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Die Neokratie, wie sie zuerst in den Katastrophen und im Nationalstaat entworfen wurde, ist auf den ersten Blick das Mo-dell einer fertigen politischen Ordnung. Sie war als Gegenmo-dell zur herkömmlichen Demokratie konzipiert, und daraus er-gab sich zunächst eine statische Gegenüberstellung zweier poli-tischer Systemkonzepte. Dieses Modell entstand, ohne dass ernsthaft die Frage gestellt worden wäre, mit welcher Dynamik Veränderungen der politischen Ordnung stattfinden könnten und welcher politischen Bewusstseinsentwicklungen es dafür bedürfte. Was hierbei ausgeblendet wurde, war unter anderem die Frage der künftigen politischen Phantasie. Es war auch die Frage, was die Bürger sich in einer neokratischen Welt an Sys-temveränderungen würden zumuten wollen.

Eine Idee wie diejenige der Neokratie lässt sich in Grundzü-gen rasch skizzieren, und dabei entsteht auch relativ rasch das Bild einer fiktiven politischen Welt, in der das Neokratiemodell im politischen Bewusstsein der Bürger verankert ist. Es entsteht auch das fiktive Bild eines glimpflichen Verlaufs der jüngeren Geschichte, vermiedener Kriege und Bürgerkriege, reflektierter politischer Integrationsprozesse und eines dauerhaft sinngeben-den Politikerlebnisses. Ein Bild davon, wie von der politischen Realität eine Brücke geschlagen werden könnte zu einer neokra-tischen Staatenwelt, entsteht dabei allerdings nicht.

Ein gedanklicher Brückenschlag in diese Richtung war das in „Der Staat auf Bewährung“ dargestellte iterative Legitimati-onsverfahren. Dieses Verfahren sollte u.a. das Neokratiekon-zept von dem Verdacht befreien, ein leichtfertiges utopisches Konstrukt zu sein. Mit dem Szenario eines beherrschbaren Übergangs entfiel in der Tat ein wichtiger Grund, sich der Auseinandersetzung mit einer solchen Staatsform zu verwei-gern. Das Konzept des iterativen Legitimationsverfahrens ist eben kein Revolutionskonzept, und es weckt auch nicht die da-mit unweigerlich verbundenen negativen Assoziationen, son-dern es ist ein Konzept, um Revolutionen überflüssig zu machen. Es setzt an deren Stelle die geregelte, friedliche und freiheitliche Veränderung.

Ein abrupter Brückenschlag von der herkömmlichen zu einer neokratischen Demokratie hätte natürlich etwas Re-volutionäres, und nach Revolution ist den Bürgern eben selten zumute. Die historischen Erfahrungen mit Systemumbrüchen sind tatsächlich alles andere als ermutigend. Mut könnten allen-falls Beispiele so genannter sanfter Revolutionen machen, aber diese waren zumeist Übergänge in eine andernorts längst er-probte Staatsform. Eine wirklich neue politische Ordnung zu wagen war dagegen, so selten es vorkam, in der Vergangenheit ein opferreiches Experiment.

Mit dem iterativen Legitimationsverfahren wurde die Schlüsselinstitution konzipiert, der in diesem Verfahren die Hauptrolle zukäme, nämlich der permanente Verfassungsrat.

Eine permanente Aufgabe des Verfassungsrates wäre es, die Bürger in geregelten Zeitabständen zu befragen, ob sie die be-stehende politische Ordnung unangetastet lassen wollen. Seine wichtigste Aufgabe aber bestünde darin, im Falle eines ne-gativen Votums den Bürgern konkrete Alternativen zur be-stehenden politischen Ordnung zur Wahl zu stellen.

Demnach könnte ein permanenter Verfassungsrat über lange Zeiträume eine sehr unscheinbare, in der politischen Praxis kaum merkliche Rolle spielen. Er könnte das schon er-wähnte „Notstromaggregat“ sein, das nur im seltenen Fall eines drohenden Systemversagens wirklich gebraucht wird.

