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Methodischer Zugang

Im Dokument IN VINDONISSA (Seite 29-33)

In der römischen Gesellschaft konnten Kulthandlun-gen fast überall stattfinden und ihre archäologischen Überreste sind demnach überall zu erwarten – sei das in situ oder in Form von weggeräumtem Abfall. Eine starre Fixierung in topografischen Arealen ist so-mit nicht zwingend. Der Begriff «Sakraltopografie»

impliziert folglich eine (Singular!) topografische Verbreitung des «Sakralen»9 – eine aus der

Vogel-perspektive kartierte Fundstelle mit mehr oder weni-ger «sakralen» Orten. Die Realität dürfte um einiges komplexer sein. Einerseits wurden Kulthandlungen in den verschiedensten Lokalitäten ausgeübt, ande-rerseits sind die archäologischen Quellen stark gefil-tert, etwa durch antike Bautätigkeiten und Schicht-umlagerungen, durch moderne Bodeneingriffe oder selektive Ausgrabungsmethoden.

Angesichts dieser Einschränkungen scheint es mir nötig, einerseits eine stringente und nachvollziehbare Methode vorzulegen, wie Reste von Kulthandlungen innerhalb einer Fundstelle identifiziert, gewertet und interpretiert werden können, andererseits muss eine klare archäologische Terminologie geschaffen wer-den, mit der die räumliche Verortung der Kultprakti-ken in ihrer Gesamtheit angesprochen werden kann.

In einem 2003 erschienenen Aufsatz zur Religions-archäologie in prähistorischen Gesellschaften kon-statiert S. Hansen, dass «diese (religionsarchäolo-gischen) Gegenstände nicht bereits als solche vor-liegen, sondern die archäologischen Quellen erst unter religionsarchäologischen Aspekten befragt werden müssen, die Artefakte mithin einer eigenen Ordnung bedürfen. Das bedeutet, dass die religions-archäologisch relevanten Quellen erst zu erschliessen sind (von der Ausgrabung bis zur wissenschaftlichen Analyse)10». Dieser Feststellung möchte ich bei-pflichten; die Identifizierung der Quellen – im vorlie-genden Fall der Kulthandlungen – bildet somit den ersten Baustein für die Vorgehensweise. Die Iden-tifikation der Kulthandlungen mag auf den ersten Blick eine schwierige Aufgabe darstellen, stellt doch die Herauslösung oder gar Isolierung von religiösen Praktiken aus einer historischen Realität eine metho-dische Herausforderung dar. Dies gilt besonders für eine römische Gesellschaft, in der von einer stetigen Durchdringung des Alltags durch die Religion, sprich

von einer Omnipräsenz von Gottheiten11 im Alltag, auszugehen ist. Unter dieser Voraussetzung – näm-lich der vollständigen und intrinsischen Verflechtung zwischen religiösen Verpflichtungen und Alltag in der römischen Epoche – wäre vielleicht eine wissen-schaftliche Untersuchung zu den archäologisch fass-baren Phänomenen von Religion als schwierig, wenn nicht sogar als unmöglich einzustufen. Angesichts dieser vielen Unsicherheiten scheint es daher sinn-voll, für die vorliegende Arbeit ein möglichst quel-lenbasiertes, induktives Vorgehen zu wählen, in dem die Ansprache und Analyse der Befunde und Funde an erster Stelle steht, ehe übergeordnete Deutungs-muster zu den Kultpraktiken in Vindonissa und inner halb des römischen Militärs formuliert werden können12.

Für eine religionsarchäologische Auswertung ist es wichtig, dass die Identifikation der Kultpraktiken und die dafür erarbeiteten Kriterien transparent und methodisch überprüfbar dargelegt werden13. Die archäologischen Fakten für die Definition eines En-sembles etwa als «rituelle Deponierung» oder eines Areals als «Tempel» oder «Kultstätte» sind somit zu deklarieren.

