• Keine Ergebnisse gefunden

Das Modell der pragmatischen und hedonischen Qualität von Hassenzahl

Im Dokument Das visuell Ästhetische im Web: (Seite 49-53)

Teil I : Begriffsklärung und thematische Einordnung

3. User Experience: konzeptionelle Verortung des Ästhetischen

3.4. Emotionsbezogene Ansätze zur Konkretisierung der User Experience

3.5.1. Das Modell der pragmatischen und hedonischen Qualität von Hassenzahl

er vom Designer vorgesehen ist, vom offenbaren Produktcharakter, wie er vom Nutzer wahrgenommen wird (s. Abb. 3). Dieser offenbare Produktcharakter ist durch seine nut-zerseitige Verortung das Entscheidende für die User Experience. Er wird anhand der Produktmerkmale und in Abstimmung mit persönlichen Standards und Erwartungen konstruiert. Er kann deshalb zwischen den Nutzern abweichen und sich auch im Laufe der Zeit beim gleichen Nutzer verändern (Hassenzahl, 2003, p. 33).

Abbildung 3. Modell der pragmatischen und hedonischen Qualität (Hassenzahl, 2001, p. 484)

Nach dem Modell setzt sich der wahrgenommene Produktcharakter aus zwei Qualitäts-aspekten zusammen: der pragmatischen und der hedonischen Qualität.

38

Die pragmatische Qualität eines Produktes wird bestimmt durch das Vorhandensein der Funktionalität, die für die zielgerichtete Erledigung einer Aufgabe notwendig ist, und durch die problemlose Nutzbarkeit dieser Funktionalität über die Usability (Hassenzahl, 2003, p. 34). Diese Qualität spricht menschliche Bedürfnisse der Sicherheit und Kon-trolle an (Hassenzahl, 2001, p. 483). Hassenzahl nennt die Ziele, mit denen ein pragma-tisches Produkt genutzt wird, motorische Ziele, wenn sie sich auf das Wie einer Aktion beziehen, und do-Ziele, wenn sie darauf gerichtet sind, was man mit dem Produkt ma-chen kann (Hassenzahl, 2010, p. 12f.). Der Fokus liegt hier auf dem Produkt und seiner Nützlichkeit und Usability (Hassenzahl, 2007, p. 10).

Die hedonische Qualität eines Produktes dient dem gegenüber nicht der Erledigung einer bestimmten Aufgabe. Sie richtet sich auf die Befriedigung von Bedürfnissen, die sich auf das individuelle psychologische Wohlbefinden des Nutzers beziehen (Hassenzahl, 2003, p. 35). Hassenzahl identifiziert drei Arten von Bedürfnissen, die durch die hedonische Qualität eines Produkts angesprochen werden: Stimulierung, Iden-tifikation und Evokation (Hassenzahl, 2003, p. 35f.). Stimulierung erfasst das menschli-che Bedürfnis nach Neuheit und Herausforderung. Der Mensch ist demnach am besten an ein Umfeld angepasst, das einen gewissen Grad an Abwechslung und Herausforde-rung bietet (D. E. Berlyne, 1966, p. 26). Hedonische Attraktivität erreicht interaktive Technik auf dieser Ebene durch neue Eindrücke, Möglichkeiten zur persönlichen Wei-terentwicklung und durch interessante Einsichten (Hassenzahl, 2003, p. 35). Da Neuheit und Abwechslung mit einer moderaten Komplexität verbunden sind, kann die stimulie-rende Qualität eines Systems im Widerspruch zur geforderten Einfachheit der Usability stehen (Hassenzahl, Beu, & Burmester, 2001, p. 72). Identifikation steht für das Be-dürfnis des Menschen, über Objekte zu kommunizieren und sich selbst darzustellen. Sie umfasst also die sozialen Aspekte der Nutzung von Technik. Ein Produkt wird genutzt, um eine vorteilhafte Identität zu kommunizieren. Dabei kann es um die Herausstellung der eigenen Wichtigkeit gehen, etwa wenn man als Experte etwas beherrscht, das andere nicht verstehen, oder wenn man etwas besitzt, das sich andere nicht leisten können (Hassenzahl et al., 2001, p. 72). Über die Evokation schließlich kann ein Produkt Erin-nerungen wach rufen und so vergangene Ereignisse repräsentieren oder Beziehungen und Gedanken, die dem Individuum wichtig sind (Hassenzahl, 2003, p. 36). Hassenzahl nennt die Ziele, die sich auf Produkte mit hedonischer Qualität richten, be-Ziele. Sie sind auf das Selbst des Nutzers bezogen und motivieren Aktion über die Zuweisung von Bedeutung (Hassenzahl, 2010, p. 13). Der Fokus bei der hedonischen Qualität liegt beim Nutzer und darauf, warum er das Produkt nutzt. Bedürfnisse über das Instrumen-telle hinaus bestimmen die hedonische Attraktivität des Produktes (Hassenzahl, 2007, p.

