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Nichtreflexivität und logische Form

Insbesondere darf in »der logischen Syntax [...] nie die Bedeutung eine Rolle spielen.«71 Wittgenstein kommt auf den großen Fehler Russells in seiner Theory of types zurück: Der Irrtum »zeigt sich darin, dass er bei der Aufstellung der Zeichenregeln von der

Be-deutung der Zeichen reden musste.«72 Das Problem, mit welchem sich Russell beschäftigt, ist, dass kein »Satz etwas über sich selbst aussagen [kann, FG], weil das Satzzeichen nicht in sich selbst ent-halten sein kann.«73 Dabei löst sich die Problematik auf, wenn man sich aus dem zwanghaften Festhalten am ›Sagen‹, von der Konzentration auf den Ausdruck befreit und sich ernsthaft dem Zeichen zuwendet. Der Selbstbezug führt nur so lange in ein Paradox, wie man das Bedingte auf seine eigenen Bedingungen beziehen will. Sobald es das Ziel ist, die Möglichkeit, ›Sagen‹ zu können, zu sagen, kommt es notwendig zu einer Petitio principii.

Man kann sie in Russellscher Manier umgehen, auf Ad-hoc-Bedingungen zurückgreifen, welche nur bestimmte Elemente für bestimmte Operationen zulassen wollen. Auflösen aber kann man das Paradox nur, wenn man bereit ist, den Selbstbezug auf einer anderen Ebene der Sprache, nicht sagend und also nichtreflexiv zu denken, besser, zu sehen. Wittgensteins Bildtheorie der Sprache erlangt gerade hier ihre volle Bedeutung. Die Form der Abbil-dung, über welche es gelingt, Welt zu beschreiben, liegt in der Anordnung der Elemente. Ein Satz kann die gesamte Wirklichkeit darstellen, weil er mit ihr die Struktur gemein hat.74 Sie selbst aber kann er nicht greifen: »Um die logische Form darstellen zu kön-nen, müssten wir uns mit dem Satze außerhalb der Logik aufstel-len können, das heißt außerhalb der Welt.«75 Allerdings ist die lo-gische Form als Konfiguration im lolo-gischen Raum wahrnehmbar.

Man kann sie sehen, indem man die Aufmerksamkeit von der Darstellung abzieht, sie auf die Zeichen selbst, nicht auf deren Be-deutung hin lenkt. Was sich da zeigt, sagen zu wollen, führt zum paradoxalen Sprechen. »Was sich in der Sprache ausdrückt, kön-nenwir nicht durch sie ausdrücken.«76 Es bedürfte des göttlichen Standpunkts, um das zu vermögen. Der Mensch aber beschreibt die Welt, indem er sich Sätze als ihre Bilder konstruiert, deren ab-bildende Beziehung sich nicht selbst abbilden kann, und doch in ihnen präsent ist: »Der Satz zeigt die logische Form der Wirklich-keit. Er weist sie auf.«77

Das übersieht Russell in seiner Analyse. Bei ihm denotieren die logischen Konstanten die Form des Komplexes.78 Eine solche Denotation aber kann es nach oben Gesagtem nicht geben. Logi-sche Konstanten existieren nicht. Das Beispiel der Negation macht dies klar: Erklärt man, wie Russell, Wahrheit über Bekanntschaft, bedeuten Sätze wahre Komplexe, so wird die Bedeutung eines

negierten falschen Satzes zum Problem: Er ist durch die Negation schließlich wahr. Wir verstehen ihn jedoch nicht anders als einen positiven Satz. Damit aber sind wir letztlich gezwungen, die Be-kanntschaft mit negativen Tatsachen zu postulieren. Das hält Wittgenstein für absurd. »Jeder Satz kann verneint werden. Und dies zeigt, dass für alle Sätze ›Wahr‹ und ›Falsch‹ dasselbe bedeu-ten. (Dies ist von allerhöchster Wichtigkeit.) (Im Gegensatz zu Russell.)«79 Weder entsprechen Sätze Komplexen noch sind sie als Namen aufzufassen, wie Frege das tut. Sätze haben als Konfigura-tionen im logischen Raum zwar Sinn, aber keine Bedeutung. Diese Erkenntnis führt nun zum ›Grundgedanken‹ des Tractatus, dass logische Konstanten nicht vertreten, dass »sich die Logik der Tat-sachen nicht vertreten lässt.«80 Wie die möglichen Verbindungen mit den Puzzle-Teilen bereits gegeben sind, so ist eben auch der logische Raum gleichursprünglich mit den Gegenständen, fügen sich Sätze als Kombinationen der Gegenstände vertretenden Na-men notwendig zur logischen Form.81 »Ebenso wie ein Pfeil durch Gleich- oder Gegensinnigkeit in einem Verhältnis zu einem ande-ren steht, so verhält sich die Tatsache zum Satz.«82 Sätze sind wie Pfeile somit nicht dadurch, dass sie über sich hinaus auf etwas weisen, was sich hinter ihrer Spitze als Bedeutung befindet. Viel-mehr sind sie wie Pfeile durch ihre Gerichtetheit. Die Verbindung zur Tatsache ist allein darin zu finden, dass diese als weitere Kon-figuration im logischen Raum eben auch Gerichtetheit aufweist.

Diese Verbindung ist nicht mehr über Bedeutung zu fassen. Sie lässt sich ausschließlich sehen, im nichtreflexiven, rein visuellen Abgleich. Dies nicht ausreichend ernst zu nehmen, bedeutet, sich zwangsläufig im Paradox zu verfangen. Erst im tatsächlichen Rückgang auf das sinnlich wahrnehmbare Zeichen83 liegt also auch die Lösung der Russellschen Antinomie. Die von Wittgen-stein geforderte neue, rein logische Zeichensprache ist nicht nur ein Mittel zum Zweck, sie selbst ist die Lösung:

Eine Funktion kann darum nicht ihr eigenes Argument sein, weil das Funktionszeichen bereits das Urbild seines Arguments enthält und es sich nicht selbst enthalten kann.

Nehmen wir nämlich an, die Funktion F(fx) könnte ihr eigenes Argu-ment sein; dann gäbe es also einen Satz: ›F(F(fx))‹ und in diesem müs-sen die äußere und die innere Funktion F verschiedene Bedeutungen haben, denn die innere hat die Form ϕ(fx), die äußere die Form ψ(ϕ(fx)).

Gemeinsam ist den beiden Funktionen nur der Buchstabe ›F‹, der aber allein nichts bezeichnet.

Dies wird sofort klar, wenn wir statt ›F(Fu)‹ schreiben ›(∃ϕ) : F(ϕu) . ϕu

= Fu‹.

Hiermit erledigt sich Russells Paradox.84