1.2.1 IDENTIFIK ATION DER QUELLEN GESICHERTE AREALE ALS AUSGANGSPUNKT

1 zeigt die Schritte der in dieser Arbeit ange-wandten Argumentation. Das Vorgehen wird von links nach rechts beschrieben – von der Identifika-tion der Kulthandlungen bis zu deren InterpretaIdentifika-tion.

Von oben nach unten werden die Kulthandlungen gewertet: Zuoberst – als Ausgangspunkt – sind die gesicherten Areale aufgeführt. Diese können über ihre spezi fische und kanonische Architektur iden-tifiziert werden. In diesen Arealen sind am ehesten die Überreste von Kulthandlungen zu erwarten; das vergesellschaftete Inventar (das Fundmaterial) bildet die Basis für die Rekonstruktion der Kulthandlungen aus diesen Arealen einerseits, andererseits für die Identifikation von weiteren Kulthandlungen in Vin-donissa, bei denen die Verbindung zu einer spezi-fischen Architektur nicht oder nicht mehr gewähr-leistet ist.

Auch wenn die kaiserzeitliche römische Religion nicht ausschliesslich an vorgegebene Orte oder Plätze gebunden war, so spielte die Kategorie des Raums dennoch eine entscheidende Rolle bei der Ausübung der Kulte14. Aus archäologischer Sicht ist eine Syste-matik der räumlichen Manifestationen von Religion ebenfalls sinnvoll, da mit einer Unterteilung eine erste Ordnung sowie eine räumliche und/oder zeit-liche Verteilung sichtbar werden. In der vorliegen-den Arbeit wird zwischen Sakralbauten, Kult bauten und weiteren Orten der rituellen Kommunikation unterschieden. Unter Sakralbauten sind Gebäude zu

verstehen, die das Haus oder die Resi denz von Gott-heiten darstellen15. Ausgehend von einer mediterra-nen Tradition ist die Architektur oft axial gestaltet – mit einer Betonung auf Frontalität. Der Sakralbau besteht aus einem oder mehreren Tempeln, häufig auf einem Podium stehend, und einer vorgelagerten Freitreppe, bestehend aus einer cella, die von einem Säulengang umringt wird. Vor der Freitreppe befin-det sich ein Altar. Die Kulthandlungen spielten sich demnach vor dem Tempel ab. Im Inneren des Tem-pels, in der cella, stand die Kult statue der Gottheit.

Der Bezirk war durch eine Mauer oder Begrenzung von der Umgebung abgetrennt16. Aus juristischer Sicht wurde das Areal auf römischem Boden durch

einen politischen Beschluss konsekriert und ging in den Besitz der Gottheit über17. Auf provinzialem Boden ist die Situa tion weniger klar, doch ist von ver-gleichbaren oder ähnlichen Verhältnissen und Hand-lungen auszugehen18: Ausgehend von einer Ana-lyse des spätrepublikanischen lex Ursonensis schlägt J. Rüpke vor, dass weniger die Inhalte der römi schen Religion exportiert wurden als vielmehr die Kon-zepte19. So können Podiumstempel auf Foren sowie gallorömische Heiligtümer20 in extraurbanen Bezir-ken als Sakralbauten angesprochen werden21.

Als Kultbauten werden Gebäude definiert, deren Gesamtheit oder ein Teil davon als ein Brennpunkt kultischer Handlungen fungieren kann22. Im Gegen-satz zu den Sakralbauten besteht ihre Funktion nicht ausschliesslich in religiösen Zwecken. Die Bauten dienen vielmehr als Versammlungsorte, wo Kult-handlungen bei den darin abgehaltenen Zusammen-künften eine wichtige Rolle spielen (bspw. spezifi-sche Kultmahlzeiten). Entspezifi-scheidend ist hierbei die Verwendung der Architektur: Die Rituale finden

innerhalb der Gebäude statt23. Kultbauten werden nicht konsekriert, die juristische Trennung zur Um-gebung fällt dabei weniger prononciert aus als bei den Sakralbauten. Mithräen, Scholae und frühchrist-liche Kirchen sind Beispiele für Kultbauten24.

