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Das Nachrichtenquadrat

Im Dokument Auskunft hinter Fragen? (Seite 31-35)

2 Der Einfluss von Ort und Menschen auf ihr Kommunikationsverhalten

2.3 Zwei Kommunikationsmodelle: Vier Zungen und vier Ohren

2.3.1 Das Nachrichtenquadrat

2.3 Zwei Kommunikationsmodelle: Vier Zungen und vier Ohren

Während ich oben eher generelle psychologische Faktoren als Voraussetzung einer Kommunikationssituation skizziert habe, möchte ich nun das Gespräch, den Dialog genauer unter die Lupe nehmen, wie er funktioniert und welche Basisfaktoren sein Gelingen beeinflussen.

Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun hat sich eingehend mit der zwischenmenschlichen Kommunikation beschäftigt. Im zweiten Band eines seiner populärs-ten Werke, „Miteinander reden“77, werden acht „Kommunikationsstile“ dargestellt, die mir als Analyseinstrument für Gespräche (in Bibliotheken) besonders geeignet und hilfreich erschei-nen und die ich daher in Kapitel 3.2 ausführlich vorstellen möchte.

Schulz von Thun bedient sich im ersten Band von „Miteinander reden“ als Grundlage dieser Redestile zweier Modelle, dem der Nachricht und dem des Gehörten. Ersteres ist als

„Nachrichtenquadrat“ bekannt geworden und das zweite stellt eine Erweiterung dar, die berücksichtigt, dass die Qualität der Kommunikation immer sowohl vom Redenden als auch vom Zuhörenden beeinflusst wird. Das bedeutet, dass das Gelingen einer Kommunikation nicht von einem mustergültigen Ablauf und der Anwendung immer gleicher Regeln abhängt, sondern von dem flexiblen Zusammenspiel von Redner und Zuhörer (in einer Standardunterhaltung wechseln diese Rollen ständig) und ihren Einstellungen zueinander. Das Fehlschlagen einer Kommunikation ist also selten einseitig verursacht, wobei die Klärung der Schuldfrage ohnehin ein müßiges Unterfangen darstellt und in der Regel weder sachlich noch persönlich weiterbringt.

2.3.1 Das Nachrichtenquadrat

Wie Schulz von Thun möchte ich von der Nachricht als Grundlage ausgehen, also von dem (gesprochenen) Satz, der Frage etc.:

„Der Grundvorgang der zwischenmenschlichen Kommunikation ist schnell beschrieben. Da ist ein Sender, der etwas mitteilen möchte. Er verschlüsselt sein Anliegen in erkennbare Zeichen – wir nennen das, was er von sich gibt, seine Nachricht. Dem Empfänger obliegt es, dieses wahrnehmbare Gebilde zu entschlüsseln.

In der Regel stimmen gesendete und empfangene Nachricht leidlich überein, so daß eine Verständigung stattgefunden hat.“78

77 Schulz v. Thun: Miteinander reden: 2, Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, Erstausgabe 1989 (hier wird aus der Sonderausgabe von 2006 zitiert; alle drei Bände: s. Literaturverzeichnis.).

78 Schulz v. Thun: Miteinander reden: 1, S. 25 (Hervorh. Schulz v. Thun).

Schulz v. Thun erläutert, dass jede Nachricht mehrere Botschaften transportieren kann, sie hat gewissermaßen „vier seelisch bedeutsame Seiten“79. Er entwirft als „Kommunikationspsycho-logisches Modell einer Äußerung“80 das so genannte „Nachrichtenquadrat“81, mit dessen Hilfe die vier verschiedenen Aspekte einer Nachricht deutlich gemacht werden können: Das sind die Ebene des Sachinhalts, des Appells, der Beziehung und der Selbstkundgabe.82

Abb.: Das Nachrichtenquadrat83

Der Sachinhalt ist das, was der Sender einer Nachricht gemeinhin mit einer Aussage verbin-det, nämlich die ganz nüchterne Feststellung einer Tatsache: „Es ist 12 Uhr mittags“. „Nüch-tern“ soll allerdings nicht heißen, dass diese Sachbotschaft nicht auch missverstanden werden kann. Wenn ich beispielsweise in dem o. a. Beispiel „mittags“ weglasse wird die Aussage zumindest zweideutig und insofern unklar.

