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Nicht medikamentöse Verfahren zur Prophylaxe und psychologische Verfahren

9.1 Nicht medikamentöse Verfah-ren zur Migräneprophylaxe Akupunktur

Empfehlungen

Akupunktur kann zur Prophylaxe der Migräne eingesetzt werden bei Patien-ten, die eine medikamentöse Prophyla-xe ablehnen oder nicht vertragen.

Die Überlegenheit einer klassischen Akupunktur gegenüber einer Schein -akupunktur ist minimal.

Akupunktur nach den Prinzipien der Tra-ditionellen Chinesischen Medizin ist in der

Prophylaxe der Migräne wirksam. In einer aktuellen Cochrane-Analyse (410) wurde bei Patienten mit episodischer Migräne eine Wirkung im Vergleich zu eieiner Schein -akupunktur ausgewiesen; diese ist aller-dings klein.

In dieser Arbeit konnten 224 randomi-siert-kontrollierte Studien (4 985 Patienten) mit einer minimalen Nachbeobachtungs-zeit von 8 Wochen eingeschlossen werden.

In 5 Studien wurde dabei eine Akupunk-turbehandlung (unter Berücksichtigung der Prinzipien aus der Traditionellen Chi-nesischen Medizin) mit keiner Akupunk-tur (nur Akutbehandlung/nicht regulierte Routinebehandlung), in 15 weiteren

Studi-en mit einer Scheinakupunktur und in 5 Studien mit einer etablierten medikamen-tösen Prophylaxe verglichen. Die Autoren der Cochrane-Analyse kommen zu folgen-den Aussagen:

Es besteht geringe Evidenz, dass Aku-punktur einen zusätzlichen Nutzen in der Prophylaxe der episodischen Migräne er-bringt. Weiterhin ergeben sich neuerdings Hinweise, dass klassische Akupunktur ei-ner Scheinakupunktur marginal überlegen ist. Dies konnte in der ursprünglichen Cochrane-Analyse noch nicht ausgewiesen werden (411). Akupunktur kann als min-destens so wirksam angesehen werden wie medikamentöse Prophylaxe.

Studien zum Einsatz der Akupunktur bei Patienten mit chronischer Migräne ste-hen mit einer Ausnahme aus (412). Vergli-chen mit Topiramat (mittlere Erhaltungs-dosis 84 mg/d), konnte eine signifikant hö-here mittlere Reduktion der monatlichen Tage mit mäßigen bis schweren Kopf-schmerzen (10,4 vs. 7,8) bei geringeren Ne-benwirkungen (6% vs. 66%) nachgewiesen werden. Daneben wurden nur Studien mit dem Einschlusskriterium chronischer tägli-cher Kopfschmerz publiziert. Diese unter-suchten aber neben chronischer Migräne auch chronischen Kopfschmerz vom Span-nungstyp und wahrscheinlichen Kopf-schmerz bei Medikamentenübergebrauch, sodass eindeutige Aussagen allein über die chronische Migräne nicht gemacht werden können (413, 414).

In einer Übersichtsarbeit zu dem Effekt einer Scheinakupunktur (Akupunktur an nicht klassischen Akupunkturpunkten bzw.

nur oberflächliche Nadelung ohne zusätzli-che Stimulation) kamen die Autoren zu dem Schluss, dass der ausgeprägte unspezi-fische Effekt, der in den Scheinakupunk-tur-Untersuchungen zu beobachten ist, es schwierig macht, einen relativ kleinen spe-zifischen zusätzlichen Effekt bei der klassi-schen Akupunktur zu erkennen (415).

Piercing Empfehlung

Piercings sind in der Migräneprophyla-xe nicht wirksam.

Neuerdings finden sich im Internet (z. B.

bei Facebook) zahlreiche Links, in denen

„Daith Piercings“ zur Therapie der Migrä-ne angepriesen werden. Das Piercing wird im Bereich des Ohrknorpels gesetzt, der vergleichbar ist mit einem der zur Migrä-nebehandlung verwendeten Akupunktur-punkte. Das Verfahren beruht auf keiner nachvollziehbaren pathophysiologischen Grundlage; aussagekräftige randomisiert-kontrollierte Studien sind nicht verfügbar.

