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EIN POP-KÜNSTLER ALS MEDUSA?

Im Dokument WIENER JAHRBUCH FÜR KUNSTGESCHICHTE (Seite 186-200)

B E G E G N U N G E N M I T Z W E I S E L B S T B I L D N I S S E N V O N A N D Y WA R H O L

Iris Wien

Für zahlreiche Anregungen sowie die kritische Lektüre zweier früherer Versionen des Beitrags danke ich herzlich Hans Aurenhammer, Henning Engelke, Magdalena Nieslony, Dieter Schwarz und Anne Sudrow.

1 Als Kriterium der Validität der Interpretation wurde die Intentionalität, also die Abhängigkeit des Erfolgs der In-terpretation von der vom Autor intendierten Bedeutung des Werkes 1946 von Monroe C. Beardsley und William K. Wimsatt in ihrem Artikel „Intentional Fallacy“ vehement zurückgewiesen, (erstm. erschienen in: The Sewanee Review 54, 1946, eine überarbeitete Fassung erschien in: W. K. Wimsatt, The Verbal Icon. Studies in the Meaning of Poetry, Lexington 1954, S. 3–18). Beardsley und Wimsatt wandten sich gegen den Biographismus zeitgenössi-scher Literaturwissenschaft und betonten statt dessen, daß die Bedeutung des Werks allein aus dessen semanti-schen und syntaktisemanti-schen Elementen zu erschließen sei. Sie hoben, formalistisemanti-schen Interpretationsansätzen nahe stehend, somit die Autonomie des Werkes hervor. Weitere Kritik erfuhr das Konzept von strukturalistischer Seite, etwa durch Roland Barthes, aber auch durch Jacques Derrida und Umberto Eco. Hier ist nicht der Ort, die Dis-kussion zu Intentionalität und Autorschaft detailliert zu resümieren, verwiesen sei hierzu auf die Anthologien von F. Jannidis/G. Lauer/M. Martinez/S. Winko (Hrsg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999 sowie F. Jannidis (Hrsg.), Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000. Auch in der Kunstgeschichte wurde die Frage der Bedeutung der Autorintention für die Interpretation von Kunstwerken intensiv diskutiert, wobei hier Versuche, Intentionalität durch ein erweitertes Verständnis des Konzeptes zurück gewinnen, hervorgehoben werden sollen, so schon Erwin Panofsky in seiner Beschäftigung mit Alois Riegl in „Der Begriff des Kunstwollens“ [erstm. erschienen 1920], wiederabgedruckt in: E. Panofsky, Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, H. Oberer/E. Verheyen (Hrsg.), Berlin 1964, S. 33–47, M. Baxandall, Patterns of In-tention: On the Historical Explanation of Pictures, New Haven/London 1985, daran anschließend D. Summers, Intentions in the History of Art, in: New Literary History 17, Nr. 2, 1986, S. 305–321. Zu fragen ist jedoch, ob dem radikalen Zurückweisen der Intentionalität durch den Modernismus (Duchamp, Surrealismus, Dada) tatsächlich mit einem kontextuell erweiterten Konzept der Intentionalität begegnet werden kann und ob sich das Konzept durch diese Erweiterung nicht aufzulösen beginnt und seine Aussagekraft einbüßt. Zudem scheinen Versuche der Rekonstruktion von Intentionen bei der Deutung hauptsächlich solche Kontexte, die sich in Sprache übersetzen lassen, zu bevorzugen. Vgl. hierzu O. Bätschmann, Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik: die Aus-legung von Bildern, Darmstadt 1984. Gibt man andererseits das Konzept der Intentionalität ganz auf, dann wäre nach Gary Shapiro das beste Kunstwerk, dasjenige, das unendlich empfänglich für alle möglichen Interpretationen wäre, so wie ein Rorschach-Test. G. Shapiro, Intention and Interpretation in Art: A Semiotic Analysis, in: The Journal of Aesthetics and Art Criticism 33, Nr. 1, 1974, S. 33–42.

bildnisse des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen läßt,2 findet sich bei Warhol, auch die seit dem Beginn der Moderne gängige Identifikation des Künstlers mit dem Kriminellen läßt er in einer Folge von Selbstbildnissen von 1963/64, in der er sich als Strangulierten zeigt, nicht aus. Wenn sich Warhol darüber hinaus 1967 äußerst stili-siert als Literat in Denkerpose präsentiert (Abb.

