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Perspektiven politischer Bildung bei korporativ-pluralen Anbietern

Im Dokument REPORT 4/2003 (Seite 104-134)

Politische Bildung zwischen Staat, Markt, Organisationen und sozialen Gemeinschaften 1

3. Perspektiven politischer Bildung bei korporativ-pluralen Anbietern

Der hier vorgestellte Fall stützt die Annahme, dass die – zweifellos notwendige – Kritik am Rückzug des Staates aus der öffentlichen Verantwortung für Weiterbildung (z. B.

Ahlheim/Bender 1996) zu kurz greifen könnte, wenn man über die Perspektiven poli-tischer Bildung bei korporativ-pluralen Weiterbildungsanbietern nachdenkt. Wenn staat-liche Politik heute weniger auf die Sicherung von Infrastrukturen und mehr auf einen projektbezogenen Interventionismus (Harney) setzt, so forciert sie zweifellos sich bereits etablierende Marktprinzipien (Vertraglichkeit, Befristung, Leistungsüberprüfung) in der Weiterbildung auch dort, wo sie auf den ersten Blick gar nicht sichtbar werden, im ausgewählten Fall z. B. in der Beziehung der Einrichtung gegenüber Adressaten, Koo-perationspartnern und Staat. In der zuletzt zitierten Interviewpassage schildert der

Lei-ter von „Arbeit und Leben“ den Staat weniger als „fürsorglichen“ und normsetzenden Gesetzgeber denn als Vertragspartner und „Kunden“ seiner Einrichtung. Auffallend ist, dass der „Auftrag“ des Weiterbildungsgesetzes im Interview nahezu keine Rolle spielt.

Betont werden jene Anforderungen, die sich für einen korporativen Anbieter aus der Tatsache ergeben, dass die Bindung der Klientel an die Einrichtungen und die sie tra-genden Organisationen nachlässt (auch wenn sie immer noch beachtlich ist, wie eine neuere empirische Studie zur Bildungsarbeit der IG Metall gezeigt hat; s. dazu Schem-mann/Reinecke 2001). Diese Bindungen können heute nicht mehr vorausgesetzt, son-dern müssen hergestellt werden. Damit wird Bindung weniger eine Frage des Bekennt-nisses und mehr eine der Verrechnung wechselseitiger Leistungen.

Die aktuelle Qualitätsdiskussion lässt sich als eine Reaktion auf die Verschärfung der Reproduktionsbedingungen von Weiterbildungseinrichtungen und der sie tragenden Organisationen begreifen. Der interviewte Experte setzt einerseits auf die Profilierung als gewerkschaftlicher Weiterbildungsanbieter, der Bildungsarbeit eng mit der betrieb-lichen Praxis verknüpft und durch entsprechende Erfolge neue Bindungen erzeugen kann, andererseits aber auch ganz allgemein auf eine verbesserte Qualität der eigenen Weiterbildung. Zu ähnlichen Befunden und Empfehlungen kommt Helmut Bremer (1999) in einer empirischen Untersuchung, die sich mit der Wahrnehmung des Ange-bots von Arbeit und Leben in Niedersachsen beschäftigt. Als ein zentraler Befund wird die Differenz zwischen dem Wandel der Milieus, mit dem u. a. das Schrumpfen des alten Kerns traditionellen Arbeiterbewusstseins einhergehe, und den traditionellen Struk-turen der „alternden Institutionen“ politischer Bildung herausgestellt. Bremer mahnt eine konzeptionelle Modernisierung an, die insbesondere die Differenz von kulturel-ler und ökonomischer Logik überwinde. Wie dieses Spannungsverhältnis zwischen

„Wertegemeinschaft“ und „Dienstleistungsunternehmen“ (Rauschenbach 1995) jeweils praktisch austariert wird, wird zu den interessanten Fragen zukünftiger empirischer Weiterbildungsforschung gehören.

