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Souverän entscheiden

Die souveräne Entscheidung als Entscheidung über die Ausnahme und vor allem in einem Zustand, in dem das rechtliche Operieren suspendiert ist, ist für Schmitt eine produktive, rechtsschöpfende Entscheidung. Sein Modell ist hier weniger die Rechtsgründung, als vielmehr die politische Intervention zur Aufrechterhaltung einer geltenden rechtlich-politischen Ordnung. Die politische Entscheidung im normativen Horizont des suspendierten Rechts hat in diesem Fall die Funktion, das normale Funktionieren der Rechtsordnung wieder möglich zu machen, und zwar, indem sie die Rechtsordnung selbst transformiert und nicht einfach nur das Leben zum Gehorsam zwingt – was einem rein repressiven Akt entsprechen würde.

Obwohl die Politik damit nicht vollkommen losgelöst vom Recht operiert, ist sie für Schmitt hinsichtlich ihres Operierens deutlich von der rechtlichen Entschei-dung zu unterscheiden. Zunächst einmal darin, dass die politische EntscheiEntschei-dung eben nicht einfach nur unter Bezugnahme auf die geltenden Rechtsnormen getrof-fen wird, weil sie ja über deren Voraussetzungen bzw. Materie zu entscheiden hat.

Die politische Entscheidung der Ausnahme ist dabei eine zweifache: Entschieden wird zunächst über das Vorliegen der Ausnahme, also für die Notwendigkeit der politischen Intervention auf die Rechtsordnung, und dann natürlich über das, was in und hinsichtlich der Ausnahme genau zu tun ist. Beide Entscheidungen sind nun zunächst in dem strukturellen Sinne »souverän«, als sie über den geltenden rechtlichen Normierungen stehen.

Die Entscheidung über das Vorliegen der Ausnahme besagt ja, dass eine bestimmte Situation unter gegebene Regeln nicht subsumierbar ist. Nicht die Rückbindung des Falls an ein Gesetz, sondern die Unterbrechung der Unterstel-lung, die gegebenen Gesetze könnten auch über die vorliegende Situation richten, ist der Inhalt einer solchen Entscheidung. Entscheidungen dieses Typs können rechtlich nicht mehr begründet werden, weil sie mit ihrem Vorliegen gerade die Kompetenz des überkommenen Rechts bestreiten, mit einer gegebenen Situation

fertig zu werden. Die Entscheidung zur ›Regellosigkeit‹ – zur temporären Aufhe-bung des Rechts – ist selbst regellos. Ist die Entscheidung über die Ausnahme aus der Perspektive des Rechts willkürlich, weil sie die rechtliche Normativität über-steigt und die Suspension des Rechts, die sie bewirkt, in ihrem eigenen Vollzug bereits voraussetzt, so gilt dies erst recht für die Entscheidung, wie im Ausnahme-zustand zu verfahren ist bzw. welche Rückwirkungen die Ausnahme auf die Rechts-ordnung haben soll.

Erfolgt die Suspension der Rechtsordnung aufgrund der Entscheidung, dass etwas eine Ausnahme gegenüber der von einer gegebenen rechtlichen Ordnung unterstellten Normalität darstellt, so versteht Schmitt die Ausnahme von vornher-ein als Symptom oder Ort vornher-eines Konflikts. Ich hatte darauf hingewiesen, dass Schmitt unter der Ausnahme keine Situation versteht, die die Institution des Rechts als solche in Frage stellt. Die Ausnahme, von der Schmitt redet, ist nicht etwas vollkommen Anomisches, das eine rechtliche Regulierung grundsätzlich zurückweist. Wovon die Ausnahme eine Ausnahme darstellt, ist nicht die rechtli-che Regel als solrechtli-che, sondern die substantielle Allgemeinheit oder eine bestimmte Normalitätsunterstellung, die in eine Rechtsordnung eingelassen ist. Soll die Aus-nahme eine für die Rechtsordnung potentiell produktive Funktion haben, dann muss es sich dabei um etwas handeln, was einen Bezug zum Recht unterhält oder sich zumindest auf das Recht beziehen lässt.39 Die Ausnahme beschreibt daher eine Konfliktsituation, in der die substantielle Allgemeinheit des Rechts auf eine andere substantielle Vorstellung trifft. Die souveräne Entscheidung muss paradoxerweise aus zu viel Bestimmtheit – nämlich aufgrund des Gegensatzes zwischen verschiede-nen substantiellen Vorstellungen – und zugleich aus zu wenig Bestimmtheit –

