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Der "positive Verfassungsbegriff" carl Schmitts

C. Schmitt hatte in seiner 1931 erschienenen Schrift "Der Hüter der Verfassung" unter dem Eindruck, daß der Staat die Wirtschaft in weitem Maße beherrscht und beeinflußt, festge-stellt, daß dem faktischen Wirtschaftsstaat eine Wirt-schaftsverfassung fehle818 • Deutschland, so c. Schmitt weiter, besitze in der Weimarer Reichsverfassung lediglich eine

"politische Verfassung", die ihr Vorbild im Staat der libe-ralen, konkurrenzorientierten Wirtschaftsgesellschaft habe.

Dementsprechend sei der Weimarer Staat der Auffassung, ge-genüber der Wirtschaft neutral bleiben zu müssen. Für die politische Verfassung sei der einzelne immer nur "citoyen", niemals "producteur11819 •

Der Versuch, die "offensichtliche Diskrepanz" eines Wirt-schaftsstaates ohne Wirtschaftsverfassung zu beheben, kann nach c. Schmitt nur durch eine Harmonisierung von Verfassung und Verfassungswirklichkeit nach einer Richtung hin voll-zogen werden. Entweder wird der Staat von all denjenigen Elementen gereinigt, die ihm das Gepräge eines Wirtschafts-staates verleihen, d.h. er wird entökonomisiert oder aber die politische oder "Nicht-Wirtschaftsverfassung" wird durch eine Wirtschaftsverfassung ersetzt, also der Staat konse-quent auch rechtlich verwirtschaftlicht820 •

Der Möglichkeit einer Entökonomisierung des Staates steht C.

Schmitt skeptisch gegenüber. Den sozialen und wirtschaft-lichen Mächten stünden, trotz anderslautender

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proklamationen, eine Vielzahl durch den Verfassungs- und Ge-setzgeber nicht faßbarer Möglichkeiten offen, um ihren Ein-fluß geltend zu machen und neue Beherrschungstaktiken und -praktiken zu entwickeln.

Demgegenüber hat das uneingeschränkte Bekenntnis zur Wirt-schaftsverfassung den Vorteil der Ehrlichkeit und der Anpas-sung an die Wirklichkeit821 •

Für c. Schmitt haben nur zwei Staaten die notwendige Anglei-chung von ökonomischer Verfassungswirklichkeit und Verfas-sungsrecht im zweiteren Sinne über die Einrichtung einer Wirtschaftsverfassung gelöst, das kommunistische Rußland mit seinem Sowjetsystem und das faschistische Italien mit seinem stato corporativo. Kennzeichnend für diese Staaten ist nach C. Schmitt eine straff zentralisierte Parteiorganisation bzw. die Organisation als Ein-Parteien-Staat822 •

Ein Staat, der sich für die Beseitigung der Diskrepanz von Verfassung und Verfassungswirklichkeit durch eine Wirt-schaftsverfassung entscheidet, muß - so die Folgerung C.

Schmitts - offenkundig stark und in seiner Meinungsbildung ungeteilt sein.

Die für den Teilbereich der Wirtschaftsverfassung gewonnenen Erkenntnisse decken sich mit dem von c. Schmitt entworfenen, allgemeinen Verfassungsbegriff und den daraus für den Staat als Hüter der Verfassung abgeleiteten Organisations- und Entscheidungsprinzipien.

Es gilt, daß "(a)lles rechtswissenschaftliche Denken sowohl mit Regeln, wie mit Entscheidungen, wie mit Ordnungen und Gestaltungen" arbeitet. "Aber die letzte, rechtswissen-schaftlich gefaßte Vorstellung, aus der alle anderen juri-stisch abgeleitet werden, ist immer nur eins: entweder eine Norm (im Sinne von Regel und Gesetz), oder eine Dezision, oder eine konkrete Ordnung11823 •

Je nachdem, wie "das eine aus dem anderen abgeleitet oder auf das andere zurückgeführt wird", unterscheidet c. Schmitt

"die drei Arten des Regeln- und Gesetzes-, des Entschei-dungs- und des konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens"824 •

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Unter Zugrundelegung dieser zusammenhänge postuliert er, daß Verfassungsdenken immer nur Entscheidungsdenken sein kann.