Für die vorliegende Arbeit sind auch die Verhält-nisse innerhalb der Militäranlagen auf provinzialem Boden zu klären: Im Corpus der Weihungen von Kastellen und Legionslagern, zusammengestellt von C. Schmidt Heidenreich, bezeugen 30 Inschrif-ten eine dedicatio25, 12 zeugen von einer consecratio.

Raum Zeit

Pantheon Kriterien

für Identifikation quellenkritische Analyse der

Befund- und Fundsituation Klassifizierung Quellenvorlage Bezeichnung (und

Verweis) Interpretation

der Kulthandlungen Ausgangspunkt Areale mit spezifischer

Architektur; Inventar in situ bewertbar

gesicherte Areale mit in situ

rekonstruierbaren Kulthandlungen intra muros: Sakralbau im extra muros: Zivilsiedlung West

Sakral- und Kultbauten (Kap. III)

Identifikation über Vergleiche mit Ausgangspunkt bzw. über Analogien

Areale mit spezifischer Architektur; ohne Inventar oder Inventar nicht in situ bewertbar

gesicherte Areale ohne oder nur mit indirekt rekonstruierbaren Kulthandlungen

intra muros: aedes (Fahnenheiligtum) und principia;

extra muros: an der südl. Ausfallstrasse Zwischensynthese

Identifikation über Analyse

des Fundmaterials Areale/Befunde ohne spezifische Architektur; Fundmaterial nicht in situ bewertbar, aber kultisch konnotiert

ausserhalb von Arealen mit spezifischer Architektur;

indirekt rekonstruierbare Kulthandlungen

Gross- und Kleinplastik,

Kultgefässe, Inschriften weitere Manifestationen der rituellen Kommunikation (Kap. IV)

Identifikation über Vergleiche mit Inventar des Ausgangs-punktes bzw. über Analogien.

Konzentrationen von kultisch konnotierten Funden

Areale/Befunde ohne spezifische Architektur; Fundmaterial in situ bewertbar und kultisch konnotiert

in situ rekonstruierbare Kulthandlungen ausserhalb von Areale mit spezifischer Architektur

Deponierung unter Baracke

Identifikation über Vergleiche mit Ausgangspunkt bzw.

Konzentrationen von kultisch konnotierten Funden

Areale/Befunde mit unklarer spezifischer Architektur ohne Inventar oder nicht in situ bewert-bar

unsichere Areale ohne oder nur mit indirekt rekonstruierbaren Kulthandlungen

intra muros: Befunde im Nordosten, valetudinarium;

extra muros: Raum in Zivilsiedlung Ost; weitere Sakralbauten südlich und östlich des Legionslagers?

weitere Orte der rituellen Kommunikation (Kap. V)

Identifikation über Analogien Areale/Befunde ohne spezifische Architektur; Fundmaterial nicht kultisch konnotiert

vermutete Kulthandlungen Thermen, campus, Amphitheater vermutete Orte der rituellen Kommunikation (Kap. V) (Kap. IV.1.1)

weitere Manifestationen der rituellen Kommunikation (Kap. IV)

Lagerzentrum;

1 Grafische Darstellung des methodischen Zugangs der Arbeit.

9 Zur Definition und Diskussion vgl. Rieger 2004, 15–19; Can-cik 1985/86. 10 Hansen 2003, 113. 11 Für das Beispiel Pompeji:

v. Andringa 2009; allg. zu Archäologie von Religion: Renfrew/Bahn 1996, 388–394. 12 Zu induktiven und deduktiven Ansätzen in

der Archäologie vgl. Bernbeck 1997, 49–64. 13 Vgl. Müller 2002, 9–12. 14 «The public character of cults is not a matter of space, but of initiators and financing.» (Rüpke 2006b, 39). Die Arvalbrüder opferten beispielsweise nicht nur im Hain der Dea Dia, ein Teil der mehr tägigen Zeremonien fand auch im Haus des Präsidenten statt (Scheid 2005, 299–300). 15 Scheid 2003, 60–75; Beard u. a.