Je nach Zusammenhang kann die Botschaft „Es ist 12 Uhr mittags“ auch einen Appell ent-halten, im Sinne von „Du musst dich beeilen, wenn du noch zum Arzt willst“, „du solltest zur Sache kommen, denn die Zeit drängt“. Es könnte auch gar kein solcher Appell vorhanden sein, aber die Aussage dennoch mit Appellcharakter verstanden werden, wenn man den Empfänger und das was er auf der anderen Seite des Kommunikationskanals „hört“, in die Kommunikation von vorneherein mit einbezieht, vgl. hierzu das folgende Kapitel „Das Vier-Ohren-Modell“. Das Nachrichtenquadrat vermag also nicht »die Wahrheit« einer Nachricht wiederzugeben, denn der Empfänger kann die Nachricht anders entschlüsseln, als sie gemeint

79 Schulz v. Thun: Miteinander reden: 1, S. 26.

80 Schulz v. Thun: Miteinander reden: 2, S. 22 (Abbildung).

81 Vgl. Schulz v. Thun: Miteinander reden: 1, S. 25-32; in diesem ersten Band nennt Schulz v. Thun sein

„psychologisches Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation“ noch nicht durchgängig „Nach-richtenquadrat“ vgl. a. a. O., S. 30.

82 Schulz v. Thun hat das Nachrichtenquadrat in seinem zweiten Band leicht überarbeitet und z. B. den Begriff

„Selbstoffenbarung“ durch Selbstkundgabe ersetzt (vgl. Schulz v. Thun, Miteinander reden: 2, S. 19). Die Erläuterungen hier beziehen sich auf das weiter entwickelte Schema aus Bd. 2, wobei auch Erklärungen aus Bd. 1 zitiert werden.

83 Vgl. Schulz v. Thun: Miteinander reden: 1, S. 14 und Miteinander reden: 2, S. 22 (in der Sprechblase der Abbildung findet sich das Nachrichtenquadrat wieder).

war (oder vielleicht auch das entschlüsseln, was wirklich gemeint war, ohne dass der Sprecher dies laut gesagt hat). Hier bieten neben dem genannten Vier-Ohren-Modell auch die Kommunikationsstile nach Schulz von Thun eine sinnvolle Ergänzung zur Interpretation einer Nachricht, da sie die Persönlichkeit und die psychische Struktur von Sender und Empfänger in der Kommunikation mit berücksichtigen (vgl. unten, Kap. 3.2).

Zurück zum Nachrichtenquadrat spielt auf der Ebene der Beziehung die zuhörende oder die Nachricht empfangende Person ebenfalls eine Rolle, da jede Nachricht auch etwas darüber ausdrücken kann, wie der Sender zum Empfänger steht und welche Art von Beziehung die beiden zueinander haben.84 „Streng genommen ist dies […] ein spezieller Teil der Selbst-offenbarung“85 (d. h. der Selbstkundgabe, s. u. und vgl. Anm. 82), wobei sich die Trennung aus der unterschiedlichen Situation des Empfängers ergibt: bei der Selbstkundgabe ist er von außen „diagnostisch“ tätig, beim Beziehungsaspekt ist er selbst mit betroffen.86 Im Uhrzeiten-Beispiel von oben kann man sich z. B. einen befehlenden Tonfall denken, der vielleicht einen Schluss auf die Beziehung der Gesprächspartner zulässt, z. B. Chef und Angestellter. Auch ohne Befehlston könnte man interpretieren, dass jemand, der einer anderen Person die Zeit ansagt, sich im Hinblick auf die Selbstorganisation tendenziell überlegen fühlt. Er geht mögli-cherweise implizit davon aus, dass sein Gegenüber nicht über die Fähigkeit verfügt, selb-ständig die Zeit im Blick zu behalten.

Die letzte der vier Betrachtungsweisen einer Nachricht ist die Ebene der Selbstkundgabe.

„Diese Seite der Nachricht ist psychologisch hochbrisant“ schreibt Schulz von Thun, da diese Ebene „sowohl die gewollte Selbstdarstellung als auch die unfreiwillige Selbstenthüllung“87 enthält. Insofern äußern sich auf dieser Ebene „viele Probleme der zwischenmenschlichen Kommunikation.“88 Das obige Beispiel ist in dieser Hinsicht nur eingeschränkt interpretierbar, mit Ausnahme der Feststellung, dass der Sender auf eine gewisse Pünktlichkeit wert legt bzw.

in seinem Tagesablauf die Uhrzeit eine gewisse Bedeutung hat. Man könnte auch die Tageszeit erwähnen, um ein Gespräch mit einem fremden Menschen anzufangen: dann offenbart diese Aussage neben dem Gesprächsbedarf eine gewisse Ungeübtheit oder Einfallslosigkeit im Hinblick auf den Beginn eines Gesprächs bzw. in der zwanglosen Unterhaltung. Hier wird außerdem deutlich, dass sowohl der Situationskontext als auch non-verbale Elemente eine sehr große Rolle bei der Interpretation von Nachrichten spielen (s. u.).

