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1 Einleitung

1.1 N EBENSCHILDDRÜSE , P ARATHORMON UND C ALCIUMSTOFFWECHSEL

1.1 N

EBENSCHILDDRÜSE

, P

ARATHORMON UND

C

ALCIUMSTOFFWECHSEL

Die Nebenschilddrüsen des Menschen – auch Glandulae parathyroideae oder Epithelkörperchen genannt – sind vier erbsengroße, rotbraune bis gelbliche endokrine Drüsen, die meist dorsal der Schilddrüse zwischen deren beiden Kapselblättern liegen. Das Organparenchym, das der 3. und 4. Schlundtasche entstammt, ist durch bindegewebige Septen gegliedert und erhält eine eigene Blutversorgung aus der Arteria thyroidea infer-ior oder superinfer-ior (Groscurth 2004). Eine ektope Lage im Hals-/Nackenbereich oder zusätzliche Epithelkörper-chen sind möglich (Abate und Clarke 2016). Die sekretorisch aktiven Hauptzellen der Nebenschilddrüsen werden in ihrer Aktivität über den calciumsensitiven Rezeptor (CaSR) gesteuert. Dies ist ein G-Protein (=Guaninnukleotid-bindendes Protein)-gekoppelter Rezeptor, der bei einem Anstieg des ionisierten Plas-macalciums im physiologischen Bereich rasch über den Inositolphosphatweg, Calciumfreisetzung (Kurtz 2014), Inhibition der Adenylatcyclase und diverse weitere Mechanismen (Brown und MacLeod 2001; C

1Im Folgenden wird nur die männliche Form von Substantiven genannt, es sollen jedoch selbstverständlich immer beide Formen angesprochen sein. Zur besseren Lesbarkeit wurde auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet.

Zhang et al. 2015) zu einer Hemmung der Parathormonsekretion führt sowie auf mRNA (messenger Ribonuk-leinsäure)-Ebene langfristig die Hormonausschüttung beeinflusst. Sinkt das extrazelluläre Calcium unter 4 mg/dl wird Parathormon (= PTH) vermehrt freigesetzt (Marx 2000). Mithilfe dieses Mechanismus ist eine schnelle Anpassung der Parathormonsekretion an den Serumcalciumspiegel und dessen Änderungen mög-lich (Akerstrom et al. 2005).

Das Parathormon ist ein 84 Aminosäuren langes Peptidhormon, das als Pre-Pro-Hormon in den Neben-schilddrüsen gebildet wird und dessen N-terminale 34 Aminosäuren nach posttranslationaler Modifikation für die physiologische Wirkung am PTH-Rezeptor verantwortlich sind (Gensure et al. 2005). Dabei scheinen N-terminale PTH-Fragmente (PTH 1-34) zur Rezeptoraktivierung auszureichen (Tregear et al. 1973).

Das PTH spielt eine entscheidende Rolle in der Calciumhomöostase des menschlichen Organismus, indem es den Blutcalciumspiegel über verschiedene Mechanismen erhöht. Dazu bindet es an den sogenannten PTH/PTHrP-Rezeptor (Rezeptor für Parathormon und Parathormon-related Protein; auch PTH1-Rezeptor), der dann über ein Gs-Protein cAMP (= cyclisches Adenosinmonophosphat) generiert und über die Protein-kinase A eine Signalkaskade initiiert (Gardella und Jüppner 2001). Daneben werden Effekte über einen Gq- Protein- oder MAP(= mitogen-activated protein)-Kinase-vermittelten Signalweg diskutiert (Gensure et al.

2005; Miao et al. 2001). Der PTH1-Rezeptor scheint nicht nur in den primären Zielgeweben des PTHs, Kno-chen und Niere, sondern auch in einer Vielzahl weiterer Gewebe wie beispielsweise Haut, Leber, Hirn, Ske-lettmuskulatur oder Gefäßen exprimiert zu werden (Urena et al. 1993).