1), das Motiv trotz der engen Fokussierung des Bildausschnitts auf Kopf und Hand ins Überdi-mensionale vergrößert und in mehreren Serien unendlich oft wiederholt, wird das Konzept der Autorschaft demonstrativ ausgehöhlt. Als ein zum Klischee geronnenes artistisches Standard-motiv wird der Habitus des Autors zur bloßen, sinnentleerten Attitüde. Der Pakt zwischen Au-tor und Werk scheint damit aufgehoben.

Ist es vor diesem Hintergrund noch mög-lich, zwei Selbstbildnisse aus dem

umfangrei-chen Werk des Künstlers herauszuheben und ihnen eine tiefgründige, ja vielleicht sogar exis-tentielle Bedeutung zuzusprechen? Dieser Frage möchte ich an Hand zweier Selbstbildnisse des Künstlers nachgehen, bei denen ich nicht umhin komme, ein Bild der Medusa zu sehen. Die zu diskutierenden Bilder haben die Aufmerksam-keit der Forschung bereits auf sich gezogen. Für Dietmar Elger sind die beiden kleinformati-gen Selbstporträts auf silbernem und goldenem Grund aus der Serie der Fright-Wig-Porträts die außergewöhnlichsten und radikalsten Selbstbild-nisse im Oeuvre des Künstlers (Abb. 2, 3). Ihre

„auratische und ikonenhafte Wirkung“ führt er auf die Verwendung des Negativs als Vorlage für den Siebdruck sowie auf den glänzenden Grund der beiden Bilder zurück, der besonders im Falle des Goldgrundes an mittelalterliche Bildtafeln mit christlichen Themen, genauer an das Motiv

1: Andy Warhol, Self-Por-trait, 1967, Acryl und Sieb-druckfarbe auf Leinwand, 200,7 x 177,8 cm, Fondation Beyeler, Riehen/Basel

2 Vgl. hierzu H. J. Raupp, Untersuchungen zu Künstlerbildnis und Künstlerdarstellung in den Niederlanden im 17.

Jahrhundert, Hildesheim 1984.

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2: Andy Warhol, Self-Portrait, 1986, Kunstharz-farbe und SiebdruckKunstharz-farbe auf Leinwand, 35,6 x 35,6 cm, The Andy Warhol Museum, Pittsburgh, Founding Collection, Contribution The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc.

3: Andy Warhol, Self-Portrait, 1986, Kunsthar-zfarbe und Siebdruck-farbe auf Leinwand, 35,6 x 35,6 cm, The Andy War-hol Museum, Pittsburgh, Founding Collection, Contribution The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc.

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der „Vera Ikon“ erinnere. Elger konstatiert: „In keinen anderen Werken und vor allem in kei-nem seiner zahlreichen Selbstportraits, hat sich der Apologet der Oberfläche Andy Warhol wei-ter von seiner Pop-Ästhetik und -Ikonographie entfernt als in diesen beiden bescheidenen Wer-ken.“3

Diese Folgerung, die den Aufsatz von Elger beschließt, scheint mir aus mindestens drei Gründen problematisch zu sein. Erstens setzt sich diese Deutung nicht mit der Tatsache ausei-nander, daß Warhol in den beiden Selbstbildnis-sen bereits in seinem bisherigen Oeuvre erprobte künstlerische Verfahren verwendet, ihnen also, zumindest was die bildnerische Praxis betrifft, keinen Sonderstatus zukommen läßt. Auch der Kontext der Entstehungsgeschichte der beiden Porträts spricht gegen solch einen Sonderstatus, wie zu zeigen sein wird. Zweitens trägt eine Deu-tung, die auf die Authentizität der Darstellung abhebt, indem sie mit der Vera Ikon auf den indexikalischen Charakter der Photographie als Abdruck bzw. Spur des Wirklichen verweist, zu der von Warhol selbst in hohem Maße betrie-benen Mythisierung seiner Person und seines Werkes bei. Statt sich mit der Problematik der Selbststilisierung auseinanderzusetzen, schreibt sie die vom Künstler begonnenen Mythen fort.

Noch grundlegender ist der dritte Einwand: Die Assoziation mit der Christusikone trifft meiner Ansicht nach nicht die Wirkung des Selbstbild-nis-Motivs, die sich vor allem in den wild auf-gerichteten Haarsträhnen manifestiert, welche Elger als „säkulare Umdeutung“ der Dornen-krone Christi zu erklären versucht.

