 Zürich anna.graf@kispi.uzh.ch

gische Arbeit bei chronisch-pädiatrischen Erkrankungen. Psycho-therapie im Dialog, 1, 26-32.

9. Westhoff, K. (2010). Perspektiven der pädiatrischen Psychoonko- logie. Schweizerische Gesellschaft für Psycho-Onkologie, News- letter 14, 16-22. Retrieved March 13, from:

http://www.psychoonkologie.ch/newsletter.html

10. Seitz, D.C.M. & Goldbeck, L. (2012). Pädiatrische Psychoonkolo-gie: Konzepte, diagnostische Strategien und therapeutische Ansätze.

Zeitschrift für Medizinische Psychologie, 3, 113-121.

11. Zehnder, D. (2010). Psychologische Interventionen bei schmerzhaften Eingriffen in der Kinderonkologie. Schweizerische Gesellschaft für Psycho-Onkologie, Newsletter 14, 6-10. Retrieved March 13, from:

http://www.psychoonkologie.ch/newsletter.html.

12. Graf, A. & Huguenin, J. (2011). Geschwister krebskranker Kin- der. Sonnenschein, 7, 4.

16. Internationales Seminar

Onkologische Pflege – Fortgeschrittene Praxis

05. - 06. September 2013, Universität, CH-St. Gallen

Ziel: Reflexion, Stärkung und fachliches Update wissenschaftlicher Erkenntnisse für Pflegefachpersonen aus der onkologischen Praxis, Führung und Lehre.

Inhalt: Gesellschaftliche Aspekte der Onkologiepflege, Erleben von Krankheit und Behandlung, Supportive Care für Patienten und Betreuende, aktuelle medizinische und pflegerische Entwicklungen.

Detailliertes, aktuelles Programm unter www.oncoconferences.ch

Methoden: Plenumsvorträge, Diskussion, Workshops und persönlicher Austausch.

Leitung: Dr. A. Glaus PhD (CH); M. Fliedner MNS (CH); E. Irlinger MNS (DE), Mag. I. Achatz (AT) Veranstalterin: Deutschsprachig-Europäische Schule für Onkologie (deso)

EONS-Akkreditierung Infos + Anmeldung

Kongress-Sekretariat der Deutschsprachig-Europäischen Schule für Onkologie (deso)

Frau Gabi Laesser, c/o Tumor- und Brustzentrum ZeTuP, Rorschacherstrasse 150, CH-9006 St. Gallen Tel. +41 (0)71 243 00 32, Fax +41 (0)71 245 68 05

deso@oncoconferences.ch, www.oncoconferences.ch

deso

Deutschsprachig-Europäische Schule für Onkologie

Schweizer Krebsbulletin  Nr. 2/2013 123

PSYCHOONKOLOGIE

Outcome and effectiveness

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