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Phylogenie, Lautäußerungen, Biometrie

Im Dokument Die Vogelwarte : Band 46, Heft 3 (Seite 75-79)

moleku-larsystematische Analyse einbezogen werden konnten, ließen sich anhand ihrer lautlichen Parameter und mit-tels Hauptkomponentenanalyse der erwarteten Art zuschlagen. Bei allen Analysen trennen die erlernten Reviergesänge, die soziale Interaktionen für ihre artspe-zifische Ausprägung benötigen, besser als die angebo-renen Rufe. Merkmale des Reviergesangs der neun Arten habe ich außerdem auf den molekularen Stamm-baum aufgetragen, so dass für viele ein phylogenetisches Signal gezeigt werden konnte. Auch eine Korrelation zwischen gesanglichen Merkmalsunterschieden und genetischem Abstand bestätigte einen hohen Grad an Parallelität zwischen der Evolution dieser kulturellen (da erlernten) Merkmale mit der genetischen. Die Un-terteilung der Gattung Certhia in eine monophyletische Gruppe von „Motivsängern“ (Amerika-, Garten-, Kaschmir-, Waldbaumläufer) und eine rein südostasi-atische Gruppe von „Trillersängern“ (übrige Arten) wird gestützt durch ein starkes phylogenetisches Signal bei den betroffenen Merkmalen (höchste Werte für die Ho-moplasieindizes bei den Trillermerkmalen), die Diskri-minanzanalysen für sowohl Gesangs- als auch Rufmess-werte und Stammbaumrekonstruktionen auf Grundla-ge der Gesangsmerkmale.

Eine Reihe von Klangattrappenversuchen sollte klä-ren, inwieweit mitteleuropäische Waldbaumläufer Ge-sangsstrophen allopatrischer Taxa aus der Gruppe der Motivsänger als arteigen erkennen bzw. wie weit die Ausbildung prägamer Isolationsmechanismen fortge-schritten ist: Sie reagierten in den Freilandversuchen auf das Attrappenvorspiel aller vier Arten stets terri-torial, allerdings meist schwächer als auf anschlie-ßendes Vorspiel des mitteleuropäischen Waldbaum-läufer-Gesangs. Gesangsmerkmale, die eine eindeutige Arterkennung bewirken, ließen sich nicht herausar-beiten. Zu sehr dominierten allen Motivsängern ge-meinsame Gesangsmerkmale wie das sogenannte

„srieh“-Element.

Biometrie

Um die neun Arten und fast alle Unterarten biometrisch zu charakterisieren, maß ich an knapp 2000 Museums-bälgen die Länge von Hinterkralle, Tarsus, Schnabel, Flügel und Schwanz, außerdem Schnabelbreite und -höhe sowie Flügel- und Schwanzspitze. In einer Dis-kriminanzanalyse aller verwendbaren Datensätze konn-te ich nur einzelne Arkonn-ten deutlich von den restlichen abtrennen. Die starke Spezialisierung der Baumläufer lässt also für biometrische Diversität wenig Spielräume.

Eine Clusteranalyse erzeugte aber dennoch einen Stammbaum, der dem molekularen sehr nahekommt.

Als ich den über ganz Eurasien verbreiteten Artkomplex aus Kaschmir- und Waldbaumläufer genauer betrach-tete, konnte ich neben der bekannten Trendumkehr der Oberseitenfärbung in Westchina auch eine solche für die Tarsuslänge finden. Beim Amerikabaumläufer mit seinen 15 (!) Unterarten fand ich auffallende Unter-schiede in den Körpermaßen zwischen westlichen und

östlichen Populationen, entlang der Westküste Amerikas und innerhalb Mittelamerikas. Während die beiden Schwesterarten Braunkehl- und Manipurbaumläufer wegen ihrer weiträumlichen Trennung nur in Färbung, aber nicht in Körpermaßen klare Unterschiede zeigen, lassen sich die in China fast aneinandergrenzenden Po-pulationen von Kaschmir- und Waldbaumläufer anhand meiner Messwerte und mittels Diskriminanzanalyse tren-nen. In Sympatriegebieten unterscheiden sich die Baum-läufer-Arten besonders deutlich, obwohl die Arten sich tendenziell durch andere Höhenverbreitung meiden.

