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2 Material und Methoden

2.3 Olfactory Recognition, Naming, and Interpretation Test – Geruchstestung im

2.3.1 Struktur der olfaktorischen Testbatterie

Im Rahmen der GRAS-Studie wurde ein eigenes olfaktorisches Testinstrument er-stellt, nach seinen Bestandteilen benannt als Olfactory Recognition, Naming, and In-terpretation Test, ORNI (Kästner et al. 2013), siehe Anhang C. Die durch einen senso-rischen Reiz ausgelöste Geruchswahrnehmung wird hierbei in drei Ebenen gegliedert:

basales Erkennen eines olfaktorischen Stimulus sowie kognitive Weiterverarbeitung der Reizinformation durch eigenständiges Benennen und qualitatives Interpretieren.

In Abbildung 2 ist die entsprechend konzipierte Testbatterie, bestehend aus zehn Ge-ruchsproben, zu dem zu Grunde liegenden Modell olfaktorischer Wahrnehmung und -verarbeitung in Beziehung gesetzt.

Abbildung 2: Olfaktorische Konzeption des ORNI

Geruchswahrnehmung

Höhere olfaktorische

Kognition

Geruchsinterpretation (aktiv)

Geruchserkennung (passiv)

Geruchsbenennung (aktiv)

Sensorischer Reiz

Geruch 5 bis 10:

5. Ananas 6. Benzin 7. Minze 8. Rose 9. Erdgas 10. Lakritze

angenehm süß scharf technisch natürlich essbar gefährlich

?

Geruch 1 bis 4:

1. Zitrone 2. Flieder 3. Rauch

4. Farbverdünner

Die Gerüche 1 bis 4 – Zitrone, Flieder, Rauch, Farbverdünner – werden im Multip-le-Choice-Format präsentiert, siehe Tabelle 8. Es gilt, aus je vier Antwortmöglichkei-ten den präsentierAntwortmöglichkei-ten Duft korrekt zu wählen, ihn also wahrzunehmen bzw. wieder-zuerkennen, und richtig einzuordnen.

[35]

Tabelle 8: Geruch 1 bis 4: Multiple Choice

Duft 1 Duft 2 Duft 3 Duft 4

1. Zitrone Flieder-Parfum Gewürzgurke Rose

2. Schokolade Paprika Heu Schokolade

3. Bier Kokosnuss Rauch Whiskey

4. Pfeffer Motorenöl Pfirsich Farbverdünner

 richtig

 falsch  richtig

 falsch  richtig

 falsch  richtig

 falsch

Die Gerüche 5 bis 10 – Ananas, Benzin, Minze, Rose, Erdgas, Lakritze – werden in zweierlei Hinsicht bearbeitet. Es gilt, jeden Geruch mittels eines freien Textfelds ei-genständig zu benennen und anhand der vorgegebenen Eigenschaften – „angenehm“,

„süß“, „scharf“, „technisch“, „natürlich“, „essbar“ und „gefährlich“ – qualitativ zu be-werten, also zu interpretieren. Dargestellt ist dies in Tabelle 9.

Das ursprünglich im ORNI abgefragte Einzelitem „bekannt“, siehe Anhang C, wird in der Auswertung nicht berücksichtigt. Der Parameter ist als Maß für subjektiv emp-fundene Vertrautheit für die vorliegende Arbeit nicht von Relevanz, zumal die Prü-fung olfaktorischen Erkennens, siehe Kapitel 2.3.3.1, die Vertrautheit olfaktorischer Stimuli differenzierter abbildet.

Über das basale Erkennen hinaus erfolgt in Form von Benennen und Interpretie-ren eine aktive Verarbeitung des wahrgenommenen Geruchs. Beide Schritte werden als „höhere olfaktorische Kognition“ zusammengefasst.

Tabelle 9: Geruch 5 bis 10: Freies Textfeld und binäre Matrix Bitte beschreiben Sie diesen Duftstoff:

Dieser Duftstoff ist ja nein

angenehm  

süß  

scharf  

technisch  

natürlich  

essbar  

gefährlich  

Bitte benennen Sie den Geruch:

___________________________________________________

Die Konzeption des ersten Teils, Geruch 1 bis 4, ist an den UPSIT (Doty et al.

