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Methodisches Vorgehen und Materialbasis

Um Aussagen über die Wirksamkeit betrieblicher Maßnahmen zur Reduzierung von Rückenbeschwerden und dadurch bedingter Arbeitsunfähigkeit treffen zu können, wurde in zwei Schritten vorgegangen. Im ersten Schritt wurden Befunde aus wissen-schaftlichen Studien zu dieser Thematik zusammengetragen. Da es inzwischen eine fast unübersehbare Fülle solcher Studien gibt, schien es in Anbetracht der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sinnvoll, sich bei der Darstellung des wissenschaftli-chen Kenntnisstandes auf vorliegende Reviews und Metaanalysen zu stützen. Auf Einzelstudien wurde lediglich exemplarisch zur Verdeutlichung der generellen Be-fundlage Bezug genommen.

Im zweiten Schritt wurde versucht, Informationen und Daten über Effekte arbeits-weltbezogener Maßnahmen zusammenzutragen und zu bewerten, welche im Rah-men der betrieblichen Gesundheitsförderungspraxis von Krankenkassen generiert wurden. Diese Informationen sind in der Regel zwar weder von ihrem Entstehungs- noch von ihrem Verwendungszusammenhang her als „wissenschaftlich“ zu bezeich-nen, besitzen jedoch insofern einen besonderen Erkenntniswert, als sie die Frage nach der Wirksamkeit betrieblicher Gesundheitsförderung aus der Perspektive des diesbezüglichen „Routinegeschäfts“ der Maßnahmenträger – das sich bei der Er-folgsbewertung eben nur im Ausnahmenfall einer wissenschaftlichen Studienmetho-dik bedienen kann – zu betrachten erlauben.

Es wurde an vier Krankenversicherungsträger, die auf dem Gebiet der betrieblichen Gesundheitsförderung mit die längste Erfahrung und die umfangreichsten Aktivitäten aufweisen, herangetreten und die Bitte geäußert, Material zur Verfügung zu stellen, aus dem hervorgeht, wie sich in Betrieben, in denen Gesundheitsförderungsmaß-nahmen durchgeführt worden waren, die Häufigkeit von Rückenbeschwerden und/oder die hierdurch verursachte Arbeitsunfähigkeit entwickelt haben. Bei den kon-taktierten Institutionen handelt es sich um folgende:

den BKK-Bundesverband (hier: das für die betriebliche Gesundheitsförderung zuständige „BKK-Team Gesundheit“),

das Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung BGF der AOK Rheinland,

das Institut für Gesundheitsconsulting der AOK Niedersachsen und

den IKK-Bundesverband.

Art, Umfang und Verwendbarkeit der zur Verfügung gestellten Materialien variierten erheblich. Im einzelnen ist hierzu folgendes zu sagen:

Von der Kontaktperson des „BKK-Teams Gesundheit“ wurde der Verfasser auf die publizierten Ergebnisse des Forschungsprojekts „Evaluation von Gesund-heitsberichten und Gesundheitszirkeln“ verwiesen, in dem die Wirksamkeit der vom BKK-Bundesverband angewandten Instrumente betrieblicher Gesundheits-förderung untersucht worden ist. Auf weiteres Nachfragen hin wurde ange-merkt, dass die Evaluierung der vom BKK-Team Gesundheit durchgeführten Betriebsprojekte auch gegenwärtig nach dem gleichen Grundmuster erfolge wie im o.g. Forschungsvorhaben; Daten aus einzelnen Projekten würden demge-genüber keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn liefern, zumal auch in diesen eine differenzierte Nachverfolgung von AU-Effekten (womöglich sogar über mehrere Jahre hinweg) in aller Regel nicht stattfinde. Somit musste sich der Verfasser hier auf die Auswertung des genannten Forschungsberichts be-schränken.

