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4.   Branchenstrukturen und Segmente

4.4   Militärelektronik und IT

4.4.1 Wachsende Bedeutung von Elektronik und IT

Der Stellenwert und die Bedeutung von elektronischen Komponenten als Bestandteil von militärischen Gütern, ganzer Waffensysteme und die Füh-rung von militärischen Operationen hat analog zu der Entwicklung in allen anderen Lebensbereichen und Industriebranchen seit dem Ende des Zwei-ten Weltkriegs immer weiter zugenommen. In allen Waffensystemen vom gepanzerten Einsatzfahrzeug, über militärische Schiffe, Fluggeräte oder

48 In einer Befragung hat eine Mehrheit der Betriebsräte aus Werftbetrieben die Beschäf tigungssituation als zunächst stabil eingeschätzt. Allerdings gehen fast alle Betriebsräte davon aus, dass die Beschäftigung in naher Zukunft abnehmen wird. Ludwig (2013), S. 36.

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Raketensysteme sind heute große Anteile von elektronischen Komponenten für Betrieb und Steuerung der Systeme verbaut. Gleichzeitig hat der techni-sche Fortschritt bei Aufklärungs-, Kommunikations-, Überwachungs- und Führungssystemen zu weitreichenden Veränderungen bei militärstrategi-schen Überlegungen und Einsatzkonzepten geführt.49 Ohne eine komplexe IT Integration und Steuerungslandschaft sind viele der heute beschafften Waffensysteme gar nicht mehr in vollem Umfang einsetzbar. Die Bedeu-tung militärischer Elektronik schlägt sich auch in den Exporten nieder:

Über sieben Prozent aller Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsexporte be-treffen inzwischen die militärische Elektronik – bei steigender Tendenz.50 Die Entwicklung ist in den letzten Jahren soweit fortgeschritten, dass theo-retisch jeder einzelne Soldat im Einsatz digital mit Computer und moder-nen Kommunikationsmitteln ausgestattet werden kann. In Zeiten des zu-nehmenden Einsatzes von unbemannten Geräten wie Drohnen, immer leis-tungsstärkeren Aufklärungssatelliten und der Nutzung von Cyber-Attacken als Mittel der Kriegsführung wird sich der Technologieeinsatz und damit der Anteil der Elektronikindustrie weiter erhöhen.51 Die Verwendung von autonomen Kampfrobotern ist nicht mehr nur eine Zukunftsvision, son-dern auch Teil militärischer Forschungs- und Entwicklungsaufträge.52

Parallel zu der signifikant gestiegenen Bedeutung von Elektronik und Steuerungssystemen in der Waffentechnik und der militärischen operativen Planung hat allerdings aufgrund der exponentiell gewachsenen zivilen Märkte die Bedeutung der militärischen Aufträge für die Entwicklung der Elektronikbranche stark abgenommen. Die Rolle militärischer Forschung

49 So wurde beispielweise unter dem Begriff des Network-Centric Warfare (netz-werk zentrierte Kriegsführung) ein Konzept entwickelt, das durch die Vernet-zung von Aufklärungs-, Führungs- und Waffensystemen dem Militär einen per-manenten und umfassenden Informationsüberblick bei militärischen Operatio-nen garantieren soll. Die Bundeswehr Operatio-nennt dies „Vernetzte Operationsfüh-rung“.

50 Siehe Rüstungsexportberichte der Bundesregierung (2011), S. 21; (2013), S. 25.

51 Siehe Zeitschrift Wehrtechnik V/(2013): „Erstbefähigung CyberAttack“ S. 27.

52 Vgl. dazu Sauer (2014). Unter anderem werden solche Systeme von Northorp Grumman entwickelt.

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und Entwicklung mit ihrer für Unternehmen weitgehend risikolosen Nach-frage in Form von militärischen Entwicklungsaufträgen ist für Innovatio-nen in den Elektronikmärkten deutlich zurückgegangen. Die zivilen Ent-wicklungsbudgets in den Märkten für Konsum-Elektronik, aber auch bei Industriemärkten wie dem Maschinenbau und dem Flugzeugbau sind grö-ßer als der militärische Beschaffungs- und F&E-Budgets.53 Die Konsequenz ist, dass heute auch in militärischen Systemen vielfach zivile Komponenten eingebaut werden.54 Eine Abgrenzung der Unternehmen nach militärischer und ziviler Produktion ist bei den Elektronikherstellern von den Produkten her oftmals kaum noch sinnvoll und möglich.

