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Neue pharmakologische Behandlungsansätze

Exkurs 1: Induktion und Aufrechterhaltung von LTP (Squire & Kandel, 1999)

1.7. Neue pharmakologische Behandlungsansätze

Die oben geschilderten zentralen Mechanismen der Entstehung und Chronifizierung von Phantomschmerzen bieten die Möglichkeit verschiedener neuer medikamentöser Interventionen. Diese Interventionen beruhen auf Befunden zur Rolle der GABA-Rezeptor-Agonisten und Glutamat bzw. NMDA-Rezeptor-Antagonnisten, die in tier-und humanexperimentellen Studien sowie in Einzelfallstudien gezeigt wurden. Für ein spezifisches medikamentöses Eingreifen in die deafferenzierungsbedingten Reorganisationsprozesse im Kortex ist die Unterscheidung der kurzfristigen und langfristigen Reorganisationsvorgänge wichtig.

Aus tierexperimentellen Studien ist bekannt, dass bei der Deafferenzierung zunächst eine Verminderung der GABAergen Hemmung auftritt (vgl. Kap. 1.2.2.).

Diese Hemmung dürfte vor allem für die kurzfristig auftretende Plastizität verantwortlich sein, da hier die Demaskierung normalerweise gehemmter Verbindungen im Vordergrund steht. Alloway und Burton (1991) konnten die differentiellen Effekte von GABA und Bicucullin (bicuculline methiodide, BMI -GABA-Antagonist) auf schnell und langsam adaptierende Neurone des somatosensorischen Kortex durch 71 Einzelableitungen bei Primaten zeigen. Vor, während und nach der Gabe von GABA und BMI wurde die Größe der rezeptiven Felder der Finger und des Handtellers unter taktiler Stimulation gemessen. Nach einer Fingeramputation stieg unter der Gabe von BMI die Größe der rezeptiven Felder von 26 schnell adaptierenden Neuronen um das 3-4 fache ihrer Originalgröße

an. Die Expansion der rezeptiven Felder nach der Blockade GABAerger Hemmung lässt vermuten, dass die amputationsbedingte somatotope Reorganisation durch die Existenz exzitatorischer Verbindungen realisiert wird. Unter der Gabe von GABA wurden nur 12 von 27 langsam adaptierenden Neuronen dosisabhängig gehemmt, während 37 von 44 schnell adaptierenden Neuronen eine signifikante Reduktion der Hemmung zeigten. Garraghty, LaChica und Kaas (1991) zeigten die deafferenzierungsbedingte Reduktion von kortikalem GABA. Die Gabe des GABAB -Rezeptor-Agonisten, Baclofen führt in vielfältigen tierexperimentellen Designs zu einer Analgesie (Sawynok, 1987).

Für die länger andauernde zweite Phase der Plastizität dürften Glutamat bzw.

die NMDA-Rezeptoren eine entscheidende Rolle spielen. Garraghty und Muja (1996) blockierten die NMDA-Rezeptoren für die Dauer von 25-28 Tagen nach einer Nervendurchtrennung bei drei Affen, während bei einem vierten Affen keine Blockade durchgeführt wurde. Die Autoren untersuchten die Rolle der NMDA-Rezeptoren bei der deafferenzierungsinduzierten kortikalen Reorganisation. Sie griffen dabei auf frühere Befunde zur kortikalen Reorganisation der Areae 3b und 1 nach Deafferenzierung zurück, mit denen sie die von ihnen gemessenen kortikalen Veränderungen verglichen (Merzenich et al., 1993a; Merzenich et al., 1993b, zitiert nach Garraghty & Muja, 1996). Bei dem Affen, der keine Blockade der NMDA-Rezeptoren erhalten hatte, zeigte sich nach der Stimulation der Handoberfläche eine intakte Innervation der Neurone innerhalb des deprivierten Teils der Area 3b (bei zu erwartender kortikalen Reorganisation). Bei den Affen, deren NMDA-Rezeptoren für 25-28 Tage blockiert waren, blieb die deafferenzierte Zone bei Stimulation unreagibel, und es wurde keine Reorganisation gefunden.