Schnabel- und Hinterkrallenlänge bestätigten sich als wichtigste Parameter, um Garten- und Waldbaumläufer zu trennen. Im Himalaja, wo mit vier Arten die höchste Artendichte der Gattung erreicht wird, sind auch Maße am Stützschwanz von Bedeutung. Die Notwendigkeit zur Nischendifferenzierung geht bei Baumläufern so weit, dass auch zwischen den Geschlechtern eines Taxons ein ausgeprägter Dimorphismus festzustellen ist: Männchen haben vor allen Dingen längere Schnäbel.

Ausblick

Auch nach einer umfassenden Studie, die – zumindest für die altweltlichen Arten – die verwandtschaftlichen Beziehungen klären konnte, den Beitrag der Lautäuße-rungen zu evolutionsbiologischen und systematischen Studien ausgelotet hat und für fast alle validen Baum-läufer-Taxa nach einheitlicher Methodik Körpermaße erhoben hat, bleiben noch zahlreiche Fragen offen: Die morphologische und auch lautliche Vielfalt ist beim Amerikabaumläufer vergleichsweise so hoch, dass ein-gehende molekulare Studien ergänzend durchgeführt werden sollten. Wenig Berücksichtigung fanden auch die Formen aus dem Kaukasus und dem Nahen Osten.

Sehr unvollständig sind auch unsere Kenntnisse über die kleinen verstreuten Populationen des Manipur-baumläufers. Schließlich sollte eine wesentlich aufwän-digere molekulare Studie einmal die Herkunft und Ausbreitungsgeschichte dieser zu Unrecht oft überse-henen kleinen Singvögel aus der Gattung der Baumläu-fer erforschen.

Die Arbeit ist veröffentlicht im Archiv Mainzer elektroni-scher Dissertationen (ArchiMeD): http://nbn-resolving.

de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:hebis:77-13918 und

folgende Arbeiten sind aus ihr hervorgegangen:

Martens J & Tietze DT 2006: Systematic notes on Asian birds.

65. A preliminary review of the Certhiidae. Zoologische Mededelingen Leiden 80-5: 273–286.

Tietze DT & Martens J eingereicht: Morphometric characte-risation of treecreepers (genus Certhia).

Tietze DT, Martens J & Sun Y-H 2006: Molecular phylogeny of treecreepers (Certhia) detects hidden diversity. Ibis 148:

477–488.

Tietze DT, Martens J, Sun Y-H & Päckert M angenommen:

Evolutionary history of treecreeper vocalisations (Aves:

Certhia). Organisms, Diversity & Evolution. DOI: 10.1016/

j.ode.2008.05.001.

Interaktionen zwischen Populationsstruktur und Stochastizität in demographischen Modellen

Thomas Harold George Ezard

Ezard THG: Interactions between Structure and Stochasticity in Demographic Models. Vogelwarte 46: 231 - 232.

Division of Biology, Imperial College London, Silwood. Park, Ascot, Berkshire, SL5 7PY, UK.

THGE: E-Mail: thomas.ezard@imperial.ac.uk

Demographie ist das Studium der Populationsdynamik.

Als Population wird eine Gruppe von Individuen be-zeichnet, die innerhalb einer begrenzten Region lebt.

Die Dynamik der Population selbst hängt von demo-graphischen Raten ab (Geburts-, Überlebens-, Ein- und Auswanderungsraten). Zwei gleich große, aber struk-turell verschiedene Populationen (das heißt zwei Popu-lationen mit Individuuen in ungleichen Alters- oder Statusklassen) können jeweils eine ganz andere Popu-lationsgröße im folgenden Jahr aufweisen. Um lang- und kurzfristige Vorhersagen zur Veränderung der Demographie machen zu können, sollte der Beitrag der einzelnen Individuen (sowie Gruppen von Individuen) zur Populationsentwicklung berücksichtigt werden.