1984a) angelehnt. Dieser in der klinischen Forschung wohl gängigste Olfaktionstest misst die individuelle Fähigkeit, Gerüche zu erkennen, siehe Kapitel 1.3.1.1. Er be-steht aus 40 genormten, alltagsnah gewählten Duftnoten, präsentiert im MC-Format

[36]

mit jeweils vier Auswahlmöglichkeiten. Die mittels Mikrokapseln in Aufkleber einge-betteten Geruchspartikel (Matson 1970) werden bei mechanischer Bearbeitung ihrer Oberfläche – „scratch’n sniff“ (Doty et al. 1984a) – freigesetzt.

Für die beiden weiteren Ebenen des ORNI existieren keine vergleichbaren Vorbil-der. Einzelne der das olfaktorische Interpretationsprofil ergebenden Qualitäten wie Vertrautheitsgrad, Genießbarkeit oder hedonisches Empfinden wurden im Vorfeld be-reits verwendet, siehe Kapitel 1.3.1.2 und Tabelle 5, im ORNI aber erstmals zusam-mengeführt und um weitere Qualitäten ergänzt.

Alle zehn olfaktorischen Stimuli sind dem UPSIT entnommen, ausgewählt nach ihrer Vertrautheit im europäischen Kontext sowie der Repräsentanz unterschiedli-cher psychologisunterschiedli-cher Qualitäten. Mit der Wahl von Farbverdünner als viertem und Minze als siebtem Geruch erfolgt auch der Einschluss trigeminaler Reizstoffe, siehe Kapitel 1.2.2.

2.3.2 Praktische Durchführung des ORNI

Die Untersuchungsdauer des ORNI beträgt bei gesunden ProbandInnen gut zehn Minuten, kann sich aber je nach Verfassung und Belastbarkeit der Testperson auch verlängern. Die Versuchsleitung führt unter standardisierten Bedingungen durch den Geruchstest: In fester Reihenfolge präsentiert, werden die Duftstoffe mittels Reibung freigesetzt. Die erforderliche trockene Lagerung sowie der Verbrauch innerhalb der Mindesthaltbarkeit von zwei Jahren (Doty und Agrawal 1989) sind gewährleistet.

2.3.3 Auswertung des ORNI: Olfaktorische Ebenenscores

Neben einer deskriptiven Darstellung werden aus den Einzelergebnissen drei Scores gebildet, die als intervallskalierte Variablen die in Abbildung 2 vorgestellten Ebenen der Geruchswahrnehmung widerspiegeln. Für eine unverfälschte Wiedergabe der olfaktorischen Leistungen werden bei der Berechnung der Scores im Einzelfall fehlende einzelne Geruchsitems berücksichtigt, indem die Anzahl der erzielten Punk-te jeweils auf die Anzahl der real erhobenen IPunk-tems bezogen wird. In der deskriptiven Darstellung sind die fehlenden Ergebniswerte als solche aufgeführt.

2.3.3.1 Olfaktorisches Erkennen

Für jeden richtig erkannten der ersten vier Gerüche erhalten die ProbandInnen ei-nen Punkt. Die erreichte Anzahl, maximal also vier Punkte, wird auf die Zahl der er-hobenen Gerüche, im Normalfall auch vier, bezogen; so wird die Anteiligkeit der rich-tig benannten an den erfragten Gerüchen auf einer Skala von 0 bis 1 dargestellt.

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2.3.3.2 Olfaktorisches Benennen

Die ProbandInnen bekommen für jeden eindeutig richtig benannten Geruch drei Punkte und für jeden in seinen richtigen Kontext eingeordneten Geruch einen Punkt.

Letzteres gilt zum Beispiel für

 „Frucht“ bei Geruch 5 (Ananas) als übergeordneten Sammelbegriff,

 „Werkstatt“ bei Geruch 6 (Benzin) als zugehöriges Umfeld,

 „Lebkuchengewürz“ bei Geruch 10 (Lakritze) wegen gemeinsamer charakteris-tischer Inhaltsstoffe (in diesem Falle Anis) und

 diverse Produkt- oder Markennamen mit entsprechend nachgeprüften Inhalts-stoffen – bei Geruch 8 (Rose) beispielsweise aus dem Kosmetikbereich.

Die abgestufte Punktevergabe trägt dem Umstand Rechnung, dass die präzise ol-faktorische Benennung als deutlich schwieriger anzusehen ist und offenkundig in hö-herem Grade eine selbständige geistige Leistung erfordert als die kategoriale. Insge-samt können so bei sechs Gerüchen maximal 18 Punkte erreicht werden.

2.3.3.3 Olfaktorisches Interpretieren

Für jeden olfaktorischen Stimulus wurde im Vorfeld ein dem durchschnittlich erwartbaren Empfinden entsprechendes qualitatives Profil definiert. Dargestellt ist dies in Abbildung 3. Die Duftnoten sind jeweils durch eine individuelle Kombination der sieben genannten Qualitäten charakterisiert.

