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Das Delir ist eine vorübergehende, ernstzunehmende Veränderung der kognitiven Funktionen, die mit Wahrnehmungsstörungen einhergehen kann. Definiert wird das Delir nach den DSM-5 Kriterien (Tabelle 1) [1].

Zu diesen Kriterien zählt das Auftreten einer Bewusstseinsstörung mit reduzierter Aufmerksamkeit, begleitet von Gedächtnisstörungen und Desorientiertheit. Die kognitiven Veränderungen entwickeln sich nach kurzer Latenz, zeigen einen fluktuierenden Tagesverlauf und lassen sich nicht durch das Vorliegen einer Demenz, aus der Patientenvorgeschichte oder einem Medikamentenmissbrauch erklären.

Tabelle 1: DSM-5 Kriterien des Delirs

Kriterium Beschreibung

A

Störung der Aufmerksamkeit (d.h. reduzierte Fähigkeit die Aufmerksamkeit zu steuern, zu fokussieren, aufrecht zu erhalten und zu verlagern) und des Bewusstseins (reduzierte Klarheit der Umgebungswahrnehmung)

B

Die Störung entwickelt sich innerhalb eines kurzen Zeitraumes (üblicherweise innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen), stellt eine akute Veränderung der ursprünglichen Aufmerksamkeit und des Bewusstseins dar und fluktuiert in seiner Schwere im Tagesverlauf

C

Veränderung der kognitiven Funktionen (z.B. Gedächtnisstörungen, Desorientierung, Sprachstörungen, Störungen der visuellen Raumvorstellung, Wahrnehmungsstörung)

D

Die Störungen der Kriterien A-C können nicht ausreichend durch eine vorbestehende, manifeste oder sich entwickelnde neurokognitive Störung (Demenz) erklärt werden und treten nicht im Kontext einer schweren Beeinträchtigung der Vigilanz (z.B. Koma) auf

E

Erkenntnisse aus der Patientengeschichte, der körperlichen Untersuchung oder aus Laborwerten, die schlussfolgern lassen, dass die Störungen eine direkte physiologische Konsequenz eines medizinischen Zustandes, Intoxikation oder Entwöhnung (d.h. aufgrund von Drogenabusus oder Medikamentengebrauch), sowie Einwirkung eines Toxins oder multipler Genese ist.

Patienten werden zusätzlich zur Desorientiertheit durch Halluzinationen, Illusionen, Bewusstseinsstörungen, fehlender Aufmerksamkeit oder Bettflucht auffällig. Der charakteristische fluktuierende Verlauf während des Tages scheint sich in den Abendstunden zu verschlechtern, bis hin zu einem Verlust des Tag- / Nachtrhythmus.

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Je nach Sedierungsgrad kann das Delir in drei verschiedene Subtypen unterteilt werden. Das hyperaktive Delir zeichnet sich vor allem durch eine gesteigerte Aktivität bis hin zur Aggressivität des Patienten aus. Beim hypoaktiven Delir ist der Patient sehr schläfrig und zum Teil schwer erweckbar. Dies ist auch der Grund, weshalb das hypoaktive Delir häufig nicht erkannt oder fälschlicherweise mit einer Depression oder Demenz verwechselt wird. Die Mischform aus hyperaktivem und hypoaktivem Delir kennzeichnet den dritten Subtyp und ist mit 54,9% die häufigste Form [2].

Das Delir ist ein Symptomkomplex der operativen und nicht-operativen Disziplinen eines Krankenhauses. Insbesondere innerhalb der operativen Fächer lässt sich eine besonders hohe Auftretenshäufigkeit, vor allem mit intensivmedizinisch betreuten Patienten und solchen nach kardiochirurgischen Eingriffen, nachweisen.

Studien berichten von einer Inzidenz von 30 bis 80% [3 - 5].

Während vor einigen Jahren dem Delir noch eine geringfügige Bedeutung geschenkt wurde, konnten vor kurzem Studien belegen, dass das Auftreten eines Delirs und dessen Dauer während des stationären Krankenhausaufenthaltes für das längerfristige Outcome von erheblicher Bedeutung zu sein scheinen [3, 5 - 9].

Patienten, welche postoperativ oder im Verlauf eines Krankenhausaufenthaltes an einem Delir erkranken, weisen Studien zufolge einen verlängerten Krankenhaus- und Intensivaufenthalt, vermehrte Komplikationen mit folglich höheren Kosten und längerfristiger Immobilisierung auf [5, 7, 8]. Zusätzlich zur gesteigerten Sechs-Monats-Mortalität, weisen einige Patienten vermehrt dauerhafte kognitive Dysfunktionen (z.B. eine dementielle Entwicklung) auf [3, 9, 10, 11].