Von daher lassen sich keine Aussagen hin-sichtlich der Wirkung treffen. Aufgrund möglicher gesundheitlicher Risiken ist bei der aktuellen Datenlage von der Anwen-dung von Ohrpiercings in der Migränebe-handlung abzuraten.

Homöopathie

Empfehlung

Die Homöopathie ist in der Migräne-prophylaxe nicht wirksam.

In randomisierten placebokontrollierten Studien fanden sich teilweise sogar negati-ve Ergebnisse (416–419).

Ausdauersport Empfehlung

Regelmäßiger aerober Ausdauersport kann nach den vorliegenden Daten empfohlen werden.

Regelmäßiger Ausdauersport wird zur Pro-phylaxe der Migräne häufig empfohlen und ist in den meisten multimodalen The-rapieprogrammen für Kopfschmerzpatien-ten enthalKopfschmerzpatien-ten. Unklar ist, ob Ausdauersport eher unspezifische Effekte erzielt, also „ein alternatives Entspannungsverfahren“ dar-stellt, oder ob es tatsächlich spezifische Ef-fekte sind, die durch eine Verbesserung der physischen Leistungsfähigkeit erreicht wer-den. Weitere Effekte könnten durch eine mit dem Sport erreichte Gewichtsredukti-on erzielt werden, da Adipositas mit einer höheren Kopfschmerzfrequenz einherzu-gehen scheint (420). Diese Fragen sind von entscheidender Bedeutung, um Aussagen über die empfohlene Trainingsfrequenz, Trainingsdauer und Trainingsintensität zur Migräneprophylaxe machen zu können.

Eine Übersicht über die bis 2008 publizier-ten Studien kam zu dem Schluss, dass es ei-ne Reihe von Studien gibt, die für eiei-ne mögliche Effektivität von Sport in der Mi-gräneprophylaxe sprechen, jedoch keine der Studien ausreichend groß ist, um tat-sächlich statistisch den Beleg der Wirksam-keit zu erbringen (421). Zu ähnlichen Er-gebnissen kommt eine neuere Übersichts-arbeit; die Ergebnisse sind vielverspre-chend, allerdings wurde der individuelle spezifische Beitrag bislang nicht untersucht (422). Eine Pilotstudie zeigte positive Ef-fekte von Ausdauersport auf die Migräne-häufigkeit (423). Overath et al. (424) konn-ten in einer Prä-post-Studie mit 33 Patien-ten zeigen, dass ein aerobes

Ausdauertrai-ning über einen Zeitraum von 10 Wochen sowohl die klinische Symptomatik (Anzahl der Migränetage pro Monat) als auch Be-reiche der exekutiven Funktionen sowie Amplituden und Habituation der contin-gent negative variation (CNV) gebessert bzw. normalisiert haben. Regelmäßiger Ausdauersport wurde in einer 3-armigen Studie mit der Wirkung von Topiramat bis zur individuell tolerierten Höchstdosis so-wie einem Entspannungstraining vergli-chen. Es zeigte sich keine signifikante Dif-ferenz zwischen den Therapiearmen, je-doch reduzierte sich die Zahl der Kopf-schmerzattacken in allen 3 Armen nur um weniger als eine Attacke im Monat. Neben-wirkungen wurden nur aus dem Behand-lungsarm mit Topiramat berichtet (425).

9.2 Psychologische Therapie der Migräne

Empfehlungen

Die medikamentöse Therapie soll durch nicht medikamentöse Verfahren der Verhaltenstherapie (z. B. Entspannungs-verfahren, kognitive Verhaltensthera-pie, Biofeedback) ergänzt werden.

Zusätzlich zur medikamentösen Thera-pie oder alternativ (unter bestimmten Bedingungen) kann auch eine Verhal-tenstherapie als Prophylaxe durchge-führt werden.

Bei Patienten mit einer hochfrequenten Migräne sowie erheblicher Einschrän-kung der Lebensqualität sollten Verfah-ren der psychologischen Schmerzthera-pie (Schmerzbewältigung, Stressmana-gement, Entspannungsverfahren) ein-gesetzt werden.

