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5.1 Milchlagerung

Wird die Milch vor der Verarbeitung zu Käse keinem keimtötenden Verfahren unterzogen, kommt der mikrobiologischen Qualität der Milch eine zentrale Bedeutung zu. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit von Käse, sondern auch in Bezug auf die Vermeidung von Fehlgärungen. Hier kann über die Melkhygiene und die Milchlagerung Einfluss genommen werden. Gemäss Artikel 14 der Verordnung über die Hygiene in der Milchproduktion [Anon. 2015]

darf Käsereimilch bei einer Temperatur von mehr als 8 °C gelagert werden, sofern die Verarbeitung spätestens 24 h nach der Gewinnung erfolgt. Die Temperatur darf aber 18 °C nicht überschreiten, und die Lebensmittelsicherheit muss jeder-zeit gewährleistet sein [Anon. 2014 a, Anon. 2015].

Milchlagertemperaturen von 12 °C sind gerade in Käsereien, die Rohmilch verarbeiten, verbreitet und beim Gruyère AOP sogar durch das AOP-Pflichtenheft vorgegeben. Ein Grund dafür liegt darin, dass es bei Temperaturen unter 8 °C zu einem deutlichen pH-Anstieg in der Milch kommt, der sich ungünstig auf die Labgerinnung der Milch auswirkt. Wird die Milch später thermisch behandelt, wird ein lagerungsbedingter pH-Anstieg wieder korrigiert.

Wie Abbildung 1 zeigt, beschleunigt sich das Wachstum von Escherichia coli bei Temperaturen oberhalb von 12 °C derart, dass bei einer Lagerdauer von nur 12 h, z.B. bei der Lagerung von Abendmilch über Nacht, eine unakzeptable Kontamination der Verarbeitungsmilch entstehen kann. Es ist dabei immer auch zu bedenken, dass es im Zuge der Käseherstellung noch zu einer rein physikalischen Anreicherung der Keime um etwa das Zehnfache kommt und je nach Temperaturverlauf während des Käseherstellungsprozesses zu einer weiteren Keimvermehrung. Unterhalb von 10 °C erfolgt innerhalb 24 h keine nennenswerte Vermehrung von pathogenen Keimen in der Milch. Eine Ausnahme bildet Listeria monocytogenes, die selbst bei 0 °C noch vermehrungsfähig ist.

Abbildung 1: Vermehrung von Escherichia coli (links) und Listeria monocytogenes in Milch bei verschiedenen Tempera-turen [Simulation mit Sym’previus, Leporq et al. 2005]

Die SAV Leitlinie verbietet eine Milchlagerung bei Temperaturen von mehr als 15 °C, falls Rohmilch zu Halbhartkäse verarbeitet wird. Empfohlen wird eine Milchlagerung bei max. 12 °C während max. 12 h, bzw. von max. 10 °C, falls die Milch 24 h gelagert werden soll.

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5.2 Milcherhitzung

5.2.1 Pasteurisation

Die Hitzebehandlung der Milch ist das gebräuchlichste Verfahren zu Eliminierung unerwünschter Mikroorganismen aus der Käsereirohmilch. Dabei unterscheidet man zwischen Pasteurisation und Thermisation. Die Pasteurisation der Milch ist gemäss Hygieneverordnung definiert als eine Hitzebehandlung bei 72 °C während mind. 15 s oder eine Temperatur-Zeit-Kombination mit gleicher Wirkung, die zu einem negativen Phosphatase-Test führt [Anon.2014a]. Gestützt auf die Arbeit von Enright, Sadler & Thomas [Enright et al. 1957] mit Coxiella burnetii gilt in den USA eine Hitzebehandlung der Milch bei 63 °C während 30 min als einer Behandlung bei 72 °C/15 s gleichwertig [Holsinger et al.1997, Cerf & Condron 2006]. Beide Zeit-Temperatur-Kombinationen führen zu einer Reduktion von C. burnetii in Milch um 7 log [Cerf & Condron 2006]. Die Gleichwertigkeit von 63 °C/30 min und 72 °C/15 s entspricht einem z-Wert von 4.34 °C, wie er von Enright, Sadler & Thomas [Enright et al. 1957] für C. burnetii ermittelt wurde. Der z-Wert bezeichnet die Temperaturveränderung, welche zu einer Veränderung der dezimalen Reduktionszeit D um 1 log (entspricht einer Veränderung um 1 Zehnerpo-tenz) führt. Wie Tabelle 3 zeigt, weisen andere pathogene Keime teilweise deutlich höhere z-Werte auf, was bedeutet, dass deren Absterberate (D-Wert) weniger stark auf Temperaturveränderungen reagiert.

