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Problemstellung

Im Dokument MASTERARBEIT / MASTER S THESIS (Seite 7-11)

Genaue Zahlen, wie viel Hektar Land weltweit durch Landgrabbing (LG) in den Besitz von privaten wie staatlichen Wirtschaftsakteuren gelangt, sind unscharf. Schätzwerte belaufen sich auf einen Wert zwischen 80 und 227 Millionen Hektar (vgl. GRAIN 2012, Aug: 2). Allein in der Land-Matrix4 wurden seit dem Jahr 2000 1.591 abgeschlossene land deals verzeichnet, die eine weltweite Fläche von 49.193.878 ha betreffen (vgl. Land Matrix vom 15.07.2018). Landgrabbing geht einher mit land concentration (vgl. van der Ploeg 2015), also der Akkumulierung von Landflächen von einigen wenigen Wirtschafsakteuren. Zudem erleichtern land deals die intensive und industrielle Bewirtschaftung von Land (vgl. Akram-Lodhi 2012). In diesem Kontext treten europäische Länder vermehrt als wirtschaftspolitische Orte der Landakkumulation oder als Akteure im

4 https://landmatrix.org/en/ (zuletzt aufgerufen am 19.07.2018)

Landgrabbing-Prozess auf (vgl. European Union 2016)5, während südostasiatische, lateinamerikanische oder afrikanische Länder von Landgrabbing geprägte Orte sind. Doch beide Phänomene hängen zusammen, bedingen einander und stehen in stetem Wechselspiel. Das eine stellt ebenso eine Problematik der sozialen (Umwelt-) Gerechtigkeit dar, wie das andere (vgl. van der Ploeg et al. 2015). Mehr noch: Aufgrund des sich global ausbreitenden land rush treten beide Phänomene grenzüberschreitend, also auch in Europa, auf (vgl. TNI 2012: 20).6 Sie sind mittlerweile geografisch relativ flexibel und betreffen potenziell alle Länder, aller Kontinente.

Eine globale Nord-Süd-Differenzierung von Landnahme-Praktiken wird aufgelöst (vgl. van der Ploeg et al. 2015: 1) und spiegelt sich in europainternen Machtverhältnissen wider. Besonders in osteuropäischen Ländern existieren Landgrabbing-Phänomene; wie etwa in Bulgarien, Ungarn, Slowakei, Rumänien, Ukraine, Polen, aber auch Spanien, Litauen (vgl. GRAIN 2012) und Italien (vgl. van der Ploeg et al. 2015: 152). Jedoch handelt es sich dabei sowie im Großteil der als LG bezeichneten Phänomene, um die Akquirierung von Agrarland, die großangelegte Projekte mit monostruktureller, exportfähiger Landwirtschaft ermöglichen. Und an dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an. Landgrabbing ist nicht nur ein länder- sondern auch ein ressourcenübergreifendes Phänomen; ob Boden oder Bodenschätze - die Vorgehensweise zur Landakquirierung und deren Folgen sind ähnliche. So auch Deutschland, genauer die Tagebaugebiete Rheinland, Lausitz und Leipzig, wo Braunkohle abgebaut und weiterverarbeitet wird und wo aufgrund der dafür erforderten Landfläche Gemeinden und Dörfer umgesiedelt werden müssen (bergebaubedingte Umsiedlungen). Parallelitäten lassen sich zwischen der Lausitz und einer Region in Indonesien ebenso herstellen wie zu einer Region in Tansania. Ein Beispiel sind die dem Landgrabbing vorausgehenden water grabs, die für Bewässerungsanlagen der landwirtschaftlichen Fläche genutzt werden (vgl. GRAIN Jahr, Welt Bank 20117).

Ähnlich wird in der Lausitz seitens des Energieerzeugers agiert und Grundwasser für die Tagebaue (Brandschutz) und Kohlewaschung (Brikettfabrik) entzogen. Der Unterschied zum agrarbasierten Landgrabbing ist die nicht-Kultivierung, sondern die Öffnung des Bodens, um an einen Bodenschatz zu gelangen, der im Kontext einer politischen Energiewende eigentlich keiner mehr ist und seine regionale Bedeutung immer noch aus DDR-Zeiten schöpft.

Die Region erstreckt sich über die Bundesländer Brandenburg und Sachsen. Die Kohleindustrie ist hier seit der DDR Hauptarbeitgeber und mit der Privatisierung nach der Wende auch Triebkraft für infrastrukturelle Erneuerungen sowie postindustrielle bergbaubedingte Umsiedlungen. In den Wendejahren wurde die Kohleindustrie verkleinert. Mit der daraus entstandenen Arbeits- sowie Perspektivlosigkeit wanderten große Teile der Bevölkerung in die Städte oder den Westen ab. Denn auch die mittlerweile 136 Teil- und Gesamtortsabbrüche allein in der Lausitz (vgl. AvO) tragen zu einer prekären Lebensplanung bei, die von Unsicherheit gezeichnet ist. Diese Ortsabbrüche wurden zuerst als ökonomisch politische Notwendigkeit der Braunkohleindustrie

5 Studie des Europaparlaments:

http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2016/578007/EXPO_STU%282016%29578007_EN.pdf

6 https://www.tni.org/files/download/landgrabbingprimer-feb2013.pdf Transnational Institute: The Global Land Grab. A Primer.