Im Folgenden wird anhand der Darstellung von Firmen aufgezeigt, wel-chen Anteil elektronische Produkte bzw. deren Entwicklung heute bei mili-tärischen Systemen in Deutschland ausmachen. Dabei wird auch auf Fir-men mit elektrotechnischem Know-how hingewiesen, die nicht zur Rüs-tungsindustrie im engeren Sinne gezählt werden können, die aber zuneh-mend in Projekten als wichtige Auftragnehmer bzw. Zulieferer fungieren.

Hier zeigt sich als Trend55, dass es zunehmend mehr und teilweise auch neue Markteilnehmer aus dem zivilen Bereich als Auftragnehmer für mili-tärische Aufträge gibt. Die Umsatzanteile der milimili-tärischen Aufträge am Gesamtumsatz dieser Unternehmen sind meist gering.

In den nächsten Abschnitten werden im Produktbereich Militärelektro-nik Unternehmen erfasst, die rein militärspezifische Produktentwicklungen bzw. Anwendungen wie etwa im Bereich von Ortungs- und Führungssys-temen herstellen, aber auch Hersteller ziviler Güter, die in modifizierten Anwendungen in militärischen Systemen eingesetzt werden. Zusätzlich ha-ben wir Hersteller von Lenkwaffen und einzelne Unternehmen der Luft-fahrtindustrie in diesem Segment zugeordnet.

53 Allein in der deutschen Elektronikindustrie lagen die F&E Ausgaben in 2014 bei ca. 14,7 Mrd. Euro. Das ist ein Vielfaches der gesamten F&E Ausgaben des Bundesverteidigungsministeriums. Sieh dazu die veröffentliche Umfrage unter Statista (2014).

54 Vgl. dazu die Analyse von Michael Brzoska, Trends in Global Military and Ci-vilian Research and Development (R&D) and their Changing Interface (2004).

55 Dowdall & Braddon (2005).

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4.4.2 Struktur der Branche

Wandel der Produkte

Die gewachsene Bedeutung von Elektrotechnik und deren Anbieter im Rüs-tungsmarkt spiegelt sich auch in der technologischen Entwicklung von Waffensystemen wider. Kamen früher z.B. bei gepanzerten Fahrzeugen in erster Linie hydraulische oder pneumatische Mechaniken und analoge Elektronikschaltungen zum Einsatz, haben sich inzwischen „klassische“

Rüstungsgüter wie Panzer über Jahre hinweg und unter dem Einsatz immer neuerer Technologien zu digital hochgerüsteten Systemen entwickelt. Der Einsatz nahezu aller Fahrzeuge und Waffensysteme ohne direkte digitale elektronische, Unterstützung ist nicht mehr denkbar. Analoge Kommunika-tionsmittel sind sukzessiv durch digitale Geräte ersetzt worden. Ein Beispiel für den Wandel ist die technologische Entwicklung seit den 60er Jahren bei den Leopard Kampfpanzern. Hier sind durch immer wieder durchgeführte sogenannte Kampfwertsteigerungen und Neuentwicklungen ständige Er-weiterungen der militärischen Einsatzmöglichkeiten erreicht worden. Von der Nutzung erster elektrohydraulischer Richtanlagen und Waffenstabili-sierungseinrichtungen auf gyroskopgesteuerter Basis wurden die Panzer aufgerüstet durch Elektronik in Stabilisierung, Feuerleitrechner, Funkgerä-teausstattung und Nachtsichtfähigkeit. In neuen Modellen des Leopard 2 kommen elektronische Gegenmaßnahmen gegen fern gezündete Sprengsät-ze und andere Fähigkeiten hinzu. Moderne MilitärfahrSprengsät-zeuge verfügen mitt-lerweile über so viel Elektronik, dass diese wie im Schützenpanzer Puma, einer eigenen Kühlung bedarf. Diese Entwicklung gilt selbstverständlich nicht nur für Fahrzeuge, sondern auch für andere Komponenten wie Waf-fensysteme oder Kommunikationsmittel.

Der Anteil von Elektronik im Waffensystem steigt

Der Einsatzbereich und die Produktpalette von Elektronikprodukten und -bauteilen ist sehr breit. Dementsprechend finden sich bei den Unternehmen in diesem Bereich Hersteller mit ganz unterschiedlichen Produktportfolios.

Der Anteil der militärischen Aufträge am Umsatz und an der Beschäftigung

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in diesen Unternehmen ist in den meisten Fällen ohne Angaben des Unter-nehmens selber nicht abzuschätzen.

