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Migration und Illegalität: Konturen eines Phänomens

Illegale Migration2 ist Teil eines allgemeinen Phänomens der Migration. Hinsichtlich der Triebkräfte heutiger Migrationsbewegungen und der Wanderungsmotive der MigrantInnen besteht zunächst einmal kein Grund, zwischen legalen und illegalen MigrantInnen zu unterscheiden. Erst in bestimmten Kontexten wird diese Grenzziehung relevant.

2 Der Begriff der illegalen Migration wird an dieser Stelle in einem allgemeineren Sinne benutzt und bezeichnet sowohl den Wanderungsprozess selbst als auch den Aufenthalt der MigrantInnen in einem fremden Staat. Wie in einem Papier für eine Konferenz europäischer Statistiker ausgeführt wird, gilt auf EU-Ebene: „the term ‘illegal immigration’ is generally used to refer to the illegal entry and/or stay of international migrants who are citizens of third countries” (Singleton 2003: 2).

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Staatliche Interventionen in Bewegungs-freiheit definieren illegale Migration

Unabhängig von ihrem legalen oder illegalen Charakter wird denn auch in der neueren migrationstheoretischen Diskussion das komplexe Bedingungsgefüge einer in ihrem absoluten Umfang weltweit schnell wachsenden Migration hervorgehoben, vor allem deren Bedingtheit durch den Prozess der Globalisierung. So betonen Massey und andere im Anschluss an Weltsystemtheorien, dass internationale Migration verursacht werde durch die „sozialen, wirtschaftlichen und politischen Transformationen, die einher gehen mit der Durchdringung von nicht-Markt oder vor-Markt-Gesellschaften durch kapitalistische Märkte“ (Massey u. a. 1998: 277). Im Unterschied zu einseitig ökonomischen Theorien wird hier die ökonomische und kulturelle Durchdringung und Verflechtung hervorgeho-ben; Migration wird heute auch durch eine intensivierte Kommunikation (Kenntnisse über Zielländer, soziale Netzwerke) und bessere Verkehrsverbindungen gefördert.

In der neueren Literatur werden Menschen konsequenter als in einigen älteren Ansätzen als eingebunden in soziale Kontexte verstanden. Um Migration zu erklären, gelte es „to study the interplay of socio-economic structure, household strategies, and individual decision-making“ (Massey u. a. 1998: 15). Migrationsentscheidungen fielen häufig kollektiv, vor allem in Haushalten, und zielten nicht allein auf einen individuellen materiellen Nutzen, sondern darauf, komplexere Probleme von Märkten, Kreditstrukturen und Risiken zu überwinden (Massey/Durand/Malone 2002: 9-12). Zudem ist Migration nicht nur ökonomisch, sondern auch durch andere Motive, wie Flucht vor Verfolgung und Kriegen, bedingt (vgl. bzgl. illegaler Migration Black 2003: 44). Einmal in Gang gesetzt, können Migrationsbewegungen anhalten, da sich Netzwerke etablieren, die die Migration erleich-tern. Soziale Bindungen werden zur Ressource, sozialem Kapital, indem sie etwa Zugänge zu Arbeit und Hilfeleistungen am neuen Ort ermöglichen.

Die Besonderheit illegaler Migration ergibt sich daraus, dass in alle Formen der internatio-nalen Migration politisch wie rechtlich interveniert wird. Moderne Nationalstaaten binden sowohl das Überschreiten ihrer Grenzen durch andere als die eigenen Staatsangehörigen als auch deren Aufenthalt in ihrem Land an Genehmigungen. Illegale Migration ist ein Phänomen, das ohne die Existenz von Staatsgrenzen und von Gesetzen, die In- und Ausländer unterscheiden und die Bewegungsfreiheit der Ausländer einschränken, nicht existieren würde. Sie resultiert aus einem Missverhältnis zwischen den sozialen und den politischen Bedingungen von Migration, einem langfristigen, strukturellen Merkmal der modernen globalen Konfiguration (Sciortino 2004: 23). Dabei ergibt sich eine besondere Spannung, aus Sicht der Staaten ein Dilemma, daraus, dass durch unterschiedliche Prozesse immer mehr Migrationsmotive und -möglichkeiten geschaffen werden, gleichzeitig aber die Staaten bestrebt sind, Migration effektiver zu kontrollieren bzw. unter Umständen zu verhindern, um u. a. Ansprüche an die nationalen Wohlfahrtssysteme zu begrenzen (vgl. allgemein Bommes 1999). Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Rolle des Staates in migrationstheoretischen Überlegungen angemessen zu berücksichtigen. Gerade wenn eine restriktive Politik vorherrscht, stellen Interventionen der Staaten einen Faktor dar, der auf Umfang, Struktur und Verlauf der Migrationsbewe-gungen wesentlichen Einfluss nimmt (Massey u. a. 1998: 14; Zolberg 2000; Hollifield 2000). Wie die Motive, Bedingungen und Möglichkeiten staatlicher Interventionen in