Die genannten Einwände lassen auch die im folgenden zu entwickelnde Interpretation der

beiden Selbstbildnisse als Medusa zu einem pro-blematischen Unterfangen werden, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Zudem ist danach zu fragen, worin der Erkenntnisgewinn dieser Deutung liegen mag. Schließlich könnte man einwenden, daß hier einfach ein „Ursprungs-mythos“ der Photographie, die Vera Ikon, gegen einen anderen, die Medusa, ausgetauscht wird.

Während der Verweis auf die Christusikone und die damit verbundene auratische Wirkung der Selbstbildnisse den Vorzug hat, eine direkte Verbindung zu Warhols Star-Ikonen der 1960er Jahre herzustellen, wie zu dem kleinformatigen goldfarbenen Tondo Head of Marilyn Monroe von 1962, bleibt zunächst nichts anderes übrig, als auf der – notwendig subjektiven – ästheti-schen Erfahrung vor den beiden Bildern zu in-sistieren. Im folgenden soll deshalb kurz meine erste Begegnung mit ihnen auf einer Ausstellung zu Andy Warhols Selbstporträts beschrieben wer-den, die Ausgangspunkt für die hier vorgestellten Überlegungen war.4 Daran anschließend wird die Geschichte der Medusa rekapituliert, wobei die Bezüge zum Dispositiv der Photographie im all-gemeinen und der Stellenwert des Photographie-rens in Warhols Werk im besonderen aufgezeigt werden. Sodann wird der Interpretationspro-blematik, die sich bei der Analyse von Warhols Werken stellt, nachgegangen, um schließlich da-nach zu fragen, inwiefern eine Interpretation der beiden Selbstbildnisse als Medusa gerade dieser Problematik gerecht zu werden vermag.

3 D. Elger, Die beste Amerikanische Erfindung überhaupt – einfach verschwinden zu können, in: ders. (Hrsg.), Andy Warhol Selbstportraits/Self-Portraits, Ausstellungskatalog, St. Gallen, Kunstverein St. Gallen Kunstmuseum, 12.06.2004–12.09.2004, Hannover, Sprengel Museum, 03.10.2004–16.01.2005, Edinburgh, Scottish National Galle-ry of Modern Art, 12.02.2005–02.05.2005, Ostfildern-Ruit 2004, S. 94–109, hier S. 109.

4 Neben St. Gallen waren weitere Stationen der Ausstellung Hannover und Edinburgh. Sie sind Teil der „Founding Collection“ des Andy Warhol Museum, Pittsburg (The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts), Kunstharzfar-be und SiebdruckfarKunstharzfar-be auf Leinwand, 35,6 x 35,6 cm.

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In der langen Reihe von Warhols Selbstbildnis-sen, die für die Ausstellung zusammengetragen wurden, sah ich mich vor den beiden kleinfor-matigen Werken auf silbernem und goldenem Grund unmittelbar nicht nur vom Künstler in den Blick genommen, sondern auch dem furcht-baren Anblick des abgeschlagenen Hauptes der mythischen Figur der Medusa ausgesetzt, deren schrecklicher Blick – selbst noch nach ihrem Tod – alles Lebendige erstarren läßt. Ein helles Irispaar starrte mich aus dem tiefen Schwarz der Augäpfel an, das sich, durch den hellen schmalen Rand der Augenlieder, kaum von der sich an-schließenden dunklen Wangenpartie und Stirn abhob.

Die sich schon hier andeutende zirkuläre Struktur der Selbstbildnisse, in die der Betrachter durch die vollkommene Frontalität des Gesichts hineingezogen wird, ist für die Schwierigkeiten, die sich bei der Interpretation einstellen, mitver-antwortlich. Doch sind diese Schwierigkeiten nicht nur bildstrukturell zu erklären. Sie werden zusätzlich gesteigert durch den Widerspruch, der sich zwischen einer intuitiv-unmittelbaren Zu-schreibung einer hintergründigen Bedeutung der beiden Selbstbildnisse und Warhols zu Lebzeiten perfekt aufgehender Strategie ergibt, solche Deu-tungsversuche seines Werkes systematisch zu un-terlaufen und statt dessen immer wieder auf die Oberfläche seiner Werke zu verweisen. Die Ver-mutung liegt nahe, daß Warhol solche Wider-sprüche zwischen der unmittelbaren Wirkmäch-tigkeit seiner Bilder und der eigenen Betonung von deren Inhaltsleere bewußt provozierte und für die Selbststilisierung als Künstler nutzte. Zu-mindest konnte ihn dies gegenüber der „fortuna critica“ immunisieren.