1998, 78–79. 16 Zum Konzept einer Umfriedung in Sakralbauten vgl. Derks 1998, 200–213. 17 Rüpke 2013b, 214–217. 18 Beard u. a 1998, 320–324, Ando 2007, 429–445. 19 Rüpke 2006c, 22: «First, Roman imperialists, at least those, who drafted and voted the lex Ursonensis, did not aim at exporting the contents of their religion, but their concept of religion.» 20 In dieser Arbeit wird der Be-griff «Umgangs tempel» als Archi tekturtyp verwendet. 21 In bei-den Fällen können Kulthandlungen im Rahmen der sacra publica/

sacra privata stattfinden. Interessant ist in dieser Hinsicht das sog.

Matronenheiligtum in Xanten, da der Bau sich in einer Stadtinsula befindet. Schalles 2008, 320–323. 22 Zur Problematik der Identi-fikation siehe auch Engelhaaf-Gaiser 2007, 210–212. 23 Vgl. hierzu Rüpke 2013a, 163. 24 Vgl. hierzu auch Bollmann 1998, insbes. 49.

25 Schmidt Heidenreich 2013, 221.

Eine Inschrift aus Thrakien zeugt von der consecra-tio eines «locus»26; auf einer weiteren Inschrift aus Bu Njem wird ebenfalls der Ort des Lagers vor dem eigentlichen Bau konsekriert27. Folglich ist davon auszugehen, dass die aus den Schriftquellen bekann-ten rechtlichem «Qualifikationen»28 auch in den Legions lagern ihre Gültigkeit hatten.

Die hier vorgestellte Unterteilung kann auch aus Sicht der Besitzverhältnisse betrachtet werden: Die Sakralbauten gehören den Göttern. Dieses Besitz-recht kann nur durch eine Autorität verändert wer-den. Kultbauten gehören meistens einem Verein;

sie können für eine Gruppe eigens errichtet oder in bereits bestehenden Privathäusern eingebaut sein.

Weitere Orte der rituellen Kommunikation sind Be-standteile von Gebäuden (Nischen) oder befinden sich isoliert in der Siedlung oder Landschaft. Sie können durch eine Autorität zu Sakralbauten trans-formiert werden29. Die Gliederung in Sakral- und Kultbauten muss im Sinne einer archäologischen Typo logie verstanden werden – eine künstliche Unterteilung30, deren Ausgangspunkt in der Identi-fikation der Befunde sowie ihrer Ansprache mittels archäologischer Methoden zu suchen ist. Wie die meisten archäolo gischen Typologien dürfte diese Unterteilung nicht deckungsgleich mit einer antiken Realität übereinstimmen; als methodisches Instru-ment ist sie dennoch nützlich, um die Gesamtheit der rituellen Kommunikation einer archäologischen Fundstelle zu konzipieren. Mit dieser Optik soll eine offenere Identifikation und Systematik der Veror-tung von Kulthandlungen gewährleistet werden, die sich nicht bloss auf «Heiligtümer» im engeren Sinn beschränkt. Eine Parallelisierung mit den in den Schriftquellen und Inschriften überlieferten latei-nischen termini kann nur teilweise geleistet werden, zumal diese auf juristische oder inaugurierte Quali-fikationen zurückgehen31 – Praktiken, die im archäo-logischen Befund nicht immer erkennbar sind.