Weiterbildungseinrichtungen können heute immer weniger eindeutig bestimmten Steu-erungskontexten – Staat, Markt, Organisationen, Gemeinschaften – zugeordnet wer-den; sie entwickeln sich zu „hybriden“ Organisationen, die unterschiedlichen, ja wi-dersprüchlichen Rationalitäten und Handlungslogiken unterworfen sind, die durch die Reproduktionskontexte, in denen sie sich bewegen, bestimmt werden. Der hier inter-viewte Experte scheint darauf durchaus gelassen zu reagieren: Er präsentiert sich als politischer Bildner, der kämpferisch-pragmatisch, ohne Melancholie und Opportunis-mus an der Notwendigkeit machtvoller gesellschaftlicher Organisationen, an der öf-fentlichen, diskursiv-rationalen Aushandlung gesellschaftlicher Konflikte, an dem An-spruch von Autonomie und Kritikfähigkeit und damit an „Erkenntnis, Wissen, Aufklä-rung als Voraussetzung für autonomes Handeln“ (Ahlheim 1990, S. 22) festhält und sich mit dieser Interpretation von Qualität „am Markt“ behaupten möchte. Mindestens in dieser Bereitschaft zu „pessimistische[r] Utopie“ ist er Klaus Ahlheim (1997, S. 311) nicht unähnlich, dem dieser Beitrag gewidmet ist.

Anmerkungen

1 Klaus Ahlheim zum 60. Geburtstag gewidmet.

2 Diese Aufgabenstellung wurde auch bei der Reform des bremischen Weiterbildungsgeset-zes im Jahre 1998 im Grunde unverändert beibehalten; ergänzt wurden Aufgaben bei der Unterstützung der europäischen und internationalen Integration und der Erhaltung der na-türlichen Lebensgrundlagen.

3 Der Grundton dieser Appelle variiert mit der Entfernung der Autoren zur Praxis politischer Weiterbildung von markig bis nüchtern-trotzig (beispielhaft Brumlik 1994; Ahlheim 1990;

Hufer 1992).

Literatur

Ahlheim, K. (1990): Mut zur Erkenntnis. Über das Subjekt politischer Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn

Ahlheim, K. (1997): Politische Bildung. In: Bernhard, A./Rothermel, L. (Hrsg.) (1997): Hand-buch kritische Pädagogik. Eine Einführung in die Erziehungs- und Bildungswissenschaft.

Weinheim, Basel, S. 302-315

Ahlheim, K./Bender, W. (Hrsg.) (1996): Lernziel Konkurrenz? Erwachsenenbildung im „Stand-ort Deutschland“. Eine Streitschrift. Opladen

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(Hrsg.) (1994): Politische Weiterbildung zwischen Gesellschafts- und Subjektorientierung.

Bremen, S. 131-143

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Hufer, K.-P. (1992): Politische Erwachsenenbildung. Strukturen, Probleme, didaktische Ansät-ze. Eine Einführung. Schwalbach/Taunus

Hufer, K.-P./Körber, K. (1999): Die Pädagogen in der politischen Erwachsenenbildung. In: Hu-fer, K.-P. (Hrsg.) (1999): Lexikon der Politischen Bildung. Bd 2: Außerschulische Jugend-und Erwachsenenbildung. Schwalbach/Taunus, S. 182-212

Körber, K. (Hrsg.) (1994): Politische Weiterbildung zwischen Gesellschafts- und Subjektorien-tierung. Bremen

Körber, K. (1994): Zur Neuvermessung der politischen Weiterbildung. In: ders. (Hrsg.) (1994):

Politische Weiterbildung zwischen Gesellschafts- und Subjektorientierung. Bremen, S. 9-98

Körber, K./Kuhlenkamp, D./Peters, R. u. a. (1995): Das Weiterbildungsangebot im Lande Bre-men. Strukturen und Entwicklungen in einer städtischen Region. Bremen

Peters, R. (1994): Bildung, Handeln, Moral. Überlegungen zu theoretischen und praktischen Zusammenhängen in der (politischen) Erwachsenenbildung. In: Körber, K. (Hrsg.) (1994):

Politische Weiterbildung zwischen Gesellschafts- und Subjektorientierung. Bremen, S. 145-159

Rauschenbach, T. (Hrsg.) (1995): Von der Wertegemeinschaft zum Dienstleistungsunternehmen.