Änderungen in der Populationsgröβe ergeben sich durch die Kombination von stochastischen (zum Bei-spiel Klimaänderung) und deterministischen (zum Beispiel wegen Populationsdichte) Prozessen. Die Über-lebens- und Sterblichkeitsraten der Individuen einer Population spiegeln zum Teil die Variabilität ihrer Um-welt wieder. Die demographischen Raten beinhalten auch den Schlüssel zu fehlerfreien Vorhersagen der Po-pulationsentwicklung. Diese Dissertation argumentiert, dass die Interaktion zwischen der Variabilität in der Umwelt und der Populationsstruktur entscheidend ist.

Die Dissertation bestätigt und betont die Interaktion dieser Größen und ihren Einfluss auf die Populations-wachstumsrate.

Analysen wurden auf der Basis von zwei langfristigen Datenbanken auf individuellem Niveau durchgeführt, und zwar am Soay Schaf (Ovis aries) auf Hirta, St Kilda, Schottland, und an der Flussseeschwalbe (Sterna

hirun-do) der Banter See Brutkolonie in Wilhelmshaven,

Deutschland. Die Analysen erforschen das Verhältnis zwischen Umwelt, demographischen Raten und Varianz der Populationswachstumsrate. Die Ergebnisse verdeut-lichen, wie Struktur und Zufälligkeit die Vorhersagen von konstanten und dynamischen Modellen ändern können.

Die Heterogenität zwischen Individuen der Flusssee-schwalbe entsteht hauptsächlich durch Unterschiede

zwischen Alters- oder Statusklasse. Altersabhängige Änderungen erklärten die Varianz in demographischen und evolutionären Prozessen. Ältere Vögel haben mehr Bruterfolg. Ältere Vögel haben mehr Bruterfolg. Ist die Verbesserung wegen Alter oder Phänotyp? Ein Selekti-onsgradient ist die Beziehung zwischen einem Phänotyp und einem Fitnessmaß. Wurde das Alter nicht als Fak-tor in die Modelle integriert, waren fehlerhafte Einschät-zungen die Folge bei den Selektionsgradienten. In 8 von 9 Fällen ergab sich eine erhöhte Signifikanz in Modellen ohne Alter. In 6 von 9 Fällen hatte auch die Berücksich-tigung der Alterseffekte entgegengesetzte Selektionsgra-dienten zur Folge. Ein Vogel, der früh an der Brutkolo-nie „Banter See“ ankam, hat ein höheres Fitness als einer, der spät ankam laut Modellen ohne Alter. In Mo-dellen mit Alter als Faktor zieht der Vogel weniger Nut-zen aus dem frühen Ankommen. Wichtig ist nur, das er pünktlich für seine Altersklasse ankommt. Verschie-dene Altersklassen beeinflussten die asymptotische Wachstumsrate der Population (λ

0

) in unterschiedli-chem Masse. Im allgemeinen aber war die Korrelation zwischen Elastizitäten von λ

0

und Elastizitäten der Ab-weichung um λ

0

niedrig. Jüngere Brutvögel mit ihrem variableren Brut erfolg beeinflussten die Abweichung um λ

0

mehr als ältere Brüter. Die Varianz eines demo-graphischen Parameters war abhängig von anderen Parametern. Diese Abhängigkeiten unterschieden sich zwischen den Geschlechtern. Raten, die λ

0

stark beein-flussen, bestimmen oft die Zukunft einer Population.

Änderungen in der kurzfristigen Zuwachsrate einer Population werden aber oft durch die Varianz der an-deren demographischen Raten bestimmt.

Die Varianz um λ

0

ist jedoch nicht völlig stochastisch, weil die Methoden auf asymptotischem Zuwachs basie-ren. Verschiedene demographische Parameter beant-worten verschiedene Fragen. Da jedes Maß andere Annahmen mit sich bringt, können aus verschiedenen Maßen unterschiedliche Schlussfolgerungen resultieren.