Tabelle 3: D- und z-Werte für die Hitzeinaktivierung verschiedener Bakterienarten

Bakterienart Medium D-Wert 65°C

[s] z-Wert

[°C] Quelle Campylobacter jejuni/coli diverse Medien 1.3 6.4 Sörqvist 2003

Coxiella burnetii Milch 156.1 4.4 Cerf & Condron

2006

Enterococcus faecalis diverse Medien 123.2 9.5 Sörqvist 2003

Escherichia coli diverse Medien 5.6 6.0 Sörqvist 2003

Listeria monocytogenes1 Milch 21.6 6.7 Sörqvist 2003

Mycobacterium avium ssp.

paratuberculosis Milch 68.5 7.1 Sung & Collins

1998 Mycobacterium

bo-vis/caprae2 Milch 6.6 5.3 Hammer et al.

2015

Salmonella spp.3 diverse Medien 2.6 5.2 Sörqvist 2003

Staphylococcus aureus Milch 15.4 9.5 Firstenberg-Eden

et al. 1977 Yersinia enterocolitica Milch und andere

Me-dien 5.4 6.7 Sörqvist 2003

1 Mittelwerte errechnet anhand der Regressionsgleichungen des Autors für Experimente mit Kapillarröhrchen bzw. Schlangenerhitzer

2 Mittelwerte errechnet anhand der D-Werte bei 60, 62 und 65°C von 2 Stämmen von M. caprae und 1 Stamm von M. bovis

3 Werte für Salmonella spp. ohne die hitzeresistentere S. senftenberg (Sörqvist, 2003)

Die Beziehung zwischen der dezimalen Reduktionszeit D und der Temperatur T lässt sich mit folgender Formel um-schreiben:

(1)

wobei die dezimale Reduktionszeit bei einer Referenztemperatur ist. Formel (1) beruht darauf, dass sich die Hitz-einaktivierung von Mikroorganismen als eine chemische Reaktion 1. Ordnung gemäss Formel (2) betrachten lässt [Caso-lari 1988]:

(2)

N steht für die Keimzahl zum Zeitpunkt t, k ist die Geschwindigkeitskonstante der Inaktivierung bei einer bestimmten Temperatur. Für den Spezialfall, dass die Keimzahl zum Zeitpunkt t 10 % der Anfangskeimzahl = 100 % ist, wird t = D:

. bzw. (3)

Mit Hilfe der Arrhenius-Gleichung (4) lässt sich die Temperaturabhängigkeit der Reaktion wie folgt beschreiben:

(4)

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wobei k die Geschwindigkeitskonstante [1/s], A der temperaturabhängige Frequenzfaktor [1/s], die Aktivierungsener-gie [J/mol], R die universelle Gaskonstante 8.314 [J/(Kmol)] und T die absolute Temperatur [K] sind. Berechnet man die Geschwindigkeitskonstanten k1 und k2 für zwei verschiedene Temperaturen T1 und T2 mit Hilfe von Formel (3) unter Vernachlässigung der relativ bescheidenen Temperaturabhängigkeit von A, so folgt :

(5)

Aus Gleichung (5) folgt, dass . Damit ergibt sich für den Fall, dass (Reduktion um 1 log), bzw. T2 – T1 = z, die Beziehung

(6)

Aus Gleichung (6) wird ersichtlich, dass z-Werte mit höherer Temperatur zunehmen, also keine konstante Grösse sind, wie dies mit der gebräuchlicheren Formel (1) suggeriert wird. Das bedeutet, dass z-Werte nicht weit über den Tempera-turbereich hinaus anwendbar sind, in welchem sie ermittelt wurden.