Jugend- und Wohlfahrtsverbände im Umbruch. Frankfurt/M.

Rudolf, K. (2002): Bericht politische Bildung 2002: Was wollen die Bürger? Eine Marktanalyse zur außerschulischen politischen Bildung in Deutschland. Büdingen

Schemmann, M./Reinecke, M. (2001): Gewerkschaftliche Bildungsarbeit im gesellschaftlichen Wandel. Kraków

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Schrader, J. (2000): Systembildung in der Weiterbildung unter den Bedingungen halbierter Pro-fessionalisierung. Weiterbildungsangebote und Weiterbildungsanbieter im Wandel. Habili-tationsschrift. Bremen

Schrader, J. (2001): Abschied vom korporativen Pluralismus? Zum Wandel von Weiterbildung und Weiterbildungspolitik im Lande Bremen. In: Nuissl, E./Schlutz, E. (Hrsg.) (2001): Sys-temevaluation und Politikberatung. Gutachten und Analysen zum Weiterbildungssystem.

Bielefeld 2001, S. 136-163

Schrader, J. (2003): Lehren und Lernen in der Wissensgesellschaft. Entwicklungen und Optio-nen für arbeitnehmerorientierte Weiterbildungseinrichtungen. Bremen

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REZENSIONEN

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Josef Christian Aigner Der ferne Vater

Zur Psychoanalyse von Vatererfahrung, männ-licher Entwicklung und negativem Ödipus-komplex

(Psychosozial-Verlag) 2., korrigierte Auflage Gießen 2002 (2001), 440 Seiten, 35.50 Euro Josef Christian Aigner, Psychoanalytiker am Institut für Erziehungswissenschaft der Uni In-nsbruck, verlor den eigenen Vater in der Ado-leszenz . Bei dem 17-jährigen Abiturienten hinterließ der Tod eine Leerstelle, einen „wei-ßen Fleck auf meiner biographischen Landkar-te“ (S. 14). Der junge Psychologiestudent traf in Salzburg auf den „begeisterten Psychoana-lytiker“ Igor Alexander Caruso und erlebte ihn als intellektuellen „Vater“. Ein zweiter Schnitt-punkt von Lebensgeschichte und Forschungs-interesse: Die Großeltern Aigners waren „be-kennende“ Nazis, der Vater nicht. „Das tat der Seele gut – der ‚gute Vater‘ war – wenigstens diesbezüglich – gerettet!“ (S. 15). Der eigenen

„Vatergeschichten“ bewusst, geht Aigner „das schwierigste Problem der psychoanalytischen Theorie“ (Jessica Benjamin) an: Er stellt die angeblich einzige und überwältigend domi-nante Bedeutung der Mutter, die dann selbst-redend auch als alleinige Quelle beziehungs-mäßiger Versagungen entlang der kindlichen Entwicklung herhalten muss, während der Vater als nicht nur nicht beteiligt, sondern als gar nicht vorhanden vorgestellt wird, in Frage.

Aigner durchbricht die sozialwissenschaftliche und politische Abstinenz orthodoxer Psycho-analyse, indem er die alltäglich reale wie the-oretisch beschworene Vaterferne am Fokus der Gewaltbereitschaft rechtsextremistischer Ju-gendlicher abarbeitet. Auf dem Fundament eines soliden Forschungsüberblicks zum Ent-wicklungs- und Sozialisationsfaktor ‚Vater‘

(S. 117 ff.) diskutiert er zunächst klinische Er-gebnisse zur Vaterentbehrung und „Elternlo-sigkeit“ (S. 153 ff.), um dann den Bogen vom Problem der Vaterlosigkeit, zugespitzt in der Ambivalenz gegenüber „schlechten“ Eltern, zur identifikatorischen Sehnsucht nach „star-ken“ Figuren in der rechtsextremen Jugendsze-ne festzustellen ( 8. u. 9. Kap.). Sozialwissen-schaftliche Forschungen bestätigen hier ein mehrdimensionales Versagen familiärer und familiennaher Sozialisationsinstanzen . Der Mangel an guten, bestätigend-anerkennenden Vatererfahrungen ist bei vielen rechtsextremen

