In den kollisionsrechtlichen Regelungen und in der Praxis der Zivilgerichte las 28 sen sich verschiedene Techniken des Umgangs mit finanzmarktrechtlichen Re
gelungen in grenzüberschreitenden Sachverhalten erkennen. Zwar ist die An
wendung ausländischer finanzmarktrechtlicher Regelungen aufgrund des Fest
49 S. unten Rn. 36 ff.
50 BGH NJWRR 2010, 1554, 1555 ff.
51 Dazu unten Rn. 72.
52 S. dazu unten Rn. 57 ff.
§ 1 Das Finanzmarktrecht im Internationalen Privatrecht 14
Matthias Lehmann
haltens der Gerichte an den – verfehlten – Axiomen des Territorialitätsprinzips und des public law taboo praktisch selten. Jedoch verhalten sich die Gerichte in der EU unter dem Einfluss des Unionsrechts gegenüber Rechtsregeln und Ver
waltungsakten anderer Mitgliedstaaten großzügiger. Zudem stellt sich auch in
nerhalb des eigenen Rechts häufig die Frage, ob zivil und aufsichtsrechtliche Vorschriften gleich oder unterschiedlich anzuknüpfen sind. Um die verschie
denen Ansätze möglichst deutlich aufzuzeigen, wird im Folgenden neben der Situa tion im deutschsprachigen Raum auch die in den USA einbezogen.
I. Vorrang der aufsichtsrechtlichen vor den international- privatrechtlichen Anknüpfungen
29 Ein Ansatz besteht darin, das anzuwendende Zivilrecht im Einklang mit dem Anwendungsbereich des Finanzmarktrechts zu ermitteln. Das Finanzmarkt
recht und sein Kollisionssystem, das IVwR, dominieren in diesem Fall das IPR.
Diese Tendenz ist insbesondere in den Ländern ausgeprägt, deren Sachrechte zivilrechtliche Fragen als Anhängsel zur Regulierung betrachten. Ein Beispiel für diese Methode gibt das USRecht. Dort finden sich in einem Rechtsakt ne
ben regulatorischen Vorschriften oft privatrechtliche Anspruchsgrundlagen für den Fall ihrer Verletzung.53 Aus Sicht der Rechtsprechung lag es daher nahe, den Anwendungsbereich der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen genauso wie den der maßgeblichen Regulierung zu bestimmen.
30 Das Ergebnis ist eine unilaterale Kollisionsregel. Für jede Norm gilt danach eine besondere Anknüpfung, vergleichbar dem Ansatz der im Mittelalter in Eu
ropa herrschenden Statutentheorie.54 Die Anknüpfung der privatrechtlichen Grundlagen folgt den Regeln des IVwR. Wird dieses klassisch unter Einschluss des public law taboo konzipiert, wenden Gerichte nur die Haftungsgrundlagen ihres eigenen Rechts an und ignorieren ausländisches Recht.
31 Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist das Urteil im Fall Morrison55: Darin hatte der Supreme Court eine Klage australischer Kläger gegen einen australischen Beklagten abgewiesen. Zur Begründung führte er an, das USamerikanische Recht sei aufgrund der presumption against territoriality nicht anwendbar. Das ist widersprüchlich, hatte doch Justice Scalia in der von ihm formulierten Mehr
heitsmeinung zunächst sehr klar geäußert, dass die Zuständigkeit von der An
wendbarkeit USamerikanischen Rechts zu trennen sei und die USGerichte
53 S. zB sec. 10b Securities Exchange Act 1934 und die auf seiner Grundlage von der SEC erlassene Rule 10b5 für „fraud claims“, sec. 11 Securities Act 1933 für Ansprüche wegen fehlerhafter registration statements, sec. 12 Securities Act 1933 für Prospekthaftungs
ansprüche, Ansprüche nach sec. 17 Securities Act 1933, Ansprüche wegen Insidertrading nach sec. 20A Securities Exchange Act 1934.
54 Zur Statutentheorie Kropholler, IPR, § 2 II; Kegel/Schurig, IPR, § 3 IV.
55 561 U.S. 247, 130 S.Ct. 2869 (2010).