Migräne gilt heute nicht mehr als psycho-somatische Erkrankung, und auch das Mo-dell einer Migränepersönlichkeit konnte in sorgfältig angelegten Studien nicht nachge-wiesen werden (426). Dem heute gültigen multidimensionalen Ätiopathogenesemo-dell liegt die Annahme zugrunde, dass es genetische, psychosoziale, physiologische und biochemische Prädispositionen gibt, die sich in Verbindung mit einer dysfunk-tionalen habituellen Stressverarbeitung zu einer Migräne auswirken und deren le-bensgeschichtlichen Verlauf beeinflussen

können (427). Insbesondere scheint die einzelne Migräneattacke durch schnellen und intensiven Wechsel von Erregungszu-ständen des Betroffenen ausgelöst werden zu können (z. B. Schlaf, Mahlzeiten, An-spannung, zu schnelle Entspannung) und ein „ausbalancierter Lebensstil“ einen posi-tiven Effekt auf die Attackenfrequenz zu haben (428, 429). Folgt man diesem Mo-dell, dann ist die Migräne durch psycholo-gische Strategien zur Modifikation der Le-bensführung beeinflussbar.

Unter den psychotherapeutischen Ver-fahren ist die Verhaltenstherapie (VT) am ehesten geeignet, diese Aufgaben wahrzu-nehmen und eine Kombinierbarkeit mit medizinischen Maßnahmen einzugehen (multimodaler/multidisziplinärer Ansatz (429, 430)), sodass der Schwerpunkt der Therapieevaluation auch in diesem Bereich liegt. Psychodynamische und andere Schu-len sind bisher den Nachweis der verfah-rensspezifischen Wirksamkeit in der Pro-phylaxe der Migräne schuldig geblieben.

VT-Interventionen betonen Maßnahmen zur Prävention der Migräne im Sinne einer Reduzierung der Attackenfrequenz und der kopfschmerzbezogenen affektiven so-wie behavioralen Beeinträchtigung. VT-In-terventionen vermitteln dem Patienten Fä-higkeiten und Fertigkeiten, den Verlauf der Migräne durch die Modifikation persönli-cher Umweltfaktoren zu beeinflussen. Die wichtigsten VT-Interventionen (429, 431) können in 4 Kategorien eingeteilt werden:

Entspannungstraining,

Biofeedback-Therapie,

kognitive Verhaltenstherapie bzw.

Stressmanagement,

Kombination von medizinischen und VT-Maßnahmen.

Die Indikation für eine psychologische Be-handlung orientiert sich an der Indikation für eine pharmakologische Prophylaxe (432). Danach kommen Patienten mit ei-ner häufigen Migräne (ca. 3–4% der deut-schen Bevölkerung) für eine psychologi-sche Behandlung infrage.

Formal können psychologische Verfah-ren in einfache (Biofeedback, Entspan-nung) oder kombinierte (kognitiv-verhal-tenstherapeutische) Verfahren unterteilt werden. Kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren (KVT) sind insbesondere

indi-ziert bei Patienten mit chronischen Kopf-schmerzen, da diese in der Regel unter ei-ner hohen Komorbidität leiden. Folgende Gründe begünstigen das Anwenden nicht medikamentöser Verfahren (z. B. Andrasik (433)):

Nicht pharmakologische Behandlung wird bevorzugt.

Pharmakologische Behandlung wird schlecht toleriert.

Medizinische Kontraindikationen für pharmakologische Behandlung.

Ungenügendes oder kein Ansprechen auf pharmakologische Behandlung.

Schwangerschaft oder Stillzeit.

Hochfrequenter Gebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln.

Beträchtliche Stressexposition und ge-ringe Fähigkeiten zur Stressbewälti-gung.