Die Pasteurized Milk Ordinance der USA [FDA 2011] gibt auch für Temperaturen weit über 72 °C Mindestheisshaltezeiten vor (Tab. 4). Stellt man diese Werte grafisch dar (Abb. 2), wird offensichtlich, dass die Zeitvorgaben im Temperaturbereich 89 – 100 °C auf einem höheren z-Wert (5.64 °C) basieren als jene im Bereich 63 – 72 °C (z-Wert = 4.34 °C). Dies wird vor allem dadurch begründet, dass die Inaktivierung der alkalischen Phosphatase (z-Wert = 8.3) nicht denselben Tem-peraturverlauf hat, wie die Inaktivierung der pathogenen Zielkeime, so dass die sichere Inaktivierung der alkalischen Phosphatase oberhalb von 72 °C längere Heisshaltezeiten erfordert [Schlimme et al. 1998]. Dies ist wichtig, weil die alkalische Phosphatase als Indikator für eine nicht ordnungsgemässe Pasteurisation der Milch dient.

Tabelle 4: Temperatur-Zeit-Kombinationen für die Pasteurisation von Milch mit einem Fettgehalt von max. 10 % gemäss der US Pasteurized Milk Ordinance [FDA 2011]

Temperatur

[°C] Heisshaltezeit

63 30 min

72 15s

89 1 s

90 0.5 s

94 0.1 s

100 0.01 s

Für Milchkonzentrate ab 18 % Trockensubstanz oder Rahm mit einem Fettgehalt ab 10 % schreibt die Pasteurized Milk Ordinance der USA [FDA 2011] eine intensivere Hitzebehandlung vor als für Milch, z.B. eine Pasteurisation bei 69 ºC während 30 Minuten oder bei 83 ºC während 15 Sekunden. Dies begründet sich durch die Anreicherung der alkalischen Phosphatase in der Rahmphase [Shakeel-ur-Rehman et al. 2003]. Ausserdem erfolgt bei natürlicher Aufrahmung der Milch eine physikalische Anreicherung der Mikroorganismen im Rahm [Dellagio et al.1963, Caplan et al. 2013]. Zu be-achten ist auch, dass ein hoher Fettgehalt die Hitzeinaktivierung von Bakterien beeinträchtigen kann. MacDonald &

Sutherland (1993) fanden, dass Listeria monocytogenes in fettreicher Schafmilch langsamer inaktiviert wird als in der Magermilch. In Kuhmilch konnten die Autoren allerdings keinen schützenden Effekt des Fettes beobachten.

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Agroscope | Nr. 41 / 2016 11 Abbildung 2: Temperatur-Zeit-Kombinationen gemäss der US Pasteurized Milk Ordinance [FDA 2011] mit den Regressi-onsgeraden und den daraus abgeleiteten z-Werten für die Temperaturbereiche 63 – 72 °C und 89 – 100 °C.  Vorgaben für Milch,  Vorgaben für Milchprodukte mit ≥10 % Fett oder ≥18 % Trockenmasse.

5.2.2 Thermisation

Im Unterschied zur Pasteurisation ist die Thermisation gesetzlich weit weniger präzise definiert. Gemäss Artikel 40 der Verordnung über Lebensmittel tierischer Herkunft [Anon. 2014b] gilt die Käsereimilch als thermisiert, falls sie auf eine Temperatur von über 40 °C und weniger als 72 °C während mindestens 15 Sekunden erwärmt wurde und der Phospha-tasetest noch positiv ist. In der Praxis orientiert man sich allerdings noch immer an der Definition, die bis 2005 in Artikel 13 der Lebensmittelverordnung [Anon. 2005] formuliert war. Gemäss dieser Definition galten allgemein Lebensmittel als thermisiert, wenn sie auf 57 bis 68 °C erwärmt und während mindestens 15 Sekunden bei dieser Temperatur gehalten wurden. In Milch musste nach der Thermisation die alkalische Phosphatase noch nachweisbar sein

.