"Eine Verfassung beruht nicht auf einer Norm, deren Richtig-keit der Grund ihrer Geltung wäre11825 • Verfassung ist auch nicht "der konkrete Gesamtzustand praktischer Einheit und sozialer Ordnung eines bestimmten Staates11826 , sondern Ver-fassung im absoluten, "positiven Sinne" ist die "Gesamtent-scheidung über Art und Form der politischen Einheit" und damit die konkrete Entscheidung über die politische Daseins-form eines bestimmten Staates in seiner Gesamtheit127 • Die wirkliche politische Verfassung erfordert demnach die reine, autoritäre Entscheidung des Staates für eine bestimmte Idee, die ihren Ursprung weder in einer Norm noch in einer kon-kreten Ordnung hat. Die Verfassung im dezisionistischen Sinne steht somit logisch und dogmatisch vor dem in der Rechtsverfassung enthaltenen Gebot828 , denn dieses gilt erst aufgrund der Verfassung im positiven Sinne und hat diese zur Voraussetzung829 .

Nach der Verfassungslehre C. Schmitts kann es demzufolge ein

"geschlossenes Verfassungssystem rein normativer Art" nicht geben830 , denn gegenüber der vorgängigen Gesamtentscheidung müssen alle normativen Regelungen sekundär bleiben. Dies ist der - grob skizzierte - Hintergrund der bekannten Schmitt-sehen Abschichtung von "Verfassung" und "Verfassungsgesetz", wonach letzteres nur die "ausführende Normierung des verfas-sungsgebenden Willens" ist831 . Es wird evident, daß c. Schmitt die verfassungsgebende Entscheidung unabhängig von jeder Rechtsnorm denkt. Die Entscheidung selbst muß jedoch, um konstituierend wirken zu können, ihren Niederschlag in einer Rechtsnorm finden. "'Aus dem Nichts' stammt die grundlegende politische Totalentscheidung also lediglich 'normativ gese-hen"'832, denn hinter jeder Dezision steht ein geistig-politi-scher Wille in Form einer einheitlichen Staatsidee, die den Entscheidungs- und damit •letztlich auch den Norminhalt de-terminiert833.

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"Dilatorische Formelkompromisse", Indizien einer inhomogenen Staatsidee, sind als Entscheidungsgrundlage untauglich8~, es ist zwischen den begrenzten, eindeutigen Möglichkeiten zu entscheiden835 , denn: "Wer über eine Frage etwas aussagen will, muß sie auch entscheiden können11836 •

Soweit das trotz vieler Untersuchungen in weiten Bereichen bei sich selbst gebliebene Denken c. Schmitts im vorliegen-den Zusammenhang von Interesse ist, bleibt festzuhalten, daß Ordnung nur dadurch zu entstehen vermag, daß der jeweilige Träger der Staatsgewalt im Sinne einer bestimmten Idee ent-scheidet837. Die Dezision ist causa für eine bestimmte kon-krete Ordnung, die ihrerseits immer nur Folge dieser Ent-scheidung sein kann838 •

Vor dem Hintergrund des solchermaßen konkretisierten Verfas-sungsdenkens C. Schmitts bleibt zu prüfen, ob sich spezifi-sche Besonderheiten seines dezisionistispezifi-schen und konkreten Ordnungsdenkens im Wirtschaftsverfassungsdenken Euckens fin-den.

c. Der positive Wirtschaftsverfassungsbegriff Walter EucJtens

Ausgangspunkt aller Überlegungen zum "positiven" Wirt-schaftsverfassungsbegriff Euckens und seiner zutreffenden Einordnung ist die Unterscheidung in "gesetzte Ordnungen"

und "gewachsene Ordnungen11839 • Diese Unterscheidung führt nochmals kurz zurück in grundsätzliche Überlegungen wirt-schaftlicher Art.