Mit derselben Affinität wie das PTH kann auch das - vor allem para- und autokrin wirkende - Parathormon-related Protein (PTHrP) an den PTH/PTHrP-Rezeptor binden, welches zunächst als Mediator tumorbedingter Hyperkalzämie identifiziert wurde. Physiologisch spielt es unter anderem in der embryonalen Entwicklung von langen Knochen und Brustdrüsen, aber auch bei der Laktation und in der Placenta eine Rolle (Mundy 1990;

Wysolmerski 2012).

Das PTH kann außerdem an den PTH2-Rezeptor (Parathormon2-Rezeptor) binden, der hauptsächlich im zentralen Nervensystem exprimiert wird, dessen endogener Ligand allerdings TIP39 (tuberoinfundibular pep-tide of 39 residues) zu sein scheint. Mögliche Wirkungen werden u. a. im Bereich der nozizeptiven Verarbei-tung und des Affektverhaltens vermutet (Dobolyi et al. 2010).

Der Abbau des PTHs erfolgt proteolytisch in Leber, Nebenschilddrüse und Niere, wobei weiterhin biologisch aktive Fragmente entstehen können (Kurtz 2014). Ist das Calcium im Normbereich, machen allerdings C-terminale PTH-Fragmente (PTH 34/37-84), welche den für die physiologische Hormonwirkung wichtigen PTH1-Rezeptor nicht aktivieren können, rund 80 % des PTHs im Blut aus (D'Amour 2012; Pines et al. 1994).

Daher sollte bei der Messung des PTH-Spiegels im Blut ein Parathormon-Assay der zweiten oder dritten Generation verwendet werden, der möglichst nur intaktes und vollständiges PTH (1-84) detektiert (Eastell et al. 2014).

Ein Rezeptor für das carboxyterminale Ende des PTHs wurde ebenfalls beschrieben, seine genaue Funktion ist allerdings unklar (Inomata et al. 1995). Möglicherweise wirken carboxyterminale PTH-Fragmente über diesen Rezeptor am Knochen antagonistisch zum vollständigen PTH am PTH1-Rezeptor (Murray et al. 2005).

Im Calciumstoffwechsel agieren Parathormon und Vitamin D3 (Cholecalciferol/Calciol) weitgehend synergis-tisch und werden in ihrer Wirkung teilweise von Calcitonin antagonisiert.

Bei einem niedrigen Spiegel an freiem Calcium im Blut bewirkt das PTH über drei verschiedene Mechanis-men eine Anhebung des Serumcalciums (s. auch Abbildung 1):

Abbildung 1: bildliche Darstellung bekannter Funktionen des Parathormons (PTH) im Calcium- und Phosphat-stoffwechsel: Wirkung auf Knochen (1) und Niere (2) sowie Stimulation der Aktivierung von Vitamin D und damit Wir-kung auf den Gastrointestinaltrakt (3); bei steigendem Calciumspiegel wird die PTH-Sekretion über den CaSR (4) ge-hemmt; weitere Details s. Text (Abkürzungen: Ca = Calcium, P = Phosphat, OB = Osteoblasten, OK = Osteoklasten, 1αHyd. = 1α-Hydroxylase, PTHR1 = PTH-Rezeptor 1 ; VDR = (intranukleärer) Vitamin-D-Rezeptor; CaSR = Calcium-sensitiver Rezeptor)

Zum einen stimuliert PTH am Knochen den Abbau von Calcium und anorganischem Phosphat durch Os-teoklasten, indem diese u. a. indirekt über RANKL (= receptor activator of NF-κB ligand) von Osteoblasten aktiviert werden (Gardella et al. 2016). Außerdem wirkt PTH an weiteren Zelltypen im Knochen, z. B. an Stromazellen, und veranlasst eine Umbildung der organischen Knochensubstanz. Therapeutisch eingesetztes Parathormon führt bei intermittierender Applikation zu einer Zunahme der Knochenmasse, aber bei kontinu-ierlicher Gabe zu einem Verlust an Knochensubstanz (Potts 2005).

Zum anderen wird in der Niere im distalen Nephron u. a. über den TRPV5 (transient receptor potential vanil-loid 5)-Kanal und weitere komplexe Mechanismen die Calciumresorption initiiert und im proximalen Tubulus durch Beeinflussung von Natrium-Phosphat-Cotransportern die Phosphatausscheidung erhöht (Forster et al.