KVT-Verfahren liegen für Migränepatien-ten in gut ausgearbeiteMigränepatien-ten standardisierMigränepatien-ten Programmen vor und lassen sich zeit- und kostenökonomisch durchführen. Sie sind in der Gruppendurchführung genauso wirksam wie in der Einzeldurchführung (429, 434). Sie enthalten meist auch ein Modul mit einer Entspannungstechnik (Biofeedback wird meist nicht in Kombina-tion angeboten). Die häufigsten KVT-Be-handlungsformate sind:

Vollstationäre multimodale Schmerz-therapie entsprechend den Eingangskri-terien und Strukturvorgaben des OPS-Codes 8–918 (fachübergreifende Diag-nostik und Therapie, obligatorisch sind dabei psychologische Verfahren).

Stationäre Behandlung in Spezialklini-ken (meist 6–12 wöchentliche Sitzun-gen; 60–120 Minuten) (435).

Minimaler Kontakt (sog. minimal con-tact; meist 4–6 wöchentliche Sitzungen;

60–120 Minuten; Life-Style-Modifikati-on) (436).

Tagesklinische Behandlung (wie „mini-mal contact“, nur kompakt meist in ei-ner Woche; siehe auch Migränebehand-lung in der integrierten Versorgung) (437–439).

Häusliche Eigenbehandlung (meist ca. 8 Wochen Dauer; regelmäßige telefoni-sche Supervision; Audio- und andere Arbeitsmaterialien bzw. computerge-steuerte Eigenbehandlung) (440, 441).

Internetbasierte Behandlung (meist ca.

6 Wochen Entspannung und Problem-lösung; E-Mail-gestützt) (429, 442–444).

Die verhaltenstherapeutischen Verfahren (Entspannung, Biofeedack, kognitive Ver-haltenstherapie) unterscheiden sich unter-einander kaum in ihrer Wirksamkeit (445, 446). Neuere Übersichtsarbeiten weisen auch auf eine große Heterogenität der Stu-dien und kleinere Effektstärken hin und führen methodische Einschränkungen (z. B. kleine Gruppen, fehlende Randomi-sierung) an (447).

Biofeedback Empfehlungen

Die Biofeedbacktherapie weist in der Prophylaxe der Migräne eine hohe Ef-fektivität auf und kann als Alternative zur medikamentösen Prophylaxe einge-setzt werden.

Zur Behandlung der akuten Attacke eignet sich das Vasokonstriktionstrai-ning.

Biofeedback ist eine therapeutische Inter-vention zur Konditionierung physiologi-scher, insbesondere autonomer Funktio-nen. Als Wirkmechanismen des Biofeed-backs werden die Kontrolle physiologischer Funktionen (spezifisch) und die Überzeu-gung einer Symptomkontrolle (unspezi-fisch) diskutiert. In einer Metaanalyse wur-den an die 100 klinische Studien miteinbe-zogen. Die gewichteten mittleren Effekt-größen liegen bei der Prophylaxe eines Mi-gräneanfalls zwischen 0,4 und 0,6 (für die Anwendung von EEG-Biofeedback, Haut-temperatur-Biofeedback, EMG-Biofeed-back oder die Kombination aus Tempera-tur- und EMG-Biofeedback) und bei der Akutbehandlung durch Blutvolumenpuls-Biofeedback („Vasokonstriktionstraining“) bei 0,7 (448, 449). Somit kommen Meta -analysen übereinstimmend zu der Ein-schätzung, dass sowohl Entspannungsver-fahren (meist die progressive Muskelrela-xation nach Jacobson) als auch verschiede-ne Biofeedback-Verfahren im Mittel eiverschiede-ne Reduktion der Migränehäufigkeit um 35–45% erreichen (445, 448, 450). Die Ef-fektstärke dieser Verfahren liegt damit in

dem Bereich, der für Propranolol angege-ben wird (193, 429).

Entspannung Empfehlung

Entspannungsverfahren werden zur Prophylaxe der Migräne empfohlen.

Durch Entspannungsverfahren soll das all-gemeine Aktivierungsniveau reduziert werden. Hintergrund ist, dass neben einer allgemeinen entspannenden Wirkung auch eine zentrale Dämpfung der Informations-verarbeitung erreicht werden soll (451).