Migrations- und Ansiedlungsprozesse auch theoretisch zu fassen sind, ist in den letzten Jahren verstärkt diskutiert worden. Gegenstand dieser Debatte waren sowohl die Akteurs-strukturen und Politikdeterminanten in Nationalstaaten als auch deren durch die Dynamik der Globalisierung, den Einfluss internationaler Rechtsnormen und die wachsenden Rechte der Individuen veränderte Steuerungsfähigkeit (vgl. z. B. Joppke 1998).

Politische und rechtliche Interventionen in Migrationsbewegungen und die Unterscheidung legaler und illegaler Migration haben eine Reihe wichtiger Konsequenzen. Zu ihnen gehört, dass die Art und Weise, in der die illegalen MigrantInnen Beschäftigungsverhältnisse eingehen, Wohnraum finden, eine Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen etc. auch dadurch strukturiert ist, dass ihre Bestrebungen mit rechtlichen Bestimmungen kollidieren und dies wiederum unter Umständen ihre Interaktion mit anderen sozialen Akteuren prägt.

Illegale Migration kann spezifische Ausprägungen in den sozialstrukturellen Kontexten nach sich ziehen, etwa durch die Entstehung besonderer Arbeitsmärkte oder auch einer neuen Unterschichtung.

Zentrale Untersuchungsbereiche und Fragestellungen bei der Bearbeitung des Themas

„Migration und Illegalität“ sind also:

wann, wie und warum Grenzziehungen zwischen „legaler“ und „illegaler“ Migration vorgenommen werden (hierzu gehören Gesetze, öffentliche Debatten, politische Inter-ventionen)3,

inwiefern diese Grenzziehungen Migrationsbewegungen in ihrer Zusammensetzung und ihrem Verlauf strukturieren (indem z. B. die involvierten Risiken und erschwerte Zu-gänge zum Arbeitsmarkt die Migration nur für bestimmte Gruppen attraktiv erscheinen lassen könnte, indem „Schlepper“-Organisationen an Bedeutung gewinnen oder indem eine Pendelmigration bzw. eine längerfristige Ansiedlung begünstigt werden),

welche allgemeinen Rahmenbedingungen in einem Staat rechtswidrige Formen der Zuwanderung und des Aufenthalts von AusländerInnen begünstigen bzw. behindern und die Lebensbedingungen der Betroffenen beeinflussen (z. B. Strukturen von Wohl-fahrtsstaat und Arbeitsmarkt),

inwiefern die Lebensbedingungen der betroffenen MigrantInnengruppe durch die Bedingungen der Illegalität spezifisch geprägt werden,

welche strukturellen Konsequenzen die illegale Migration bzw. der Umgang mit der illegalen Migration in den Zielländern hat (Strukturen des Arbeits- und Wohnungsmark-tes, sozialstrukturelle Unterschichtung, Fremdenfeindlichkeit),

welche Konsequenzen die illegale Migration in den Herkunftsländern hat (z. B.

getrennte Familien, Bedeutung von Geldtransfers).

Zu fragen wäre schließlich auch, welche allgemeinen Rahmenbedingungen in einem Staat Zuwanderung und Aufenthalt in Verletzung gesetzlicher Bestimmungen

3 Vgl. dazu den Hinweis von Alejandro Portes: „A thorough scholarly analysis of illegal immigration cannot take the popular and governmental definitions of the subject for granted, but must subject them to scrutiny as integral components of the object of study. Such scrutiny begins by the very definition of the phenomenon as a ‘problem’” (Portes 1978: 470).

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Schwerpunkte dieser Bilanz: Deutschland und illegaler Aufenthalt von AusländerInnen

gen bzw. behindern und die Lebensbedingungen der Betroffenen beeinflussen (z. B.

Strukturen von Wohlfahrtsstaat und Arbeitsmarkt).