So unscheinbar diese Rolle in Zeiten politischer Normalität aber wäre, so unrealistisch wäre die Erwartung, dass ein Ver-fassungsrat je widerstandslos in die bestehende politische Ord-nung eingefügt werden könnte. Der Vorschlag des iterativen Legitimationsverfahrens war insofern zwar ein konzeptioneller Fortschritt, aber ein wirklicher Brückenschlag zwischen poli-tischer Realität und einem Staatsmodell wie der Neokratie war damit dennoch nicht getan.

In der realen politischen Ordnung sind alle etablierten Inter-essen, alle Denkgewohnheiten und alle ideologischen Vorurteile gegen ein solches Verfahren gerichtet. Es ist zu fremdartig, als dass selbst die kritischsten und die politikverdrossensten Staats-bürger es spontan für notwendig erachten und auf die Forder-ung nach einem solchen Verfahren viel politische Energie

ver-wenden würden. Den Utopieverdacht jedenfalls war das Neo-kratiemodell mit dem Entwurf des iterativen Legitimationsver-fahrens nicht endgültig los.

Ein Versuch, die Brücke zur politischen Realität weiter zu spannen, war das Konzept der Proteststimme17. Dieses Kon-zept beruhte auf der Überlegung, dass die Schwelle auf dem Weg zu Veränderungen der politischen Ordnung nicht niedrig genug gelegt werden kann. Je einfacher der erste Schritt, desto weniger bedrohlich würde Bürgern und Politikern ein solcher Weg erscheinen und desto höher würde die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Schritt tatsächlich irgendwann gewagt wird.

Die Proteststimme ist in der Tat ein Konzept von scheinbar unverfänglicher Harmlosigkeit. Von einer Proteststimme machen Wähler Gebrauch, indem sie ausdrücklich gegen jede der zu einer Wahl antretenden Parteien votieren. Dies gäbe den Wählern die Möglichkeit, den politischen Generalismus und den daraus resultierenden Dilettantismus pauschal zu verur-teilen und damit allen Parteien zugleich hinreichende politische Kompetenz abzusprechen. Die Proteststimme wäre daher auch eine konstruktive Alternative zum bewussten Nichtwählen und ebenso eine Alternative zur Stimmabgabe für so genannte Protestparteien. Gegenüber dem Nichtwählen hätte die Protest-stimme den unschätzbaren Vorteil, dass sie als Willenskundge-bung gezählt und politisch ernst genommen werden müsste.

Gegenüber der Stimme für Protestparteien hätte sie den ebenso gewichtigen Vorteil, dass sie nicht noch inkompetentere Kandi-daten und Mandatsträger unterstützen würde als die von eta-blierten Parteien nominierten. Ein hoher Proteststimmenanteil wäre ein deutliches Signal grundlegender politischer Verände-rungsbereitschaft. Es wäre ein Signal, über das selbst das be-stehende politische System auf Dauer schwerlich hinwegsehen könnte.

Die Proteststimme wäre damit, so harmlos sie auf den ersten Blick erscheinen mag, eine Art Trojanisches Pferd in der

17 S. hierzu Die Logik des politischen Wettbewerbs in www.reformforum-neopolis.de (zuerst veröffentlicht als Kap. 10 in „Die Logik der Politik und das Elend der Ökonomie“).

bestehenden Ordnung. Eben deswegen aber wären auch hier-gegen die Widerstände beträchtlich. Sie wären umso stärker, je klarer die Tragweite einer institutionalisierten Proteststimme durchschaut wird. Je höher die Akteure des bestehenden Systems den Veränderungswillen der Bürger einschätzen, desto bedrohlicher wird solcher Veränderungswille ihnen erscheinen und desto schwerer würden sie sich tun, das Instrument der Proteststimme in die politische Ordnung einzufügen.