Jugendlichen ein zentrales Thema, beantwor-tet mit der phantasierten Verschmelzung mit der (Mutter-)Nation (10. Kap.). In den von Aig-ner geführten Interviews mit gewaltbereiten Jugendlichen (16. u. 17. Kap.) schimmert die Sehnsucht nach einer anerkennenden Nähe des Vaters durch. Die frühe dyadische Vaterbe-ziehung mit dem Kind-Gefühl, vom Vater ge-schützt und geliebt zu werden, kann als ein zentrales, lebenslang sicherheitsspendendes Moment des Vater-Kind-Kontakts ausgemacht werden, wobei die Gegenseitigkeit der Aner-kennung wichtig ist, was selbst die Auflösung durch Entidealisierung in der Adoleszenz über-stehen und zur Verinnerlichung der Vaterantei-le in einem reifen Ich-Ideal führen kann (14.

und 15. Kap.). Aigner will beiden Geschlech-tern den Weg zu ElGeschlech-ternschaft ermöglichen und plädiert daher abschließend für väterliche Annahme und Anerkennung der Kinder beson-ders auch in sinnlicher, körperlicher Hinsicht vom ersten Tag an, womit Freuds frühe Vorstel-lung vom Vater als „Resonanzboden“ für Kin-der und vor allem für Söhne eingelöst würde.

Erhard Meueler

Patricia Arnold

Kooperatives Lernen im Internet

Qualitative Analyse einer Community of Prac-tice im Fernstudium

(Waxmann Verlag) Münster, 316 Seiten, 29.90 Euro

Im Mittelpunkt der Dissertation von Patricia Arnold steht die empirische Untersuchung ei-ner Community of Practice von Fernstudieren-den, die über das Internet kooperativ lernen.

Dabei nimmt sie ein Fernstudienangebot in den Blick, das sich auf die Fachhochschulstu-diengänge Betriebswirtschaftslehre, Wirt-schaftsinformatik und Wirtschaftsingenieurwe-sen für Berufstätige bezieht.

Mit der Fallstudie wird Online-Kooperation innerhalb einer von Studierenden selbst orga-nisierten Gemeinschaft, die im Untersu-chungszeitraum über 500 Studierende umfass-te, systematisch aus der Perspektive der Ler-nenden analysiert. Wichtige Dimensionen sind dabei Fragen danach, „welche Gründe es für die Studierenden zum Kommunizieren und Kooperieren gibt, wie ihre Kooperations-prozesse im Einzelnen aussehen und wie die

Kooperationshandlungen sich in den Fernstu-dienkontext einfügen bzw. auf ihn zurück wir-ken“ (S. 17 f.).

Für die Analyse bildet das Konzept der Com-munity of Practice eine zentrale Grundlage.

Bezogen auf das Lernen greift sie auf die sub-jektwissenschaftliche Lerntheorie Holzkamps sowie auf den Ansatz situierten Lernens in Communities of Practice nach Lave und Wen-ger zurück. Sie arbeitet den aktuellen For-schungsstand auf und benennt Defizite.

Zentrale Begrenzungen der bisherigen For-schung bestehen für Sie darin, „dass Lernge-meinschaften nur in der Form von klar defi-nierten, überschaubaren sozialen Einheiten mit einer typischen Größe von 15-35 Teilneh-mer/innen untersucht werden“ und die über-wiegende Anzahl von Untersuchungen „ex-plizit oder im„ex-plizit vom Standpunkt der Leh-renden als Gestaltenden der jeweiligen Fern-studienangebote“ ausgeht (S. 64). Diesen De-fiziten wird in der vorliegenden Untersuchung entgegengearbeitet, indem die Lernenden in den Blick genommen werden.

