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III.. Stellungnahmen

3.3. Beauftragte.der.Bundesregierung.für.Migration,.Flüchtlinge.und.Integration

3.3.3 Muslimische Migrantinnen/Migranten

Eine Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC)94 aus dem Jahr 2006 hat verschiedene Untersuchungen zur Situation von Muslimen in den europäischen Ländern vergleichend zusammengetragen. Daraus ergibt sich, dass beim Arbeitsmarktzugang Bewerber mit einem Namen, der auf einen muslimischen Hin-tergrund schließen lässt, im Gegensatz zu Einheimischen bei gleicher Qualifikation eine geringere Chance aufweisen, eine Arbeitsplatzzusage zu erhalten.

Auch die Menschenrechtsorganisation International Helsinki Federation For Human Rights (IHF) stellte in ihrem Bericht zur Lage der Muslime in der Europäischen Union nach dem 11. September 2001 eine deutliche Zunahme von Diskriminierungen mit Blick auf Menschen mit muslimischem Glauben fest.95 Dem Bericht zufolge sind die häufigste Form der Diskriminierung verbale Äußerungen gegen Personen, die aufgrund von äußeren Merkmalen erkennbar als Muslime identifiziert werden können. Betroffen sind vor allem Frauen, die Kopftücher tragen.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Forschungen darauf schließen lassen, dass Menschen mit Migrationshintergrund bereits durch von Dritten berichtete Diskriminie-rungen am Arbeitsmarkt als eigene Ablehnung empfinden. Diese Wahrnehmung kann so ausgeprägt sein, dass sie ein Hemmnis gegenüber bestimmten formal möglichen beruf-lichen Entwicklungen darstellt und zusätzlich von Generation zu Generation weitergege-ben wird.96

3.3.3.1 Das Kopftuch im öffentlichen Dienst

Der Zugang zum Arbeitsmarkt kann für Kopftuchträgerinnen mehrdimensional im Hin-blick auf ihren Migrationshintergrund, ihr Geschlecht und ihre muslimische Religions-zugehörigkeit bzw. -ausübung erschwert werden. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Gerichts-urteilen.97

Die meisten Streitfragen bestehen im Zusammenhang mit dem Tragen des Kopftuches durch Lehrpersonal an öffentlichen Schulen. Nach Art. 33 Abs. 3 GG ist die Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist nicht im Sinne einer strikten Trennung von Staat

94 European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia: Perceptions of Discrimination and Islamophobia, 2006.

95 Intolerance and Discrimination against Muslims in the EU. Developments since September 11. March 2005.

Report by the International Helsinki Federation for Human Rights (IHF).

96 V gl. Nkechinyere Madubuko: Akkulturationsstress von Migranten am Arbeitsmarkt, Inauguraldissertation, Marburg 2009.

97 D abei kam es für die Eröffnung des Schutzbereichs der Glaubensfreiheit in Art. 4 GG nicht auf die – unter den islamischen Autoritäten umstrittene – Frage an, ob das Kopftuchtragen Ergebnis eines zwingenden religi-ösen Gebots des Korans sei.

und Kirche, sondern als eine offene, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleicherma-ßen fördernde Haltung zu verstehen.98

Mit dem Grundrecht der Glaubensfreiheit, in dessen Schutz das Kopftuchtragen in Schule und Unterricht fällt, treten neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative Glaubensfreiheit der Schüle-rinnen und Schüler (Art. 4 Abs. 1 GG) in Widerstreit. Dieses Spannungsverhältnis ist durch eine angemessene Güterabwägung zu lösen, die einer gesetzlichen Grundlage bedarf.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem eben genannten Urteil festgestellt, dass das Verbot des Kopftuchtragens für Lehrerinnen in öffentlichen Schulen ohne hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage das Grundrecht auf gleichen Zugang zu jedem öffent-lichen Amt aus Art. 33 Abs. 2 in Verbindung mit dem durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewähr-leisteten Grundrecht der Glaubensfreiheit verletze.99

Als Reaktion auf diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben insgesamt acht Bundesländer in ihren Schulgesetzen gesetzliche Grundlagen geschaffen, die Lehrkräften an öffentlichen Schulen das Tragen sichtbarer religiöser Symbole und Kleidungsstücke unter bestimmten Voraussetzungen verbietet.100 Entsprechende Regelungen enthalten die Schulgesetze von Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern, Thüringen, Bremen und Niedersachsen. Das von Migrantinnen getragene Kopftuch wird dabei in den Gesetzestexten nicht ausdrücklich genannt. Als Beispiel sei Art. 59 Abs. 2 S. 3 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) zitiert:

„Äußere Symbole und Kleidungsstücke, die eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung ausdrücken, dürfen von Lehrkräften im Unterricht nicht getragen werden, sofern die Symbole oder Kleidungsstücke bei den Schülerinnen und Schülern oder den Eltern auch als Ausdruck einer Haltung verstanden werden können, die mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten nicht vereinbar ist.“

Auch andere Schulgesetze stellen ausdrücklich klar, dass die Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen dem Neutralitätsgebot nicht widersprechen (vgl. z. B. § 57 Abs. 4 S. 3 SchulG NRW) bzw. dass bei einer Güterabwägung

„der christlich und humanistisch geprägten abendländischen Tradition des Landes Hessen angemessen Rechnung zu tragen“ sei (§ 86 Abs. 3 S. 3 HSchG). Das hessische Gesetz verbietet zudem nicht nur den Lehrkräften, sondern allen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes das Tragen religiöser Kleidung und Symbole, die geeignet sind, die Neutralität der Amtsfüh-rung zu beeinträchtigen.