Autorenverzeichnis
Univ.Prof. Dr. Georg Eckert war von 2000–2009 Assistent an der Wirtschafts
universität Wien (Prof. Kalss); 2010 Verleihung der Lehrbefugnis in den Fächern Unternehmens und Gesellschaftsrecht, Internationales Privatrecht und Rechts
vergleichung sowie Europarecht; seit 2013 Rechtsanwalt in Wien, seit SS 2014 Professor am Institut für Unternehmens und Steuerrecht der Universität Inns
bruck.
Forschungsschwerpunkte: Gesellschafts und Kapitalmarktrecht, Internatio
nales Privatrecht.
Rechtsanwalt Dr. Johannes Gasser, LL.M., TEP, ist Senior Partner der Kanzlei Gasser Partner in Vaduz, Liechtenstein, mit den Tätigkeitsschwerpunkten Liechtensteinisches Stiftungs und Gesellschaftsrecht, Wirtschaftsrecht, Fi
nanzmarktrecht und Zivilverfahren.
Dr. Gasser ist Verfasser des Praxiskommentars Liechtensteinisches Stiftungs
recht, Mitglied der Schriftleitung der Zeitschrift Die Privatstiftung (PSR), Vor
sitzender des Liechtensteinischen Schiedsvereins (LIS) sowie Mitglied des Vor
standes der Liechtensteinischen Treuhandkammer und des Richterauswahlgre
miums.
Prof. Dr. Peter Jung, Maître en droit, ist Ordinarius für Privatrecht an der Uni
versität Basel und ständiger Gastprofessor an der Université PanthéonAssas Paris II.
Prof. Dr. Jung ist Leiter der Fachgruppe für vergleichendes Handels und Wirtschaftsrecht der Gesellschaft für Rechtsvergleichung, Assoziiertes Mitglied der Internationalen Akademie für Rechtsvergleichung sowie Gründungsmit
glied der Schweizer Richterakademie und Mitglied des Rats des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung (SIR). Forschungsschwerpunkte: Handels
und Gesellschaftsrecht, Wettbewerbsrecht, jeweils mit internationalen und rechtsvergleichenden Bezügen.
Prof. Dr. Christoph Kumpan, LL.M. (Univ. of Chicago), AttorneyatLaw (New York), ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Wirtschafts
recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Universität Halle
Witten berg, und Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht (ebenda).
Prof. Dr. Kumpan ist Mitglied des Arbeitskreises „Finanzmarktgesetzgebung beim Bundesministerium der Finanzen“. Forschungsinteressen: Bank und Kapi tal markt recht, Gesellschaftsrecht, Privatrecht und Rechtsvergleichung.
Autorenverzeichnis 546
Professor Dr. Matthias Lehmann, D.E.A. (Paris II), LL.M., J.S.D. (Columbia) ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internati
onales Privat und Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn und Direktor des Instituts für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung (ebenda).
Prof. Dr. Lehmann ist regelmäßig Gastdozent an verschiedenen europäischen Universitäten und Mitglied der Expert Group on Conflict of Laws on Securities and Claims der Europäischen Kommission. Forschungsinteressen: Internatio
nales und Europäisches Privatrecht, Bank und Kapitalmarktrecht sowie Rechts
vergleichung.
Prof. Dr. Eva Micheler ist Associate Professor (Reader) in Law, London School of Economics and Political Science, sowie Mitglied des Management Commit
tees des LSE Systemic Risk Centres.
Prof. Dr. Micheler ist Mitglied des Investor Protection and Intermediaries Standing Committee der European Securities Markets Authority (ESMA) und hat das UK Department of Business, Innovation and Skills zu Fragen der Wert
papiersysteme beraten. Forschungsschwerpunkte: Gesellschafts und Wertpa
pierrecht, insbesondere Effekten und ihre Übertragung.
Dr. Helene Rebholz ist Gründungspartnerin der Anwaltskanzlei König Reb
holz Zechberger und seit 2004 als Anwältin in Liechtenstein (mit weiterer An
waltszulassung in Österreich) tätig.
Beratungsschwerpunkte: Finanzmarktrecht (insbesondere Bankenrecht, Ver
sicherungsrecht, Investment Fonds), Gesellschaftsrecht, Mergers & Acquisi
tions, Private Clients.