Es gibt natürlich auch Gegenbeispiele. Es gibt Staaten, in denen die Bürger in direkten Präsidentschaftswahlen allen Kandidaten zugleich ihr Misstrauen aussprechen und damit eine Art von Proteststimme abgeben können, wo aber von dieser Möglichkeit wenig Gebrauch gemacht wird. Dieses Verhalten der Wähler ist aber nicht etwa mit einem besonders hohen Grad politischer Zufriedenheit zu erklären. Der Grund ist viel-mehr, dass mit solcher Art von Proteststimme kaum politische Wirkung erzielt werden kann. Um von den Wählern wirklich ernst genommen zu werden, müssten Proteststimmen daher Konkreteres bewirken, als es etwa das Nichtwählen tut. Dies wäre der Fall, wenn Proteststimmen in der Überzeugung abge-geben würden, dass sie ein erster Schritt sein könnten zu einem iterativen Legitimationsverfahren und damit letztlich zu einer besseren politischen Ordnung.

Die Problematik der Proteststimmen zeigt, dass der Prozess der Delegitimierung des bestehenden Systems langwierig ist. Er ist es auch in jenen demokratischen Teilen der Welt, in denen die politische Desillusionierung am weitesten vorangeschritten scheint. Dass für die Delegitimierung der Staatsordnung über-haupt eine institutionelle Vorsorge getroffen, dass rechtzeitig vernünftige Regeln hierfür aufgestellt werden und dass schließlich im Ernstfall noch die Bereitschaft bestünde, diese Regeln einzuhalten, wäre schon eine sehr optimistische Pro-gnose. Der Weg dorthin führt über die Einsicht, dass eine poli-tische Ordnung nicht für die Ewigkeit gemacht ist, dass es eine Evolution des politischen Bewusstseins gibt, der die politische Ordnung irgendwann folgen muss, und dass man nicht auf Re-volutionen warten sollte, in denen überfällige Entwicklungs-schritte auf leidvolle Weise nachgeholt werden.

Die Vorstellung davon, wie eine bestehende politische Ord-nung überwunden werden könnte, ist schon eine Herausforde-rung für die politische Phantasie. Viel mehr Phantasie aber ist gefordert, will man sich die darauf folgenden möglichen Veränderungsprozesse vorstellen, Prozesse also im Rahmen einer neokratischen Ordnung. Auch wenn die Neokratie zu-nächst als singuläres Modell einer mehrspurigen Demokratie entworfen wurde, ist sie in unendlich vielen Varianten rea-lisierbar. Jede Festlegung auf eine oder auf ein begrenztes Spek-trum dieser Varianten wäre nur Ausdruck einer vergänglichen politischen Bewusstseinslage. Die Auffassung, eine solche Fest-legung könne dauerhaft sein, wäre so falsch, wie es falsch ist, die noch herrschende Demokratie als ein endgültiges Modell der politischen Ordnung zu betrachten. Falsch wäre es natürlich auch, Veränderungsgeschwindigkeiten im Rahmen einer neo-kratischen Ordnung im Voraus abschätzen zu wollen. Die Bürger könnten sich dafür entscheiden, generationenlang in einer unveränderten neokratischen Staatsordnung zu leben.

Ebenso gut könnte es in einer Neokratie aber zu häufigen und raschen Veränderungen kommen, die von den Bürgern als eine Art gewollter permanenter Revolution initiiert werden.

Dass das Konzept der Neokratie eher für einen Prozess als für eine statische Ordnung steht, ergibt sich nicht zuletzt da-raus, dass in einer neokratischen Ordnung die Anzahl unab-hängiger Staatssparten variabel wäre. Die Neokratie ist außer-dem die Staatsform, in der die jeweils gültige politische Land-karte nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten darstellt. Es ist die Staatsform, in der diese Landkarte sich in so viele ver-schiedene Ebenen gliedert, wie der Staat eigenständige Funk-tionsebenen aufweist, und in der jede dieser Ebenen eigen-ständigen Veränderungsprozessen unterliegt.

Gerade weil der Staatenwelt mit der Neokratie ein unendli-ches Spektrum von Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet würde, müsste sehr gründlich dafür vorgesorgt sein, dass solche Ver-änderungen friedlich vonstatten gehen können. Unter anderem deswegen bedürfte es auch und gerade nach einem Übergang in eine neokratische Ordnung immer aufs Neue einer Befragung der Bürger, ob sie mit der bestehenden Ordnung zufrieden sind.

