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Nebenmotive: Zum Beispiel künstliche Bäume

Die ähnliche Rolle eines Prüfsteins kommt dem Motiv des Kanals zu. Ist die Trep-penbehandlung ein Indiz dafür, dass ein Gartenstil ein hohes Kunstniveau erreicht hat oder überhaupt dem Kunstbereich zuzurechnen ist, wird der Kanal als entscheidendes Merkmal der Originalität des französischen Gartens etabliert: „Aber Frankreichs Eigenart in seinen Gärten beruht […] in der fruchtbaren Gestaltung eines […] mittelalterlichen Motivs des Schloßbaues, des Wassergrabens […].“122 Neben dem ersten Kulmina-tionspunkt der Gartenkunst, dem italienischen Renaissancegarten, lässt Gothein den französischen Nationalstil als genuin und hochstehend gelten. Als dessen ureigenste Leistung leitet sie die Entwicklung des Kanals als Abschluss und Hauptordnungsele-ment der Gesamtanlage aus dem Mittelalter her und grenzt diese Leistung gegen andere Gartenstile, vor allem den holländischen Garten, ab. Auch hier lässt sich beobachten, wie das Motiv von langer Hand eingeführt und immer wieder darauf Bezug genommen wird. Sie verfolgt die eigene Entwicklung des französischen Gartens ab der Renaissance und führt auch hier das Bemühen, „Haus und Garten als Einheit zu begreifen“,123 als notwendige Bedingung des hohen Gartenstils ein. Der Kanal ist das Mittel, um diese Bedingung zu erfüllen. Daraus leitet Gothein einen „Typus, den wir am besten den Kanalgarten der französischen Renaissance nennen können“, ab.124

Treppensysteme und Kanäle sind zum einen das zentrale Entwicklungsmoment für die beiden Protagonisten der „Geschichte der Gartenkunst“, sie fungieren aber auch als verbindende Elemente der Erzählung.

Nebenmotive: Zum Beispiel künstliche Bäume

Um der Erzählung Stringenz zu verleihen, verfolgt Gothein auch Nebenmotive durch Länder und Epochen. So scheint es ihr ein besonderes Vergnügen zu bereiten, das Motiv des künstlichen Baums durch die Jahrhunderte nachzuvollziehen. Über die Baumvereh-rung, vor allem der antiken Kulturen, berichtet sie ausführlich. Den künstlichen Baum aus edlen Materialen entdeckt sie als erstes in einem Buddhaheiligtum auf Ceylon (Sri Lanka),125 für die byzantinische Gartenkultur zitiert sie ausführlich aus literarischen Berichten der Zeit. Da das Kapitel über den byzantinischen Garten hauptsächlich dazu dient, das Überleben der antiken Gartenkultur, die dann in der italienischen Renaissance wiederentdeckt wird, zu belegen, geht Gothein auch hier auf das Vorleben des Motivs ein:

„Wir treffen hier wieder auf den metallenen Baum, von dem uns die Maha-wamsa zuerst berichtet hat. Der byzantinische Hof aber ahmte auch in diesem

122 GdG II, S. 11.

123 Ibid., S. 15.

124 Ibid.

125 Vgl. GdG I, S. 48 f.

Schmuckstück nur den persischen Großkönig nach, dessen Thron eine golde-ne Platagolde-ne beschattete. [Es folgt die Beschreibung des Baummotivs in eigolde-nem Liebesroman] Wir werden sehen, wie die Kreuzzüge die Kunde davon nach Europa bringen.“126

Neben dem künstlichen Baum aus Gold, feinen Metallen und Edelsteinen beschreibt sie für „Byzanz und die Länder des Islam“ noch den Brunnenbaum, bei dem der Stamm eines natürlichen Baums mit Kupferblechen verkleidet und Röhren so darunter verlegt wurden, dass das Wasser aus den Palmenzweigen oben herauslief und unten wieder in Kanälen aufgefangen wurde.127 Für das mittelalterliche Abendland macht sie das Vor-bild des künstlichen Baumes noch einmal für die Dichtung stark,128 um den wasser-sprudelnden Baum dann wieder im italienischen Renaissancegarten, in Castello und Pratolino bei Florenz129 und im französischen Garten des Absolutismus zu entdecken.130 Diesen, Madame de Montespans Baum, wiederum findet Gothein im Kapitel über