10).

39 Empirische Ergebnisse zeigen, dass die hedonische und pragmatische Qualität eines Produktes unabhängig voneinander wahrgenommen werden (Hassenzahl et al., 2000, p.

204). Je nach Ausprägung dieser Qualitäten können Produkte in vier Gruppen eingeteilt werden. Vorrangig pragmatische Produkte gehören in die ACT-Gruppe. Sie sind unmit-telbar verbunden mit aufgabenbezogenen Zielen. Vorrangig hedonische Produkte gehö-ren zur SELF-Gruppe und beziehen sich auf das Selbst des Nutzers und seine nicht in-strumentellen Bedürfnisse. Erstrebenswert ist ein Produkt mit hoher hedonischer und pragmatischer Qualität. Unerwünscht ist eine schwache Ausprägung beider Qualitäten bei einem Produkt (Hassenzahl, 2003, p. 36f.).

Im Zuge der Bewertung der Attraktivität eines Produktes werden die hedonischen und pragmatischen Qualitätsmerkmale abgewogen und führen in Kombination zu einem Gesamturteil (Hassenzahl, 2001, p. 483). In dem Modell wird zwischen der Wahrneh-mung von Qualitätsattributen eines Produktes und der Evaluation unterschieden. Ein Nutzer kann ein Produkt als neu empfinden und so ein Attribut zuordnen, diese Eigen-schaft jedoch noch nicht als Ergebnis einer Evaluation gut finden (Hassenzahl, 2004b, p. 322). Bei der Bewertung ist es von Bedeutung, in welchem Situationskontext das Produkt genutzt wird (Hassenzahl, 2003, p. 38). Hassenzahl unterscheidet einen Ziel-modus und einen AktionsZiel-modus. Im ZielZiel-modus wird das Produkt zur zielgerichteten Bearbeitung einer Aufgabe eingesetzt. Es ist Mittel zum Zweck. Im Aktionsmodus steht das Tun an sich im Vordergrund. Ziele sind flüchtig und die Erfahrung der Interaktion mit dem Produkt kann für sich den Sinn der Nutzung darstellen (Hassenzahl, 2003, p.

39f.). Es hat sich empirisch gezeigt, dass die pragmatische Qualität im Zielmodus bei der Bewertung eine wichtige Rolle spielt, während sie im Aktionsmodus in den Hinter-grund tritt. Die hedonische Qualität beeinflusst die Attraktivitätsbewertung sowohl im Zielmodus als auch, noch etwas stärker, im Aktionsmodus (Hassenzahl et al., 2002, p.

276).