Die Ursachen des Delirs sind vielfältig. Bei Intoxikationen / Überdosierungen durch Medikamente und Alkohol ist die kognitive Dysfunktion ein häufiges Begleitphänomen. Eine Hypoxie, Hypoperfusion (z.B. durch Schock, Anämie, Arrhythmien), Vitaminmangelzustände und Hypoglykämien können ebenfalls einen solchen Zustand begünstigen. Der prä-, intra- und postoperative Zustand des Patienten kann möglicherweise ebenso die Symptome des Delirs hervorrufen. Zu diesen Faktoren gehören eine vorbestehende Demenz, Elektrolytstörungen, Flüssigkeitsmangel, der Gebrauch von Benzodiazepinen und Atropin, sowie eine postoperative Hypoxie und Hypotonie.

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Vor allem ältere Menschen sind vermehrt von den Symptomen eines Delirs betroffen. Schwerhörigkeit, eine Veränderung der Umgebung (z.B. ein Krankenhausaufenthalt), eine eingeschränkte Blasen- und Darmfunktion (z.B. durch Katheteranlage) scheinen das Auftreten zu begünstigen. Einige kürzlich erschienene Studien haben mögliche Risikofaktoren ermittelt. Zu diesen gehören die längere Immobilisierung, Mangelernährung, die Verwendung eines Blasenkatheters und die dauerhafte Gabe von drei oder mehr Medikamenten (Polymedikation) [12]. Nach McNicoll et al. (2003) erkranken Patienten mit einer vorbekannten kognitiven Störung (Demenz) häufiger an einem Delir [13].

Weitere Ansätze stützen sich auf den neuronalen Metabolismus und die Veränderung von Transmitter-Wechselwirkungen (v.a. Acetylcholin und Dopamin) [14, 15]. Studien belegen, dass Patienten mit einem präoperativ erniedrigten Cholinesterase-Spiegel postoperativ vermehrt positiv auf ein Delir getestet wurden [16]. Diese Patienten haben möglicherweise eine gesteigerte Funktion ihrer Serumcholinesterase und / oder eine vermehrte Dopaminaktivität. Gestärkt wird diese Hypothese durch die Erkenntnis, dass Anticholinergika häufig die Ursache einer kognitiven Bewusstseinsstörung sind. Dieser Hypothesenansatz wird zusätzlich durch den pharmakologischen Einsatz von Dopaminantagonisten (Haloperidol) bekräftigt. Pilotstudien konnten zeigen, dass mithilfe von indirekten Parasympathomimetika (z.B. Physostigmin) die Schwere des Delirs reduziert werden konnte [17 - 19]. Worek et al. (1999) haben eine einfache Methode zur sensitiven und präzisen Bestimmung der Acetylcholinesterase aus einer Blutprobe entwickelt [20]. Kürzlich veröffentlichte Studien zu diesem Thema haben eine möglicherweise wichtige und fundamentale Rolle der Acetylcholinesterase und Butyrylcholinesterase im Zusammenhang mit dem Delir kritisch kranker Patienten in Disziplinen der Inneren Medizin und nicht-chirurgischen Fächern aufgezeigt [14, 18, 21, 22].

Ein möglicher Einfluss der Neurotransmitter Serotonin, Gamma-Amino-Buttersäure (GABA), Cortisol, Beta-Endorphinen und Melatonin wird ebenfalls gemutmaßt.

Andere Hypothesen vermuten den Zusammenhang mit körperlichen Entzündungsreaktionen (Infektionen) und Stress (auch postoperativer Stress), welche mit einer vermehrten Zytokinaktivität (Interleukin-1 und Interleukin-6) und einem erhöhtem Cortisolspiegel im Liquor einhergehen [23, 24]. Aktivierte Mikroglia führen zu einer akuten Neuroinflammation.

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Veränderungen der Blut-Hirn-Schranke, welche den Durchtritt neurotoxischer Substanzen ermöglichen, anatomische Veränderungen der neuronalen Verschaltung (Infarkte, Narbengewebe, Tumore, zerebrovaskuläre Ereignisse), als auch Gen-Polymorphismen der Transmitterproteine scheinen möglicherweise in Verbindung mit dem Delir-Auftreten zu stehen.

Aufgrund der multifaktoriellen Ursachen und den enormen Komplikationen, die sich aus der Erkrankung ergeben können, selbst auch noch einige Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt, wird der Prävention und frühen Diagnostik vermehrte Wichtigkeit zugeschrieben.