84 Vgl. Schulz v. Thun: Miteinander reden: 1, S. 28.

85 Vgl. ebd., S. 28.

86 Vgl. ebd., S. 28.

87 Ebd., S. 27 (Hervorh. Schulz v. Thun).

88 Ebd., S. 27.

Folgendes Zitat bringt die nicht ganz einfache Trennung zwischen Beziehung und Selbstkundgabe noch einmal vom Sender aus betrachtet auf den Punkt:

Während also die Selbstoffenbarungsseite […] Ich-Botschaften enthält, enthält die Beziehungsseite einer-seits Du-Botschaften und anderereiner-seits Wir-Botschaften.89

In genanntem Beispiel wäre eine mögliche Beziehungsaussage also “Du bist mein Angestell-ter“ während die Selbstkundgabe hingegen „Ich will, dass alles pünktlich geschieht“ sein könnte.

Zwei wichtige Aspekte, auf die auch Schulz von Thun eingeht, möchte ich hier nur erwähnen, ohne sie in die Modelle mit einzubeziehen. Das eine ist die herausragende Bedeutung des Feedbacks für die Kommunikation, denn eine noch so ausgefeilte zwischenmenschliche Kommunikation ist ohne Rückmeldung nicht denkbar. Gerade in der Kommunikation zwi-schen Nutzer und Bibliothekar ist es für letzteren unverzichtbar, permanent Rückmeldungen zu geben oder bei Unklarheiten nachzufragen. Auch nonverbale Reaktionen wie Nicken, Stirnrunzeln etc. gehören zum Feedback, womit der zweite wichtige Aspekt angesprochen wird. Im Sinne von Watzlawicks Axiom der „Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren“90 fasst Schulz von Thun nonverbale Mitteilungen als der verbalen Sprache gleichwertige Kommunikationsäußerungen auf, bei denen lediglich die Sachbotschaft fehlt.91 Auch Huesmann betont „[d]ie Bedeutung der Körpersprache und der Parasprache [Stimme, Modulation, Betonung der Worte und Sätze] für den Umgang mit schwierigen Benutzern“, die „unter gar keinen Umständen unterschätzt werden [darf]. In diesen Bereich fallen viele Verhaltensweisen, die eine konfliktbehaftete Situation entspannen können.“92 Hobohm er-wähnt ebenfalls, „wie wichtig die nonverbalen Aspekte der Kommunikation sind“ und gibt folgende „erste Empfehlungen“ zum Verhalten des Auskunftgebenden im Kontakt mit dem Nutzer:

- „Augenkontakt - entspannte Haltung

- Bestätigung des Benutzers, Feedback, z. B. durch Nicken - freundliche Stimme, freundlicher Blick

- Konzentration auf die Inhalte (nicht auf die non-verbale Kommunikation achten!)93 - Teilnahme und Einfühlungsvermögen“94

89 Schulz v. Thun: Miteinander reden: 1, S. 28 (Hervorh. Schulz v. Thun).

90 Watzlawick: Menschliche Kommunikation, S. 52.

91 Vgl. Schulz v. Thun: Miteinander reden: 1, S. 34f.

92 Huesmann: „Erfolgreich und differenziert kommunizieren“, S. 744.

93 Gemeint ist hier wohl nicht, dass man Nonverbales vollständig ignorieren sollte, sondern sich v. a. auf die Sachbotschaft konzentriert, um die nonverbalen Aspekte bei Unklarheiten einzubeziehen.

94 Hobohm: „Auskunftsdienste, Informationsvermittlung“, S. 6.

Ein Großteil der Missverständnisse, die durch mangelnde Übereinstimmung der Mitteilung mit dem Gehörten entstehen, wird sich auch hinter den nonverbalen Elementen verbergen, getreu dem Muster: „Ich habe aber deutlich deinen Vorwurf in der Stimme gehört“, ohne dass die Nachricht wirklich so gemeint war.

Über Metakommunikation, also Reden über die Kommunikation, das „Wie“ und „Warum“

des Gesagten, lassen sich diese Missverständnisse aus dem Weg räumen. Die Unterschiede von gesendeter und empfangener Botschaft ließen sich auch in einem detaillierten Vergleich des „Gesagten“ mit dem „Gehörten“, des Nachrichtenquadrats mit dem Vier-Ohren-Modell zeigen; letzteres soll im Folgenden näher erläutert werden.

Im Dokument Auskunft hinter Fragen? (Seite 31-35)