39 Ich werde im Folgenden daher zwischen einer absoluten und einer relativen Ausnahme unterschei-den. Eine absolute Ausnahme wäre eine, die sich rechtlich nicht mehr vermitteln lässt – die voll-kommen jenseits des Rechts liegt. Agambens homo sacer ist eine Gestalt der absoluten Ausnahme, deren Tötung vollkommen außerhalb des Rechts steht; dasselbe gilt für Hegels »großer Verbrecher«

aus der Rechtsphilosophie oder auch für die Figur des »Piraten«, so wie sie Daniel Heller-Roazen rekonstruiert. (Vgl. ders., Der Feind aller. Der Pirat und das Recht, Frankfurt/M.: Fischer 2010).

Melvilles Bartleby wäre in diesem Sinne ebenfalls eine absolute Ausnahme, die Captain Vere ent-sprechend nur mit absoluter Mühe einem rechtlichen Verfahren unterzieht und die schließlich aufgrund ihres absoluten Ausnahmecharakters das Recht vollkommen ›aus der Fassung bringt‹.

Eine relative Ausnahme wäre demgegenüber eine, die zwar eine gegebene Rechtsordnung sprengt und sich gleichwohl in sie integrieren lässt, indem sich die Rechtsordnung selbst verändert.

Schmitts Überlegungen oszillieren zwischen diesen zwei Formen der Ausnahme: Wenn er auf die produktiven Züge des Ausnahmezustands abstellt, spricht er über relative Ausnahmen; dagegen ist seine politische Kategorie des Feindes eine Gestalt der absoluten Ausnahme, die von der Rechts-ordnung grundsätzlich ausgeschlossen werden muss. Ich komme im folgenden Abschnitt auf diese Spannung zu sprechen.

Die Politik der Entscheidung 39 nämlich jener der Ausnahme selbst und ihres Verhältnisses zur Ordnung – getrof-fen werden.40

Die politische Entscheidung ist dann aber nicht nur deswegen souverän und willkürlich, weil sie sich nicht aus den bestehenden rechtlichen Normen ableiten lässt, sondern weil sich die Entscheidung des politischen Konflikts auch nicht unmittelbar aus den situativen Gegebenheiten ableiten lässt. Die bestimmte und zugleich unbestimmte Situation der Ausnahme verlangt nach einer Entscheidung, die in der Suspension der Geltung überkommener Normierungen stattfinden muss und zugleich vor dem Hintergrund der Unterbestimmtheit der Situation, deren erste Bestimmung zunächst ihr Ausnahmecharakter ist. Die souveräne Entschei-dung muss entscheiden, ob die gegebene rechtliche Ordnung bestätigt, ob dem antagonistischen Widerpart nachgegeben oder ob es eine dritte Möglichkeit gibt, mit dem Konflikt umzugehen. Das tut sie nicht in einem leeren Raum der Aus-nahme, sondern unter doppelter Bezugnahme auf die Situation und auf die sus-pendierte Ordnung.