Zunächst ist festzuhalten, daß der für die Interpretation so bedeutende Effekt des

durch-dringenden, stechenden Blicks einfach erklärbar ist: Er kann auf die Verwendung eines Negativs als Vorlage für den Siebdruck zurückgeführt werden, was zu einer paradoxen Umkehrung der Hell-Dunkel-Werte führt, so daß Warhols Gesicht maskenartige Züge erhält. Auch die stechenden, zusammengezogenen „Pupillen“ er-weisen sich als Effekt der Verkehrung von klei-nen hellen, durch das Blitzlicht hervorgerufeklei-nen Glanzpunkten in dunkle Punkte. Neben den Formaten ist die Verwendung des Negativs der eklatanteste formale Unterschied zwischen den hier diskutierten und den übrigen Selbstbild-nissen aus Warhols letztem Lebensjahr, die den Künstler alle mit einer Perücke, der sog. Fright-Wig zeigen.5 Durch die Umkehrung entsteht je-weils eine völlig unterschiedliche Wirkung. An-ders als die Positivbilder evozieren die Gesichter auf silbernem und goldenem Grund Schrecken, ja können dem Gegenüber geradezu als Verkör-perung des Schreckens begegnen. Das zerzauste und markant abstehende Haar der Fright-Wig unterstützt diesen Eindruck, insbesondere die nach oben abstehenden Haarbüschel, an denen der isolierte, vom Hals getrennte Kopf gleichsam zu hängen scheint. Durch die sachte Neigung des Kopfes nach vorne und zur rechten Seite wird das Motiv des Hängens zusätzlich akzentuiert.

Diese leichte Neigung war es wohl, die mich zu-sammen mit der Frontalität an die enthauptete Medusa von Antonio Canovas Skulptur Perseus erinnerte, deren Version von 1804–6 ich im New Yorker Metropolitan Museum gesehen hatte.

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5 Einige der von Warhol getragenen Perücken, die zu einem Markenzeichen des Künstlers wurden und in der Litera-tur ohne weitere Erläuterung als Fright-Wig angesprochen werden, werden in der Warhol Foundation aufbewahrt.

Die Figur der Medusa ist im antiken Mythos eine ambivalente Gestalt. Ausführlich berichtet Ovid in den Metamorphosen von ihrem Schick-sal.6 In Homers Ilias wird nicht ihre Geschichte erzählt. Vielmehr taucht sie in einer Szene, in der sich Athene zum Kampf kleidet, schon überwun-den, als Haupt der Gorgo, „des entsetzlichen Un-geheuers, furchterregend und gräßlich“ nur noch als apotropäisches Zeichen besiegter Macht auf.7 Nichts erinnert hier mehr daran, daß Medusa den Erzählungen nach auch die schönste unter den drei Gorgo-Schwestern gewesen sein soll.

Dafür, daß sie Poseidon im Tempel der Athene verführt hatte, wurde sie von der Göttin bestraft und in ein gräßliches Ungeheuer verwandelt.

Zwischen einer die Blicke anziehenden Schön-heit und abstoßender Häßlichkeit changiert so-mit das überlieferte Bild der mythischen Figur.

Diese Doppeldeutigkeit kehrt in all ihren Aspek-ten wieder: Nicht nur Schönheit und Monster, faszinierender Anblick und abstoßendes Grauen,

sondern auch Bedrohung und Schutz sind in ei-nem Bild verschmolzen. Vor allem aber Medusas Blick hat zu immer neuen Deutungen des My-thos geführt. Von diesem Blick wird erzählt, daß er alle, die von ihm erfaßt wurden, unmittelbar zu Stein erstarren ließ.

Die Macht des Blicks, die Gefährdung durch das eigene Blicken und den Blick der Anderen wurden von Jean-Paul Sartre mit Bezug auf den Medusa-Mythos auf die konfliktgeladene Grundproblematik bezogen, daß wir nicht nur für uns existieren, sondern in unserer Existenz immer auch auf andere bezogen sind, daß wir durch den Blick der anderen inmitten der Welt immer auch verdinglicht werden. Hierdurch wird nicht nur unser eigenes sinnliches Erleben relativiert. Sartre beschreibt diese Grundkonstel-lation auch als eine existentielle, die eigene Iden-tität potentiell bedrohende Erfahrung, als „Er-fassung der Entfremdung meines Leibes“.8 Auch Jacques Lacan befaßte sich, auf Merleau-Ponty

M E DU S A S B L I C K

6 Publius Ovidius Naso, Metamorphosen, M. von Albrecht (Hrsg.), Stuttgart 1994, 4. Buch, S. 229–231. Mit der Ikonographie der Medusa in der griechischen Vasenmalerei befaßt sich R. Mack, Facing Down Medusa. An aetio-logy of the gaze, in: Art History 25, Nr. 5, 2002, S. 571–604. Zum Bildmotiv der Gorgo und ihrer apotropäischen Macht in der Antike, s. I. Krauskopf, Gorgo, Gorgones, in: Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae, Bd.