Modelle, die verschiedene Umweltbedingungen und

eine dynamische Populationsstruktur berücksichtigen,

haben theoretisch ein erhöhtes Potential, die Zufälligkeit

der Realität widerzuspiegeln. Langzeitliches stochasti-sches Wachstum (λ

S

) ist eine Möglichkeit, solche Varia-bilitäten in der Umwelt zu beachten. Überraschender-weise ähnelten sich die Elastizitäten von λ

S

und λ

0

bei einer Population der Soay Schafe sehr (>97%). λ

S

rea-gierte jedoch nicht in konstanter Weise auf verschiede-ne demographische Raten unter verschiedeverschiede-nen Umwelt-bedingungen. Die Korrelation war zwar insgesamt hoch, umweltbedingte Zufälligkeit kann jedoch den Beitrag demographischer Raten zu λ

S

dramatisch ändern. Die-ser Punkt verdeutlicht das Problem der Extrapolation von kurzfristigen Studien auf langfristige Messungen der Populationszuwachsrate.

Die bisher diskutierten Ergebnisse standen unter der Annahme, dass alle Individuen innerhalb einer Alters-klasse eine gleichmäßige „Qualität“ aufweisen. Aus evolutionärer Sicht ist die Zuwachsrate der Population die durchschnittliche Fitness. Selektion wirkt jedoch auf das einzelne Individuum. Jeder Vorteil eines Individu-ums muss gleichzeitig gegen allen anderen Individuuen der Population nachgewiesen werden. Die Heterogeni-tät zwischen individuellen Leistungen bei Flusssee-schwalben war groß und nicht konstant. Allerdings wurden auch langfristig konstante Unterschiede zwi-schen Individuen gefunden. So kam eine Flusssee-schwalbe, die als zweijährige im Frühling frühzeitig am Koloniestandort eintraf, während ihres ganzen Lebens früh an. Ein grosser Teil der Varianz blieb jedoch un-erklärt (>98%). Fitness wurde wegen niedriger Werte erklärter Varianz nicht überwiegend durch Ankunfts-datum, Ankunftsgewicht oder Legedatum bestimmt.

Die Erfassung der individuellen Leistungen entlang eines Zeitfensters könnte vielleicht höhere Anteile der Varianz erklären als ein Maß, das in einer Momentauf-nahme aufgenommen wird.

Langfristige, konstante oder stochastische Zuwachs-raten der Population lassen rasche Änderungen in den Umweltbedingungen und/oder anschließende

evolutio-näre Reaktionen nicht erkennbar werden, und umge-kehrt. Kurzfristige Zuwachsraten bedürfen weiterer Forschung, vor allem in Bezug auf Änderungen der Populationsstruktur. Langfristige Vorhersagen, die aus einem kürzeren Zeitfenster extrapoliert werden, können das ständige (oder mindestens schnell funktionierende) Wirken der Selektion nicht erfassen.

Die Population ist eine entscheidende Einheit grund-legender ökologischer und evolutionärer Prozesse. Die Analysen dieser Dissertation stärken das Argument, dass der individuelle Beitrag im Zusammenhang mit der Variabilität in der Umwelt und ihrer Zufälligkeit ein kritischer Faktor zum Verstehen der Änderungen in der Populationsgröβe ist. Die Unkenntnis der fokalen Inter-aktion zwischen Populationstruktur und umweltlicher Stochastizität lässt wichtige Aspekte der Populations-dynamik und somit auch ökologische und evolutio näre Änderungen unberücksichtigt.

Die Dissertation wurde am Imperial College, London, und am Institut für Vogelforschung, Wilhelmshaven, durchgeführt und bisher veröffentlicht unter:

Ezard THG, Becker PH & Coulson T 2006: The contributions of age and sex to variation in common tern growth rate. J.

Anim. Ecol., 75, 1379-1386

Ezard THG, Becker PH & Coulson T 2007: Correlations bet-ween Age, Phenotypic Traits and Individual Contributions to Population Growth in Common Terns. Ecology, 88, 2496-2504.

Ezard THG, Gaillard J-M, Crawley MJ & Coulson T 2008:

Habitat dependence and correlations between elasticities of long-term growth rates. American Naturalist 172, no 3.

Online: DOI: 10.1086/589897, http://www.journals.uchi-cago.edu/doi/pdf/10.1086/589897

Die Dissertation wurde dankenswerterweise finanziell

unterstützt durch das National Environment Research

Council.

Im Dokument Die Vogelwarte : Band 46, Heft 3 (Seite 75-79)