Prof. Dr. Dörte Poelzig, M.jur. (Oxon.), ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bür
gerliches Recht, Deutsches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Juris
tenfakultät der Universität Leipzig und Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Bank und Kapitalmarktrecht.
Forschungsschwerpunkte: Gesellschafts, Kapitalmarkt und Kartellrecht.
Marlene Schmidt, LL.M., ist Juristin im Energiesektor in Wien, früher Univer
sitätsassistentin an der Abteilung für Informations und Immaterialgüterrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.
Forschungsschwerpunkte: Europäisches Kapitalmarktrecht, Informations
und Immaterialgüterrecht, Zivil und Unternehmensrecht
Prof. Dr. Ulrich G. Schroeter ist ordentlicher Professor für Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Basel.
Prof. Dr. Schroeter ist Honorary Fellow des Asian Institute of International Financial Law, University of Hong Kong (China). Forschungsschwerpunkte:
schweizerisches, deutsches und internationales Finanzmarktrecht, internationa
Autorenverzeichnis 547 les Handels und Vertragsrecht (insbesondere UNKaufrecht (CISG)), Obliga
tionenrecht und Schiedsgerichtsbarkeit.
Prof. Dr. Astrid Stadler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Privatrecht an der Universität Konstanz.
Prof. Dr. Stadler ist Mitglied des Deutschen Rates für Internationales Privat
recht und war von 2004 bis 2016 Mitglied der Ständigen Deputation sowie von 2012 bis 2016 stellvertretende Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses des Deutschen Juristentages (DJT). TeilProfessur für Comparative Mass Liti
gation an der Erasmus Universität Rotterdam (2011 bis 2015). Forschungs
schwerpunkte: Europäisches und deutsches Zivilprozessrecht (insbesondere kollektiver Rechtsschutz), Prozessrechtsvergleichung, Sachenrecht, Vertrags
recht und Rechtsvergleichung.
Prof. Dr. Christoph Thole, Dipl.Kfm., ist Universitätsprofessor an der Univer
sität zu Köln und Direktor des dortigen Instituts für Verfahrensrecht und Insol
venzrecht und des Instituts für Internationales und Europäisches Insolvenz
recht.
Forschungsschwerpunkte: (internationales) Verfahrensrecht sowie Insol
venzrecht.
Prof. Dr. Rüdiger Wilhelmi ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels, Gesellschafts und Wirtschaftsrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Konstanz sowie Direktor des Instituts für Rechtstatsachenfor
schung der Universität Konstanz.
Forschungsschwerpunkte: aus dem Handels und Gesellschaftsrecht das Ka
pital und Personengesellschaftsrecht sowie das Recht des Unternehmenskaufs und der Familiengesellschaften, aus dem Wirtschaftsrecht das Bank und Kapi
talmarktrecht, Kartellrecht sowie das Immaterialgüterrecht (insb. Patentrecht).
Prof. Dr. Martin Winner ist Professor für Unternehmensrecht an der Wirt
schaftsuniversität Wien und Leiter der Abteilung für Informations und Im
materialgüterrecht sowie des Forschungsinstituts für mittel und osteuropäi
sches Wirtschaftsrecht.
Prof. Winner ist Vorsitzender der österreichischen Übernahmekommission.
Forschungsschwerpunkte: Gesellschafts und Kapitalmarktrecht samt Rechts
vergleichung, Immaterialgüterrecht.
Prof. Dr. Dirk A. Zetzsche, LL.M. (Univ. of Toronto), ist Inhaber des ADA Lehrstuhls für Finanzmarktrecht / Inclusive Finance an der Fakultät für Recht, Ökonomie und Finanzen, Universität Luxemburg, und Direktor des Instituts für Unternehmensrechts, HeinrichHeineUniversität Düsseldorf.
Autorenverzeichnis 548
Tätigkeitsschwerpunkte: Gesellschafts, Kapitalmarkt, Bank und Invest
mentrecht, Rechtsvergleichung und ökonomische Analyse des Rechts.
Stichwortverzeichnis
– Territorialitätsprinzip 1 14 ff.; 112; 3 5 ff.Investmentfonds 7 5 ff.
– Organisationsstatut 7 12 ff., 109 ff., 143 f.
Stichwortverzeichnis