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U: kleinster Diaphysen Umfang L: größte Länge

IV. Ergebnisse

4.1 Unterigling

4.1.1 Paläodemographie

Die Paläodemographie stellt einen Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit dar, denn nur mittels paläodemographischer Schätzwerte ist es möglich, Populationen in Zeit und Raum miteinander zu vergleichen. Im Folgenden wird auf die wichtigsten demographischen Aspekte, wie die Erstellung einer Sterbetafel, die Berechnung der Repräsentanz der Skelettserie, die Berechnung der Lebenserwartung und der Sterbewahrscheinlichkeit, die Berechnung des Maskulinitätsindex und des Abhängigkeitsindex eingegangen. Ferner werden die Mortalitätsrate und die Wachstumsrate berechnet, sowie die Siedlungsgröße geschätzt. Um einen Vergleich mit anderen demographischen Arbeiten ziehen zu können, werden des Weiteren Parameter wie der Anteil der Erwachsenen, der 5-9-jährigen und der 10-14-5-9-jährigen, das Verhältnis der 5-14-5-9-jährigen zu den Erwachsenen und die Schätzwerte der Sterbewahrscheinlichkeiten innerhalb des ersten Lebensjahres bzw. der ersten fünf Lebensjahre nach Bocquet-Appel & Masset (1977) berechnet bzw. geschätzt. So können im Diskussionsteil die Tabellen von Langenscheidt (1985) ergänzt und die untersuchten Skelettserien bezüglich demographischer Tendenzen überprüft werden.

Alle paläodemographischen Werte werden anhand der „Rohdaten“ aus der morphologischen Alters- und Geschlechtsbestimmung berechnet, da nur so eine optimale Vergleichbarkeit mit anderen Skelettserien gewährleistet ist, für welche ebenfalls nur die morphologischen Altersschätzungen vorlagen.

Die Skelettserie von Unterigling umfasste 292 Individuen, darunter 89 (30%) Kinder. Da von archäologischer Seite vermutet wird, dass die 9 Individuen umfassende Grabgruppe im Nordosten des Gräberfeldes zeitlich etwas früher einzuordnen ist als der übrige Friedhof, werden diese Individuen bei den paläodemographischen Berechnungen nicht berücksichtigt (Meier & Eibl, in Vorb.), so dass sich die paläodemographische Analyse auf 283 Individuen stützt.

Der Belegungszeitraum des Gräberfeldes von Unterigling-Loibachanger erstreckte sich gemäß 14 C-Datierung über etwa 100 Jahre. Von archäologischer Seite wird vermutet, dass der tatsächliche Belegungszeitraum nur schätzungsweise 60 Jahre umfasste (Meier & Eibl, in Vorb.), was 2-3 Generationen entspricht, es handelt sich also, zeitlich gesehen, nur um einen kleinen Bevölkerungsausschnitt.

Sterbetafel

Im Hinblick auf die geplante Berechnung der Sterbetafel wurde schon bei der Erstellung des morphologischen Befunds darauf geachtet, das Sterbealter der kindlichen und jugendlichen Individuen möglichst in 5-Jahres-Klassen einzuteilen. Für ältere Individuen wurde eine Einteilung in 20-Jahres-Klassen gewählt. Bei Überschneidungen zwischen zwei (oder mehr) Altersklassen, wurden die

betreffenden Individuen anteilig auf die jeweiligen Altersklassen aufgeteilt. Das erklärt Werte wie beispielsweise 56,5 bei der Anzahl der verstorbenen Individuen (D0-4) (Tabelle 7).

Die mittlere Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt betrug laut Sterbetafel 28 Jahre.