Abbildung 3: Qualitatives Profil der Gerüche 6 bis 10

angenehm

Für jede mit dem vorgegebenen Profil übereinstimmende Einschätzung der Teil-nehmerInnen wird ein Punkt vergeben; entsprechend sind maximal sieben Punkte für jeden der sechs Gerüche, insgesamt also 42 Punkte, erreichbar. Die real erzielte

[38]

Punktzahl wird auf die Gesamtzahl der erhobenen qualitativen Einzelitems, im Nor-malfall ebenfalls 42, bezogen. Wir veranschaulichen also erneut die Anteiligkeit der richtig interpretierten an den erfragten qualitativen Items; so werden die aufsum-mierten Einzelgerüche 5 bis 10 und die aufsumaufsum-mierten Einzelqualitäten über die Ge-rüche 5 bis 10 hinweg in zwei Subskalen von 0 bis 1 mittels dezimaler Abstufungen gezeigt. Die Ebenenskala stellt dann die aufsummierte Interpretationsleistung aller sechs Gerüche entsprechend von 0 bis 6 dar.

Basierend auf diesem Ebenenscore werden im Laufe der Arbeit zwei Extremgrup-pen gebildet: SZ mit olfaktorischen Interpretationsergebnissen oberhalb der 90. Per-zentile werden als High Olfactory Interpretation Performers (HIP n=107) den unter-halb der 10. Perzentile als Low Olfactory Interpretation Performers (LIP n=104) ran-gierenden SZ gegenübergestellt. Der Vergleich der Extremgruppen gestattet im Rah-men der unmittelbaren Gegenüberstellung schizophrener PatientInnen eine nähere Betrachtung und Bewertung klinischer Aspekte sowie ihre mögliche Einflussnahme auf die olfaktorische Wahrnehmung. Dies ermöglicht eine differenziertere Betrach-tung der heterogenen Symptomatik. Der Ansatz trägt somit auch dem Postulat biolo-gisch begründbarer Subgruppen, siehe Kapitel 2.1, Rechnung.

Abbildung 4: Schizophrene ORNI-TeilnehmerInnen mit Extremgruppen

SZ N=1008, HIP n=107, LIP n=104

2.3.4 Potentielle Einflussfaktoren auf Geruchswahrnehmung

Als mögliche Einflüsse auf die zu beurteilenden olfaktorischen Fähigkeiten von SZ und HC werden, gemäß der in Kapitel 1.2.4 vorgestellten Forschungslage,

 Alter,

 Geschlecht,

 Rauchverhalten und täglichem Zigarettenkonsum sowie

 kognitiven Fähigkeiten der Testpersonen 11%

10%

79%

HIP (n=107) LIP (n=104)

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im Folgenden eine besondere Bedeutung beigemessen. Die entsprechenden Variablen sind im Falle von Rauchverhalten und Geschlecht (dichotom) nominalskaliert, bzw.

im Fall von Alter, täglichem Zigarettenkonsum und Ergebnissen der kognitiven Leis-tungstests MWT-B (Lehrl 1999) und LPS3 (Horn 1983) intervallskaliert.

Des Weiteren vermuten wir, wie ebenfalls bereits erläutert, eine Beeinträchtigung der olfaktorischen Fähigkeiten im Rahmen des schizophrenen Krankheitsgeschehens.

Diese These überprüfen wir im Extremgruppenvergleich, s. Kapitel 2.3.3.3 und Abbil-dung 4, und betrachten mögliche krankheitsspezifische Einflüsse in Form intervall-skalierter Variablen:

 Krankheitsdauer (Moberg et al. 1997; Moberg et al. 2006) als zeitliche Differenz zwischen dokumentiertem Krankheitsbeginn und Durchführung der GRAS-Untersuchung zur Beurteilung der Krankheitsdynamik im zeitlichen Verlauf

 iatrogene Einflussnahme durch Dosierung antipsychotischer Medikation in Chlorpromazin-Äquivalenten (Szuszies 2011)

 repräsentative psychopathologische Befunde in Form von PANSS-Gesamtscore, PANSS-Subkalen (Positiv-, Negativsymptomatik, allgemeine Psychopathologie) und Einzelitems Wahn, Halluzination und Depressivität (Kay et al. 1987)

 typische neurologische Befunde, erhoben mittels CNI (Chen et al. 1995)