Auch unter dieser Beschreibung, die im Unterschied zu Agamben, nicht von einer vollkommenen Unbestimmtheit der Situation ausgeht, bleibt ein Moment der Aleatorik bestehen. Selbst wenn die Ausnahme in dem oben genannten Sinne auch bestimmt ist, so enthält sie weiterhin noch keine klare Anweisung darüber, wie man den Konflikt im Allgemeinen, also für die rechtlich-politische Ordnung zu entscheiden hat; ihre Bestimmtheit ist eben stets eine situative, die nicht die Form allgemeiner rechtlicher Regelungen hat. Selbst wenn die Entscheidung dahinge-hend getroffen wird, die Ausnahme zu berücksichtigen und zum Anlass für eine Transformation der Ordnung zu machen, muss ihre Bestimmtheit in eine rechtli-che Bestimmtheit transformiert werden – was kein einfarechtli-cher Prozess der Übertra-gung ist. Mit Schmitts politischen Schriften ändert sich also nicht die Tatsache, sondern der Grund der rechtlichen Aleatorik: Sie ist dann nicht einfach nur die Spur einer Unbestimmtheit des »täglichen Lebens« gegenüber seiner allgemeinen Normierung, sondern wird mit der antagonistischen Verfasstheit gesellschaftlicher Zusammenhänge korreliert. Sie resultiert mithin daraus, dass die Frage nach einer allgemeinen Normierung nicht einfach nur offen, sondern vor allem grundsätzlich umstritten ist und aus Konflikten hervorgeht.

In diesem Sinne bekommt die »einschließende Ausschließung«, mit der Agam-ben das Verhältnis von Recht und LeAgam-ben charakterisiert, zunächst einmal eine

40 Daher lässt sich die Situation der Ausnahme mit jener »Polynomie« in einen Zusammenhang bringen, in der Robert M. Cover wiederum die ratio essendi von Recht und Staat verortet. »It is the multiplicity of laws, the fecundity of the jurisgenerative principle, that creates the problem to which the court and the state are solutions. For example, in Aeschylus’ literary re-creation of the mythic foundations of the Areopagus, Athena’s establishment of the institutionalized law of the polis is addressed to the dilemma of the moral and legal indeterminacy created by two laws, one invoked by the Erinyes and the other by Apollo.« (ders., »Nomos and Narrative«, in: Harvard Law Review 97/4 (1983), S. 40)

weniger drastische Konnotation. Handelt es sich zwischen Leben und Recht um zwei unterschiedliche ›normative Ordnungen‹, so kann das Leben eben nur auf der Grundlage einer Verallgemeinerung und einer Entscheidung über diese (neue) All-gemeinheit Eingang ins Recht finden. Die thanatopolitische Konnotation, die Agambens Charakterisierung der souveränen Entscheidung unterlegt ist, hängt also nicht schon mit dieser strukturellen Einsicht zusammen. Sie resultiert viel-mehr aus der Art und Weise, wie Schmitt den politischen Antagonismus charakte-risiert, nämlich als existentiellen Konflikt zwischen Freund und Feind, dem Schmitt eine bellizistische Semantik unterlegt. Der politische Feind wird damit zu einer Gestalt der absoluten, nicht integrierbaren Ausnahme, die dem rechtlichen Trans-formationsprozess die Dynamik eines radikalen Exklusionsaktes verleiht. Spätes-tens in diesem Kontext kann dann aber nicht mehr einfach nur von Ausnahmen die Rede sein; die Figur des Feindes als Grund von politischen Konflikten korreliert in der Tat nur mit der Situation des Ausnahmezustandes.41

Die Willkür der Feinde

Schmitt insistiert auf den politischen Antagonismus gegen den liberalen Konsensu-alismus. So berechtigt die Intervention gegen die damit verbundene und letztlich postpolitische Ideologie ist, so problematisch ist allerdings Schmitts spezifische Ausdeutung des politischen Konflikts.42 Schmitt spezifiziert seinen antagonisti-schen Begriff des Politiantagonisti-schen durch die Unterscheidung zwiantagonisti-schen Freund und Feind dahingehend, dass diese »der intensivste und äußerste Gegensatz« (BP, S. 26) darstelle. Das impliziert viel mehr, als dass es sich dabei um einen Konflikt handelt, der nicht ohne weiteres zu vermitteln ist und sich nicht aufgrund etablierter und allgemeiner Schlichtungsverfahren lösen lässt, wie sie das Recht anbietet. Der Kon-flikt zwischen Freund und Feind ist ein »existenzieller« KonKon-flikt, ein KonKon-flikt zwi-schen Lebensformen, der für Schmitt notgedrungen die »seinsmäßige Negierung eines anderen Seins« (BP, S. 33) zumindest latent in sich birgt und dessen