Tabelle 7: Sterbetafel für die Bevölkerung von Unterigling (n=283)

x a Dx dx lx qx px Lx Tx e0x

0-4 5 56,5 199,86 1000 199,86 800,14 4500,35 28284,03 28,28

5-9 5 27 95,51 800,14 119,37 880,63 3761,93 23783,68 29,72

10-14 5 10,5 37,14 704,63 52,71 947,29 3430,3 20021,75 28,41

15- 19 5 16 56,6 667,49 84,8 915,2 3195,95 16591,45 24,86

20-39 20 85,1 301,03 610,89 492,77 507,23 9207,5 13395,5 21,93

40-59 20 72,2 255,39 309,86 824,21 175,79 3643,3 4188 13,52

60-79 20 15,4 54,47 54,47 1000 0 544,7 544,7 10

Repräsentanz der Skelettserie

Die Repräsentanz der Skelettserie wurde sowohl nach Weiss (1973), als auch nach Bocquet-Appel &

Masset (1977) überprüft (vgl. Kap.3.4). Wie schon in Kap. 3.4 beschrieben, ist die Methode von Weiss (1973) zur Bestimmung der Repräsentanz einer Skelettserie nur in bedingtem Umfang zu verwenden.

Da für die Bevölkerung von Unterigling die Altersklasse „20-24“ nicht bestimmt werden konnte, wird für die Berechnung der Repräsentanz l20-39 statt l20-24 verwendet. Diese Änderung fällt aber nicht ins Gewicht, da sowohl l20-24, als auch l20-39 gleich l15-19 - d15-19 sind.

• nach Weiss (1973):

20 , 00 0 , 1000

14 , 1 800

4 0

9 5

0 = − = =

l Q l

05 , 63 0 , 704

49 , 1 667

14 10

19 15

10 = − = =

l Q l

08 , 49 0 , 667

89 , 1 610

19 15

39 20

15 = − = =

l Q l

08 , 0 05 , 0

15 :

10 <Q <

Q → erfüllt

08 , 0 2 , 0

15 :

0 >Q >

Q → erfüllt

• nach Bocquet-Appel & Masset (1977):

57 , 5 2 , 10

27

14 10

9

5 = =

D D

22 , 7 0 , 172

5 , 37

20 14

5 = =

D ω

D

Dabei sollte 2

14 10

9

5

D

D und 0,1

20 14

5

D ω

D sein - beide Bedingungen sind somit erfüllt.

Nach beiden Berechnungsmethoden kann also davon ausgegangen werden, dass die Skelettserie von Unterigling einen repräsentativen Bevölkerungsausschnitt darstellt.

Sterbewahrscheinlichkeit qx

In Abbildung 21 ist die Sterbewahrscheinlichkeit innerhalb der verschiedenen Altersklassen dargestellt. Die Sterbewahrscheinlichkeit im Alter von 0-4 Jahren war relativ hoch, fiel dann aber ab bis zu ihrem Minimum im Alter von 10-14 Jahren. Ab dieser Altersklasse war ein stetiger Anstieg der Sterbewahrscheinlichkeit bis zu ihrem Maximum bei „60+“ Jahren zu beobachten. Der Verlauf dieser Kurve ist typisch für eine mittelalterliche Gesellschaft. Die höchste Sterblichkeit innerhalb der Non-Adulten ist unter den Säuglingen und Kleinkindern zu beobachten. Der Abstillzeitpunkt stellt eine besonders kritische Phase dar (Hühne-Osterloh, 1997), da die Kinder in dieser Zeit besonders anfällig für Infektionen des Verdauungstraktes sind (weanling diarrhoea) (Grupe et al., 2005). Durch die Muttermilch erhalten die Säuglinge einen passiven Immunschutz, welcher nach dem Abstillen nicht mehr gewährleistet ist, das Erkrankungsrisiko steigt also.

Sterbewahrscheinlichkeit Unterigling

0 200 400 600 800 1000 1200

Altersklassen in Jahren qx in

0-4 5-9 10-14 15-19 20-39 40-59 60+

Abb. 21: Sterbewahrscheinlichkeit in den verschiedenen Altersklassen der Bevölkerung von Unterigling

Die Sterbewahrscheinlichkeit ist in der Altersklasse von 10-14 Jahren am geringsten. Eine erhöhte Sterbewahrscheinlichkeit ab dem 20. Lebensjahr ist durchaus verständlich: Viele Frauen starben in jener Altersklasse aufgrund von Schwangerschafts- und Geburtsrisiken (Brunner, 1972; Daim, 1987).