Aufgrund der Vielschichtigkeit der Branche sind hier Doppelnennungen und Überschneidungen mit dem Bereich der Luftfahrtindustrie und dem militärischen Schiffbau nicht vermeidbar. Zu welchem Grade das elektro-nische Know-how dieser Firmen durch externe Zulieferer und Service-dienstleistungen gedeckt wird, ist schwer einschätzbar. Aufgrund des integ-rativen Charakters der Produktionsprozesse muss jeder Anbieter von mili-tärischen Waffensystemen auf dem Gebiet der Militärelektronik (besonders als Systemhersteller / Integrator) ein hohes Maß an Fähigkeiten in diesem Bereich vorhalten.

Es lässt sich für die gesamte Branche zeigen, dass heute alle produzier-ten Rüstungsgüter und die dazu gehörigen Dienstleistungen nur mit einem hohen Einsatz von elektrotechnischen Fähigkeiten angeboten werden kön-nen. „Klassische“ Rüstungsunternehmen, deren eigentliches Produktport-folio vormals nicht direkt mit dem Segment der Militärelektronik verbun-den wurde, haben darauf reagiert und sich entsprechendes Know-how durch Übernahmen angeeignet bzw. durch Kooperationen gesichert.

Der Bedeutungszuwachs der modernen Elektrotechnik kann exempla-risch für Firmen und besonders Systemintegratoren im Segment der Land-systeme / Heeresindustrie aufgezeigt werden. In der Vergangenheit spielte die Elektronik bei Artilleriegeschützen, Panzerkanonen, Munition oder ge-panzerten Rad-und Kettenfahrzeugen nur bei Zielerfassungssystemen und Optiken eine Rolle. Heute findet sie sich in allen Subsystemen und vor al-lem auch in der Steuerung der Waffen.

Die Anforderungs- und Fähigkeitsprofile z.B. für gepanzerte Fahrzeuge haben sich durch neue Steuerungs-, Überwachungs- und Ortungsmöglich-keiten sowie elektronische Abwehrmaßnahmen völlig verändert. Ein Sys-temintegrator wie der Panzerbauer KMW hat daher u.a. durch Zukauf von Unternehmen in den letzten Jahren verstärkt elektrotechnische Fähigkeiten aufgebaut. So übernahm KMW die Firma ATM ComputerSysteme GmbH als Spezialist von Hard- und Softwarelösungen für mobile

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onsanbindungen, um den mobilen Datenzugriff auch unter Einsatzbedin-gungen sicherzustellen.56

Solche Übernahmen stellen einerseits intern das notwendige Wissen von IT- und Kommunikationslösungen sicher, andererseits erlauben sie dem Unternehmen auch, wichtige Fähigkeiten auf dem zunehmend wachsenden Markt der Sicherheitsindustrie hinzuzugewinnen. ATM arbeitet nach eige-ner Aussage mit eieige-ner Vielzahl von Kunden und Behörden im In- und Aus-land zusammen.

Diese Entwicklungen werden auch organisatorisch in Konzernstruktu-ren deutlich. So trägt einer der drei neuen Konzernbereiche von Rheinme-tall Defence den Namen „Electronic Solutions“ und umfasst hauptsächlich die Entwicklung und Produktion von Aufklärungs- und Führungsmitteln sowie Simulatoren für verschiedenste Bereiche.57

Ähnliches zeigt sich bei Diehl Defence. Auch hier stellt das Unterneh-men im Geschäftsbericht 2012 die wachsende Bedeutung der Elektroin-dustrie für alle Konzernbereiche heraus. Diehl verfügt gleich in mehreren Teilen über wichtiges Know-how in diesem Sektor, so bspw. in der Aeros-pace Sparte und in der AIM Infrarot-Module GmbH. Die AIM GmbH ist Hersteller von Hochleistungsmodulen für moderne Infrarotsysteme und weltweit ein wichtiger Anbieter von Wärmebildgeräten, die auch in der zi-vilen Sicherheitstechnik Anwendung finden.

Richtung des Spin Offs hat sich verändert

Elektronikmodule gehören heute zum üblichen Ausrüstungsstand im ge-samten Anlagen-, Fahrzeug- und Maschinenbau. Die zivilen Märkte und die hier eingesetzten Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen sind um ein Vielfaches höher als die Ausgaben im militärischen Bereich. Die zivilen Anwendungen übernehmen technologische Führungsrollen. In neueren Un-tersuchungen ist unbestritten, dass der Technologietransfer inzwischen in vielen Fällen aus der zivilen Nutzung in militärische Anwendungen und nicht umgekehrt erfolgt. Innovationen bei Smartphones, elektronischer

