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Multiple Sklerose (MS) ist eine neurodegenerative Autoimmunerkrankung des Menschen. Der erste Fall einer Multiplen Sklerose wurde im Jahr 1838 von einem Schotten namens Carswell durch das makroskopische Bild von vielen (multiplen) Narben (Sklerose) im Bereich der weißen Substanz des Gehirns und des Rücken-marks beschrieben. Daraufhin folgten Berichte aus Deutschland, England und vielen anderen Teilen der Welt. Charcot war es dann, der 1868 diese Fälle zusammenfasste und eine erste umfassende Beschreibung der Erkrankung lieferte (Sherwin 1957). Heute weiß man, dass die Multiple Sklerose die häufigste chronisch entzündliche Autoimmunerkrankung des Gehirns in der westlichen Welt ist (Noseworthy 2003).

Histologisch ist zunächst eine akute scharf begrenzte Entmarkung der weißen Substanz zusammen mit einer Infiltration von Entzündungszellen ins ZNS zu erkennen. Es wird angenommen, dass die Entzündung zunächst durch das Einwandern von Zellen in das Parenchym des Gehirns gekennzeichnet ist. Die T-Zellen reagieren auf die Myelinscheiden der Nerven und setzen somit einen Ausgangspunkt für eine entzündliche Läsion. Der genaue Pathomechanismus ist jedoch immer noch unbekannt (Junker und Brück 2012).

Nach dem Erkennen von körpereigenen Strukturen durch T-Zellen kommt es sekundär zu einem Nachstrom von myeloiden Zellen und wenigen B-Zellen. In den Läsionen sind Makrophagen zu erkennen, die Myelin in ihren Vakuolen tragen (Lucchinetti et al. 1996). Die Axone bleiben zunächst durch den Entzündungs-prozess unbeeinträchtigt, liegen aber aufgrund des fehlenden Myelins unisoliert frei.

Dies beeinflusst deutlich die saltatorische Leitungsgeschwindigkeit der Axone und spiegelt die Pathophysiologie der Ausfallerscheinungen eines Schubes wider. Die Entzündungen sind bei regulären Schüben selbstlimitierend und es folgt eine Phase, in der Oligodendrozyten die freiliegenden Nervenfasern remyelinisieren. Anhand dieser Kompensation des Gehirngewebes können erste Schübe auch inapparent verlaufen. Daher wird angenommen, dass die MS erst ab einer bestimmten Schwelle

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der Läsionslast klinisch in Erscheinung tritt und bleibende neurologische Defizite diagnostiziert werden können (Ferguson et al. 1997).

Für eine klare Diagnose ist es wichtig, eine zeitliche und örtliche Dissemination der Schübe zu verifizieren. Hierbei erfolgte früher die Diagnose rein durch die klinische Diagnostik der neurologischen Defizite (McDonald et al. 2001). Heutzutage gibt es die McDonald-Kriterien, die es zulassen, über die Darstellung der Herde im Gehirn eine MS durch eine einzelne Kernspinaufnahme zu diagnostizieren. Eine zeitliche Unterteilung der im MRT erkennbaren Läsionen ist möglich, da nur Läsionen, die nicht älter als ein paar Wochen sind, Kontrastmittel aufnehmen. Die örtliche Verteilung der Herde wird durch das Auftreten von Läsionen in verschiedenen Bereichen des Gehirns beschrieben. Zur Komplementierung der Diagnostik wird eine Liquorpunktion durchgeführt, um die MS von anderen neuroinflammatorischen Erkrankungen abzugrenzen. Zusätzlich ist die MS häufig durch das Auftreten von oligoklonalen Banden in der Gelelektrophorese des Liquors gekennzeichnet, was eine intrathekale Antikörperproduktion ohne Barriere-Störung widerspiegelt (Polman et al. 2011) .