„Die Ausbreitung des französischen Gartens in Europa“, im englischen Chatsworth, wieder.131 Die Kontinuität solcher Motive ist für die „große Erzählung“ von eminenter Wichtigkeit, weil sie den Fluss der Entwicklung über Jahrtausende hinweg belegen hilft.132 Innerhalb dieser Konstanz sind die individuellen Behandlungen historischer und literarischer Gärten bestimmendes Merkmal der „Geschichte der Gartenkunst“.

Sie führen dazu, dass im Vorwort zur Neuauflage von 1988 von der „Lebendigkeit“ der Bände gesprochen wird.133 Diese Einzelbeschreibungen sind, so die These dieser Arbeit, einer der Erfolgsfaktoren der Bücher.

126 Ibid., S. 147.

127 Ibid., S. 156 f. Die Tradition dieser Art von Baumbehandlung fasziniert auch Gotheins Vor-gänger Falke 1884, S. 85: „Er [der Araber] umgab sie [die Palme] wohl mit vergoldeten Metall-platten und leitete das Wasser in Röhren zu ihr und zu ihr hinan, als flösse es von ihrem Stamm herab.“

128 Vgl. GdG I, S. 201 f.

129 Vgl. ibid., S. 263.

130 GdG II, S. 151 f.: „Madame de Montespan wusste wohl nicht, ein wie altes Gartenmotiv sie mit ihrem bronzenen Baum, der aus allen Blätterspitzen Wasser spritzte, in den französischen Garten einführt; ihr kam die Anregung vielleicht unmittelbar aus Spanien […].“

131 Ibid., S. 205: „Eines der Bosketts schmückte er [Grelly] mit einem Brunnen, den er unmittel-bar dem damals so bewunderten Marais in Versailles entlehnte. Es ist eine aus Zinn hergestell-te, mit natürlichen Farben bemalte Weide, die weinend aus den Blätterspitzen ihr Wasser über große Steine gießt; so wird dies uralte Motiv auch hier in den Norden verpflanzt.“

132 In ihrem Brief vom Besuch in Chatsworth, MLG an EG, Heid. Hs. 3487, 306: „Derby, d.

30.9.9“, berichtet Gothein von der Entdeckung des „wasserweinenden Baumes“ dort. Sie be-tont die Wichtigkeit des Gartens mit seiner langen, von italienischen und französischen Vorbil-dern geprägten Geschichte und freut sich: „So habe ich doch auch einmal ein Exemplar dieser uralten und so geliebten Wasserspiele gesehen.“

133 Beuchert 1988.

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2. Bebilderung

Die „Geschichte der Gartenkunst“1 hat 6382 Abbildungen auf 868 bedruckten Seiten.

Das sind im Schnitt 1,36 Bilder pro Seite. Diese mechanisch gedachte Rechnung3 belegt eine grundsätzliche Beobachtung: Die Bilder sind in Größe und Anordnung dem Text beigegeben und ihm damit untergeordnet. Sie bebildern den Text. Das unterscheidet das Buch von zeitgenössischen Publikationen zum selben Thema, die Gothein in ihrem Vorwort nennt, wie etwa H. Inigo Triggs’ „Formal Gardens in England and Scotland“

und „The Art of Garden Design in Italy“ sowie Marcel Fouquiers „De l’art des jardins du XVeau XXe siècle“, in denen der Text die Bilder begleitet.4 Gothein spricht dem-entsprechend auch lediglich von dem „wundervollen Anschauungsmaterial“,5 das diese Bücher bieten würden. Folgerichtig verwendet sie beide Publikationen, vor allem aber die Triggs’, aus der sie 15 Grundrisse und Fotos übernimmt, als Mappenwerke im Dienste ihres Textes.6