In der Milchwirtschaft wird die Thermisation eingesetzt, um die Milchqualität durch Abtötung der psychrotrophen Bakte-rien bei längerer Lagerung zu stabilisieren und das Risiko von Fehlgärungen zu reduzieren [Spreer 2011]. Die Thermi-sation vermag auch den pH-Anstieg in kalt gelagerter Milch rückgängig zu machen und so deren Labgerinnungsfähigkeit wieder zu verbessern, ohne dass Calciumchlorid zugesetzt werden müsste, wie dies nach einer Pasteurisation der Fall ist. Wie Abbildung 3 und 4 zeigen, werden aufgrund der geringeren Hitzebelastung Enzyme wie die Lipoproteinlipase und thermodure Bakterien wie z.B. Pediokokken und Enterokokken weniger stark inaktiviert, was sich auf die Reifung der Käse und die Aromaentwicklung positiv auswirkt [Franklin & Sharpe 1963, Grappin & Beuvier 1997, Foulquié Moreno et al. 2006, Hickey et al. 2007].

‐3

‐2

‐1 0 1 2 3 4

60 70 80 90 100 110

log   t   [s]

Temperatur [°C]

z = 4.34 °C 1

1

z = 5.64 °C

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Abbildung 3: D-Werte in Abhängigkeit von der Temperatur für die Inaktivierung der wichtigen Verursacher von Fehlgä-rungen im Käse. (1) nach Sörqvist [2003], (2) D- und z-Wert berechnet anhand der Daten von Sollberger [1993], (3) D- und z-Wert berechnet anhand der Daten von Sumner et al. [1990] für Lactobacillus buchneri St2A, der später als Lacto-bacillus parabuchneri reklassifiziert wurde.

Abbildung 4: D-Werte in Abhängigkeit von der Temperatur für die Inaktivierung der alkalischen Phosphatase ALP, der Lipoproteinlipase und von Cathepsin D in Milch gemäss Literaturangaben.

Der Vacherin Mont d’Or AOP darf gemäss Pflichtenheft nur aus Milch hergestellt werden, die einer Hitzebehandlung bei 57 bis 68 °C während höchstens 15 s unterzogen wurde [Anon. 2014c]. Modellrechnungen basierend auf Literaturanga-ben (Tab. 5) zeigen, dass bei 57 °C und einer Heisshaltezeit von 15 s Listerien und Salmonellen kaum inaktiviert werden, so dass sehr viel längere Heisshaltezeiten erforderlich wären. Dies gilt in Bezug auf die Listerien auch für Temperaturen von 62 und 65 °C (Reduktion in 15 s um 0.4 log = 60 % bzw. um 0.7 log = 80 %).

1 10 100 1000 10000

56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73

D‐Wert [s]

Temperatur [°C]

Enterococcus faecium (1)

Enterococcus faecalis (1)

Propionibacterium freudenreichii (2)

Lactobacillus parabuchneri (3)

Escherichia coli (1)

Thermisation

Pasteurisation

1 10 100 1'000 10'000

56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73

D‐Wert [s]

Temperatur [°C]

ALP (Cleays, 2003) Lipase (Driessen, 1983)

Cathepsion D (Hayes et al. 2001) Thermisation

Pasteurisation

Baktofugation

Agroscope | Nr. 41 / 2016 13 Tabelle 5: Reduktion der Keimzahl von Listeria monocytogenes und Salmonellen bei verschiedenen Thermisationsbe-dingungen berechnet anhand durchschnittlicher D- und z-Werte [Sörqvist 2003]

Thermisationsbedingungen Keimreduktion

Temperatur [°C]

Heisshaltezeit [s]

Listeria monocytogenes1 [log KbE]

Salmonella spp.2 [log KbE]

57 15 < 0.1 0.2

62 15 0.2 1.5

65 15 0.7 5.7

68 15 2.0 > 7

1Berechnungsbasis: D-Wert bei 65 °C in Milch: 21.6 s, z-Wert: 6.7 °C [Sörqvist, 2003]

2 Berechnungsbasis: D-Wert bei 65 °C in div. Medien: 2.6 s, z-Wert 5.2 °C für Salmonella spp. exklusive S. senftenberg [Sörqvist, 2003]

Wird die Thermisation der Käsereimilch im Rahmen einer HACCP-Studie als Massnahme zur Beherrschung mikrobieller Gefahren in einem bestimmten Käse betrachtet, so kommt man nicht umhin, ähnlich wie für die Pasteurisation gleich-wertige Temperatur-Zeit-Kombinationen zu definieren. Eine solche Definition findet sich darum in der SAV-Leitlinie (Tab.