2006; Ko 2017). Der phosphaturische Effekt des Parathormons soll vermutlich verhindern, dass das aus dem Knochen freigesetzte Phosphat im Blut zusammen mit Calciumionen ausfällt, was zu einer Verminderung des freien Serumcalciums führen würde und der PTH-Wirkung entgegenstünde (Oberleithner 2014).

Ein weiterer wichtiger Effekt des PTHs in der Niere ist die vermehrte Expression der 1α-Hydroxylase, welche die Vitamin-D3-Vorstufe 25-Hydroxycholecalciferol (Calcidiol = 25(OH)D3) in das aktive 1α ,25-Dihydroxy-cholecalciferol (Calcitriol = 1,25(OH)2D3) überführt (Brenza und DeLuca 2000; Garabedian et al. 1972).

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Das aktive Vitamin D3 (Calcitriol) wirkt in der Niere synergistisch mit PTH bei der Calciumresorption, allerdings wird durch Vitamin D3 auch Phosphat vermehrt resorbiert (DeLuca und Schnoes 1976; Haussler et al. 1998).

Die Hauptwirkung von Calcitriol findet im Gastrointestinaltrakt statt, wo es ebenfalls die Calcium- und Phos-phatresorption fördert, indem es an den intranukleären Vitamin-D-Rezeptor (VDR) bindet und verschiedene Transportmoleküle beeinflusst (DeLuca und Schnoes 1976; Mawer und Davies 2001). Über diesen Effekt lässt PTH indirekt das Serumcalcium weiter ansteigen (Potts 2005).

Langfristig wird über die Anhebung des Calciumspiegels und die damit verbundene Hemmung der PTH-Sekretion sowie über den Calcitriol-vermittelten Anstieg des Serumphosphates der Knochenaufbau wieder gefördert (Oberleithner 2014).

Der vermeintliche Gegenspieler des PTHs, das Calcitonin, wird bei einem Anstieg des Serumcalciums über den Normbereich hinaus ausgeschüttet. Es führt über denselben Natriumcotransporter wie PTH zur vermehr-ten renalen Phosphatausscheidung (Kurtz 2014), allerdings anders als PTH auch zu einer verstärkvermehr-ten Calci-umausscheidung in der Niere (Cochran et al. 1970). Darüber hinaus steht auch die durch Calcitonin vermittel-te Hemmung von Osvermittel-teoklasvermittel-ten und deren Knochenabbau im Gegensatz zur PTH-Wirkung. Dies trägt bei hohen Stoffwechselraten im Knochen zu einer raschen Senkung des Serumcalciumspiegels bei (Davey und Findlay 2013). Durch Hemmung der Darmmotilität und der Produktion von Verdauungssäften wird vermutlich auch die intestinale Calciumresorption vermindert (Kurtz 2014). Dennoch ist die physiologische Bedeutung des Calcitonins noch nicht abschließend geklärt (Felsenfeld und Levine 2015). Wahrscheinlich kann es vor der Entwicklung einer akuten Hyperkalzämie schützen, abgesehen davon wurden schmerzlindernde Effekte beschrieben (Ito und Yoshimura 2017).

Das Parathormon beeinflusst zwar durch die oben genannten Mechanismen den Phosphatspiegel im Serum, hat aber eine weitaus bedeutendere Funktion in der Calciumhomöostase. Der wichtigste Modulator des Phosphathaushaltes ist FGF23 (fibroblast growth factor 23), welcher in der Niere mithilfe des Corezeptor α -klotho die Phosphatresorption hemmt sowie den Spiegel an aktiviertem Vitamin D3 vermindert. Beides Me-chanismen, die das Serumphosphat senken. Es wird außerdem vermutet, dass FGF23 und PTH sich in Ihrer Synthese und Sekretion gegenseitig beeinflussen (Bergwitz und Jüppner 2010; Quarles 2012)

1.2 H

YPOPARATHYREOIDISMUS