Die Wirtschaft der industrialisierten Staaten der Neuzeit ist aufgrund ihrer komplexen Struktur und ihrer "ins unab-sehbar Große" gewachsenen Lenkungsproblematik "als ein Gan-zes" ordnungsbedürftig840 • Fallweise Eingriffe in diesen

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mischen Prozeß machen keinen Sinn, solange sie sich nicht einem "Gesamtplan" fügen, in dem die ordnende ratio zur Geltung kommt841 •

Vor jeder wirtschaftspolitischen Einzelmaßnahme muß sich der Staat deshalb im klaren darüber sein, welche "Wirtschafts-verfassung" es zu verwirklichen gilt, d.h. welcher Ordnungs-mechanismus in Gang zu setzen ist. Der Wille, bestimmte gesamtwirtschaftliche Ordnungszusammenhänge zu verwirkli-chen, erfordert die "Gesamtentscheidung über die Ordnung des Wirtschaftslebens eines Gemeinwesens". Diese "Idee einer Wirtschaftsverfassung", die die "Spielregeln" einer bewußt gesetzten Ordnung zur Geltung bringt, hat sich an den Ergeb-nissen der wissenschaftlichen Morphologie zu orientieren, die ihr die denkbaren Möglichkeiten aufzeigt842 • Niemals kann es für Eucken deshalb in diesem Zusammenhang nur darum ge-hen, "durch Normen und Urteile die bereits vorhandene Wirt-schaftsordnung umzuformen11843 •

Die Basis für die Verwirklichung der "Idee der Wirtschafts-verfassung" hat Eucken durch seine Grundlegung der National-ökonomie geschaffen, deren Ergebnis bekannt ist: Die Zahl der möglichen Ordnungsalternativen ist gering, genau genom-men reduziert sie sich auf das rigide Entweder-Oder der konstitutiven Ordnungsformen. Es bleibt nur die Wahl zwi-schen der zentralen Leitung des Wirtschaftsprozesses und der verkehrswirtschaftlichen Lenkungsmethode. Eine Vermengung beider Ordnungsformen, ein "dilatorischer Formelkompromiß"

im Sinne C. Schmitts, ist auch für Eucken nicht denkbar. Die Gesamtentscheidung, die aus der zur Verfügung stehenden, begrenzten Zahl der Ordnungsformen die "Auslese" trifft, darf nicht spekulativ sein, sondern sie muß realistisch getroffen werden844 •

Es gilt auch für Eucken, daß derjenige, der Fragen über die Ordnung der Wirtschaft und die Gestaltung der Wirtschafts-formen aufwirft, diese Fragen abschließend entscheiden kön-nen muß. Maßstab der Entscheidung ist die brauchbare Wirt-schaftsverfassung, d.h. diejenige "funktionsfähige und

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schenwürdige Ordnung, die dem Wesen der Natur des Menschen und den Dingen allgemein entspricht11845 • Diese Ordnung ist bekannt. Es ist die des Wettbewerbs.

Der aus der Erkenntnis der Wettbewerbsordnung als vorgefun-dener werthafter Naturordnung abgeleitete Verwirklichungs-anspruch einerseits sowie die aus der Erkenntnis mangelnder Selbstrealisierung dieser Ordnung andererseits von Eucken gefolgerte faktische Herstellungsproblematik münden in die Forderung nach einer "positiven Wirtschaftsverfassungspoli-tik", deren Ziel die Durchsetzung der "Marktform der voll-ständigen Konkurrenz 11846 ist. Das Problem der Umsetzung in den

"ordre positif11847 , bei C. Schmitt durch die (zumindest theo-retisch) trennscharfe Abschichtung von "positiver" Verfas-sung und VerfasVerfas-sungsgesetz gekennzeichnet, wird bei Eucken nicht in einer dem "dezisionistischen Vorbild" entsprechen-den Art gelöst848 •

Die Wirtschaftsverfassung als singulärer Akt des Ordungs-stiftens, der zur Aufgabe hat, einen im Sinne eines bestimm-ten Wertmaßstabes als optimal erkannbestimm-ten, wirtschaftstheore-tischen Idealtypus in die Wirklichkeit zu implantieren und damit ein bestimmtes "Ganzes" für das Gemeinwesen verbind-lich zu machen, ist bei Eucken nicht mehr die getrennte und vorgängige Entscheidung849 , die als unantastbare Größe alles weitere staatliche Handeln bestimmt. Zwar ist es auch bei ihm der unabhängige politische Wille, der die Entscheidung für die Wettbewerbsordnung trifft850 • Dieser entscheidende Wille bedient sich jedoch ausschließlich und ohne verkom-plizierende Abschichtung in "positive" Verfassung und Ver-fassungsgesetz des Rechts als ordnungsgestaltender Potenz.