In einer Neokratie müssten solche Fragen allerdings differen-zierter gestellt werden als in der herrschenden Ordnung. Ge-fragt würde beispielsweise in jeder Staatssparte, ob deren Staats-grenzen noch dem politischen Zusammengehörigkeitsgefühl der Bürger entsprechen und ob insofern der politischen Asso-ziationsfreiheit Genüge getan ist. Gefragt würde auch, ob die Aufgabenabgrenzung einer Staatssparte unverändert fortbeste-hen soll, und gefragt würde, ob die innere Verfassung einer Staatssparte noch zeitgemäß ist. Sowohl innerhalb der Staats-sparten als auch Staats-spartenübergreifend müsste daher ein per-manenter Verfassungsrat über die politische Ordnung wachen, und er müsste sich dabei laufend der Übereinstimmung der je-weiligen Ordnung mit dem politischen Bewusstseinsstand der Bürger vergewissern.

Für die Gegenwart ist vorerst die wichtigste Erkenntnis, dass ein Bekenntnis zur Neokratie eine Fülle von Möglichkeiten eröffnen würde, aber die Bürger zu keinen Veränderungen ge-drängt wären. Das Neokratiekonzept wäre zunächst vor allem eine Herausforderung an die politische Phantasie. Es wäre eine Erweiterung des politischen Möglichkeitsraums um eine große Transformation der Staatenwelt, ohne jede Festlegung, wann, wo und in welchem Umfang diese Möglichkeiten genutzt wer-den. Die Bürger könnten sich ganz bewusst dafür entscheiden, die Ungewissheiten auch kleinerer Transformationsschritte lange Zeit zu meiden und damit Transformationsprozesse auf unabsehbare Zeit aufzuschieben. Eine Einlassung auf das Kon-zept der Neokratie wäre daher zwar eine gedankliche Neuerfin-dung der politischen Welt, aber dies könnte vorerst eine Wiedererfindung der alten Welt unter neuen Vorzeichen sein.

Die Möglichkeit, das langfristige Transformationstempo für jeden eigenständigen Politikbereich demokratisch bestimmen zu können, wäre für die Bürger eine der herausragenden Eigen-schaften der Neokratie. An der Frage der Geschwindigkeit von Reformen nämlich ist die herkömmliche Demokratie immer wieder gescheitert. Demokratische Regime tabuisieren nicht nur die Transformationsfrage wegen ihrer vermeintlichen Unbe-herrschbarkeit, sondern sie neigen darüber hinaus zu Reform-vorhaben mit kurzem zeitlichem Wirkungshorizont. Sie wollen

auf diese Weise sicherstellen, dass die erhofften Früchte von Reformen in Wahlen ihnen zugerechnet werden und nicht späteren parlamentarischen Mehrheiten. Entsprechend kurz-atmig waren bisher alle politischen Reformprozesse.

Eine Folge hiervon ist, dass das Vertrauen vieler Bürger in den Fortbestand geltender Regeln immer wieder gebrochen wird. Die politischen Akteure haben einen zu kurzen Verant-wortungshorizont, um beispielsweise neuartige Regeln der Sozialpolitik nur für nachwachsende Generationen von Bürgern in Kraft zu setzen, ältere Bürger dagegen ihr Leben nach ver-trauten Regeln zu Ende leben zu lassen. Solche langfristigen, generationenübergreifenden Übergänge zu neuen Regelsyste-men wären nur möglich, wenn politische Mandate zeitlich weit-aus länger bemessen würden, als dies in der herkömmlichen Demokratie der Fall ist. In einer Neokratie sollte die Dauer der Mandate daher zumindest in einigen Staatssparten ein Viel-faches herkömmlicher Legislaturperioden betragen. Dem gleichen Ziel würde es dienen, wenn jeweils nur ein Teil der Mandatsträger zur gleichen Zeit neu gewählt würde. Auch dies würde eine langfristig ausgerichtete Reformpolitik viel wahr-scheinlicher machen, als das herkömmliche politische Verfahren es tut.

Natürlich wäre die Auseinandersetzung mit neokratischen Staatsformen nicht nur eine Aufgabe für Bürger und für die politischen Akteure. Es wäre auch eine herausragende Aufgabe für die Wissenschaft. Es wäre ein Prozess, der gleichermaßen einer vorausschauenden, einer begleitenden wie auch einer nachträglich wertenden Transformationsforschung bedürfte.

