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6   DISKUSSION

6.2   S TUDIENERGEBNISSE

6.2.1   Permeabilität und funktionelle Darmoberfläche

In zahlreichen klinischen Untersuchungen wurde gezeigt, dass Patienten nach großen operativen Eingriffen ein erhöhtes Risiko aufweisen ein postoperatives MODS zu entwickeln. Eine Hypothese zur Entstehung eines postoperativen MODS geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass der Gastrointestinaltrakt, durch die Freisetzung von Endotoxinen im Rahmen einer erhöhten Permeabilität mit konsekutiver Zytokinfreisetzung, einen wesentlichen Pathomechanismus in der Entwicklung eines solchen MODS darstellt.

Der Gastrointestinaltrakt fungiert einerseits als Abwehrbarriere gegenüber Mikroorganismen und Antigenen, die den Organismus potentiell schädigen können und ermöglicht andererseits die Resorption von Nahrungsbestandteilen. Seitdem Meakins und Marshall [21] die Vermutung äußerten, dass der GIT der „Motor des Multiorgandysfunktionssyndroms“ sei, haben sich die Hinweise für diese Hypothese verdichtet. Die in erster Linie aus tierexperimentellen Studien gewonnenen Daten zeigen, dass dem GIT eine zentrale Schlüsselrolle bezüglich der Pathophysiologie des Multiorgandysfunktionssyndroms im Anschluss an große Operationen zukommt.

Die in unserer Studie untersuchte Hypothese geht dabei davon aus, dass eine präoperative Dysfunktion der intestinalen Barriere zu einer über das physiologische Maß

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hinausgehenden bakteriellen Translokation mit konsekutiver Freisetzung proinflammatorischer Entzündungsmediatoren und Aktivierung des systemischen Immunsystems führt. Erfolgt keine Limitierung dieser Immunantwort durch Immunsuppression kommt es nachfolgend zur Schädigung von Organen und zum Auftreten von Organdysfunktionen sowie eventuell zur Entwicklung eines MODS.

In tierexperimentellen Studien konnte diesbezüglich eine direkte Korrelation des Schweregrades der mukosalen Schädigung mit der Anzahl der translozierten Bakterien nachgewiesen werden [104].

Welchen Stellenwert die aus dem Darm eindringenden Endotoxine, als Bestandteile der Wand gramnegativer Bakterien, hinsichtlich der Zytokinfreisetzung beim Menschen innehaben, ist jedoch umstritten.

So konnten Studien einerseits signifikant niedrigere TNF-α- und IL-6-Konzentrationen nach bakterieller Eradikation durch Antibiotikavorbehandlung nachweisen [105], andererseits gelang es wiederum in anderen Studien nicht, auch nach 5tägiger Antibiotika-Applikation vor herzchirurgischen Eingriffen eine Veränderung hinsichtlich der Endotoxinämie und somit der TNF-α-, IL-6-, und IL-10-Konzentrationen im Blut festzustellen [106].

Auch die intestinale Barriere wurde in diesem Zusammenhang bereits in einigen vorhergehenden Studien unter verschiedenen pathophysiologischen Bedingungen untersucht.

So ermittelten Nathavitharana und Mitarbeiter [94] beispielsweise die Lactulose/Mannitol Exkretion bei insgesamt 96 Kindern mit und ohne histologisch gesicherte Schleimhautläsionen. Das Verhältnis dieser beiden Parameter zueinander war dabei bei den Kindern bei denen eine geschädigte Schleimhautoberfläche diagnostiziert worden war, signifikant erhöht. Mittels der Mannitol Exkretion war es also möglich eine Zottenatrophie mit einer hohen Sensitivität festzustellen. Somit liefert der Permeabilitätsindex nicht nur Informationen bezüglich der intestinalen Permeabilität sondern ermöglicht auch Aussagen zum Verlust der am Absorptionsprozess beteiligten intestinalen Oberfläche. Die in der vorliegenden Studie präoperativ signifikant erniedrigte Mannitol Exkretion bei Patienten, die innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Operation zwei beziehungsweise mehr Organdysfunktionen entwickelten, weist darauf hin, dass eine Defizienz bezüglich der intakten absorptionsfähigen intestinalen Oberfläche ein Prädiktor für die Entwicklung von Organdysfunktionen nach einer Herzoperation ist. Zusätzlich zeigt die Korrelation zwischen der präoperativen Mannitol

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Exkretion und der TNF-α-Konzentration, dass ein Verlust der in den Absorptionsprozess involvierten Schleimhautoberfläche und ein bestehender inflammatorischer Prozess möglicherweise miteinander assoziiert sind. Der präoperative Mangel von funktionaler Darmschleimhaut könnte möglicherweise mit einer TNF-α Freisetzung in Zusammenhang stehen, welche dann zu inflammatorischen Reaktionen, verstärkt durch das chirurgische Trauma, führt.

Bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sowie bei Patienten mit fortgeschrittener Zirrhose ist die durch inerte Zuckertests gemessene Permeabilität meist gesteigert [32, 89, 99]. Die beeinträchtigte Darmbarrierefunktion in Kombination mit einer gestörten gastrointestinalen Immunfunktion ist mit dem Nachweis einer Endotoxinexposition und einer gesteigerten Akute-Phase-Reaktion assoziiert [63].

Penalva und Mitarbeiter verglichen die Lactulose/Mannitol Ratio von 68 Patienten mit einer akuten Pankreatitis mit der von 13 gesunden Freiwilligen. Die intravenöse Applikation einer einmaligen Endotoxindosis führte dabei bei den gesunden Probanden zu einer Zunahme der intestinalen Permeabilität [107]. Parviainen und Mitarbeiter [108]

konnten außerdem zeigen, dass die intravenöse Volumengabe beim Menschen die Messungen des Permeabilitätsindex (L/M Ratio) nicht beeinflusst.

Smecuol und Mitarbeiter [109] konnten die iatrogenen Faktoren, die die intestinale Barrierefunktion beeinflussen, aufzeigen. Sie wiesen nach, dass die Anwendung von nicht-steroidalen antiinflammatorischen Medikamenten zu einer erhöhten intestinalen Permeabilität führt.

Weiterhin resultiert eine total parenterale Ernährung über mehr als 24 Stunden in einem signifikanten Anstieg der intestinalen Permeabilität. Dies wurde in einer vergleichenden Studie von enteral und parenteral ernährten Patienten im Anschluss an eine Lebertransplantation nachgewiesen [110]. Andererseits weisen auch mangelernährte Patienten eine beeinträchtigte Darmbarrierefunktion und eine gestörte gastrointestinale Immunfunktion auf [111].

Alterationen der gastrointestinalen Permeabilität wurden des Weiteren häufig bei chirurgischen Patienten beschrieben. Kanwar und Mitarbeiter [35] untersuchten dabei 68 Patienten, die sich einer großen Operation der oberen Bauchregion aufgrund eines malignen Tumors unterzogen bezüglich der L/M Ratio präoperativ, am ersten und siebten Tag nach der Operation. Dabei zeigte sich, dass kein Unterschied zwischen der L/M Ratio in der Gruppe der Patienten, die eine Sepsis entwickelten und der Gruppe von Patienten, die keine Sepsis entwickelten, festgestellt werden konnte.

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Auch in der vorliegenden Studie zeigte die Untersuchung der gastrointestinalen Barrierefunktion selbst keine signifikante Korrelation mit dem Auftreten von postoperativen multiplen Organdysfunktionen, noch hat sie diesbezüglich einen prädiktiven Wert. Es konnte jedoch im Vergleich der beiden Patientengruppen mit der Ausprägung keiner bzw. einer und multiplen Organdysfunktionen innerhalb der ersten 24 Stunden postoperativ bei letzterer Gruppe eine statistisch nicht signifikant erhöhte präoperative Saccharose- und Sucralose-Exkretion im 24 Stunden Sammelurin nachgewiesen werden. Dies könnte auf eine erhöhte Magen- sowie Dickdarmpermeabilität dieser Patienten hindeuten und mit einer konsekutiv präoperativ erhöhten Endotoxinämie in Zusammenhang stehen, welche sich klinisch durch multiple postoperative Organdysfunktionen bei diesen Patienten manifestierte.

Insgesamt konnte die vorliegende Studie somit keinen Einfluss der gastro-duodenalen, Dünndarm- und Dickdarmpermeabilität auf die postoperative Inzidenz von multiplen Organdysfunktionen nachweisen.

In einer Untersuchung an 31 Patienten, die sich einem Klappenersatz unter