IV/1, Zürich/München 1988, S. 285–345, u. O. Paoletti, Gorgones Romanae, in: ebenda, S. 345–362. Zur Rezepti-on im Mittelalter und früher Neuzeit, s. J. Seznec, Das Fortleben der antiken Götter. Die mythologische TraditiRezepti-on im Humanismus und in der Kunst der Renaissance, München 1990. Zur Bildgeschichte der Gorgo, des bannenden und des schrecklichen Blicks in der Kunst der Neuzeit, s. W. Hofmann (Hrsg.), Zauber der Medusa: europäische Manierismen, Ausstellungskatalog, Wien, Künstlerhaus, 03.04.1987–12.07.1987, Wien 1987.

7 Homer, Ilias, 5.733–742 und ebenda, 11.36 f. Aus der überbordenden Literatur zum Mythos der Medusa sei hier nur auf einige ausgewählte Werke verwiesen: K. Kerényi, Die Mythologie der Griechen Bd. I, S. 44 f. u. Bd. II, München 1985, (erstm. erschienen 1951), S. 47–50; K. Heinrich, Floß der Medusa, Basel 1995, sowie die von M.

Garber und N. J. Vickers herausgegebene Anthologie, The Medusa Reader, New York/London 2003, deren Text-auswahl von Homer bis ins 20. Jahrhundert reicht.

8 Die komplexe Bedeutung des Blicks für die Konstitution des eigenen Selbst und deren untrennbare Verschränkung mit der Anerkennung des Anderen als Subjekt, erörtert Sartre in: J.-P. Satre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, Hamburg 1993, Kap. IV, Der Blick, S. 338–397. Sartre spricht in diesem Zusammenhang aber auch von der Erfahrung der Entfremdung, da der Andere mich auch als Gegenstand für sich konstituieren, ebenda, S. 364 f., und mir sogar meine Subjektivität aberkennen könne, ebenda, S. 378. Vom hieraus resultierenden „Schrecken der Begegnung mit dem Anderen“, handelt Sartre im Verlaufe der Erörterung immer wieder, ebenda, S. 455 und S. 456, um schließlich als „tieferen Sinn des Mythos von der Medusa“ die „Versteinerung des sich durch den Blick des Anderen“ zu betrachten: „Der Andere verleiht bei seinem Auftauchen dem Für-sich ein An-Für-sich-inmitten-der-Welt-Sein wie eine Sache unter Sachen.“ Ebenda, S. 548.

eIN pOP-KÜNSTLER ALS mEDUSA? 191 verweisend, mit der Problematik, daß wir „im

Schauspiel der Welt angeschaute Wesen sind“9. Und in der Theorie des Porträts spielt die Frage des Blickwechsels zwischen Porträtiertem und Betrachter, die im Falle eines Selbstporträts noch komplexer wird, eine wesentliche Rolle.10 Im Mythos ist es der Held Perseus, der sich vor den Blicken der Medusa schützen muß, um die Gor-gone zu überwinden. Von den olympischen Göt-tern hierin mit allerlei Hilfsmitteln unterstützt, erblickt Perseus im spiegelnden Schild Athenes das Antlitz der Medusa im Moment ihres Todes.

Diese Konstellation kann man für die In-stellation kann man für die In-terpretation der beiden kleinen Selbstbildnisse Warhols auf goldenem und silbernem Grund fruchtbar machen. So ist eine Position des Schil-des denkbar, in der Perseus Medusa im Schild erblickt, aber gleichzeitig Medusa Perseus’ Spie-gelbild sieht, so daß die Bilder von Perseus und

Medusa zugleich virtuell im Spiegel-Schild an-wesend sind, ohne jedoch aus einem Blickwin-kel gleichzeitig sichtbar zu sein. Damit nähme Perseus im Augenblick des durch den Spiegel vermittelten Blickwechsels und der Überlage-rung der Reflexion in gewisser Weise das Ant-litz der Medusa an,11 und wir sähen im Bild, was Medusa im Augenblick ihres Todes sah:

Einen zugleich erschreckten wie Schrecken ver-breitenden Perseus, der ihr das Leben nahm.