56 Zeitschrift Wehrtechnik VI/(2012), S. 92.

57 Rheinmetall AG (2012).

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Bildtechnik und IT Software finden erst nach ihrem Erfolg in zivilen Märk-ten auch ihren Weg in die Weiterentwicklung militärischer Produkte.58

Ein Beispiel kommt aus dem Bereich der Simulationstechnik. Hier sind die immer realistischer gewordenen Computerspiele realitätsnäher und schneller als viele militärisch entwickelte Software. Aus der Spieleanwen-dung entwickelte Simulationen werden daher als Werkzeug bei der Ent-wicklung neuer Systeme, aber auch zur Schulung der Bedienmannschaften und zur Einsatzplanung eingesetzt. Beispielsweise können mithilfe von Si-mulationen neue Missionen und Einsatzszenarien im Vorhinein durchge-spielt werden. Hier hat sich eine wechselseitige Kooperation zwischen mili-tärisch-wissenschaftlicher Forschung und Spieleentwicklern herausgebil-det.59

Ein umfassender Einblick in die Wechselseitigkeit zwischen ziviler und militärischer Nutzung in der Elektronik- und IT Branche kann im Rahmen der Studie aufgrund der Komplexität, analog zur Zulieferverflechtung der Wehrindustrie, nicht erfolgen. Im Folgenden sind daher nur einzelne Rüs-tungsprojekte genannt, bei denen große, nicht einem engeren Kreis der Rüstungsindustrie zugehörige Unternehmen mitwirken. In militärischen Bundeswehrfahrzeugen stecken elektronische Komponenten, die auch im zivilen Sektor Anwendung finden. Ein Schnittpunkt, der sich aktuell aus zi-viler und militärischer Forschung im Bereich der Fahrzeugtechnik ergibt, ist beispielsweise das automatisierte Fahren/Folgen im Konvoi, das vom Insti-tut für Technik autonomer Systeme an der BW Universität in München er-arbeitet wird.60

Zu nennen ist auch die Firma Carl-Zeiss, die bis zu dem Verkauf ihrer Rüstungsanteile elektro-optronische Hightech-Geräte für den individuellen, als auch für den fahrzeuggebundenen Einsatz herstellte.

Die Schott AG als einer der weltweit größten Produzenten von Glas- und Glasfasertechnik ist ein weiteres Beispiel für zivilen Spin-off in

militä-58 European Commission (2004).

59 Petermann & Grünwald (2011), S. 120.

60 Bundesministerium der Verteidigung (2014), S. 52.

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rische Nutzung. Die Schott AG produziert Kommunikations- und Optro-nikgerät für die Bundeswehr.61

Verschiedene Anbieter von Computerhardware bieten ebenfalls ihre Produkte für das Militär an. Nicht selten sind diese nur durch einen schlichten Grünanstrich von den zivilen Modellen unterscheidbar. Auch Hersteller für Mess- und Regeltechnik und GPS-Handheldanbieter offerie-ren ähnliche Produkte sowohl für den zivilen als auch den militärischen Markt.

Die Beispiele verdeutlichen, dass heute mehr vorrangig in zivilen Märk-ten tätige Unternehmen als Anbieter und Zulieferer auf dem Rüstungs-markt Leistungen verkaufen. Viele von ihnen bieten Produkte und Dienst-leistungen an, die nicht kosteneffizient für ausschließlich militärische An-wendungen hergestellt werden können, aber für militärische Operationen als unerlässlich gelten. Das gilt insbesondere für den IT-Bereich.

Bei größeren Rüstungsfirmen wie Rheinmetall, KMW u.a. lassen sich Bestrebungen erkennen, auf diese Entwicklung zu reagieren. Durch interne Kompetenzerweiterung auf dem Feld der Elektrotechnik (Aufbau oder Zu-kauf von Know-how) und über langfristige Kooperationsverträge und Joint-Ventures sichert sich die Firma Know-how, um weiterhin als Gene-ralauftragnehmer erfolgreich zu sein.

Es bleibt festzuhalten, dass der Stellenwert der modernen Elektrotech-nik in der Rüstungsindustrie und bei deren Gütern in den letzten Jahrzehn-ten stetig gewachsen ist und dass sich diese Entwicklung langfristig nicht ändern wird. Für die Industrie bedeutet diese Entwicklung einerseits eine Option zur Hinwendung neuer Betätigungs- und Absatzfelder jenseits des reinen militärischen Marktes. Gleichzeitig wird sich der Trend jedoch fort-setzen, dass Anbieter, die bisher nicht allzu präsent auf dem Rüstungs-markt waren, als neue Marktanbieter in Erscheinung treten.

61 Kiani-Kreß (10.01.2012).

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