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Perspektivwechsel: Ressourcen im Blick

Im Dokument Psychische Störungen im Unterricht (Seite 57-61)

3.4 Interventionen zum Umgang mit und zur Überwindung von

3.4.6 Perspektivwechsel: Ressourcen im Blick

bzw. Situationen eher als bedrohlich einzuschätzen. Da Erinnern kontextspezifisch ist, neigen Personen, die Angst haben, dazu, ihre eigenen Bewältigungsressourcen zu unterschätzen (Rossi, 1993). Zudem reguliert die Emotion Angst die Aktivität der Großhirnrinde (z.B. des präfrontalen Kortex) herab. Das heißt, unsere kognitiven Leistungen und unsere Kreativität sind beeinträchtigt.

Wenn man diesen Tendenzen willentlich entgegenwirkt, beeinflusst man zugleich das Angsterleben. Wer sich in Angstsituationen seine Ressourcen bewusst macht, reduziert meistens die Angst. Wer bewusst die Aktivität des präfrontalen Kortex steigert, reduziert ebenfalls das Angsterleben. In diesem Abschnitt werden Strategien vorgestellt, die darauf abzielen, die eigenen Ressourcen in den Blick zu nehmen und dabei präfrontale Hirnaktivitäten zu steigern. Die vorgestellten Strategien sind im Setting Schule gut einsetzbar. Besonders geeignet sind sie zum präventiven Einsatz.

3 Angststörungen Seite | 61 Ressourcen-Strategie 1: Eigene Erfolge und eigene Kompetenzen bewusstmachen Schülerinnen, die regelmäßig angehalten werden, eigene Erfolge und die daran beteiligten Kompetenzen zu benennen, trainieren (präventiv) einen schnelleren mentalen Zugriff auf eigene Ressourcen.

Übung5: Laden Sie die Schülerinnen einer Lerngruppe täglich ein, auf die letzten 24 Stunden zurückzublicken. Lassen sie die Schülerinnen zunächst alles aufschreiben, was ihnen in diesem Zeitraum gelungen ist. Danach werden die Schülerinnen eingeladen, aufzuschreiben, welche Kompetenzen Sie eingesetzt haben, um diese Erfolge zu erreichen.

Es empfiehlt sich, eine Zeitvorgabe von 90 Sekunden für jede Teilaufgabe zu machen.

Dadurch wird erstens der Fokus stärker auf die Ressourcen gelenkt und Ablenkungen eher ausgeblendet. Zweitens entsteht bei vielen das Gefühl, sie hätten noch mehr schreiben können, hätten sie noch mehr Zeit gehabt. Das ist günstiger, als wenn die vorgegebene Zeit länger wäre und die Schülerinnen den Eindruck bekämen, ihnen fiele zu eigenen Ressourcen viel zu wenig ein. Weichen Sie jedoch dann von der Zeitvorgabe ab, wenn diese für Ihre Schülerinnen nicht passt.

Ressourcen-Strategie 2: Ausnahmen erfragen

Diese Strategie eignet sich besonders dann, wenn Schülerinnen sich selbst den Blick auf ihre Ressourcen verstellen. Dies geschieht häufig, wenn sie ängstlich sind. Sätze wie „Ich kann das ja sowieso nicht!“ sind typische Indikatoren.

Eine gute Voraussetzung für diese Strategie ist die Möglichkeit, in Ruhe mit der Schülerin reden zu können. Wenn Sie selbst gehetzt sind oder die Schülerin Zeitdruck hat, weil sie beispielsweise zur nächsten Unterrichtsstunde muss, sollten Sie diese Strategie auf später verschieben.

Eine Tendenz, die die meisten Menschen unter dem Einfluss von starken Emotionen haben (auch bei Ärger oder Trauer), ist das Generalisieren: „Das schaffe ich nie!“, „Mathe kann ich nicht!“ (bedeutet: „Ich kann überhaupt keine Matheaufgabe!“), „Immer mache ich Fehler!“ … Das Problematische an dieser Generalisierung ist, dass durch sie das Gefühl (in unserem Fall die Angst) aufrechterhalten oder sogar verstärkt wird.

5 Da diese Übung allgemein ressourcenaktivierend wirkt, finden Sie diese Übung oder Varianten von ihr auch in Kapiteln anderer Störungsbilder.

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Sie können durch das Erfragen von Ausnahmen dieser Generalisierung entgegenwirken:

Lehrerin: Es gab also noch nie eine Matheaufgabe, die du konntest?

Schülerin: Nein, Mathe habe ich noch nie gekonnt.

Lehrerin: Keine einzige Aufgabe?

Schülerin: Doch schon … aber meistens kann ich das nicht!

Auch wenn die Schülerin an dieser Stelle noch nicht überzeugt ist, Mathe jemals lernen zu können, ist die Tür jetzt doch schon einen Spalt breit auf. Damit können wir arbeiten.

Lehrerin: Ok. Du glaubst also, dass du Mathe meistens nicht kannst. Aber lass uns darüber reden, als du die Matheaufgabe konntest. Wie hast du es geschafft, diese Aufgabe zu verstehen und zu lösen?

Schülerin: Ich hatte einfach Glück. Und die Aufgabe war auch leicht.

Lehrerin: Ok, die Aufgabe war leicht. Woran hast du gemerkt, dass die Aufgabe leicht war?

Schülerin: Kein Plan …. Naja, ich habe nicht gleich so schwarzgesehen. Ich dachte, vielleicht schaffe ich es ja. Und dann habe ich mich an die Aufgabe gesetzt. Ja genau, ich habe nicht so eine Blockade gehabt und nicht gleich aufgegeben.