PERFORMATIVE BEFUND- UND FUNDKATEGORIEN

Welche Kulthandlungen, welche Formen ritueller Kommunikationen beziehungsweise welche Reste davon sind in den Arealen der Sakral- und Kultbau-ten zu erwarKultbau-ten? Das Ritual des Gelübdes und die da-mit zusammenhängenden Opferhandlungen gehör-ten zu den wichtigsgehör-ten Bestandteilen der römi schen Religion32. Dies gilt auch für die römische Armee, von der bestimmte überlieferte Kult praktiken Ähnlichkeiten etwa mit jenen stadtrömischer Priester -schaften aufweisen33. Der auf Papyrus erhaltene Festtagskalender der cohors XX Palmyrenorum, das Feriale Duranum34 (223–227 n. Chr.), zählt ca. 30 blu-tige Opfer (immolatio; oft mit mehreren Tieren) und ca. 15 unblutige Opfer (supplicatio)35. Es ist folglich davon auszugehen, dass beispielsweise die Überreste

dieser Praktiken im archäologischen Befund identi-fizierbar sind. Konkret heisst dies, dass nicht nur die geopferten Tiere, sondern auch die dabei verwende-ten Instrumente36 wie auch Gegenstände, die in den

«Votivpraktiken» Verwendung fanden – von der praefatio über das Kultmahl bis zur Einlösung des Votums37 –, alle im Fundbestand von Ausgrabungen von Sakral- und Kultbauten zu erwarten sind.

Die Terminologie von Objekten, die aus den archäo logischen Kontexten der Sakral- und Kult-bauten stammen, ist ebenfalls möglichst präzis zu defi nieren. Als Votive bzw. Weihegaben werden nur Objekte bezeichnet, welche deutlich im Rahmen einer solutio voti («ex-voto») in einem Areal depo-niert werden. Diese sind epigrafisch gekennzeichnet.

Weitere Objekte, die im Kontext von rituellen Hand-lungen einer Gottheit übergeben werden (oder als solches angesprochen werden), sind in dieser Arbeit als Gaben bezeichnet38. Innerhalb der sacra publica sind Votive wie auch reguläre Gaben res sacra. Dies bedeutet, dass diese – in der Regel – in den Besitz der Gottheit gelangen und somit nicht mehr ange-fasst oder verwendet werden dürfen39. Unklar ist, ob

26 Schmidt Heidenreich 2013, 366 (C471). 27 Schmidt Heiden-reich 2013, 369 (C483). 28 Rüpke 2013b, 212. 29 Scheid 2015.

30 Die bei Festus (Über die Be deutung der Wörter p. 284 Lindsay) überlieferte Trennung zwischen sacra publica und sacra privata be-zieht sich auf die sozialen und finan ziellen Rahmenbedingungen.

Rüpke 2006a, 27–31. 31 Dubourdieu/Scheid 2000. 32 Zum Ge-lübde im archäologischen Befund: Derks 1995. 33 Beard u. a. 1998, 325. 34 Fink u. a. 1940. 35 Herz 2002. 36 Zu den Instrumenten:

Siebert 1999 sowie ThesCRA Bd 5. 37 Zum Ablauf eines Opfers: Scheid 2007. 38 Aberson 2009, 99 mit Fn. 7. 39 Aberson 2009, 99–100 mit Fn. 9, Scheid 2013. Zu den Ausnahmen, wie sie etwa in der Lex Furfo erklärt werden (CIL I2, 756) vgl. Aberson 2011, 404–406.

40 Exem plarisch hierzu die differenzierte funktionale Interpretation bei den Gruben beim gallorömischen Umgangstempel Yvonand- Mordagne VD (Ebnöther/Ebbutt 2015). 41 Der Begriff «archäo-logischer Kontext» wird von Schiffer 1972 entnommen (vgl. Schif-fer 1972, Fig. 1). 42 Haynes 2013a, 7. 43 Vgl. hierzu SchäSchif-fer/