Methodisch arbeitet Arnold mit Hilfe einer qualitativen Fallstudie unter Rückgriff auf den Forschungsansatz der Grounded Theory und die Vorgehensweise der Projektgruppe Auto-mation und Qualifikation aus den 1980er Jah-ren. Mit einer Befragung (Leitfadeninterviews), teilnehmender Beobachtung (E-Mail-Kommu-nikation innerhalb des Listservers und des In-ternetforums) und Dokumentenanalyse (Ho-mepages der Studierenden sowie Informati-ons- und Studienmaterialien) wird eine breite Palette qualitativer Erhebungsmethoden ein-gesetzt. Die ausführliche Darstellung der me-thodischen Anlage der Untersuchung gilt es an dieser Stelle positiv hervorzuheben.

Eine wichtige Kategorie bei der Beschreibung der Lernaktivitäten, die Arnold herausarbei-tet, ist die gestaltende Bewältigung, d. h. durch die telematische Kooperation bewältigen die Studierenden ihr Fernstudium, verändern und gestalten es gleichzeitig aber auch (vgl. S. 153 ff.). Aus der Analyse der Handlungslogiken werden vier weitere wichtige Kategorien her-ausgearbeitet: Mentoriatsraum herstellen, Stu-dienstrategien realisieren, Zugewinn an Ori-entierung und gewählte Zugehörigkeit. Die detaillierte Beschreibung dieser vier Katego-rien anhand des empirischen Materials öffnet den Blick für die Handlungs- und Lernstrate-gien der Studierenden. Es sind vor allem zwei

Kompetenzebenen, die innerhalb der Gemein-schaft zum Tragen kommen: autodidaktische und fachbezogene Kompetenzen.

Die Ergebnisse liefern vielfältige Ansätze, das theoretische Konzept der Lerngemeinschaft als Instrument der Lernenden und nicht der Leh-renden im Hinblick auf telematische Koope-ration zu präzisieren. So wird auf die Praxis gegenseitiger Studienunterstützung als eine der Grundlagen für selbstorganisierte Lernge-meinschaften hingewiesen. Es sind nach Ar-nold vier zentrale Dimensionen, mit denen eine Lerngemeinschaft in Zukunft konzeptua-lisiert werden sollte: Selbstorganisation, Zu-gehörigkeit, Wissenskonstruktion und gemein-same Praxis (S. 235 f.).

Die Qualität der Arbeit liegt darin, dass sie das aktuelle Problemfeld selbstorganisierter Prozesse des medienbasierten Lernens in den Blick nimmt und die Lernenden in den Mittel-punkt des Interesses stellt. Auch wenn die Er-gebnisse – durch den methodischen Ansatz der Konzentration auf einen Fall bedingt – nicht durchgehend verallgemeinerbar sind, liefern sie doch hilfreiche Hinweise für die Weiter-entwicklung telematischer Kooperationsfor-men im Bildungsbereich. Die gute Lesbarkeit, die präzise Beschreibung des methodischen Vorgehens und die Systematisierung der Ergeb-nisse machen dieses Buch zu einer Lektüre, die für zukünftige Forschungsarbeiten auf die-sem Feld eine Grundlage bilden kann.

Richard Stang

Christian Barthel/Klaus Harney (Hrsg.) Wissen und Arbeit zwischen Verwaltung und betrieblichem Management

(Forschungsinstitut Arbeit, Bildung, Partizipa-tion) Recklinghausen 2001, 223 Seiten, 14.50 Euro

Die Herausgabe von Sammelbänden ist be-kanntermaßen ein schwieriges Unterfangen.

Denn es geht keineswegs nur darum, verschie-dene Autoren, Themen und Perspektiven zwi-schen zwei Buchdeckel Seite an Seite zu stel-len. Es geht vielmehr um die Kunst, aus Einzel-beiträgen eine Einheit des Verschiedenen zu generieren, die Leserinnen und Leser zur Er-kundung neuer Denkwege anregen bzw. pro-vozieren soll. Christan Barthel und Klaus Har-ney haben diese Aufgabe wie folgt umgesetzt:

Der Sammelband umfasst insgesamt vier Tei-le, in denen zehn Autorinnen und Autoren in insgesamt neun Beiträgen zu Wort kommen.