Neben den beobachteten Werten, werden im Folgenden die Schätzwerte für die Sterbewahrscheinlichkeit innerhalb des ersten bzw. der ersten fünf Lebensjahre angegeben (nach Bocquet-Appel & Masset, 1977). Anhand des Vergleichs zwischen beobachteten und geschätzten Werten kann auf ein eventuelles Kleinkinderdefizit geschlossen werden.

Sterbewahrscheinlichkeit innerhalb der ersten fünf Lebensjahre:

041 , 0 014 , 1 200

log 154

, ˆ 1

20 14 5 10

0

5 GFF− ±

H

I I

J K

×

=

D ω

q D

041 , 0 463 , ˆ0 0

5q = ±

Hiernach verstarben also 46% der Kinder der Bevölkerung von Unterigling in einem Alter von 0-5 Jahren.

Der beobachtete Wert lag bei 20%.

Hiernach „fehlten“ 139 Skelette von Kindern, welche innerhalb der ersten fünf Lebensjahre verstarben. Der Anteil der unter 5-jährigen, welche tatsächlich auf dem Friedhof von Unterigling bestattet wurden belief sich nur auf 29%. So können z.B. ungewollte Kinder abseits des Hauptfriedhofs und der dazugehörigen Siedlung bestattet (bzw. „entsorgt“) worden sein, indem sie im Wald deponiert wurden (Creel, 1966; Schwidetzky, 1967). Von mehreren Autoren wurde das Kleinkinderdefizit auch damit erklärt, dass die fragilen Knochen der Säuglinge aufgrund der geringen Tiefe in der sie bestattet wurden, leichter verloren gingen (Kölbl, 2004; Ulrich-Bochsler, 1997).

Aufgrund ihres dünnwandigen Baus und der abweichenden chemischen Zusammensetzung (höherer Anteil an Phosphor, Kalzium und Kollagen, geringer Anteil an Karbonat) sind die Kinderknochen den natürlichen Erosionseinflüssen stärker ausgesetzt als die Knochen der Erwachsenen (Kaufmann &

Schoch, 1983). Demnach waren die Kinder zwar ursprünglich auf dem Friedhof bestattet, ihre Knochen gingen aber im Laufe der Liegezeit verloren. Über den Verbleib insbesondere der Säuglingsknochen können deshalb nur Theorien aufgestellt werden.

Es ist durchaus vorstellbar, dass letzte Hypothese für die Kinder von Unterigling zutreffender ist. Der Großteil der Kinder im Säuglings- und Kleinkindalter wurde um die Kirche herum bestattet. Hier kann sogar von „Traufkindern“ gesprochen werden (Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, 1987), welche nach ihrem Tod nachträglich durch das Regenwasser, welches über die Dachtraufe der Kirche tropfte, getauft wurden.

Auch die Sterbewahrscheinlichkeit innerhalb des ersten Lebensjahres wurde nach der Formel von Bocquet-Appel & Masset (1977) berechnet:

016 , 0 438 , 0 200

log 568 , ˆ 0

20 14 5 10

0

1 MLL− ±

N

O O

P Q

×

=

D ω

q D

016 , 0 289 , ˆ0 0

1q = ±

Nach dieser Formel verstarben 29% der Säuglinge innerhalb des ersten Lebensjahres.

Der beobachtete Wert lag bei 10%.

Aufgrund des Kleinkinderdefizits fehlten 94 Skelette von Säuglingen, welche innerhalb des ersten Lebensjahres verstarben. Der Anteil der unter 1-jährigen, welche auf dem Friedhof von Unterigling bestattet wurden betrug 23%.

Lebenserwartung ex0

Der Kurvenverlauf der Lebenserwartung ex0 ist in Abbildung 22 dargestellt. Es ist ein leichter Anstieg in der Lebenserwartung bis zu einem Alter von 5-9 Jahren festzustellen, danach fällt die Kurve bis zu dem Höchstalter „60+ Jahre“ ab. Auch die Kurve für die Lebenserwartung zeigt einen typischen Verlauf: Wie schon erläutert, stellt das Säuglings- und Kleinkindalter die kritischste Phase dar (Daim, 1987; Grupe et al., 2005; Hühne-Osterloh, 1997), weshalb war hier die Lebenserwartung geringer ist als in der Altersklasse „5 bis 9 Jahre“.