In der Folge der Bewertung ergeben sich dann verhaltensbezogene und emotionale Konsequenzen. Die emotionale Reaktion kann bei hoher Attraktivität des Produktes in Zufriedenheit oder Freude bestehen. Hassenzahl argumentiert, dass eher pragmatische oder eher hedonische Ausprägungen des Produktcharakters bestimmte emotionale Reak-tionen wahrscheinlicher machen. Zufriedenheit als erwartungsbasierte Emotion wird eher bei einem ACT-Produkt erlebt, das die Erwartungen in Hinblick auf ein Ziel bestä-tigt. Freude kann allerdings durch das Übertreffen der Erwartung entstehen. Bei einem SELF-Produkt ist die Nutzung durch bestimmte Bedürfnisse motiviert, wobei Erwar-tungen eine geringere Rolle spielen. Ihre emotionale Wirkung zeigt sich in der unerwar-teten Befriedigung von Bedürfnissen und sie wird deshalb eher im Erleben von Freude bestehen (Hassenzahl, 2003, p. 38f.).

40

Das Ästhetische innerhalb des Modells

Das Modell unterscheidet zwischen wahrgenommenen Qualitätsattributen und der Eva-luation. Wie oben ausgeführt werden pragmatische und hedonische Qualitätsattribute demnach zunächst ohne eine evaluative Bewertung wahrgenommen. Dem gegenüber ist das Ästhetische innerhalb des Modells ein evaluatives Konstrukt auf höherer Stufe (Hassenzahl, 2004b, p. 323). Die Bewertung eines Produktes nach seiner ästhetischen Wirkung erfolgt also aus einem Abwägen verschiedener sinnlich wirksamer Produktat-tribute zu einem Gesamteindruck. Sie steht damit neben anderen evaluativen Konstruk-ten wie Attraktivität und Güte. Wie bereits in der Analyse der Begriffsverwendung dar-gestellt, liegt Schönheit bei Hassenzahl noch nicht in der unmittelbaren affektiven Reak-tion auf Sinneswahrnehmungen. Erst durch reflektive Verarbeitung von sinnlichen Wahrnehmungen und unmittelbaren affektiven Reaktionen wird im Ergebnis eines Ur-teils Schönheit erlebt.

Empirische Ergebnisse deuten an, dass die Bewertung eines Produktes nach seiner ästhetischen Wirkung zum Teil durch die Wahrnehmung von Produktattributen beein-flusst wird, die den Nutzer über die hedonische Identifikation und damit über das Be-dürfnis nach Kommunikation und Selbstdarstellung durch das Produkt ansprechen.

Pragmatische Produktattribute spielen für die Bewertung des Ästhetischen dagegen bei Hassenzahl keine Rolle (Hassenzahl, 2004b, p. 331) (s. Abb. 4). Die Beziehung zwi-schen dem Ästhetizwi-schen und der Wahrnehmung der Usability ist Gegenstand einer wis-senschaftlichen Diskussion, die in einem folgenden Kapitel behandelt wird (s. Kap.

6.5.).

Abbildung 4. Veranschaulichung der Beziehungen zwischen Produktmerkmalen (pragma-tisch/hedonisch) und Evaluationskonstrukten (Güte/Schönheit) (Hassenzahl, 2004b, p. 342)

In der angeführten Studie bestand das Stimulusmaterial aus MP3-Player-Skins. Es bleibt offen, inwiefern die Einbeziehung anderer Stimuli zu anderen Ergebnissen führen könn-te. Webseiten etwa werden ohne das Gefühl der Besitznahme und meist unbeobachtet

41 genutzt, so dass hier eine Außendarstellung durch die Nutzung keine so große Bedeu-tung haben dürfte.

Insgesamt liegt das Ästhetische innerhalb des Modells in einem reflektierten Urteil, das als Evaluationskonstrukt neben Bewertungen der Attraktivität und Güte eines inter-aktiven Produktes steht. Schönheit, die ja für Hassenzahl mit dem Ästhetischen gleich-bedeutend ist, entsteht nicht schon in der affektiven Verarbeitung von Sinneseindrü-cken, sondern erst in einem abwägenden und interpretierenden reflektiven Urteil.

Im Dokument Das visuell Ästhetische im Web: (Seite 49-53)