41 Die zweite Spezifizierung, die die politischen Schriften mit sich bringen, betrifft das Subjekt der souveränen Entscheidung. In Politische Theologie ist Schmitts Argumentation und Auseinanderset-zung mit der Ausnahme etatistisch ausgerichtet: »Der Ausnahmefall«, daher Schmitts Interesse daran, »offenbart das Wesen der staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondern sich die Entschei-dung von der Rechtsnorm, und (um es paradox zu formulieren) die Autorität beweist, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht.« (PT, S. 19)

42 Zu den Folgen einer konsensualistischen Leugnung des Konflikts vgl. Chantal Mouffe, Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. Mouffe macht dort den Unterschied zwischen einer antagonistischen und einer agonistischen Politik, in der der Kon-flikt nicht mehr in seiner radikalsten Form auftritt.

Die Politik der Entscheidung 41 tion daher der Krieg ist.43 Jeder politische Konflikt, so die These, ist auf den Krieg bezogen, weil die politische Feindschaft dessen »reale Möglichkeit« (BP, S. 29ff.) in sich birgt.44

Die Bestimmung des politischen Antagonismus als die »reale Möglichkeit« des Krieges gibt dem politischen Konflikt nicht nur eine sehr spezifische und enge Ausdeutung, sie legt letztlich auch schon die Mittel einer Politik im Ausnahmezu-stand fest: ausschließende Gewalt. Es ist kein Zufall, dass der homo sacer, mit dem Agamben den »einschließenden Ausschluss« des Lebens bzw. der Ausnahme im Recht beschreibt, (fast) dieselben Züge wie der Schmitt’sche Feind trägt. Schmitts Feind ist genauso wie der homo sacer jemand, dessen »Töten […] nicht als Mord gilt«, nur dass er im Unterschied zum römischen homo sacer auch wirklich »getötet werden muß«.45 Bei einem solchen Begriff des Politischen und wenn auf den abso-luten Feind nur eine vernichtende Antwort möglich ist, stellt sich jedoch die Frage, ob dieser als Ausnahme noch das transformatorische Potential haben kann, das Schmitt mit Bezug auf die Rechtsordnung reklamiert.46

Um das ›produktive‹ Potential des Schmitt’schen Feindes in den Blick zu bekom-men, hilft es, sich zu verdeutlichen, dass die Unterscheidung zwischen Freund und Feind keinesfalls zu den »klaren« Unterscheidungen gehört, die Schmitt so leiden-schaftlich und nostalgisch sucht. Das zeigt sich gerade daran, dass über den Feind wie auch über den Ausnahmezustand entschieden werden muss. Karl Löwith hat in diesem Zusammenhang auf zwei mögliche Lesarten hingewiesen: »Entscheidet hier ein von Natur aus bestehender Unterschied in der Art des Seins zwischen dem fremden und dem eigenen Sein über die Möglichkeit des Kriegs, oder ergibt sich umgekehrt erst und nur aus der Tatsache einer wirklichen Kriegsentscheidung auch die Unterscheidung von eigenem und fremdem Sein? Gibt es mit anderen Worten den politischen Ernstfall Krieg, weil es der Seinsart nach wesensverschiedene Völ-ker und Staaten oder politische ›Existenz-Formen‹ gibt, oder ergeben sich erst bei Gelegenheit eines Kriegs, also zufällig und okkasionell, auch jene aufs Äußerste gespannten und schlechthin existenziellen Verbindungen und Trennungen, die nach Schmitt das spezifische Wesensmerkmal des Politischen sind?«47 Unterliegt

43 Zu Schmitts Begriff der Feindschaft und des Krieges vgl. Jacques Derrida, »Von der absoluten Feindschaft. Die Sache der Philosophie und das Gespenst des Politischen«, in: ders., Politik der Freundschaft, S. 158–189.

44 Die Bestimmung des Krieges als »reale Möglichkeit« geht offensichtlich auf Hobbes’ Charakterisie-rung des Krieges im Naturzustand zurück: »Denn Krieg besteht nicht nur in Schlachten oder Kampfhandlungen, sondern in einem Zeitraum, in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist«. (Thomas Hobbes, Leviathan [1651], Frankfurt/M.: Suhrkamp 1984, S. 96.)