Die bisher auf der Grundlage dieser Neuregelungen erfolgten Kopftuchverbote wurden von den Gerichten weitgehend bestätigt.101 Nach Ansicht mehrerer Gerichte stellte das Tragen eines Kopftuches durch Angestellte an öffentlichen Schulen einen Verstoß gegen das Neu

-98 BVerfG, Urteil v. 24.9.2003, 2 BvR 1436/02, Rdn. 43.

99 BVerfG, Urteil v. 24.9.2003, 2 BvR 1436/02, Rdn. 30.

100 Eine Darstellung der Regelungen der Länder und der dazu ergangenen Gerichtsentscheidungen findet sich in der Veröffentlichung von Human Rights Watch: Diskriminierung im Namen der Neutralität, Abschnitt IV, 2009.

101 Siehe Fn. 100.

tralitätsgebot dar. Eine Benachteiligung wegen der Religion i. S. d. § 1 AGG sei jedenfalls nach § 8 AGG zur Wahrung des religiösen Schulfriedens sowie des Neutralitätsgebots gerechtfertigt. Lediglich im Fall einer – nicht im Beamtenverhältnis stehenden – Lehramts-referendarin aus Bremen entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der Zugang zur Lehrerausbildung im öffentlichen Schulwesen nicht allein wegen einer abstrakten Gefähr-dung des Schulfriedens verweigert werden dürfe.102

3.3.3.2 Das Kopftuch außerhalb von öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen

Das Neutralitätsgebot besteht nicht im privatwirtschaftlichen Bereich. Daher wird in Arbeitsverhältnissen außerhalb des öffentlichen Dienstes beim Verbot des Kopftuchtragens durch den Arbeitgeber von den Gerichten eine andere Interessenabwägung vorgenommen.

Das Bundesarbeitsgericht103 hatte bereits vor Inkrafttreten des AGG im Hinblick auf eine Verkäuferin mit Kopftuch festgestellt, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Religionsfreiheit nach Art. 4 GG unge-rechtfertigt war. Eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Arbeitgebers wur-de vom Bunwur-desverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen, weil die

Beschwerde weder grundsätzliche Bedeutung noch Aussicht auf Erfolg habe.104

In der Entscheidung legt das Bundesarbeitsgericht dar, dass das Untersagen des Kopftucht-ragens während der Arbeit zu einer Beeinträchtigung des Grundrechts der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG) der Arbeitnehmerin führe.105 Die hiermit konkurrierende grundrechtlich geschützte Unternehmerfreiheit (Art. 12 GG) müsse nach Auffassung des Gerichts jedenfalls dann zurücktreten, wenn nicht hinreichend dargelegt ist, dass die Beschäftigung einer Kopftuchträgerin zu konkreten betrieblichen Störungen bzw. wirt-schaftlichen Einbußen führe. Jedenfalls sei nach der Lebenserfahrung eben nicht „nahe-liegend“ und „gut nachvollziehbar“, dass sich die befürchteten Störungen realisierten.

Ein weiteres Urteil in diesem Bereich befasst sich mit einer Weisung des Arbeitgebers, das Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Das Arbeitsgericht Köln hat im Fall eines in kirchlicher Trägerschaft stehenden Krankenhauses entschieden, dass eine solche Weisung des Arbeitgebers an eine Krankenschwester eine mittelbare Benachteiligung wegen der Religion gem. § 3 Abs. 2 AGG darstelle, die unwirksam und nicht nach §§ 8, 9 AGG zu recht-fertigen sei.106

Dabei kam der Frage besondere Bedeutung zu, ob es sich bei der Arbeitnehmerin um eine sog. Tendenzträgerin handelt und dieser Umstand eine andere Bewertung der Sachlage gebiete.107 Im Gegensatz zu den Reinigungskräften stehe eine muslimische Kranken-schwester zwar mehr in Kontakt mit den Patienten und falle in der betrieblichen Öffentlich-keit auf. Deshalb könne aber von einer Tendenzträgerschaft und damit tangierenden

Aus-102 BVerwG, Urt. v. 26.6.2008 – 2 C 22/07.

103 BAG, 10.10.2002 – 2 AZR 472/01.

104 BVerfG, Beschluss v. 30.7.2003 – 1 BvR 792/03.

105 Für die Arbeitnehmerin war das Kopftuch Ausdruck ihres muslimischen Glaubens und nach ihrer Auffas-sung zwingend von ihrem Glauben vorgeschrieben.

106 ArbG Köln, 6.3.2008 – 19 Ca 7222/07.

107 Tendenzträger sind Funktionsinhaber des Betriebs, die in verantwortlicher Stellung einen maßgeblichen Einfluss auf die Tendenzverwirklichung und seine Repräsentanz haben.

wirkungen bzw. Störungen auf Patienten nicht ausgegangen werden. Das Tragen eines Kopftuches durch eine muslimische Pflegekraft gefährde daher nicht den Tendenzbereich eines kirchlichen Trägers.