Witteyer 2013, 3: «Der methodische Zugriff wurde davon geleitet, welche archäologischen Kriterien zur Identifikation einer rituellen Deponierung zum Tragen kommen und worin die Unterschiede zu anderen Befunden wie beispielsweise entsorgtem Abfall liegen. Zu den relevanten Faktoren gehören die Auswahl, eventuelle Grösse und materieller Wert, Kombination und das Arrangement von unterschiedlichsten Gegenständen und Materialien. Charakteri-stisch für die Art und Weise der Hinterlegung sind gegebenenfalls Vollständigkeit, intentionelle Fragmentierung oder Deformation von Objekten, ihre sorgfältige oder wiederholte Zusammenstellung sowie ihre räumlichen Bezüge zueinander. Der Ort der Niederlegung im Heiligtum oder in dessen Umfeld ist ebenso bedeutsam; er kann Hinweise auf die Funktion des Depots geben. Neben der archäologi-schen Auswertung tragen archäobotanische und archäozoologische Analysen zur Rekonstruktion von Kulthandlungen im Rahmen einer Deponierung bei und helfen pflanzliche und tierische Gaben an die Götter zu erschliessen.» 44 Schiffer 1987, 58. 45 Schiffer 1987, 79.

«Ritual Caches». 46 Trumm/Flück 2013, 199. 47 Benguerel u. a.

2010, 62. 48 Meyer-Freuler 1998a, 96–104. 49 Etwa die Inschrif- ten CILXIII 5023 oder Walser 1980, 155 und Walser 1980, 180 wurden im spätrömischen Kastell «Altenburg» wohl sekundär ver-baut gefunden. 50 Vgl. hierzu den Altar aus dem Mithräum von Mar-tigny – ursprünglich IOM geweiht –, dessen Schriftbild mit einer feinen Kalkschicht übermalt wurde und im Mithräum eine Zweit-verwendung fand (Wiblé 2008a, 234 Nr. 359). 51 De Cazanove/

Méniel 2012, 9; Haynes 2013a, 11–15.

die archäologische Befundkategorie der «rituellen Depo nierung» immer zwingend im Zusammenhang mit einem Votiv zu sehen ist oder ob nicht hier an-dere Deutungsmöglichkeiten zur Sprache kommen sollten (etwa eine intentionelle Niederlegung als Gabe oder auch abgeräumte Hinterlassenschaften von Kultpraktiken). Hinter dem Begriff der

«rituel-len Deponierung» dürften sich verschiedene Phäno-mene verstecken, welche sich eventuell durch eine sorgfältige Analyse der Befundsituation, der Verge-sellschaftung und Anordnung aller Funde weiter auf-schlüsseln und womöglich mit den aus den Schrift-quellen bekannten Kulthandlungen interpretieren liessen40.

Ensembles aus den Sakral- und Kultbauten ver-mögen aber nicht die gesamte materielle Kultur von Kultpraktiken einer Fundstelle abzudecken. Den-noch wird in der vorliegenden Arbeit versucht, zuerst das Inventar der gesicherten Sakral- und Kultbauten heran zuziehen, bevor mit weiteren Fundgattungen (oft sind es Einzelfunde) und deren Verteilungen in

der Fundstelle gearbeitet wird (vgl. Kap. IV).

1.2.2 QUELLENKRITISCHE ANALYSE DER BEFUND­

UND FUNDSITUATION

Ehe ein Areal oder ein Fundensemble religions-archäologisch gewertet werden kann, gilt es zunächst, den archäologischen Kontext quellenkritisch zu analy sieren41. Das durch die Ausgrabung erschlos-sene Fundmaterial – das Inventar – kann als Zeug-nis des Kultgeschehens gedeutet werden. Doch weder darf jede Grubenverfüllung im Ausgrabungs-areal eines Tempels als Überrest von kultischen Handlungen noch soll jeder Fund im Perimeter eines Sakralbaus als «ex voto» gedeutet werden42.

Die Analyse dieser Befundsituation, des gesamten vergesellschafte ten Fundmaterials, dessen Zusam-mensetzung sowie taphonomische Beobachtungen zur Erhaltung und Überlieferung sind Kriterien, die für die Identifikation von Bedeutung sind43 und auf die Wertung und Aussagekraft der Quellen direkten Einfluss ausüben.