Lehrerin: Das klingt doch gut. Wäre es nicht schön, wenn Matheaufgaben häufig so leicht wären?

Schülerin: Ja, schon …

Lehrerin: Wollen wir es einmal versuchen? Was du brauchst, ist ein bisschen Geduld mit dir selbst. Bei dem Rest kann ich dir helfen. Und wenn du merkst, dass du beginnst, dich zu blockieren, machen wir eine kurze Pause, und du erinnerst dich noch einmal, wie es ohne Blockade war.

Und dann machen wir weiter. Was meinst du?

In diesem Beispiel hat die Lehrerin konsequent nach Gelingensbedingungen der Ausnahme gefragt. Schülerinnen, die leistungsängstlich sind (oder eine Depression haben), neigen dazu, Misserfolge sich selbst als stabile Eigenschaften zuzuschreiben („Ich bin eben zu blöd!“) und Erfolgen äußere Bedingungen zu attribuieren („Ich hatte halt Glück“). Die Fragen der Lehrerin zielen darauf ab, dass die Schülerin ihren Anteil am

3 Angststörungen Seite | 63 Erfolg stärker wahrnimmt und dass dieser bei den zukünftigen Aufgaben bewusst hergestellt werden kann („Ich werde mit mir geduldig sein und nicht gleich schwarzsehen. Wenn ich es doch mache, mache ich eine kurze Pause und probiere es noch einmal mit Geduld und Zuversicht!“).

Impuls: Erwischen Sie sich beim Generalisieren

Die meisten Menschen neigen dazu, hin und wieder einmal zu generalisieren.

Entweder auf sich selbst bezogen („das kriege ich nie hin!“) - oder bezogen auf andere oder Situationen („Der macht ja nie was!“ oder „Das passiert doch immer!“). Es ist also wahrscheinlich, dass auch Sie hin und wieder generalisieren. Erwischen Sie sich selbst dabei. Wenn die Generalisierung für Sie oder andere ungünstige Folgen haben kann, dann laden Sie sich selbst ein, Ausnahmen zu suchen und Ihre eigenen Einflussmöglichkeiten auszuloten.

Je besser es Ihnen bei sich gelingt, Ausnahmen zu erfragen und Handlungsmöglichkeiten auszuloten, desto besser wird es Ihnen auch mit den Schülerinnen gelingen. Auch hier geht es nicht nur um eine Technik, sondern vor allem um eine Haltung. Und die wird für Ihre Interaktionspartnerinnen spürbar.

Ressourcen-Strategie 3: Aus der eigenen Biographie Ressourcen schöpfen

Einer der Begründer der modernen Hypnotherapie war Milton Erickson. Er hat mit einer einfachen, aber sehr genialen Methode gearbeitet, Menschen im Veränderungsprozess zu ermutigen. Er hat mit Geschichten aus der Biographie der Menschen gearbeitet. Das Besondere war: Er brauchte die Menschen dafür nicht einmal zu kennen, weil er auf biographische Aspekte zurückgegriffen hat, die alle Menschen teilen - beispielsweise das Laufen-Lernen.

„Ich möchte dir etwas über dein eigenes Leben erzählen und dir damit bewusstmachen.

Es gab Phasen in deinem Leben, die waren davon gekennzeichnet, dass du sehr viel Ehrgeiz, sehr viel Durchhaltevermögen und sehr viel Zuversicht an den Tag gelegt hast.

Da gab es zum Beispiel das Laufen-Lernen. Du hast dich zunächst nicht einmal für einen ganzen Schritt auf den Beinen halten können. Und doch bist du wieder aufgestanden und hast es noch einmal versucht. Und der Misserfolg war dir gewiss. Immer und immer wieder hast du diesen Misserfolg in Kauf genommen. Und heute kannst du Laufen. Von den Misserfolgen merkt man absolut nichts mehr. All die Anstrengung hat sich gelohnt.

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Und dann bist du in die Schule gekommen. Du konntest gar nicht oder kaum lesen.

Mühsam war es, die Buchstaben aneinanderzureihen. Du hast vielleicht gedacht, so wie die Älteren werde ich nie lesen können. Heute kannst du es.

Heute glaubst du, du wirst es nie schaffen, Referate frei und locker halten zu können. Du merkst immer, dass du Angst hast, dich zu blamieren oder Fehler zu machen. Das ist ganz natürlich. Und irgendwann wirst du eine andere Fähigkeit erlernen, die dir schwerfällt.

Dann wirst du dich daran erinnern, wie du nach und nach gelernt hast, Referate zu halten.

Und am Anfang war es immer eine Überwindung, und du hast dich überwunden, so wie du beim Laufen-Lernen immer wieder aufgestanden bist. Du musst jetzt nichts dazu sagen, weil ich weiß, dass diese Geschichte über dein Leben nachwirken wird und du in deinem Tempo davon profitieren kannst."

Konstruieren Sie für Schülerinnen Geschichten, die auf biographische Tatsachen zurückgreifen und die Überwindung von Angst fokussieren. Konstruieren Sie die Geschichten so, dass sie zeigen, dass die Schülerin so etwas schon oft und erfolgreich gemacht hat, und bauen Sie dabei keinen Druck auf. Geschichten sind Einladungen.

Im nächsten Abschnitt erfahren Sie mehr darüber, wie man Geschichten konstruieren kann, die ermutigen, die Lösungen anbieten und Reflexionen ermöglichen. Auch diese Geschichten sind Einladungen.

3.4.7 Geschichten sind gute Lehrmeister

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