45 Derrida, Politik der Freundschaft, S. 171. [Herv. F. R.]

46 Die Auffassung, dass der Krieg als solcher für den Staat eine positive Funktion habe, findet sich auch schon bei Hegel. Vgl. ders., Grundlinien, §324 (Zusatz).

47 Karl Löwith, »Der okkasionelle Dezisionismus von C. Schmitt« [1935], in: ders., Heidegger – Den-ker in dürftiger Zeit. Zur Stellung der Philosophie im 20. Jahrhundert, Stuttgart: Metzler 1984, S. 45.

die Entscheidung über den Feind dem Souverän und nicht der Natur, so ist offen-sichtlich die zweite okkasionalistische Lesart die richtige.

Der Feind wird im Ausnahmezustand nicht einfach nur (wieder-)erkannt, die Entscheidung über den Ausnahmezustand bringt vielmehr die Unterscheidung von Freund und Feind überhaupt erst hervor. Eine solche Entscheidung über Freund und Feind bleibt aufgrund ihrer okkasionalistischen Verfasstheit stets riskant und in ihrem Ausgang erst einmal ungewiss. Die souveräne Politik, die Schmitt hier vor Augen hat, ist die Politik eines riskanten taktischen Spiels, mit dem die Koordina-ten des politischen Feldes strategisch immer wieder neu etabliert werden. Wie im Falle der rechtlichen Entscheidung liegt auch die Legitimität der politischen Ent-scheidung in der Zukunft, denn erst dort wird sich zeigen, ob sie zu einer tragfähi-gen Ordnung geführt haben wird. Die rechtliche Entscheidung findet unter Rekurs auf allgemeine Normen statt und hat als ihren letzten Bezugspunkt die Praxis des Rechts und ihre Stabilität. Anders als die rechtliche Entscheidung ist die politische Entscheidung für Schmitt »aus dem Nichts geboren« (PT, S. 38), denn sie wendet keine Norm an, sondern appelliert allein an das politische Gespür und Geschick des Souveräns. Zwar ist die politische Entscheidung ebenfalls darauf ausgerichtet, die rechtlich-politische Ordnung vor dem Hintergrund der Ausnahme aufrecht zu erhalten und auch sie hat mithin in der Praxis ihren letzten Anhaltspunkt. Weil sie jedoch zugleich eine wertende Entscheidung ist, modifiziert die politische Ent-scheidung im Unterschied zur rechtlichen zugleich auch die Koordinaten der Pra-xis, vor deren Hintergrund sie ihre eigene Legitimität ausweisen soll. Ihr tatsächli-cher Erfolg ist daher in einem radikalen Sinne ungewiss: Weder Normen noch Fakten können ihn verbürgen, da beide durch die Entscheidung verändert werden.

Wann gilt aber die souveräne Entscheidung genau als gelungen? Ist sie legitim, wenn sie eine bestimmte Ordnung (die Ordnung einer bestimmten Lebensform) bewahrt oder bloß eine (irgendeine) Ordnung aufrechterhält? Aufgrund des okka-sionalistischen Moments in Schmitts Konzeption lässt sich diese Frage nicht genau beantworten. Ebenso wie man vom Schmitt’schen Souverän nicht viel mehr sagen kann, als das Subjekt zu benennen, das in diese Position tritt, kann man mit Blick auf seine Entscheidung nicht viel mehr sagen, als dass sie ihre eigene Grundlage sichern sollte – mit welchen Inhalten oder Allianzen auch immer.