Die Analyse des archäologischen Befundes spielt eine entscheidende Rolle, nicht nur in Anbetracht des Befundes selbst (topografische Lokalisierung, Befundgenese etc.), sondern auch der Vergesell-schaftung mit allem anderen archäologischen Fund-material und dessen Datierung. Entscheidend ist die Frage, ob das Fundmaterial in einem primären oder sekundären Entsorgungsort dokumentiert wurde. Primäre Entsorgungen finden an Ort und Stelle ihrer letzten Verwendung statt; bei sekundä-ren Entsorgungen handelt es sich hingegen stets um umgelagertes Material44. Diese Trennung ist für die Interpretation der Kulthandlungen eminent wichtig.

Rituelle Deponierungen gehören per definitionem zur

primären Entsorgung45. Im Fall von Vindonissa ist ein Fundkontext für sekundäre Entsorgungen sogar

«berühmt»: der Schutthügel. Weitere Beispiele für sekundäre Entsorgungen sind auch bekannt, etwa die Spitzgrabensysteme46, Abwasserrinnen47 oder Schächte48. Diese Überlegungen haben auch für die epigrafischen Quellen – für Inschriften – Geltung.

Oft geschieht die Identifikation von Sakral- und Kult-bauten über die Vergesellschaftung einer Architektur- oder Befundsituation mit einer Inschrift. Es ist aber keineswegs vorausgesetzt, dass die Inschrift sich hier-bei im primären Aufstellungskontext befinden muss.

Die sekundäre Verwendung von Weih inschriften ist in der Forschung möglicherweise zu wenig in Be-tracht gezogen worden. Inschriften können als Spo-lien Wiederverwendung finden49, es existieren aber auch Beispiele, in denen Inschriften im kultischen Kontext eine Neuverwendung finden50. In und um Legions lager und Kastelle fällt auf, dass viele Weih-inschriften konzentriert zum Vorschein gekommen sind. Oftmals hängt die Deutung der jeweiligen Gebäude in der Literatur von den darin entdeckten Inschriften ab. In den Fällen, wo eine Nachnutzung im Areal der Militäranlagen stattfindet (wie in Vin-donissa), ist von Abbruchprozessen, Umlagerungen oder Neukompositionen auszugehen. Diese spiegeln sich nicht nur in den einzelnen Befundbildern, son-dern auch in der Verteilung des Fundmaterials wider.

Neben den Überresten von Kulthandlungen ist auch das übrige Fundmaterial aus den Arealen zu berücksichtigen. Handelt es sich hierbei um umgela-gertes Inventar aus einer früheren Phase oder einge-brachten Abfall aus einem benachbarten Siedlungs-teil? Ein erster Zugang ist, das gesamte vergesell-schaftete Fundmaterial möglichst komplett vorzu-legen, damit mögliche klare Gemeinsamkeiten oder Divergenzen zwischen den Fundspektren der Sakral-/

Kultbauten und denjenigen der benachbarten zivilen Siedlungsareale herausgearbeitet werden können. Es liegt auf der Hand, dass Siedlungsabfall immer kul-tische Elemente beinhaltet, doch qualitative (spezi-fische Gefässe oder Gefässmanipulationen) und quantitative Analysen (bspw. besondere Fund- oder Fundgattungskonzentrationen) können als Indika-toren dienen. Hierbei sind sämtliche Befunde von Interesse. Fehlt eine klare Befundsituation, ist es den-noch möglich, indirekt über Analogie schlüsse vom selben oder von externen Fundplätzen Ensem bles oder Fundvergesellschaftungen als kultisch anzu-sprechen51 ▶ 1.

1.2.3 KLASSIFIZIERUNG UND AUSSAGEPOTENZIAL Die Überlieferung der Quellen entscheidet sowohl über die Art und Weise der wissenschaftlichen

1.2.3 KLASSIFIZIERUNG UND AUSSAGEPOTENZIAL Die Überlieferung der Quellen entscheidet sowohl über die Art und Weise der wissenschaftlichen

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