Der vorliegende Bericht bilanziert die zum Thema Migration und Illegalität in Deutschland vorliegende Forschung. Dabei wurden in der Konzipierung des Berichts drei thematische Einschränkungen vorgenommen:

o Einmal liegt der Schwerpunkt auf Forschungsergebnissen, die sich mit der Situation in Deutschland befassen. Zentrale Positionen und Ergebnisse der internationalen Diskus-sion sind berücksichtigt worden; eine umfassende Auswertung der internationalen

Literatur, die dem Anspruch einer detaillierten Forschungsbilanz gerecht werden könnte, aber lag nicht im Rahmen der Möglichkeiten dieses Berichts.

o Im Zentrum dieses Berichts stehen zweitens die Rahmenbedingungen und Konsequen-zen illegaler Migration für die deutsche Gesellschaft und die MigrantInnen – während aus arbeitsökonomischen Gründen Migrationswege und -motive sowie die Situation in den Herkunftsländern nicht behandelt werden konnten.

o Im Mittelpunkt stehen AusländerInnen, die in Deutschland leben, ohne die dafür erforderliche Genehmigung oder Duldung zu besitzen, deren Aufenthalt also illegal ist, sowie die Rahmenbedingungen und Folgen von deren Präsenz.4 Es ist dabei für die hier vorgenommene Eingrenzung nicht von Belang, ob sie das Land legal (z. B. als Tourist oder Studentin) oder illegal betreten haben. Nicht Gegenstand dieses Berichts sind dagegen dauerhaft legal ansässige AusländerInnen, die wie viele deutsche Staatsangehö-rige gelegentlich „schwarz“ arbeiten. Und ebenso nicht einbezogen werden diejenigen AusländerInnen, die entgegen Bestimmungen und Auflagen der Behörden erwerbstätig sind, sich aber legal in Deutschland aufhalten (z.B. Flüchtlinge, die nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen arbeiten dürfen). Es geht also immer um den rechtswidrigen Aufenthalt, und nicht allein die rechtswidrige Erwerbstätigkeit. Dabei werden diejeni-gen Ausländer einbezodiejeni-gen, deren Aufenthalt illegal wird, weil sie – obwohl vorgeblich z. B. Touristen – einer bezahlten Arbeit nachgehen.

Verschiedentlich wird die Bezeichnung eines Menschen als „illegaler Migrant“ als herab-würdigend empfunden, und Alternativen wie „irreguläre Migration“, „unkontrollierte Migration” oder „undocumented migration“ bzw. „sans papiers“ (also „Migranten ohne Dokumente”) werden vorgeschlagen. Allerdings sind die Begriffe „unkontrollierte“ und

„irreguläre“ Migration nicht sehr präzise, und der Gegenstand dieses Berichts ist nicht die unkontrollierte Migration5, sondern Migration und Aufenthalt außerhalb der gesetzlichen Wege – also „illegale Migration“. Indem dieser Sachverhalt angesprochen wird, ist keine Herabwürdigung der involvierten Individuen beabsichtigt, sondern eine Akzentuierung

4 Wie Welte (2002: 54) schreibt, ist der Aufenthalt illegal, „wenn eine erforderliche Aufenthaltsgeneh-migung oder eine Duldung nicht vorliegt“. Welte unterscheidet zwischen einem nicht rechtmäßigen und einem illegalen Aufenthalt.

5 Man könnte z. B. argumentieren, dass sich auch der Familiennachzug teilweise staatlicher Kontrolle entzieht.

„Bush will illegale Einwanderer zu Gastarbeitern machen“

Berliner Morgenpost, 9.01.2004

„Janosch, Alina und Karla – illegal in Berlin/das Kind soll auf keinen Fall hungern“

Stuttgarter Zeitung, 24.12.2003

„Kampfansage an Menschenhandel – Fischer brandmarkt 'moderne Form der Sklaverei'“

Frankfurter Rundschau, 16.10.2001

„Unsere Perle Julia“

Die Zeit, 15.01.2004

„Tabuthema Illegale ist Bischöfen nicht heilig“

Süddeutsche Zeitung, 15.05.2001

eines wesentlichen Aspekts ihrer Lebensrealität, nämlich des permanenten Konflikts mit Rechtsnormen.

Ziel dieses Berichts ist es also einerseits, durch eine Bilanzierung und Bewertung des Forschungs- und Wissensstandes eine Standortbestimmung der Forschung vorzunehmen und Defizite sowie mögliche Richtungen zukünftiger Arbeiten zu identifizieren. Gleichzei-tig geht es darum, zur Klärung und Bearbeitung eines gesellschaftlich relevanten Problems beizutragen. Zu fragen wäre dementsprechend, welche Entwicklungen und Phänomene durch unterschiedliche Akteure als problematisch definiert werden und inwiefern dies begründet ist. Wenn im folgenden einige in den gesellschaftlichen Debatten über ein Phänomen „illegale Migration“ kursierende Problemdefinitionen skizziert werden, dient dies auch dazu, den Hintergrund und Kontext zu vergegenwärtigen, von dem sich keine noch so sehr um Distanz bemühte wissenschaftliche Analyse völlig frei machen kann.