Vom Institut für betriebliche Gesundheitsförderung BGF der AOK Rheinland erhielt der Verfasser Material über insgesamt fünf Betriebe. Drei dieser Doku-mente umfassten jeweils ein Blatt mit einer knappen Betriebs- und Projektbe-schreibung sowie ein oder zwei Tabellenausdrucke mit graphischen Darstellun-gen der AU-Entwicklung (einschließlich regionaler und/oder branchenbezoge-ner Vergleichswerte). Ein viertes Betriebsbeispiel (mit Informationen über Pro-jektverlauf, ergriffene Maßnahmen und AU-Entwicklung) wurde dem institutsei-genen Newsletter entnommen. Schließlich wurden Auszüge aus einer Diplom-arbeit zur Verfügung gestellt, in der die Effekte eines weiteren vom AOK-Institut

durchgeführten betrieblichen Gesundheitsförderungsprojekts untersucht worden sind.

Vom Institut für Gesundheitsconsulting der AOK Niedersachsen wurde dem Verfasser Material über ebenfalls fünf Betriebe zugänglich gemacht. In einem Fall handelt es sich um die knappe, mit einer Grafik illustrierten Verlaufs- und Ergebnisbeschreibung eines Krankenhausprojekts (die modifiziert auch im Rahmen eines Aufsatzes publiziert worden ist). Die restlichen Dokumente sind Auszüge aus den umfangreichen Selbstbewertungsunterlagen von vier Betrie-ben, die an einem Modellvorhaben der AOK Niedersachsen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement teilnehmen. Diese ein- bis zweiseitigen Dokumente enthalten jeweils in Textform und in graphischer Darstellung Angaben über die Veränderung der Schmerzhäufigkeit zwischen zwei Mitarbeiterbefragungen (mit Bezug auf Referenzwerte). Zusätzlich hierzu erhielt der Verfasser von einem Institutsmitarbeiter mündliche und schriftliche Informationen über die in den vier Betrieben gelaufenen Aktivitäten und Maßnahmen sowie über das eingesetzte Befragungsinstrument.

Vom IKK-Bundesverband wurden insgesamt sieben Dokumente an den Verfas-ser weitergeleitet, die auf eine interne Anfrage hin von verschiedenen Innungs-krankenkassen geliefert worden waren. Hiervon konnten nur zwei Dokumente in die Auswertung einbezogen werden; hierbei handelt es sich um jeweils ca. 30 Seiten umfassende Evaluationsberichte zu Gesundheitsförderungsprojekten, die in einem Unternehmen der Baubranche bzw. einer Schreiner-Innung statt-gefunden hatten. Die restlichen Dokumente blieben aus verschiedenen Grün-den unberücksichtigt: weil es darin um rein verhaltenspräventive Kursangebote (in einem Fall sogar ohne erkennbaren Arbeitsweltbezug) ging, weil sie keine Informationen über Veränderungen der Beschwerdehäufigkeit bzw. der Arbeits-unfähigkeit enthielten oder schlicht deshalb, weil sie zu spät eintrafen.

Als Materialbasis dieses Teils der Arbeit standen somit insgesamt 13 Dokumente zur Verfügung, die sich auf 11 Einzelbetriebe, eine Handwerksinnung und eine über 2000-köpfige Beschäftigtenpopulation aus 16 Betrieben beziehen. Die hierin enthal-tenen Informationen über durchgeführte Maßnahmen und beobachtete Veränderun-gen bei den Outcome-Indikatoren werden separat beschrieben und hinsichtlich ihrer

Aussagekraft, was den Effekt betrieblicher Gesundheitsförderung auf Rückenbe-schwerden betrifft, bewertet.