Entspannung bewirkt jedoch nicht nur ei-ne Verminderung von Hypervigilanz und Aufmerksamkeit. Durch Entspannung werden auch Angstzustände reduziert, was wiederum die Schmerztoleranz erhöht und zumindest den subjektiven Schmerzbericht reduziert. Den Entspannungsverfahren wird häufig eine präventive Funktion zur Verhinderung von Schmerzen zugespro-chen; Patienten berichten jedoch auch über abortive Eigenschaften der Entspannung im akuten Schmerzzustand. Das Verfahren der progressiven Muskelrelaxation (PMR) besteht in einer schrittweisen An- und Ent-spannung verschiedener Muskelgruppen.

Es ist darauf zu achten, dass regelmäßig und nicht etwa nur schmerzkontingent ge-übt wird und dass ein Transfer in den All-tag erfolgt. Hypnose scheint in ihrer Wir-kung mit anderen Entspannungsverfahren vergleichbar zu sein (452).

Unter den Entspannungsverfahren ist die PMR für Ungeübte dem autogenen Training überlegen, weil sich Erfolge schneller einstellen und somit die Motivati-on hoch bleibt. Es gibt wenige Studien, die explizit den Einsatz von PMR bei Migräne untersuchen. Trautmann und Kröner-Her-wig setzten unter anderem PMR zur Be-handlung von Kopfschmerzen bei Kindern ein (444). Sie fanden signifikante Effekte, die sich bei der Follow-up-Erhebung noch weiter steigerten. Allerdings wurde hier nicht zwischen verschiedenen Kopf-schmerzarten differenziert, was die Aussa-gekraft einschränkt. Ähnlich wie Biofeed-back erreichen Entspannungsverfahren (meist PMR) im Mittel eine Reduktion der Migränehäufigkeit um 35–45% (453, 454)

und liegen damit in dem Bereich, der für Propranolol angegeben wird. Die Thera-pieverfahren werden in der Migränebe-handlung sowohl schmerzspezifisch (z. B.

bei der PMR) als auch schmerzunspezi-fisch angewandt. Neben der klinischen Wirksamkeit kann auch eine Änderung der kortikalen Aufmerksamkeitszuwendung bei der Messung der kontingenten negati-ven Variation (contingent negative variati-on, CNV) nachgewiesen werden. Die zuvor erhöhte CNV normalisiert sich bei regel-mäßiger Anwendung der PMR bei Migrä-nepatienten (455).

Kognitive Verhaltenstherapie Empfehlung

Kognitive Verhaltenstherapie wird zur Prophylaxe der Migräne empfohlen.

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) umfasst kognitiv-behaviorale Behand-lungsstrategien, die im Wesentlichen die Selbstwirksamkeit und die Kontrollüber-zeugungen des Patienten verbessern sollen (456). Verhaltenstherapeutische Strategien versorgen den Patienten mit Techniken zur Analyse und Verbesserung des eigenen Umgangs mit Stressereignissen und kön-nen Erwartungshaltungen verändern (457). KVT-Verfahren liegen für Migräne-patienten in gut ausgearbeiteten standardi-sierten Programmen vor und lassen sich ökonomisch sowohl als Einzel- als auch als Gruppentherapie mit gleicher Wirksamkeit durchführen (434, 439). Die KVT umfasst im Wesentlichen folgende Bausteine:

Psy-choedukation, Verbesserung der Selbst-wahrnehmung, Modifikation schmerzbe-zogener Kognitionen, Modifikation sozia-ler Beeinträchtigung, Modifikation migrä-nespezifischer dysfunktionaler Lebensstile (ausführliche Beschreibung der Behand-lungsmodule bei Fritsche et al. (458)). Ver-besserungen bleiben bis zu 5 Jahre erhalten.

Angaben zur differenziellen Wirksamkeit einzelner verhaltenstherapeutischer Ver-fahren – insbesondere der KVT – sind der

Tabelle 6 zu entnehmen.

Die Wirksamkeit psychologischer Therapie bei Migräne wird in mehreren Übersichts-arbeiten belegt (451). Studien nach 2000 sind meist Beobachtungsstudien zur psy-chologischen Behandlung des Kopf-schmerzes bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln bei Migräne (460), Überprüfung additiver Effekte bei der Kombination Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie (461), Behandlung von Komorbiditäten (462), Erfolgsprädiktoren-suche (463), Überprüfung kosteneffektiver Applikationen unter Einsatz neuer Medien (464), Selbsthilfe durch Migränepatienten (465), Verhaltenstherapie bei Kindern mit Migräne (466) und vor allem zur multidis-ziplinären Behandlung (437).

