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Motivationsstruktur bürgerschaftlich engagierter Nachbarschaftshilfe

2 Recherchen und konzeptionelle Vorbereitung (Modul 1)

2.2 Konzeptionelle Grundlagen und weitere Rechercheergebnisse

2.2.4 Motivationsstruktur bürgerschaftlich engagierter Nachbarschaftshilfe

Un-terstützungsstruktur stellte insbesondere der Aspekt der zielgruppengerechten Ansprache eine wichtige Vorüberlegung dar, welcher nicht nur als Einflussfaktor für die Reichweite, son-dern auch als den damit verbundenen Erfolg eines Servicepunkt-Konzepts bewertet wurde.

Hierfür war es notwendig, eine elaborierte Betrachtung der Motivationsstruktur und der Be-weggründe dieser Zielgruppe vorzunehmen.

Da keine fundierten empirischen Studien vorlagen, wurde vielmehr das „bürgerschaftliche En-gagement“ in seiner Gesamtheit in den Blick genommen, wie es begrifflich auch in der Leis-tungsbeschreibung zum Projekt zugrunde gelegt wurde.

Im Deutschen Freiwilligensurvey 2014 (Simonson et al., 2014) wurde zur Abbildung der ge-samten Bandbreite möglicher Formen des bürgerschaftlichen Engagements eine Begriffser-weiterung vorgenommen, um die informellen Unterstützungsleistungen für Nachbarinnen und Nachbarn, im Freundeskreis, sowie für Bekannte und andere Personen, die nicht öffentlich, sondern im sozialen Nahraum stattfinden und weniger formal organisiert sind, einbeziehen zu können. Eine Übertragbarkeit auf den ehrenamtlich engagierten Einzelhelfer/die ehrenamtlich engagierte Einzelhelferin konnte vor diesem Hintergrund somit zumindest theoretisch ange-nommen werden.

Die Motive für freiwilliges Engagement als Ergebnis des vierten Deutschen Freiwilligensurveys können der Abbildung 2 entnommen werden. Es zeigte sich ein vielschichtiges Bild, bei dem insbesondere das Interesse nach Austausch mit anderen Menschen und „Spaß haben“ im Vordergrund stehen. Deutlich seltener, aber doch recht häufig wurden das Interesse an einer beruflichen Weiterentwicklung, an eigener Qualifizierung sowie Anerkennung und Ansehen der eigenen Person genannt. Immerhin deutlich mehr als die Hälfte der Befragten, insbeson-dere in den älteren Jahrgängen, nannte das Motiv die „Gesellschaft mitgestalten“ zu wollen als wichtige Motivation für ihr bürgerschaftliches Engagement.

37 Abbildung 2: Motive freiwillig engagierter Personen gemäß Freiwilligensurvey 2014

Das Motiv „Dazuverdienen“ ist im Vergleich zu den weiteren Dimensionen dagegen am ge-ringsten ausgeprägt und weist zudem einen leichten Altersgradienten auf, mit einer höheren Anzahl an jüngeren Personen, die dieses Motiv angegeben haben. Analog hierzu konnte in Bezug auf die Einzelhelferinnen und Einzelhelfer die Annahme aufgestellt werden, dass diese in der Nachbarschaftshilfe, insbesondere auf Grund ihrer Altersstruktur und der Altersstruktur

38 der Zielgruppe, vornehmlich ein nicht gewerbliches Engagement sehen, das damit der Defini-tion des bürgerschaftlichen Engagements weitestgehend entspricht. Die im Rahmen einer An-erkennung mit dem Engagement verbundenen potenziellen Geldflüsse durch eine Inanspruch-nahme des Entlastungsbetrags, führten innerhalb einer differenzierten Betrachtung sowie in-formellen Gesprächen mit relevanten und betroffenen Personenkreisen zu der Feststellung, dass sich diese Geldflüsse einerseits auf den für das Engagement erforderlichen Sachauf-wand und andererseits auf die Möglichkeit der betreuten Menschen beziehen, durch eine Auf-wandsentschädigung, Dankbarkeit und Anerkennung zum Ausdruck bringen zu können.

Die Aufwandsentschädigung kann als eine besondere Form der finanziellen Anerkennung und Aufwandsvergütung innerhalb des bürgerschaftlichen Engagements verstanden werden, wo-bei diese nicht als Vergütung im ursprünglichen Sinn, sondern als eine „Belohnung“ für das jeweilige Engagement zu betrachten ist. Häufig ist die Aufwandsentschädigung pauschal messen, kann aber auch gezielt an dem entstandenen Sachaufwand für ein Engagement be-messen werden. In diesem Fall spricht man technisch auch vom sogenannten Auslagenersatz.