Der erste, einleitende Teil des Buches enthält einen Beitrag von Klaus Harney. Er gibt den orientierenden theoretischen Bezugsrahmen für die darauffolgenden Beiträge vor. Die Kern-these des Beitrags lautet: Mit dem Aufkom-men industriegesellschaftlicher Strukturen entwickelte sich die Organisation der Arbeit zu einem anderen Thema als die Arbeit selbst (S. 8). In modernen Arbeitsorganisationen ste-hen sich daher die Logiken des Organisierens und die Logiken des Arbeitens fremd gegenü-ber. Die Aufgabe des Managements ist es, die-se unterschiedlichen Logiken fortlaufend aufeinander zu beziehen, wobei dies „statt auf Verstehen, auf Koordinieren, Zwecke-Setzen und Entscheidungen-Herbeiführen“ (S. 8) hin ausgerichtet ist. Besonders im Fall von Inno-vationen, sei es die Einführung eines neuen Steuerungsmodells, sei es Gruppenarbeit, tref-fen die unterschiedlichen Logiken des Orga-nisierens und des Arbeitens in Form von jeweils „eigensinnigen“ Aneignungsprozessen aufeinander. Das Management ist hier gefor-dert, die Vertreterschaft betrieblicher Entschei-dungen zu übernehmen und in Arbeitsprozes-se steuernd einzugreifen; es muss dabei jedoch gleichzeitig das strukturell bedingte Nicht-Wissen um die Arbeit selbst in Rechnung stel-len. Dies erklärt nach Harney, dass das Ma-nagement einem letztlich politischen Code der Kommunikation von Macht folgt, der in Or-ganisationen als „Praxis der Relativierung und Unterordnung des Wissens durch Entscheidun-gen“ (S. 14) in Erscheinung tritt.

Wie und mit welchen Konsequenzen hinsicht-lich des Verhältnisses von Organisation und Arbeit sich das Management von Innovations-prozessen vollzieht, zeigen die im zweiten und dritten Teil des Bandes versammelten Beiträge anhand von ausgewählten empiri-schen Fallstudien. Im zweiten Teil des Ban-des wird in vier Beiträgen von Björn Flader, Christian Barthel, Wolfgang Höffner und Klaus Harney aufgezeigt, wie die Innovation „Neue Steuerung“ in den verschiedenen Arenen von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft als pro-grammatische Absicht kursiert, wie dies die organisatorischen Zugriffsversuche auf die personen- und leibgebundene Arbeit und da-mit zugleich die mikropolitischen Binnenver-hältnisse in der Verwaltung verändert. Gezeigt

wird auch, wie gerade die Versuche der Abar-beitung der Fremdheit zwischen den Sphären der Organisation und der Arbeit die Kluft zwi-schen beiden noch deutlicher zutage treten lassen kann und wie notwendig gewordene Strategien, die Einheit der Organisation zu behaupten, eben nicht auf ein „besseres Wis-sen“ des Managements, sondern auf Mythen-bildung hinauslaufen.

Die beiden Beiträge des dritten Teil des Bu-ches stellen die betriebliche Modernisierung und hier die Einführung von Gruppenarbeit in den Vordergrund. Die Einführung von Grup-penarbeit, dies betonen beide Texte, geht einher mit einer Aufwertung der Faktoren „Ar-beit“ und „Subjektivität“, womit – ähnlich wie im Bereich der Pädagogik – zugleich tradierte Vorstellungen einer umfassenden technokra-tischen Steuerbarkeit und Kontrollierbarkeit der Industriearbeit relativiert werden müssen.