Damit zeigt sich das Selbstverständnis der Autorin der „Geschichte der Garten-kunst“ begründet im Standpunkt der Kunstgeschichte ihrer Zeit, die Abbildungen – vor allem das jüngere Medium der Fotografie – als Ergänzungen zum Text verstand, sich selbst also auf die Text- und Objektkompetenz zurückzog.7 Grundsätzlich herrschte Bilderskepsis vor, wie der Diskussionsbeitrag von Georg Dehio, aus dem die obigen Schlagworte stammen, auf dem Kunsthistorikertag 1907 zeigt:

„Unter einer wissenschaftlichen Illustration verstehe ich eine solche, die ledig-lich die wissenschaftledig-liche Erörterung zu stützen hat, nichts für sich bedeuten will. Sie hat einzutreten, wenn das Wort der textlichen Erörterung nicht mehr ausreicht. Die wissenschaftliche Illustration ist nur Ergänzung zum Text, Stell-vertreter des Wortes.“8

1 Gothein 1914.

2 Obwohl das letzte Bild die Nummer 637 trägt, gibt es mit der Nummer 150a ein Bild mehr im Buch.

3 Die Rechnung geht nicht ganz auf, da es in der Erstausgabe auch zwei doppelseitige Abbildun-gen ohne Seitenzählung gibt: Abb. 10: „Der Garten des hohen Beamten von Amenophis III., Theben, Nach Rosellini II.“ und Abb. 124: den St. Galler Klosterplan.

4 Triggs/Latham 1902, Triggs 1906, Fouquier 1911.

5 GdG I, S. V.

6 Einen kurzen Überblick über Gotheins Abbildungsbehandlung bietet Schulze 2004, S. 64–66.

7 Vgl. grundsätzlich Matyssek 2009, S. 99. Ebenso Locher 2007, Musée S. 55 f. und speziell S. 59:

„Die Kunstgeschichte erwarb sich […] ihren Status als eigenständige Wissenschaft mit spezi-fischem Erkenntnisziel durch Distanzierung von der bildlichen Repräsentation ihrer Objekte.“

8 Zitiert bei Matyssek 2009, S. 99, aus dem Bericht über die Verhandlungen des VII. Internatio-nalen Kunsthistorischen Kongresses 1907.

Publiziert in: Seeber, Karin: Marie Luise Gotheins Geschichte der Gartenkunst:

Das Bild des Gartens als Text, Heidelberg: Heidelberg University Publishing, 2020.

DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.627

Dehio bezieht sich hier auf das relativ neue Medium der Fotografie, das als Kontrast-medium im Mittelpunkt dieses Kapitel stehen soll.

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts löste die Fotografie die Druckgraphik als Leitabbildung zur Bebilderung ab,9 insofern ist Gotheins Auswahl interessant im Hin-blick auf ihr Verhältnis zur Grafik im Vergleich mit der Fotografie. Eine theoretische Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Fotografie in der Kunstgeschichte setzte erst in den 1970er Jahren ein, bis dahin war die Indienstnahme des Fotos für den Text gesetzt, was sich auch an der häufigen Titelwahl „Das Foto im Dienste …“ zeigt.10 Die Fotografie wurde eine Bedingung für die Etablierung des Fachs als akademische Diszi-plin, worüber sich die Kunsthistoriker bewusst waren, die Gartenhistoriographie folgte diesem theoretischen Nachvollzug mit großer zeitlicher Verzögerung.11

Indem diese Arbeit Gotheins textlichen Schwerpunkt als Prämisse akzeptiert, verfolgt das folgende Kapitel weder einen Vollständigkeitsanspruch noch eine bildwis-senschaftliche Analyse: Gotheins Bilderbehandlung soll anhand des Kontrastmediums Fotografie in ihren wesentlichen Zügen und in ihren Unterschieden der Kapitel nach-vollzogen werden. Im Rahmen des Buchporträts soll geklärt werden, wie Gothein die unterschiedlichen Medien ihrer Abbildungen behandelte und welche Sonderstellung Fotos darin einnehmen. Ein kurzer Abschnitt über Gotheins Verständnis von „Perspek-tive“ und ihrer Perspektivwahl schließt das Kapitel ab, um spätere Betrachtungen dazu im Analysekapitel vorzubereiten.