In der Fachdiskussion wird eine Vergütung jenseits des tatsächlich entstandenen Aufwands, z. B. für Fahrten und Material, grundsätzlich als kritisch angesehen. Häufig wird auf die Gefahr hingewiesen, dass die Engagierten in eine „Grauzone“ zwischen bürgerschaftlichem Engage-ment und dem Niedriglohnsektor geraten. Ein auf materiellen Gewinn ausgerichtetes Handeln könnte zudem eine Abkehr von der Gemeinwohl- beziehungsweise Nutzerorientierung hin zu einer Realisierung von materiellen (finanziellen) Eigeninteressen bewirken und damit einem wesentlichen Kriterium für bürgerschaftliches Engagement widersprechen. Ungeachtet dieser

„Gratwanderung“, wird in einem geringfügigen finanziellen Anreiz, insbesondere im betreueri-schen/pflegerischen Bereich, aber auch eine Möglichkeit gesehen, Engagementpotenziale zu mobilisieren und vor allem auf Dauer zu erhalten. Um diese „Grauzone“ anzusprechen, wird vom Nationalen Forum für Engagement und Partizipation beispielsweise empfohlen, andere Formen der Anerkennung für geleistete Tätigkeiten, wie Qualifizierung, Teilhabe an Infrastruk-tur und sozialen Netzwerken oder Vergünstigungen für öffentlichen Nahverkehr oder KulInfrastruk-tur- Kultur-veranstaltungen der pauschalen Vergütung auf Stundenbasis vorzuziehen. Diese Vorschläge wurden jedoch in der Regel mit Blick auf eine andere Zielgruppe formuliert, die sich im Rahmen von Gruppen – meist im Kontext von Vereinen – engagieren. Entscheidend war schlussendlich die Frage, inwieweit die Hilfeleistung durch eine Aufwandsentschädigung, die über die Erstat-tung des Sachaufwands hinausgeht, die Engagementsituation nachteilig beeinflussen kann.

Für die Nachbarschaftshilfe ergibt sich, dass dies im Einzelfall möglich sein kann, aber in der Regel die Ausnahme darstellt, sodass in der Gesamtbetrachtung die nutzbringenden Aspekte der Aufwandsentschädigung überwiegen.

39 Als Ergänzung zu den Ergebnissen des Deutschen Freiwilligensurvey 2014 und den hieraus abgeleiteten Schlussfolgerungen für die ehrenamtlichen Einzelhelferinnen und Einzelhelfer, die auf Grund der unzureichenden Datenlage, zumindest empirisch gesichert, derzeit nicht bestätigt werden können, wurden stichprobenartig explorative, semi-strukturierte Interviews mit bereits engagierten Nachbarschaftshelferinnen und Nachbarschaftshelfern in Sachsen durchgeführt. Diese Interviews wurden über die Koordinierungsstelle für Nachbarschaftshilfe und die dazugehörige Pflegedatenbank10 als Teil des Erfahrungsaustauschs mit Sachsen ver-mittelt und durchgeführt. Aus diesen Interviews konnten die folgenden Motive herausgearbei-tet werden. Eine Ergänzung sowie ein Abgleich dieser Motive hinsichtlich ihrer Repräsentati-vität, also inwieweit diese Motivlagen als typisch für Nachbarschaftshelferinnen und Nachbar-schaftshelfer bewertet werden können, wurden im Rahmen der Evaluation und wissenschaft-lichen Begleitung vertieft (vgl. Kapitel 5.4.1).

Mitgefühl und Empathie

Personen in der Nachbarschaft, die erkennbar Probleme bei der Alltagsbewältigung haben, werden aus Mitgefühl unterstützt.

Verantwortungsgefühl und Verantwortungsbewusstsein

Hilferufe aus der Nachbarschaft beziehungsweise dem persönlichen Nahraum, denen man sich aufgrund sozialer Normen, aber auch eigener moralisch-ethischer Werte nicht entziehen kann

Wunsch nach Anerkennung und Wissenstransfer

Weitergabe von eigenen, informell erworbenen Fertigkeiten, Kenntnissen und prakti-schen Erfahrungen in einer als sinnvoll und nützlich erachteten Art und Weise

Wunsch nach Kontinuität

Das Bedürfnis, anderen Menschen im Anschluss an eine möglicherweise länger wahrgenommene Betreuung und Pflege im familiären Kontext zu helfen: „Ich habe 5 Jahre meine Mutter gepflegt und kann nach ihrem Tod durch die Unterstützung ande-rer meinem Leben einen neuen Sinn geben“.

Wunsch nach Optimierung

Auf Grund der persönlichen Einschätzung, dass eine Unterstützung besser, d. h. vor allem persönlicher gestaltet werden kann, als dies durch professionelle Dienste erfol-gen kann, die „im Sekundentakt“ unpersönliche Hilfe leisten

10 https://www.pflegenetz.sachsen.de/pflegedatenbank/

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Wunsch nach Unabhängigkeit Eigenverantwortlichkeit und Flexibilität