In Untersuchungen im Humanbereich konnte gezeigt werden, dass sowohl die Gabe von GABA-Agonisten wie auch die Gabe von NMDA-Rezeptor-Antagonisten zu einer Verminderung von Phantomschmerzen führen. Bartusch, Sanders, DíAlessio und Jernigan (1996) konnten bei zwei Patienten eine effektive Phantomschmerzbehandlung bei einschießender und elektroschockartiger Schmerzqualität durch die Gabe des GABA-Agonisten, Clonazepam (Benzodiazepin) erzielen. Zur Phantomschmerzbehandlung mit dem NMDA-Rezeptor-Antagonisten Ketamin liegen verschiedene Befunde vor. Nikolajsen et al.

(1996) behandelten 11 Patienten, die Stumpf- und Phantomschmerz berichteten, intravenös mit Ketamin. Die Schmerzstärke wurde mit Hilfe einer Visuellen

Analogskala, VAS und dem McGill Pain Questionnaire, MPQ erhoben. Ketamin reduzierte Phantom- und Stumpfschmerz. Zusätzlich erhöhte Ketamin die Druckschmerzschwelle signifikant. Wind-up-ähnliche Schmerzen, durch repetitive mechanische Stimulation hervorgerufen, wurden signifikant reduziert. Kein Effekt zeigte sich bei thermischer Stimulation. Nebenwirkungen der Behandlung wurden bei 9 der 11 Patienten festgestellt. Einzelfallstudien mit Berichten effektiver Phantomschmerzreduktion unter der Gabe von Ketamin (teilweise in Kombinationsbehandlung mit Opiat- und Chemotherapie) liegen von Stannard und Porter (1993) und Knox, McLeod und Goucke (1995) vor. Choe et al. (1997) setzten eine Kombination aus Ketamin und Morphin zur Behandlung postoperativer Schmerzen erfolgreich ein. Für den NMDA-Rezeptor-Antagonisten Dextramethorphan liegen widersprüchliche Berichte vor. Price, Mao, Frank und Mayer (1994) berichten positive Effekte in einem Experiment mit gesunden Probanden, die nach der Gabe von Dextramethorphan schmerzhaft elektrisch und thermisch gereizt wurden. Kaupila, Grönroos und Pertovaara (1995) fanden keinen Effekt von Dextramethorphan bei experimentell induziertem Ischämie- und Capsaicin-Schmerz.

Ein weiterer NMDA-Rezeptor-Antagonist, Memantine, wurde bislang noch nicht im Humanbereich in kontrollierten Studien zur Phantomschmerzbehandlung eingesetzt. Im Tierversuch konnten Carlton und Hargett (1995), Eisenberg, LaCross und Strassman (1994 und 1995) sowie Chaplan, Malmberg und Yaksh (1997) gute analgetische Effekte neuropathischer Schmerzen zeigen. Eisenberg et al. (1994) und Neugebauer, Kornhuber, Lücke und Schaible (1993) konnten im Tierversuch einen therapeutischen und prophylaktisch-antinozizeptiven Effekt von Memantine zeigen.

Schwenkreis et al. (1999) untersuchten den Einfluss von Memantine auf die Erregbarkeit des motorischen Kortex des Menschen. Sieben gesunde Probanden erhielten über eine Zeit von 8 Tagen Memantine oder ein Placebo und wurden mittels TMS untersucht. Die intrakortikale Hemmung war unter der Gabe von Memantine verglichen mit der Verabreichung eines Placebos erhöht und die Fazilität reduziert.

Klinische Daten über den Einsatz von Memantine liegen bisher für die Behandlung von leichten bis mittelschweren Hirnleistungsstörungen mit Konzentrationsschwäche und Antriebsverlust bei großen Stichproben vor (Reisberg et al., 2000; Rüther et al., 2000).

In Studie III dieser Arbeit wird die kontrollierte Gabe des NMDA-Rezeptor-Antagonisten, Memantine, in einem Doppelblind-Crossover-Design vorgestellt.