Lebenserwartung Unterigling

0 5 10 15 20 25 30 35

Altersklasse in Jahren

e00 in Jahren

0-4 5-9 10-14 15-19 20-39 40-59 60+

Abb. 22: Lebenserwartung in den verschiedenen Altersklassen der Bevölkerung von Unterigling

Bocquet-Appel & Masset (1977) geben eine Formel an, welche die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt schätzt:

503 , 1 384 , 3 log

721 , ˆ 78

14 5 20 10 0

0 = × − ±

D

e D ω

503 , 1 72 , 22 ˆ00 = ± e

Die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt betrug demzufolge schätzungsweise 23 Jahre. Die direkt aus der Sterbetafel berechnete Lebenserwartung e00 lag bei 28 Jahren. Aufgrund des vorhandenen Kleinkinderdefizits wurde eine neue Sterbetafel für Unterigling berechnet, welche die fehlenden Kleinkinder (n=139) mitberücksichtigt. Die neue Sterbetafel ist im Anhang aufgeführt (Tabelle A1). Nach Berücksichtigung des Kleinkinderdefizits beträgt die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt 24 Jahre und liegt damit sehr nahe am geschätzten Wert. Der Unterschied zwischen der geschätzten und der beobachteten Lebenserwartung ist demnach auf das vorhandene Kleinkinderdefizit zurückzuführen. Je höher der Anteil der Säuglinge und Kleinkinder innerhalb einer Bevölkerung, desto geringer ist die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt.

Maskulinitätsindex

94 , 85 112

100 96

: ×100 = × =

Frauen Männer MI

Ein Maskulinitätsindex von 113 bedeutet, dass es in der Bevölkerung von Unterigling einen Männerüberschuss gab.

Abhängigkeitsindex

( ) ( )

(

15 59

)

3861,,37%% 0,63

%

60

% 14 0

:% = =

− +

R

R R

AI ω

Der Abhängigkeitsindex für die Bevölkerung von Unterigling betrug 0,63. Dies bedeutet, dass etwa drei Erwachsene für zwei Kinder/alte Menschen sorgen mussten.

Schätzung der Populationsgröße nach Acsádi & Nemeskéri (1970):

73 , 60 146

28 , 28 1283 , 1 1

, 1

0

0 = × =

= ×

S

T e

P Dx

Ausgehend von einem - freilich relativ eng geschätzten - Belegungszeitraum von rund 60 Jahren, lebten in der Siedlung von Unterigling 147 Personen zur selben Zeit. Dies entspricht einer verhältnismäßig großen Siedlung, so dass eine ausreichende Versorgung der Individuen möglicherweise nicht immer gewährleistet war (vgl. Kap. 4.1.4). Dies ist auch anhand der Wachstumsrate ersichtlich, welche eine Abnahme der Bevölkerung erkennen lässt. Dies unterstützt die Hypothese für einen Handelsplatz.

Mortalitätsrate

nach Bocquet-Appel & Masset (1977):

002 , 0 016 , 0 127

, 0

20 14

5 + ±

=

D ω

m D

002 , 0 044 ,

0 ±

= m

Die Mortalitätsrate lag bei 4,4% (4,4 Todesfälle pro Jahr auf 100 Individuen).

Wachstumsrate

nach Bocquet-Appel & Masset (1977):

006 , 0 485 , 1 200

log 484 , 1

03 , 0

20 60 20

14 5

10 UT − ±

V

W

X

Y Z

Z

[

\

] ]

^ _

=

ω ω

ω D

D D t D

006 , 0 024 ,

0 ±

= t

Hiernach ist eine Abnahme der Bevölkerung von Unterigling zu verzeichnen - was im Extremfall aus der Siedlung eine Wüstung werden lässt. Aufgrund der harten Lebensbedingungen auf dem Land und der schlechten Versorgungslage zogen allgemein im Laufe des Mittelalters immer mehr Menschen in die Städte.

Die demographischen Untersuchungen ergaben also, dass es sich bei der Friedhofspopulation von Unterigling, trotz eines erheblichen Kleinkinderdefizits, um einen repräsentativen Bevölkerungsausschnitt handelte.