Therapieverfahren

Progressive Muskelrelaxation (PMR) thermales Finger-Biofeedback (tBFB) PMR + tBFB

muskulärer BFB (EMG-BFB) kognitive Verhaltenstherapie (KVT) KVT + tBFB

Placebo-Gabe keine Behandlung Prophylaxe mit Propranolol

Verbesserung der Mi-gräneaktivität (%) 41

30 33 51 39 38 9 5 44

Effekt-stärke 0,55 0,38 0,40 0,77 0,54 0,37 0,16 0

Tab. 6 Differenzielle Besserung (in Prozent und Effektstärke) der Migräneaktivität durch verhaltenstherapeuti-sche Behandlungsver-fahren (445, 459)

Kombinierte pharmakologische und psychologische Therapie

Empfehlung

Die medikamentöse Therapie soll durch nicht medikamentöse Verfahren der Verhaltenstherapie (z. B. Entspannungs-verfahren) ergänzt werden. Zusätzlich zur medikamentösen Therapie kann auch eine Verhaltenstherapie als Pro-phylaxe durchgeführt werden.

Grazzi et al. kombinierten verhaltensthera-peutische Strategien in 8 Sitzungen (davon 4 Sitzungen PMR nach Jacobson, ab der 5.

Sitzung zusätzlich EMG-Biofeedback) mit medikamentöser Prophylaxe bei Patienten mit transformierter Migräne bei Medika-mentenübergebrauch während einer statio-nären Medikamentenpause (467). Die neu-este und einzige placebokontrollierte Kom-binationsstudie zur Migräneprophylaxe verglich an insgesamt 232 Migränepatien-ten mit mindesMigränepatien-tens drei Migränetagen pro Monat die Wirkung des Betablockers

Pro-pranolol mit einem verhaltenstherapeuti-schen Programm (PMR, Triggeridentifizie-rung und -management, Stressmanage-ment, teilweise auch Temperaturfeedback) sowie mit einer Kombination beider The-rapien (461). Gleichzeitig wurde die medi-kamentöse Akuttherapie bei allen teilneh-menden Patienten optimiert. Nur die Kombinationstherapie führte zu einer Ver-besserung im Vergleich zu einer reinen Optimierung der Akuttherapie.

Internetbasierte Angebote und Smartphone-Applications

Empfehlung

Internetbasierte Angebote und Smartphone-Applications werden in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen und die Therapie der Migräne komplementär ergänzen. Von einer ge-nerellen Empfehlung muss trotz mögli-chen Potenzials zurzeit allerdings abge-sehen werden, da für viele der verfügba-ren Angebote weder Qualitätsstandards

noch aussagekräftige Evaluationsstudi-en vorliegEvaluationsstudi-en.

Internetbasierte Angebote, E-Mail-gestütz-te Behandlung, Telemedizin und Smartphone-Applications sind interessante und vielversprechende Therapieangebote, die z. T. schon ihren Einsatz in der Psycho-therapie fanden (429, 440–444). Zurzeit ist eine Vielfalt von kopfschmerzrelevanten Angeboten verfügbar (z. B. Kopfschmerz-tagebücher, Entspannungs-Apps), sodass ein umfassender, systematischer Überblick schwerfällt. Bemängelt werden bei vielen Angeboten eine mangelnde Qualitätssiche-rung (fehlende Standards und Regulie-rung) sowie ein mangelnder Einbezug von Kopfschmerzexperten und Patienten bei der Entwicklung. Es gibt eine Reihe von Forschungsprojekten, die aktuell an quali-tativ höherwertigen therapeutischen Ange-boten arbeiten, sodass in absehbarer Zeit aussagekräftige Evaluationsstudien vorlie-gen dürften. Den interessierten Leser ver-weisen wir auf aktuelle Übersichtsarbeiten zu diesem Thema (468–474).