Auch in diesem Fall liegt der okkasionellen Willkür der souveränen Entschei-dung nicht schlichtweg politische Beliebigkeit zugrunde, sondern im Gegenteil eine freiheitstheoretische Pointe. Diese klingt bereits im Pathos der Ausnahme als Bruch mit den »verkrusteten« Verhältnissen an. Ihr Ausdruck ist gerade die radikale Willkürfreiheit, die dem Souverän zukommt.48 Der Schmitt’sche Souverän ist jemand, um es mit Bataille zu formulieren, »dessen Wahl im Augenblick nur vom

48 Allgemein zur Willkürfreiheit vgl. Juliane Rebentisch/Dirk Setton (Hg.), Willkür, Berlin: August 2011.

Die Politik der Entscheidung 43 Gutdünken abhängt«.49 Dieser Ort der Willkür ist für Schmitt der Ort der Politik – im Unterschied zum Recht, das sich stets auch an Normen zu orientieren hat, aber auch im Unterschied zur demokratischen Politik, in der die Unterscheidung von Freund und Feind auf andere Grundlagen gestellt ist. Vor diesem Hintergrund ist die souveräne Entscheidung zwar keinerlei Inhalten, Normen, Werten, Ideen verpflichtet; sie ist aber darauf ausgerichtet, diesen Ort der Willkür, also die souve-räne Position aufrecht zu erhalten und zu sichern, aus der dann immer wieder neue politische Entscheidungen hervorgehen können.

Doch gerade die Logik von Freund und Feind droht die Freiheit der politischen Entscheidung in das Gegenteil, in eine paranoide Sicherheitspolitik umschlagen zu lassen, an der nur noch weniges frei ist. Weil die Ausnahme als »reale Möglichkeit«

des Krieges nur dann mit Sicherheit behauptet werden kann, wenn es schon zu spät und der Krieg bereits ausgebrochen ist, muss sie präventiv erkannt werden und d. h. auch dann, wenn es den Feind möglicherweise gar nicht gibt. Die ubiquitäre Möglichkeit des Feindes verwickelt den Souverän in eine letztlich nur noch zerstö-rerische Politik: »The enemy […] was a tragic fiction from the start: the necessity to exclude in order to name, to ban and to fight, what threatens latently from within rather than from outside, at that. It is Schmitt’s conviction – rather, it has become, more and more, his outspoken conviction – that any true friend may turn into an enemy, while the true enemy remains what he is, the enemy: his truth is that he remains. Paranoia haunts the Schmittian state, turn »the political« into a ghostlike sphere, into zones of security politics.« 50

Die radikale Willkür einer souveränen Position, die sich als solche gegen ihren Feind behaupten muss, ist daher paradoxerweise vom (angeblichen) Feind und seiner (angeblichen) Willkür nur um so abhängiger. Aber nicht nur aufgrund ihrer Effekte lässt sich die Logik von Freund und Feind hinterfragen. Ihre Vorausset-zung, nämlich die Unterstellung eines Antagonismus, der von vornherein die Ver-nichtung des anderen latent in sich birgt, ist genauso fragwürdig bzw. scheint selbst Produkt einer bestimmten Ideologie zu sein. Hinterfragt man jedenfalls die Grund-lagen der existentiellen Dringlichkeitsemphase, die Schmitt seinem Begriff des Politischen unterlegt, dann verpufft auch die Dramatik des Ausnahmezustands als der ausgezeichnete Boden der Politik. Mit Blumenberg gesagt: »Wenn nicht mehr daran geglaubt werden kann, daß die Entscheidung zwischen Gut und Böse in der Geschichte fällt und unmittelbar bevorsteht, daß jeder politische Akt an dieser Krisis teilnimmt, verliert sich die Suggestion des Ausnahmezustandes als Normali-tät des Politischen.«51

49 Georges Bataille, Die Souveränität, München: Matthes & Seitz 1978, S. 47.

50 Anselm Haverkamp, »The Enemy has no Future: Figure of the ›Political‹«, in: Cardozo Law Review 26/6 (2005), S. 2555.

51 Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1996, S. 101.

Diese Suggestion hebt Schmitt im Rahmen seiner Demokratiekonzeption auf.

Zwar bleibt der Ort der Politik der rechtsfreie Raum, doch der Grund für die Sus-pension des Rechts ist hier weniger der Ausnahmezustand als vielmehr ein ganz

Zwar bleibt der Ort der Politik der rechtsfreie Raum, doch der Grund für die Sus-pension des Rechts ist hier weniger der Ausnahmezustand als vielmehr ein ganz