W. Schluep hat diesen Vorgang treffend beschrieben, als er von der Wirtschaftsverfassung als "Verrechtlichung des Ko-ordinationssystems durch Normierung des politischen Grund-entscheids" sprach851 •

Ist die "Gesamtentscheidung für eine Wirtschaftsverfassung des Wettbewerbs"852 gefallen, ist der "Wettbewerb als

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prinzip der Wirtschaftsverfassung11853 und sind die mit seiner Verwirklichung verbundenen modelltheoretischen Erkenntnisse insgesamt zu normieren854 . Es geht Eucken um nicht mehr und nicht weniger, als das funktionsfähige Preissystem vollstän-diger Konkurrenz zum "wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundprinzip" zu erheben855 . Damit erhält der Ordnungsplan Euckens und bekommen seine wirtschaftlichen Ordnungsvorstel-lungen Rechtsqualität856 . Wie H. Ehmke zutreffend festgestellt hat, geht bei Eucken damit die "Frage der 'Positivierung' der 'Wirtschaftsverfassung' ( ... ) in ihre Verrechtlichung über"ss1.

Die durch die Gesamtentscheidung bestimmte Ordnung wird durch das Recht "gesetzt" und "ein integrierender Bestand-teil der Rechtsverfassung11858 , die sich ihrerseits der rezi-pierten Ordnung zu öffnen hat.

Es erscheint unter diesen Voraussetzungen nicht angebracht, Eucken zu unterstellen, er habe das "Verwirklichungsproblem"

durch die "Übernahme des dezisionistischen Verfassungsbe-griffes" C. Schmitts zu lösen versucht859 . Die nicht-normative politische Gesamtentscheidung Schmittscher Denkart ist Aus-druck des politischen Willens, der, mit entsprechender Macht und Autorität ausgestattet, die konkrete Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Existenz trifft und die Existenz der politischen Einheit im Ganzen bestimmt800• Dem-gegenüber hat die "wirtschaftsverfassungsrechtliche Gesamt-entscheidung"861 Euckenscher Prägung lediglich die Aufgabe, die Ordnung des Wirtschaftslebens als eines von mehreren Teilbereichen des Gemeinwesens normativ zu fixieren. Ver-steht man Euckens Postulat der wirtschaftsverfassungsrecht-lichen Gesamtentscheidung in diesem Sinne als Auftrag zur Verfassungsgebung im normativen Sinne mit dem Ziel der Ord-nung der Wirtschaft, so bestätigt sich

w.

Webers Annahme, daß die "Anlehnung an das Gedankengut von C. Schmitt ( ... ) ganz oberflächlicher, terminologischer Art" ist862 . Man mag Eucken die Rezeption einer solchen Terminologie, die durch

zwiespältige Inhalte belastet ist, zum Vorwurf machen und darauf hinweisen, daß die Übernahme der auch in der Rechts-wissenschaft umstrittenen Begrifflichkeiten C. Schmitts erklärungsbedürftig gewesen wäre, um in der Folge Mißver-ständnisse über den tatsächlich in Anspruch genommenen Wirt-schaftsverfassungsbegriff zu vermeiden. Denn nur auf der Grundlage solcher Mißverständnisse scheint es denkbar, Euk-ken eine "unsichere Verwendung"863 des Verfassungsbegriffs vorzuwerfen. Ohne, daß er das von ihm geplante "Buch über Wirtschaftsverfassung11864 noch schreiben und seine diesbezüg-lichen Vorstellungen weiter konkretisieren konnte, wird anhand der einschlägigen Stellungnahmen Euckens, insbesonde-re in den "Grundsätzen der Wirtschaftspolitik" evident, daß der Staat im Zusammenhang mit der Verwirklichung der Wett-bewerbsordnung

Gegenstand der

gehalten ist, diese Rechtsverfassung zu

bestandssichernd zum machen. Dogmatische Schwierigkeiten und Unsicherheiten sind insoweit nicht er-kennbar.

Die Probleme des Euckenschen Wirtschaftsverfassungsbegriffs liegen tatsächlich in einem gänzlich anderen Bereich, dem der Verwirklichung der institutionalisierten Ordnung.

2. Al>schnitt

Die Verwirklichung der Entscheidung

A. Die konstituierenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung