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Die Zytoprotektion gesunder Zellen erlangt in der Behandlung maligner Erkrankungen immer mehr an Bedeutung. Dabei existieren zwei verschiedene Ansatzpunkte, um freie Radikale, die auch durch die ionisierende Strahlung entstehen, zu binden und demgemäss gesundes Gewebe zu schützen. Zum einen können Antioxidantien additiv hinzugefügt werden. Dazu sind Medikamente mit freien Thiolgruppen wie das Amifostin besonders geeignet, aber auch antioxidative Vitamine entsprechen diesem Prinzip. Andererseits ist es möglich, die körpereigenen, internen Systeme zur Eliminierung freier Radikale zu unterstützen.

Neben vielen anderen Enzymen ist die Glutathionperoxidase 1 (GPx) an diesem

Prozess maßgeblich beteiligt. Ihre Funktion kann aber nur durch eine ausreichende Versorgung mit Selen aufrecht erhalten werden.

IV.3.1 Amifostin

Unter den über 4400 Substanzen, die am Walter Reed Army Research Institute getestet wurden, war Amifostin eines der effektivsten antioxidativen Substanzen bei vergleichsweise geringer Toxizität.

Durch die einmalige Gabe von 200 mg/kg KG Amifostin i. p. (YUHAS et al. 1980) konnte nach makroskopischen und histologischen Kriterien eine deutliche Verminderung der nephrotoxischen Wirkung des DTPA-D-Glu1-Minigastrins beobachtet werden. Unter derselben applizierten Aktivität zeigten die Tiere der Bezugsgruppe schwere Fibrosierungen der Nieren und laborchemische Anzeichen einer zunehmenden Niereninsuffizienz. Zu den jeweiligen Untersuchungszeitpunkten wiesen die mit Amifostin behandelten Tiere nur marginale histologische Veränderungen auf. Eine Verschlechterung der Nierenfunktion unter Amifostin konnte nicht beobachtet werden, und die Harnstoff-Stickstoffwerte blieben während des gesamten Beobachtungszeitraums im Toleranzbereich. Diese Untersuchungen zeigen eindrucksvoll die bereits nachgewiesene strahlenprotektive Wirkung des Amifostins.

Obwohl in Deutschland Amifostin nur zur Reduktion der nephrotoxischen Nebenwirkungen von Platinverbindungen bei der Behandlung von Ovarialtumoren zugelassen ist, konnten einige präklinische Studien nachweisen, dass Amifostin die Toxizität einer Vielzahl von Chemotherapeutika und ionisierender Strahlung minimieren kann (GLOVER et al. 1984, DONALDSON et al. 1984, BOHUSLAVIZKI et al.

1999, SANTINI und GILES 1999, HERMAN et al. 2000).

Eine Reduktion der Nephrotoxizität bei erhaltenem Anti-Tumor-Effekt wurde auch bei dem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) (TANNEHILL et al. 1997), beim Blasenkarzinom (HEIDENREICH et al. 1999) und bei weiteren Tumoren beobachtet.

Besonders die Nieren, sowie Herz, Lunge und Leber, sind in der Lage, Amifostin in größeren Mengen aufzunehmen und im Parenchym anzureichern und sind so vor den Folgen einer Bestrahlung geschützt (UTLEY et al. 1976, WASHBURN et al. 1976).

Die Nephrotoxizität kann jedoch nicht vollständig reduziert werden, aber mit einer zusätzlichen Gabe von Amifostin kann die Cisplatindosis bis auf das 2,2-fache

gesteigert werden, ohne klinische Anzeichen einer vermehrten Schädigung zu erhalten (TRESKES 1992a). Die Strahlendosis kann auch um das 1,2-fache gesteigert werden (DONALDSON et al. 1984).

In weiteren Studien konnte mit N-acetyl-β-D-glucosaminidase (NAG), einem spezifischen Marker für Tubulusläsionen, gezeigt werden, dass Amifostin in der Lage ist, speziell die Tubuluszellen zu schützen (WEICHERT-JAKOBSEN et al. 1999).

Zusätzlich unterstützt Amifostin DNA-Reparaturvorgänge (MURLEY und GRDINA 1995, MURLEY et al. 1997, TRESKES et al. 1991). Dabei konnte in vielen Studien gezeigt werden, dass Amifostin nur auf gesundes Gewebe einen protektiven Effekt ausübt.

Die schädigende Wirkung der radioaktiven Strahlung auf die Tumorzellen wird nicht verringert (YUHAS 1980a, CALABRO-JONES et al. 1988, KEMP et al. 1996, HEIDENREICH

et al. 1999). Außerdem konnte sogar eine zusätzliche Sensibilität einiger Tumore gegenüber einer kombinierten Strahlentherapie in Verbindung mit Amifostin nachgewiesen werden (VALERIOTE und TOLEN, 1982, TRESKES et al. 1992a, TRESKES

et al. 1994, DOUAY et al. 1995).

In dieser Studie wurde nur die einmalige Applikation von Amifostin kurz vor der Injektion der Radioaktivität untersucht. Injiziert wurde 90Y-DTPA-D-Glu1-Minigastrin, wobei das Yttrium eine Halbwertzeit von 64 Stunden besitzt und erst nach 20 Tagen 1/1000 der ursprünglich applizierten Aktivität aufweist. Zusätzliche eigene Untersuchungen (Daten hier nicht dargestellt) zeigten, dass eine weitere Injektion oder Dauerinfusionen von Amifostin nicht möglich ist, da die Akuttoxizität des Amifostins dosislimitierend ist.

IV.3.2 Selenit

Der protektive Effekt des Selenits gegenüber ionisierender Strahlung ist seit langem bekannt (CEKAN et al. 1985, OVERVAD et al. 1985) und wurde auch durch eine Vielzahl von neueren Untersuchungen bestätigt (LECCIA et al. 1993, RODEMANN et al.

1999, BÜNTZEL 1999). Dabei gehört Selen zu den essentiellen Spurenelementen, die wir täglich zu uns nehmen müssen, und wird in vielen Enzymen als Selenozystein benötigt (ROTRUCK et al. 1973). Viele dieser Selenozysteinproteine sind in eukaryontischen Zellen gefunden worden, von denen aber nur wenige bis heute genauer untersucht wurden (BEHNE et al. 1995). Zu den bekannten Enzymen

gehören die Glutathionperoxidasen, die an vielen antioxidativen Prozessen beteiligt sind und sowohl Wasser-, als auch Lipidperoxide reduzieren können (MULLENBACH et al. 1988, URSINI und BINDOLI. 1987). Die zytosolische Glutathionperoxidase ist ein Enzym, das natürlicherweise in den Zellen vorkommt und dafür sorgt, dass immer nur ein minimaler Anteil an freien Radikalen in den Zellen vorhanden ist. Sie ist dabei nicht an bestimmte Zellorganellen gebunden und ist so frei im Zytoplasma verfügbar. Alle inneren Organe sind in der Lage, das Enzym zu synthetisieren.

Organe, wie Leber, Nieren und periphere Nerven weisen hohe Konzentrationen der Glutathionperoxidase auf. Die Radikale werden dabei über freie SH-Gruppen gebunden. Die Funktion der Glutathionperoxidase ist dabei von der Zufuhr des essentiellen Spurenelements Selen abhängig. Bei einer höheren Konzentration an freien Radikalen, wie sie bei Behandlungen mit ionisierender Strahlung anzutreffen ist, wird auch eine größere Zufuhr an Selenit benötigt. Unterbleibt diese oder ist die Zufuhr unzureichend, kann die Glutathionperoxidase nicht in einem ausreichenden Maße ihre Funktion aufrechterhalten. Dies führt im weiteren Verlauf zu einer Anreicherung von freien Radikalen in den Zellen, die wiederum für weitere Zellschäden verantwortlich sind.

Die vorliegende Arbeit belegt, dass die kontinuierliche Gabe von Selenit in den ersten zehn Tagen (entspricht fünf Halbwertzeiten des applizierten Yttriums) eine signifikante Verminderung der Strahlennephropathie herbeiführen kann, die sich in einer besseren Überlebenszeit und Nierenfunktion äußert. Die histologisch erkennbaren Veränderungen weisen auf eine stärkere Ausprägung der Nephropathie bei der Bezugsgruppe hin.

Obwohl einige Arbeiten darauf hinweisen, dass höhere Konzentrationen von Selenit nicht die Aktivität der Glutathionperoxidase erhöhen (MCCONNELL et al. 1975, HORVATH und IP 1975), zeigen neuere Studien, dass der nachweisliche Schutz, der durch die Applikation von Selenit entsteht, zumindest zu einem bestimmten Anteil auf diesem Effekt beruht, da in anderen Studien eine mindestens 5-fache Aktivitätssteigerung durch die Gabe von Selenit beobachtet wurde (DIAMOND et al.

1996). Zusätzlich hat Selenit einen Einfluss auf Zellzyklus und Apoptose (LU et al.

1994, HOCKENBERY et al. 1993).

Deshalb sollte bei therapeutischen Behandlungen mit ionisierenden Strahlen eine ausreichende Selenzufuhr gewährleistet sein, um die körpereigenen

Abwehr-mechanismen zu unterstützen und somit die Folgeschäden durch oxidative Prozesse an der menschlichen DNA zu minimieren.

Des weiteren haben Untersuchungen ergeben, dass der radioprotektive Effekt des Amifostins durch die simultane Applikation von Selenit additiv gesteigert werden kann. Der zugrundeliegende Mechanismus ist dabei noch nicht eindeutig geklärt.

Wahrscheinlich entsteht die additive Wirkung dadurch, dass durch eine Kombination beider Substanzen sowohl zusätzlich freie Thiolgruppen des Amifostins vorhanden sind, als auch die Aktivität der bereits vorhandenen Glutathionperoxidase gesteigert wird (DIAMOND et al. 1996). Amifostin beeinflusst demnach nicht die Aktivitätssteigerung der GPx durch Selenit, eine Konzentrationserhöhung des Glutathions durch Amifostin ist aber beschrieben worden (MURLEY und GRDINA

1995). Da Glutathion der GPx als Wasserstoffdonator dient, wird angenommen, dass eine Erhöhung der intrazellulären Glutathionkonzentration einen stimulierenden Effekt auf die GPx ausübt (DIAMOND et al. 1996).

IV.3.3 Vitamine A und E

Die Gabe von Vitamin A und E konnte in dieser Studie nicht den gewünschten protektiven Effekt erzielen. Aufgrund ihrer lipophilen Eigenschaften konnten die Vitamine A und E nicht einfach im Trinkwasser gelöst werden. Alternativ wurden die Vitamine in DMSO (Dimethylsulfoxid) gelöst. Dadurch war es möglich, die Vitamine subkutan zu injizieren. Über zehn Tage hinweg sollten die Vitamine verabreicht werden, doch nach drei Tagen bildeten sich bei mehreren Tieren Nekrosen an der Einstichstelle, so dass auf weitere Injektionen verzichtet wurde. Dennoch konnte ein marginaler protektiver Effekt beobachtet werden, der jedoch nicht signifikant war.

Dieser Effekt kann aber auch durch das Lösungsmittel DMSO hervorgerufen worden sein, da diese Substanz auch antioxidative Eigenschaften besitzt und in vitro Zellen vor Strahlenschäden zu schützen vermag (HOWELL et al. 1998). Dessen ungeachtet konnte in der selben Studie nur ein Schutz gegenüber einigen β-Emittern (32P und

3H2O) festgestellt werden. Ein Schutz gegenüber 131I, 3H und Auger/Konversions-elektronen-Emittern war nicht zu beobachten. Zusätzlich scheint DMSO nicht für eine Endoradiotherapie geeignet zu sein, weil DMSO auch Tumorzellen vor der

radioaktiven Strahlung schützen kann und somit die Erfolgsaussichten einer Therapie verringert (MOULDER et al. 1977).

In der darauf aufbauenden Untersuchung, in der die Vitamine als orale Emulsion verabreicht wurden, konnte kein positiver Effekt beobachtet werden. Die mit Vitaminen behandelten Mäuse starben zeitiger als die mit gleicher Aktivität behandelte Bezugsgruppe.

Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu anderen Untersuchungen, die einen protektiven Effekt der Vitamine beschreiben (SIES 1993, RANA et al. 1993). Der protektive Effekt natürlich vorkommender Substanzen wird allgemein schwächer eingestuft, als die Effekte der synthetischen Thiole (WEISS und LANDAUER 2000).

Dennoch konnte Vitamin E in der Kombination mit weiteren Substanzen die Nephrotoxizität von Cisplatin in einer tierexperimentellen Studie signifikant reduzieren (EL DALY 1998), und auch ohne die Kombination mit anderen Substanzen ist Vitamin E in der Lage, die Cisplatin assoziierte Nephrotoxizität zu minimieren, wenn es 12 Stunden vor der beginnenden Chemotherapie verabreicht wird (APPENROTH 1997). Weiterhin konnte in der Arbeit der protektive Effekt durch die zusätzliche Gabe von Vitamin C gesteigert werden. Neben den antioxidativen Eigenschaften unterdrückt Vitamin E die Proliferation der glomerulären Mesangiumzellen und reduziert so das Fortschreiten einer glomerulären Sklerose (OTANI et al. 1999).

Desgleichen ist für Vitamin A ein protektiver Effekt beschrieben worden, nicht nur für Röntgenstrahlen, sondern auch für Auger/Konversionselektronen-Emitter (HARAPANHALLI et al. 1994). In einer neueren Arbeit konnte Vitamin A die Proliferation glomerulärer Zellen und das Ausmaß einer Albuminurie deutlich reduzieren (WAGNER et al. 2000). Jedoch ist es im Rahmen einer Phase-1 Studie, in der Neuroblastompatienten mit cis-Retinsäure behandelt wurden, möglicherweise zu einer Vitamin A assoziierten Strahlennephropathie in zwei von 263 Fällen gekommen. Nach einer Ganzkörperbestrahlung und anschließender Knochen-marktransplantation erhielten die Patienten nach 83 bzw. 100 Tagen 80 mg/m2 cis-Retinsäure zweimal pro Tag. Bei Beginn der Vitamin A-Therapie lagen Serum-Kreatinin und die Harnstoff-Stickstoff-Werte im Normbereich. Innerhalb des zweiten Zyklus entwickelten die Patienten einen Hypertonus und eine Proteinurie, gleichzeitig stiegen die Nierenfunktionsparameter weit über die Normwerte an.

Mikroskopisch wurden Anzeichen für eine Strahlennephropathie gesichert. Eine

eingeleitete antihypertensive Therapie mit Enalapril (ACE-Hemmer) musste wegen einer Hyperkaliämie abgebrochen werden. Unter Amlodipin (Kalziumantagonist) normalisierten sich der Bluthochdruck wieder und die Funktionseinschränkung der Niere bildete sich innerhalb eines Jahres wieder zurück (TURMAN et al. 1999).

In dieser Studie wurden 263 Patienten untersucht. Von den 132 Patienten, die kein Vitamin A erhielten, entwickelte keiner eine Strahlennephropathie. Hingegen entwickelten zwei von 131 Patienten kurz nach der Gabe von Vitamin A eine strahlenbedingte Nephropathie, so dass eine Assoziation zwischen der Gabe von Vitamin A und der Strahlennephropathie nicht ausgeschlossen werden kann.

Weiterhin ist Vitamin A selber nicht nephrotoxisch, jedoch verstärkt es die Strahlentoxizität in Mamma-, Blasen-, und Lungentumoren (WINDBICHLER et al. 1996, DELANEY et al. 1996, DUCHESNE und HUTCHINSON 1995).

Bislang sind nur sehr wenige Fälle in der Literatur beschrieben, und der endgültige Beweis, dass die Strahlennephropathie durch die Applikation von Vitamin A ausgelöst werden kann, ist bis heute nicht eindeutig erbracht. Dennoch unterstützen neue Untersuchungen diese Vermutung. In einer neueren Studie konnte gezeigt werden, dass eine Strahlennephropathie durch die zusätzliche Gabe von Vitamin A exazerbiert (MOULDER et al. 2002). Der auslösende Faktor ist dabei wahrscheinlich eine Verringerung der renalen Stickstoffmonoxid-Produktion (NO), die in diesem Experiment nachgewiesen werden konnte. Anderen Untersuchungen zur Folge führt diese NO-Depletion zu einer Verstärkung der Strahlennephropathie (COHEN et al.

1996a), so dass die Autoren davon ausgehen, dass Vitamin A die Progression der Strahlentherapie beschleunigt.

Auch die in dieser Studie erbrachten Ergebnisse sprechen für eine Vitamin A assoziierte Strahlennephropathie und unterstützen somit die neuesten Untersuchungsergebnisse anderer Autoren.

IV.3.4 Vitamin C

Auch Vitamin C konnte nicht zu einer deutlichen Verminderung der Nephrotoxizität in dieser Untersuchung beitragen. Eine leichte Verbesserung der Überlebenszeit ist zu beobachten, doch reicht diese nicht aus, um die Progression dieser Erkrankung signifikant zu verringern. Vitamin C gehört zu den Substanzen mit antioxidativen

Eigenschaften (SIES 1993) und ist in der Lage, Nephrotoxizitäten zu minimieren (APPENROTH und WINNEFELD 1998). Diese Wirkung reicht eventuell nicht mehr aus, um einen vollständigen Schutz bei der Applikation von Strahlung in therapeutischen Dosierungen zu gewährleisten. Ob höhere Ascorbinsäurespiegel den positiven Effekt dagegen verstärken, ist bisher nicht geklärt. Da Vitamin C keinen gegenteiligen Effekt induziert, erscheint die zusätzliche Gabe eine sinnvolle und unterstützende Maßnahme. Die alleinige Applikation von Vitamin C ist aber wahrscheinlich nicht ausreichend.

IV.4 Reduktion des progressiven Verlaufs der Strahlennephropathie