Stattdessen geraten die Angewiesenheit der Arbeitsorganisation auf innere Dispositionen, wie Motivation und Kompetenz der Beschäf-tigten, sowie damit einhergehend die zuneh-mende Bedeutung der Pädagogik bei der Ge-staltung organisatorischer Kontexte in den Blick. Die Beiträge von Peter Diesler und Die-ter Nittel sowie von Stefanie Hartz und Heid-run Stachowski machen dabei die eigentüm-liche Entkopplung der Sphären von Organisa-tion und Arbeit deutlich, indem sie aufzeigen, dass die Qualität der Vermittlung von organi-satorischen Veränderungen keineswegs – wie landläufig aber angenommen – mit der Qua-lität von Arbeitsvollzügen korreliert und dass sich Managemententscheidungen keineswegs in den konkreten Handlungsentscheidungen der Arbeitenden niederschlagen. Vielmehr ist – wie es in der Pädagogik von Jochen Kade theoretisch bereits formuliert wurde – auch im betrieblichen Kontext von einer grundsätzli-chen Trennung zwisgrundsätzli-chen Vermittlung und Aneignung von Veränderungen in Arbeitsor-ganisationen auszugehen.

Im vierten Teil des Buches verlagert sich der analytische Blick auf die Seite der Arbeit bzw.

die Herstellung des Arbeitsvermögens im Ver-hältnis zum organisatorischen Kontext. Und auch hier kann von Thomas Kurtz und Klaus Harney wiederum nachgewiesen werden, dass die Herstellung des Arbeitsvermögens und insbesondere der Erwerb von arbeitsrelevan-tem Wissen keineswegs einfach organisatori-schen Direktiven folgt, sondern in die Arbeit

selbst eingelagert und mithin auch von berufs-biografischen Vergangenheiten abhängig ist.

Je stärker der Erwerb und die Reproduktion des Arbeitsvermögens, einschließlich des Er-werbs personenabhängigen Wissens an die Berufsbiografie gekoppelt ist – und dies ist insbesondere im Bereich sozialer wie auch pädagogischer Berufsarbeit der Fall – desto weniger kann der Betrieb darüber disponie-ren und desto stärker tritt gerade hier die Dif-ferenz zwischen der Logik der Organisation von Arbeit und der Logik der Arbeit zutage.

Was nimmt man als Leser/in von diesem Sam-melband mit? Zweifellos auch wichtige Innen-ansichten organisatorischer Innovationspro-zesse und Hinweise auf die Komplexität der Modernisierung moderner Arbeitsorganisatio-nen. Vor allem aber macht der Sammelband deutlich, dass sich Steuerungsprobleme mo-derner Organisationen auch anders als bisher üblich begreifen lassen: Die Steuerungspro-blematik komplexer Organisationen, so wird deutlich, erschöpft sich offenbar weder in der Inkompetenz des Managements, noch in den Defiziten organisatorischer Steuerungsmodel-le, noch in der mangelnden Motivation der Arbeitenden. Die Steuerungsprobleme kom-plexer Organisationen sind vielmehr auch das Resultat eines gesellschaftlichen Differenzie-rungsprozesses, in dessen Verlauf die Sphä-ren der Arbeit und Organisation jeweils eige-ne Konturen und Bineige-nenrealitäten entwickeln.

Vor diesem Hintergrund wird das „A und O“

zukünftiger Organisationsanalysen auch da-rin bestehen, ob und inwieweit sie die Arbeit und Organisation als differente Sphären der sozialen Konstruktion organisatorischer Wirk-lichkeit zu berücksichtigen vermögen.

Karin Dollhausen

Thomas Brüsemeister/Klaus-Dieter Eubel (Hrsg.)

Zur Modernisierung der Schule – Leitideen, Konzepte, Akteure

Ein Überblick

(transcript Verlag) Bielefeld 2003, 426 Seiten, 26.80 Euro

Das Buch bezieht sich nur auf die Schule und gehört von daher nicht in den Kontext einer fachwissenschaftlichen Zeitschrift der Erwach-senenbildung. Vielleicht aber doch, weil es

den Anspruch erhebt, die Modernisierungsde-batte zur Schule zum derzeitigen Zeitpunkt

den Anspruch erhebt, die Modernisierungsde-batte zur Schule zum derzeitigen Zeitpunkt

Im Dokument REPORT 4/2003 (Seite 104-134)