Der Blick in den Spiegelschild führt somit zu einer komplexen Umkehrung. Medusas grau-enerregender Blick teilt sich über den Spiegel Perseus mit, affiziert diesen und kehrt, nun ge-gen Medusa gerichtet, übermächtig zu ihr selbst zurück. Zum anderen ist ebenso denkbar, daß sich Medusa einen Moment lang selbst im glän-zenden Schild erblickte und durch den eigenen Anblick erstarrte; eine Konstellation, die vor

9 J. Lacan, Die Spaltung von Auge und Blick, in: ders., Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Das Seminar, Buch XI, Weinheim 1978, (erstm. erschienen in frz. Sprache 1964), S. 75– 84, hier S. 81. Lacan verweist zwar nicht auf den Mythos der Medusa, sondern spricht von einer Maske oder dem Bildschirm, der vor dem Einbruch des Realen schützen und die Versteinerung des Blicks verhindern kann. Doch schon Hal Foster hat darauf hingewiesen, daß Lacans Analyse vom Medusa-Mythos profitiert und sich seine Sprache aneignet, etwa wenn er über die Zähmung des Blicks schreibt und die Faszination reflektiert, die vom „bösen“ Blick ausgeht. H. Foster, Prosthetic gods, Cambridge 2004, S. 281.

10 Vgl. hierzu G. Boehm, Bildnis und Individuum, Basel 1985. Boehm hat auf die herausragende Rolle hingewiesen, die das Gesicht und der Blick für die Realisierung von Individualität in der Entwicklung der Bildgattung des selb-ständigen Porträts spielen, da sich hier, im Gesicht, die Fülle der Intentionen und Handlungsmöglichkeiten des Dargestellten in der Doppeldeutigkeit und Gleichzeitigkeit von Sehen und Selbst-sichtbar-werden zeigen. Ebenda, S. 97 ff. Durch einen „intensivierten Blick“ zeichnen sich zudem von Anfang an Selbstbildnisse aus. Vgl. ebenda, Der Andere als Prototyp, S. 231–250, sowie G. Boehm, Der blinde Spiegel. Anmerkungen zum Selbstbildnis im 20.

Jahrhundert, in: T. Döring (Hrsg.), Neue Ansichten vom Ich. Graphische Selbstbildnisse des 20. und 21. Jahrhun-derts, Ausstellungskatalog, Herzog-Anton-Ulrich-Museum, Braunschweig 1997, S. 25–33. R. Brilliant, Portraiture, London 1991, befaßt sich mit der Problematik der persönlichen Identität und der Frage ihrer Darstellbarkeit in der Porträtmalerei, die er an der Schnittstelle zwischen Kunst und sozialem Leben ansiedelt. Auch in seiner Studie spielt der Blick des Porträtierten eine zentrale Rolle, s. ders., Here’s Looking at You, S. 141 –174. Zur Bedeutung des Blicks für die Konstitution des Subjekts im Porträt, s. a. J.-L. Nancy, Porträt und Blick, Stuttgart 2007. Darüber hinaus wird die Grundproblematik des Verhältnisses zwischen aktivem Blicken und passivem Angeblicktwerden aber auch

Jahrhundert, in: T. Döring (Hrsg.), Neue Ansichten vom Ich. Graphische Selbstbildnisse des 20. und 21. Jahrhun-derts, Ausstellungskatalog, Herzog-Anton-Ulrich-Museum, Braunschweig 1997, S. 25–33. R. Brilliant, Portraiture, London 1991, befaßt sich mit der Problematik der persönlichen Identität und der Frage ihrer Darstellbarkeit in der Porträtmalerei, die er an der Schnittstelle zwischen Kunst und sozialem Leben ansiedelt. Auch in seiner Studie spielt der Blick des Porträtierten eine zentrale Rolle, s. ders., Here’s Looking at You, S. 141 –174. Zur Bedeutung des Blicks für die Konstitution des Subjekts im Porträt, s. a. J.-L. Nancy, Porträt und Blick, Stuttgart 2007. Darüber hinaus wird die Grundproblematik des Verhältnisses zwischen aktivem Blicken und passivem Angeblicktwerden aber auch

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