Das Neokratiekonzept würde damit ein weites Forschungsfeld für die einschlägigen Wissenschaftsdisziplinen eröffnen.

Transformationsforschung ist kein wissenschaftliches No-vum, aber die historischen Erfahrungen hiermit sind ernüch-ternd. Eine seriöse Transformationsforschung wurde erst auf den Plan gerufen durch den Übergang der ehemals sozialisti-schen Staaten zu Demokratie und Marktwirtschaft. Diese Forschung etablierte sich, als es für eine vorausschauende wissenschaftliche Aufbereitung dieses Übergangsprozesses längst zu spät war. Was stattfand, waren letztlich nur

prozess-begleitende Analysen, die zum praktischen Gelingen - genauer gesagt, zur Vermeidung des ökonomischen und politischen Desasters, in das die meisten vormals sozialistischen regierten Staaten für lange Zeit gestürzt wurden - nur noch wenig bei-tragen konnte.

Es gibt andere unheilvolle Systemzusammenbrüche, die von keiner Wissenschaft vorhergesehen, deren Verlauf aber von einer vorausschauenden Transformationsforschung zumindest hätte gemildert werden können. Nur eines von vielen Beispielen hierfür ist der Zusammenbruch der Weimarer Republik. Auch die Auflösung des ehemaligen Jugoslawiens hat gezeigt, wie beim herrschenden Bewusstseinsstand ein altes System delegi-timiert wird, ohne dass plausible Handlungsoptionen für den Übergang in eine bessere politische Zukunft eröffnet werden.

Aus solchem Versagen sind Lehren zu ziehen. Für das Re-nommee der einschlägigen Wissenschaften wäre es fatal, auf überfällige Systemtransformationen auch künftig nicht vorbereitet zu sein und zu deren praktischer Ausgestaltung kei-nen wesentlichen Beitrag leisten zu könkei-nen. Die Auseinander-setzung mit dem Neokratiekonzept könnte dem vorbeugen, in-dem es einer vorausschauenden Transformationsforschung den Weg ebnet. Eine solche neue, den Staat als Prozess begreifende, die potentielle Unabhängigkeit seiner Funktionsebenen aner-kennende, also neokratische Staatswissenschaft wäre ein Novum in der Wissenschaftsgeschichte. Sie wäre neuartig in ihren Erkenntniszielen und neuartig auch darin, dass sie die Ab-grenzungen herkömmlicher Wissenschaftsdisziplinen weit hinter sich ließe.

Es widerspräche dem Geist jeder seriösen Transformations-forschung, die Unabgeschlossenheit des Neokratiekonzepts und die Vorläufigkeit jedes möglichen neokratischen Staatswesens als Mangel zu verstehen und diesem Konzept eine endgültige Gestalt geben zu wollen. Gerade die einzugestehende dauer-hafte Vorläufigkeit des Staates, dessen permanente Offenheit für grundlegende Veränderungen, ist ja ein Schwerpunkt neo-kratischen Denkens. Das Bekenntnis zur Vorläufigkeit ist auch die konzeptionelle Vorraussetzung für politische Assoziations-freiheit. Eine der wichtigsten Aufgaben neokratischer

Trans-formationsforschung bestünde eben darin, den Bürgern bei der Inanspruchnahme dieser Freiheit mit wissenschaftlichem Rat zur Seite zu stehen.

Der wissenschaftliche Rat kann natürlich immer auch darin bestehen, vorläufig für Systemstabilität statt Systemveränderung zu optieren, von der politischen Assoziationsfreiheit also vor-läufig keinen Gebrauch zu machen. Dass aber die Systemtrans-formation, wann und wo immer sie fällig oder gar unaufschieb-bar wird, in geordneten Bahnen verläuft, ist das Höchstmaß an Verlässlichkeit, das eine politische Ordnung den Bürgern noch vermitteln kann. Diese Art von Verlässlichkeit gewährleistet nur eine neokratische Ordnung in Zusammenhang mit einem itera-tiven Legitimationsverfahren.