7 http://siteresources.worldbank.org/INTARD/Resources/ESW_Sept7_final_final.pdf (zuletzt aufgerufen am 27.07.2018)

(als Streben der DDR nach Energieautarkie), später entsprechend der marktwirtschaftlichen Logik begründet. Mit 1990 wurde die Braunkohleindustrie zurückgefahren, auch Ortsabbrüche gingen in dieser Zeit des Umbruchs zurück. Von noch 150.000 in der Braunkohleindustrie Beschäftigte vor dem Jahr 1990 (vgl. Ermisch 2000: 77) reduzierten sie sich auf nunmehr 8.000 (vgl. LEAG). Braunkohle trägt nicht nur zu einem irreversiblen Schaden der Umwelt bei, sondern ist zudem wirtschaftlich nicht rentabel (vgl. ebd.). Eine Erklärung für die Weiterführung der Braunkohleindustrie könnten finanzkapitalistische Interessen und ein die Kohle stabilisierender Aktienhandel sein. Augenmerk dieser Arbeit liegt auch deswegen auf dem Kohlerevier Lausitz, da diese Gegend zudem seit dem Mittelalter von der autochthonen Minderheit der Sorben besiedelt wird. Gelebte Kultur findet hauptsächlich im ruralen Kontext statt, die wiederum durch bergbaubedingte Umsiedlungen beeinträchtigt ist. Demgegenüber steht die institutionell eingebettete, machtrelationale Kultur (Dachverband „Domowina“), die hauptsächlich mit Fördergeldern (Staat und Länder) in dieser Umsiedlungsproblematik das Sorbische zu erhalten versucht, sei es etwa mit Stiftungen oder Kindergartenprojekten (vgl. dazu etwa Fischer 2013 zum Witaj/Willkommens-Projekt).

Umsiedlungspraktiken änderten sich seit der DDR-Zeit dahingehend, als dass seitens des Energiekonzerns mehr Verantwortung für Betroffene und die Gemeinde übernommen wird. Dazu wird meist eine Kommission eingerichtet, der Freiwillige aus den betroffenen Orten beiwohnen dürfen, um über Umsiedlungsverträge zu verhandeln. Außerdem muss der Energiekonzern einen Fördertopf für anschließende Revitalisierungsprojekte anlegen, die direkt nach der Auskohlung einer Grube initiiert werden. In der DDR waren solche Projekte nicht Teil der Umsiedlungspraktik.

Erst mit der Privatisierung und vor allem mit dem Verkauf der Braunkohlesparte an den schwedischen, staatlichen Energiekonzern „Vattenfall“ (2002) wurden diese Rahmenbedingungen festgelegt. Der Konzern förderte nicht nur die Revitalisierung der Natur, sondern auch der sorbischen Kultur, finanzierte wie zuvor die LAUBAG Forschungs- und Kulturprojekte, mitunter das Witaj-Projekt. In Schweden selbst wird der Abbau von Braunkohle wirtschafts- und umweltpolitisch nicht akzeptiert. Jedoch erst als die grüne mit der sozialdemokratischen Partei die Löfven-Regierung bildet (2014), wird der Ausstieg aus der Kohle forciert und Vattenfall aus der Lausitz abgezogen.8 Dieser verkauft daher 2016 die Braunkohlesparte (aktive Tagebauanlagen, Kraftwerke, Betriebsgebäude) an tschechische und slowakische Investoren (LEAG). Ob die neuen Konzernstrategien ebenfalls verantwortungsvoll und partizipativ Umsiedlungen umsetzen, ist noch unklar.

Mit dem fortschreitenden Kohleabbau verändert sich auch die Landschaft. Meist werden ehemalige Kohlegruben mit Wasser aufgefüllt und zu Seen in Erholungsgebieten erklärt. Daraus entstanden sowohl eine künstliche Seenlandschaft9, als auch veränderte Wetterbedingungen (mehr Niederschlag).

8 Deutschlandfunk: „Vattenfall soll Braunkohleabbau in der Lausitz stoppen“

https://www.deutschlandfunk.de/schwedische-regierung-vattenfall-soll-braunkohleabbau-in.1818.de.html?dram:article_id=299352 (zuletzt aufgerufen am 25.07.2018)

9 Welt: Wo Europas größte künstliche Seenplatte entsteht“

https://www.welt.de/reise/deutschland/article174518356/Lausitz-Wo-Europas-groesste-kuenstliche-Seenplatte-entsteht.html (zuletzt aufgerufen am 25.07.2018)

In ersten Recherchen scheinen sich zwei Parteien gegenüber zu stehen: die Braunkohleindustrie und die sorbische Community. Dass dem nicht so ist und hinter dieser vermeintlichen Dichotomie weitere Aspekte stehen, wie etwa eine wirtschaftsschwache Region, wo bisher kaum Alternativen aufgebaut wurden oder die Betroffenheit aller, die übersiedeln müssen – unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Alter, Herkunft, etc. – und welche Einstellungen es vor Ort zur Braunkohlegewinnung an sich gibt. Diese und weitere Themen interessierten mich und sollten daher vertieft werden.

Untenstehende Karte dient der geografischen Lokalisierung des Forschungsfeldes. Die Lausitz teilt sich auf in die Niederlausitz in Brandenburg und die Oberlausitz in Sachsen. Das sorbische Siedlungsgebiet teilt sich ebenfalls in diese zwei Regionen auf, in denen sich Sprache, Kultur und Religion unterscheiden. Zwischen der Ober- und der Niederlausitz existieren sprachliche sowie kulturelle Mischformen, wie es etwa in Schleife der Fall ist.

i Fokusgebiet Lausitz, Bearbeitung: Ch.S., Quelle: OpenStreetMap

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