MS wird klinisch in verschiedene Untergruppen aufgeteilt. Die größte und häufigste Gruppe sind Patienten mit einer schubförmigen MS (Relapsing Remitting MS = RRMS). Das durchschnittliche Erkrankungsalter bei einer RRMS liegt zwischen 20 und 30 Jahren, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Die ersten Symptome sind abhängig vom Ort der Läsionen. Oft beschreiben die Patienten Parästhesien (Kribbeln und Missempfindungen) im Bereich der Arme, optische Beeinträchtigungen oder auch eine allgemeine Schwäche (Fatigue) als erste Symptome. Nach einem längeren Verlauf (ca. 10 Jahre) einer RRMS kann sich diese chronifizieren. Die Umwandlung einer RRMS in eine chronische Form, wird Sekundär-Progrediente MS genannt (Secondary Progressive MS = SPMS). Die dritte Form ist die Primär-Progrediente MS (Primary Progressive MS = PPMS). Sie tritt häufig in einem höheren Alter auf und manifestiert sich klinisch zunächst durch aufsteigende Lähmungserscheinungen. Dadurch werden Patienten mit einer PPMS häufig durch ein sich progressiv verschlechterndes ataktisches und breitbasiges Gangbild klinisch auffällig. Schübe sind bei der PPMS nicht mehr abgrenzbar und gelten als Ausschlusskriterium für eine PPMS. Bei beiden chronischen Formen wird

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angenommen, dass ein Entzündungsprozess nicht mehr im Vordergrund steht, sondern sekundär neurodegenerative Veränderungen in Gang gesetzt worden sind (Junker und Brück 2012).

In der Therapie einer RRMS unterscheidet man zwischen der akuten Schubtherapie, einer Basistherapie und einer Eskalationstherapie. Bei der Schubtherapie steht die Gabe von hochdosiertem Methylprednisolon (MP) von einem Gramm an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Vordergrund. Dies führt in der Regel im akuten Schub zum schnellen Abklingen der Symptome. Eine Erweiterung der Schubtherapie kann die Erhöhung der Dosis, eine Verlängerung der Methylprednisolongabe oder eine Plasmapherese sein (Burton et al. 2009; Durelli et al. 1986; Oliveri et al. 1998).

Die Basistherapie hat zum Ziel, die Schubhäufigkeit zu verringern. Zunächst kommen immunmodulatorische Substanzen zum Einsatz. Die am häufigsten eingesetzten Medikamente sind Beta-Interferone und Glatirameracetat (Comi et al.

2001; Jacobs et al. 1996). Beide Substanzen verringern wirksam die Anzahl der Schübe, müssen jedoch s.c. oder i.m. gespritzt werden. Aktuell wurde eine Tablette, die ein Derivat der Fumarsäure enthält, als eine neue orale Basistherapie zugelassen (Stroet et al. 2013). Bei der Eskalationstherapie werden immunmodulatorische und immunsuppressive Substanzen eingesetzt. Zu der ersten Substanzklasse zählen Fingolimod und Natalizumab. Fingolimod ist eine Substanz, welche als Sphingosin-1-Phosphat-Analogon wirkt und somit T-Zellen an der Extravasion aus dem Lymphknoten hindert (Kappos et al. 2010). Bei Natalizumab handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der T-Zellen an der Einwanderung in das ZNS hindert. Dieser Antikörper blockiert VLA-4 (α4-Integrin), welches benötigt wird, damit Lymphozyten an das Endothel des Rückenmarks adhärieren (Coyle 2010). Als immunsuppressive Substanzen sind insbesondere Mitoxantron, Azathioprin und Cyclophosphamid zu nennen. Diese Medikamente wirken zytostatisch auf das Immunsystem und verringern so die Anzahl der Lymphozyten und sekundär die Entzündungslast. Aktuell werden weiterhin Substanzen diskutiert, die keine direkte Wirkung auf das Immunsystem an sich haben, sondern eine Remylinisierung fördern und somit neuroprotektiv wirken könnten (Stroet et al. 2013)

Bei der SPMS und PPMS steht die Entzündung nicht mehr im Vordergrund.

Hochdosis-MP-Therapien werden daher über einen längeren Zeitraum in einem

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Abstand von jeweils 2-3 Monaten wiederholt, um eine Remission oder ein langsameres Voranschreiten der Symptome zu bewirken (Thompson et al. 1997). Bei der Therapie der RRMS und besonders bei der chronischen Form der MS, nehmen Ergo- und Physiotherapie oder begleitende Psychotherapie eine zentrale Rolle für die Lebensqualität der Patienten ein (Mohr et al. 2003).