Bei der Bewertung der vorliegenden Daten ist allerdings folgendes zu bedenken:

Die verwendeten Outcome-Indikatoren sind nur eingeschränkt dazu geeignet, Aussagen über Veränderungen des Ausmaßes von Rückenbeschwerden im Betrieb zu treffen. AU-Daten haben zwar den Vorteil, dass sie routinemäßig ver-fügbar und inzwischen auch analysierbar sind, spiegeln aber bekanntlich neben dem „reinen“ Erkrankungsgeschehen auch andere soziale Einflussfaktoren aus dem betrieblichen und außerbetrieblichen Zusammenhang wider. Sie bedürfen daher eigentlich der Ergänzung um Daten, die über das Ausmaß von gesund-heitlichen Beschwerden Aufschluss geben. Solche Daten enthalten die vorlie-genden Dokumente aber nur zum geringeren Teil. Zudem beziehen sich die meisten Materialien nicht speziell auf Rückenleiden, sondern auf übergeordnete Krankheits- bzw. Beschwerdekategorien (Muskel-Skelett-System, Bewegungs-apparat etc.). Bei enger Auslegung der Zielstellung hätten somit fast alle Mate-rialien aus der Betrachtung ausgeschlossen werden müssen. Da jedoch Rü-ckenleiden den Löwenanteil an den muskulo-skelettalen Erkrankungen und Be-schwerden ausmachen – je nach Branche entfallen 50-60% der durch Erkran-kungen des Bewegungsapparats bedingten AU-Tage auf Dorsopathien (vgl.

Vetter et al. 2000) –, schien es vertretbar, Angaben zu MSE hilfsweise als (zu-mindest groben) Indikator für die Verbreitung und Entwicklungstendenz von Rü-ckenbeschwerden zu akzeptieren. (In der Tat spricht wenig dafür, dass im Falle eines berichteten starken Rückganges der MSE-bedingten AU ausgerechnet die Dorsopathien von einem solchen Trend ausgenommen sind.)

Darüber hinaus steht die „Messung“ der rückenschmerzbezogenen Wirksamkeit von betrieblichen Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen vor ei-nem grundsätzlichen methodischen Problem. Ein „harter“, eindeutiger Wirk-samkeitsnachweis wäre nur im Rahmen einer randomisierten Fall-Kontroll-Studie mit längerer Nachverfolgungszeit zu erbringen. Ein solches Fall-Kontroll- Studiende-sign mag bei einer klar umrissenen Einzelmaßnahme wie z.B. einem Hebe-Trage-Training u.U. noch realisierbar sein, im Falle komplexerer Interventionen

in ein sich dynamisch entwickelndes betriebliches System – und genau darauf zielt betriebliche Gesundheitsförderung dem Anspruch nach ab – scheint dies aber weitgehend ausgeschlossen: sowohl der Kontrollierbarkeit von „Störgrö-ßen“ als auch der Zurechenbarkeit von spezifischen Gesundheitseffekten zu einzelnen Maßnahmen sind hier sehr enge (und auch bei größter Anstrengung nicht zu überschreitende) methodische Grenzen gesetzt (Silverstein 1992). Dies bedeutet keineswegs, dass betriebliche Gesundheitsförderung nicht auf ihre Wirkungen hin überprüft werden müsste oder könnte, sondern nur, dass hierbei andere Evidenzkriterien und Instrumente Anwendung finden müssen als es der

„Goldstandard“ des „randomized controlled trial“ vorsieht.

In der vorliegenden Arbeit wurde die Aussagekraft der gesammelten Daten hinsicht-lich der Effekte betriebhinsicht-licher Gesundheitsförderung auf MSE bzw. Rückenleiden pragmatisch anhand folgender Fragen eingeschätzt:

Welche Art von Daten werden dokumentiert?

Über welchen Zeitraum hinweg sind die Daten ausgewiesen und lassen sie ei-nen intertemporären Vergleich des Erkrankungs-/Beschwerdeniveaus vor/zu Beginn und nach der Intervention zu?

Werden Vergleichswerte herangezogen, die geeignet sind, einen Hinweis auf unterschiedliche Entwicklungstrends im Interventionsbereich und in Bereichen ohne (oder mit weniger) Intervention zu geben?

Liegen zumindest grobe Informationen über ergriffene Maßnahmen vor, mit de-nen sich die berichteten Veränderungen bei den Krankheitsindikatoren in Zu-sammenhang bringen lassen?

3. Befunde aus der wissenschaftlichen Literatur zur